Zum Inhalt springen

ADB:Holbach, Paul Freiherr von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Holbach, Paul Heinrich Dietrich Freiherr v.“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 710–713, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Holbach,_Paul_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 14:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 12 (1880), S. 710–713 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Paul Henri Thiry d’Holbach in der Wikipedia
Paul Henri Thiry d’Holbach in Wikidata
GND-Nummer 118706403
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|12|710|713|Holbach, Paul Heinrich Dietrich Freiherr v.|Carl von Prantl|ADB:Holbach, Paul Freiherr von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118706403}}    

Holbach: Paul Heinrich Dietrich Freiherr v. H.[1], geb. anfangs 1723 in Heidesheim bei Frankenthal (in der Rheinpfalz), † den 21. Juni 1789 in Paris, woselbst er bereits seine Jugenderziehung empfangen hatte und später, nachdem er Erbe des ungeheuren väterlichen Vermögens geworden, durch sein gastliches Haus (in der Rue royale) zu den Häuptern des damaligen litterarisch-gesellschaftlichen Pariser Lebens zählte. Außer seinem Landsmann und innigem [711] Freunde Friedrich Melchior Frhr. v. Grimm, fanden sich bei ihm hauptsächlich Diderot, d’Alembert, Condorcet, auch Buffon und Rousseau ein, um Sonntags und Donnerstags bei glänzendsten Mahlzeiten den lebhaftesten Austausch der Meinungen zu pflegen, soweit nicht etwa in den Sommermonaten ein entsprechender Ersatz auf Holbach’s Landgute in Grand-Val (im Departement Puy de Dome) eintrat. Die Pariser Salons waren ja in einem gewissen socialen Gegensatze gegen den Versailler Hof der Mittelpunkt einer ausgedehnten und einflußreichen geistigen Bewegung Frankreichs geworden, indem dort (häufig auch unter Leitung geistreicher Frauen) die litterarischen Erscheinungen und insbesondere die philosophischen Tagesfragen eine hingebende Besprechung fanden, welche in Inhalt und Tendenz grundsätzlich mit der schriftstellerischen Veröffentlichung der „Encyclopédie“ gleichen Schritt hielt. In diesen Kreisen ragte H. nicht nur durch eine außerordentliche Wohlthätigkeit, sondern auch durch häusliche und gesellige Tugenden, durch Herzensgüte und Anspruchlosigkeit, durch Kenntnißreichthum und Humor hervor; selbst Rousseau, welcher allmählich ein Gegner der Encyklopädisten wurde, nahm ihn in seiner „Nouvelle Héloïse“ zum Modelle des Hrn. v. Wolmar. Nachdem H. in seinen Erstlingsschriften „Arrêt rendu à l’amphithéatre contre la musique française“ (1752) und „Lettre à une dame sur l'état présent de l’Opéra“ (1752), sich mit Theater-Fragen beschäftigt hatte, eröffnete er bald hernach das ihm eigenthümliche litterarische Feld vorläufig mit „Le christianisme dévoilé“ (1756 unter dem Pseudonym Boulanger), und nach zehnjähriger Pause erschienen dann in äußerst rascher Abfolge: „Lettres de Thrasybule à Leucippe“ (1766 unter dem Pseudonym des im J. 1739 gest. Fréret), „De l’imposture sacerdotale“ (1767), „L’esprit du clergé ou le christianisme primitif“ (1767), „La contagion sacrée ou l’histoire naturelle de la superstition“ (1768), „Les prêtres démasqués“ (1768), „Examen des prophéties“ (1768), „David ou l’histoire de l’homme selon le coeur de dieu“ (1768), „Lettres à Eugénie ou préservatif contre les préjugés“ (1768 mit Anmerkungen von Naigeon), „Lettres philosophiques sur l’origine du dogme de l’immortalité“ (1768), „Examen des apologistes du christianisme“ (1768 unter dem Pseudonym Fréret), „Théologie portative ou dictionnaire abrégé de la réligion chrétienne“ (1768 unter dem Pseudonym Bernier, die Auflage von 1776 hat den Titel „Manuel théologique en forme de dictionnaire“), hierzu der letzte Abschnitt der von Naigeon anonym herausgegebenen Schrift „Le militaire philosophe ou difficultés sur la réligion“ (1768), „De la cruauté religieuse“ (1769), „L’enfer detruit“ (1769), „L’intolérance convaincue de crime et de follie“ (1769), „Essai sur les préjugés“ (1770 unter dem Pseudonym D. M., daher für ein Werk des Du Marsais gehalten), „L’esprit du judaisme“ (1770), „Histoire critique de Jésus-Christ“ (1770), „Examen critique de la vie et des ouvrages de St. Paul“ (1770), „Tableau des Saints ou examen de l’esprit et des personnages que le Christianisme propose pour modèles“ (1770), „Système de la nature ou des lois du monde physique et du monde moral“ (1770 unter dem Pseudonym des im J. 1760 gest. Mirabeau in zwei verschiedenen Ausgaben, die Auflage von 1780 enthält auch die Widerlegung der Einwürfe Séguier’s); in dem im gleichen Jahre (1770) erschienenen „Récueil philosophique“ sind von H.: „Reflexions sur les craintes de la mort“ und „La réligion est-elle nécessaire à la morale et utile à la politique?“ Dann folgten noch: „Le bon sens ou idées naturelles opposées aux idées surnaturelles“ (1772), „La politique naturelle“ (1773), „Système social ou principes naturels de la morale et de la politique“ (1773), „Ethocratie ou le gouvernement fondé sur la morale“ (1776), „La morale universelle“ (1776). Nach Holbach’s Tode gab Naigeon heraus „Eléments de morale universelle“ (1790) und noch spät [712] erschien aus dem Nachlasse „Le bon sens du curé J. Meslier“ (1830). Außerdem hatte H. mehrere chemische, pharmaceutische, physiologische und medicinische Artikel in die „Encyclopédie“ geliefert und auch verschiedene naturwissenschaftliche Arbeiten der Deutschen und der Engländer ins Französische übersetzt (s. Quérard, La France littéraire, Bd. IV. S. 119 f.). Seine Leistungen im Gebiete der sogen. exacten Wissenschaften hatten zur Folge, daß er von den Akademien zu Berlin und zu Petersburg in die Zahl ihrer Mitglieder aufgenommen wurde. Die angeführten dem Materialismus oder dem Kampfe gegen Religion gewidmeten Schriften, welche, soweit nicht pseudonym, sämmtlich anonym erschienen, hatte er seit 1756 schon längst vorbereitet und dann zahlreich gleichzeitig meistens durch Vermittelung des Buchhändlers Naigeon) auf den Markt geworfen, so daß selbst die Genossen seines Salons häufig in Unkenntniß über den Namen des Verfassers waren. Während die Mehrzahl der übrigen, welche auch vielfach sich in Wiederholungen der gleichen Gedanken bewegen, allmählich in Vergessenheit gerieth, fand das „Système de la nature“ auf eine lange Reihe von Jahren die weiteste Verbreitung (in Frankreich erlebte es noch im jetzigen Jahrhundert 20 Auflagen, eine deutsche Uebersetzung von Schreiter erschien 1783, eine neue von K. Biedermann 1841, und ein Auszug von Allhusen 1851). Während man früher annahm, das Buch sei wol in der nächsten Umgebung Holbach’s entstanden, aber eigentlich von Lagrange oder von Diderot oder von diesen beiden gemeinschaftlich verfaßt, wird jetzt im Hinblicke auf Baron Grimm’s Veröffentlichungen von Niemanden mehr bezweifelt, daß H. der wirkliche Verfasser sei, und dagegen kann nach den litterarischen Gewohnheiten der Encyklopädisten auch kein Einwand aus dem Umstande entnommen werden, daß in den nachgelassenen Schriften Diderot’s (neue Gesammtausgabe von Assezat, 1875) mehrere Stellen wörtlich mit dem „Système de la nature“ übereinstimmen. Uebrigens war dasselbe auch unter allen Schriften Holbach’s die einzige, welche in Bälde eine mehrfache Bekämpfung fand; es erschienen nämlich: „Castillon. Refutation du système de la nature“ (1771), sowie Holland (ein Freund Lambert’s), „Reflexions philosophique sur le syst. de la nature“ (1772); bekannt ist, daß auch Friedrich der Große ein Examen critique du système de la nature schrieb. Die Grundanschauungen, auf welchen die ganze schriftstellerische Thätigkeit Holbach’s beruhte, dürften als das folgerichtige letzte Ergebniß einer damals in Frankreich verbreiteten Gährung der Geister zu bezeichnen sein. So war H. Materialist aus Humanität, d. h. begeistert für das Wohl der Menschen wollte er dieselben glücklich machen durch Bekämpfung all’ desjenigen, was ihm als drückendes Vorurtheil erschien; unglücklich fühle sich der Mensch in Folge von Aberglauben, dieser aber sei aus Furcht und letztere nur aus Unwissenheit entstanden. Darum müsse der Muth geweckt und Achtung vor der Vernunft eingeflößt werden, wozu die größte Förderung in den Naturwissenschaften liege, welche schlicht und verständig sagen, was ist, und demnach von Einbildungen und Vorurtheilen befreien. Indem aber H. hierbei die Thätigkeit des Denkens, durch welches die aufklärende und beruhigende Wissenschaft entsteht, irgend näher zu untersuchen gänzlich verschmähte, verblieb er ausschließlich in der negativen Tendenz der Polemik gegen alle Idealität überhaupt, welche er nahezu mit theologischen Grillen und religiösem Aberglauben identificirte. So wurde er zum fanatischen Vertreter eines einseitigsten Materialismus, welcher ihm allen Ernstes auch für das praktische Leben in jeder Beziehung als wohlthätig und vortheilhaft erschien. Das wesentlichste Hinderniß erblickte er in der Religion, welche nicht nur entbehrlich, sondern geradezu nachtheilig sei, indem sie den Schlechten Verzeihung verheiße und die Guten durch das Maß ihrer Forderungen unterdrücke. In vielen seiner Schriften gab er dem verneinenden [713] Standpunkte bald durch Prüfungen, Enthüllungen, Entlarvungen, Befreiungen, bald durch Hinweis auf Betrug, Unduldsamkeit, Grausamkeit der Priester einen lebhaften und eindringlichen Ausdruck. Die Ethik wird völlig auf Physik zurückgeführt und unter Bekämpfung aller teleologischen Annahmen das Princip des Mechanismus auf sittliche Begriffe angewendet, so daß z. B. Selbstliebe, Menschenliebe und Haß grundsätzlich als das nämliche bezeichnet werden, was man in der Materie Trägheit, Attraction und Repulsion nennt. Und so ist es schließlich auch der Begriff des wohlverstandenen Interesses, auf welchen die gesellschaftlichen und politischen Grundsätze zurückgeführt werden.

Correspondance littéraire, philosophique et critique par le Baron de Grimm et Diderot (1813). Mémoires posthumes de Marmontel (1800). Avezac Lavigne, Diderot et la société du baron Holbach (1875). K. Rosenkranz, Diderot’s Leben und Werke, Bd. II. S. 78 ff. Fr. Alb. Lange, Geschichte des Materialismus, 2. Aufl. Bd. I. S. 359 ff.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 710. Z. 6 v. u.: P. H. D. Frhr. v. Holbach wurde geboren zu Edesheim bei Landau in der Pfalz Anfang December 1723; getauft ward er am 8. December. Sein eigentlicher Familienname war Thierry (Dirre; Dietrich ist Uebersetzung davon). Den Namen Holbach und seinen Adel erhielt er durch Adoption seines Mutterbruders, des Freiherrn Franz Adam v. Holbach, der ihn in Paris erziehen ließ und ihm die Hälfte seines sehr großen Vermögens vermachte. – Pfälzisches Museum 1900, Nr. 4, S. 50 f. [Bd. 55, S. 889 f.]