ADB:Hunnius, Nikolaus
Aegidius H. (der 1576–92 in Marburg, 1592–1603 in Wittenberg lebte), widmete er sich frühe schon nach dem Vorbild seines Vaters und Bruders (Aegidius H. I und II) dem Studium der Philosophie und Theologie, besuchte die Stadtschule in Wittenberg 1592 ff., bezog die dortige Universität 1600, wurde 1604 Magister und Adjunkt der philosophischen Facultät, besuchte die Universitäten Marburg und Gießen, hielt philosophische und theologische Vorlesungen in Wittenberg, wurde 1612 Dr. theol. und in demselben Jahr vom Kurfürsten von Sachsen zum Prediger und Superintendenten in Eilenburg ernannt, wo er durch treue Pflichterfüllung die Achtung und Liebe seine Gemeinde gewinnt, aber auch zu seiner ersten größeren litterarischen Arbeit Zeit findet – einer Vertheidigung des evangelischen Predigtamtes gegen die Angriffe des Jesuiten Bellarmin. Nach dem Tode Leonhard Hutter’s († 1616) berief ihn der Kurfürst Johann Georg als dessen Nachfolger nach Wittenberg 1617. Sechs Jahre wirkte er hier als Professor und Prediger durch Vorlesungen, Predigten, Disputationen und Schriften im Geist seines Vorgängers wie seines Vaters. Da erhielt er 1623 einen Ruf nach Lübeck als Hauptpastor zu St. Marien; eine augenblickliche Verstimmung über einen Vorwurf, den er als Censor einer neuen Bibelausgabe sich zugezogen, [417] bestimmte ihn den Ruf anzunehmen. Er geht 1623 nach Lübeck, zunächst auf 1 Jahr, erhält 1624 auch die Superintendentur und bleibt für immer. In dieser Stellung übt er eine sehr umfassende und einflußreiche Wirksamkeit auf das Kirchenwesen von ganz Norddeutschland. Vor Allem war er auch jetzt wieder darauf bedacht, die Reinheit der Lehre und die Ordnung des kirchlichen Lebens gegen alle Angriffe zu wahren, im dreifachen Kampf wider Papisten, Calvinisten und Enthusiasten. Wie er schon früher Recht und Würde des evangelischen Predigtamtes gegen katholische Angriffe vertheidigt hatte in seiner „Demonstratio ministerii Lutherani“ (Wittenberg 1614), so hatte er auch in Lübeck mehrfach Gelegenheit, den Versuchen der Jesuiten zur Proselytenmacherei entgegenzutreten. Zur Abwehr der schwärmerischen Bewegungen, von denen damals Norddeutschland besonders von Holland her heimgesucht war, vereinigte H. die drei Ministerien der Städte Lübeck, Hamburg, Lüneburg (das sog. Ministerium tripolitanum) zu dem Möllner Convent und Abschied (26./29. März 1633), der gemeinsame Maßregeln gegen die „neuen Propheten“ verabredete. Im Auftrag dieses Convents verfaßt H. zwei Lehrschriften zur Abwehr des Enthusiasmus, nämlich das sog. „Niedersächsische Handbuch“, gedruckt zu Lübeck 1633, ein Buch, das lange Zeit hindurch fast symbolisches Ansehen in den niederdeutschen Kirchen genoß (enthaltend: 1) Luther’s Katechismus, 2) Bibelsprüche, 3) Psalmen, 4) Sonn- und Festtagsevangelien, 5) Leidensgeschichte und Geschichte der Zerstörung Jerusalems, 6) Kirchengesänge, 7) Gebete); und einen „Ausführlichen Bericht von den neuen Propheten, die sich Erleuchtete, Gottesgelehrte und Theosophos nennen“, Lübeck 1634 (neue Aufl. von Feustking 1708 unter dem Titel „Mataeologia fanatica“). Gegenüber von den Reformirten, die sich um des Handels willen vielfach in Lübeck niederließen, und zur Beantwortung der Unionsvorschläge des Schotten Dury († 1680) erstattete H. im Namen des Lübecker Ministeriums ein Gutachten an den Rath unter dem Titel „Theol. consideratio sq.“, gedruckt Lübeck 1677 (durch Sup. Pomarius). – Hand in Hand mit dieser abwehrenden Thätigkeit ging bei H. das Bauen und Schaffen, die Pflege des christlichen Gemeindelebens. Er bemühte sich für Herstellung der Katechismusexamina, für Privatbeichte und persönliche Anmeldung zum Abendmahl, für Aufrechterhaltung pastoraler Kirchenzucht, Feststellung der Parochialrechte, Fortbildung des Schulwesens, gründete ein Ministerialarchiv, eine geistliche Wittwen- und Waisenkasse etc. Seine allgemein anerkannte Biederkeit und Rechtschaffenheit, seine uneigennützige Liebe besonders gegen die Armen etc. erwarben ihm allgemeines Vertrauen und milderten den Eindruck seiner orthodoxen Starrheit und Abgeschlossenheit. Auch nach auswärts wurden seine Rathschläge und Gutachten gesucht; ja auf die ganze lutherische Kirche war sein Absehen gerichtet und vor Allem lag ihm die Erhaltung des kirchlichen Friedens am Herzen. Zu diesem Zweck machte er 1632 in seiner Schrift „Consultatio, oder wohlmeinendes Bedenken etc.“ den Vorschlag zur Einsetzung eines Collegium irenicum s. pacificum, d. h. eines theologischen Senats zur Prüfung und Schlichtung aller in der lutherischen Kirche entstehenden theologisch kirchlichen Streitigkeiten (das sog. Collegium Hunnianum, das freilich, obwohl Herzog Ernst von Gotha für die Ausführung sich interessirte, ein bloser frommer Wunsch blieb, und erst in der Gegenwart eine theilweise Verwirklichung gefunden hat in den sog. evangelischen Kirchenconferenzen). H. selbst erlebte freilich nicht einmal mehr den heiß ersehnten politischen Friedensschluß: seine ursprünglich gute Gesundheit litt durch das Uebermaß von Arbeit, das er sich zumuthete, so sehr, daß er erkrankte, das Gedächtniß verlor und, nicht 60 Jahre alt, 1643 starb. – Von seinen Schriften ist außer dem schon Genannten insbesondere noch zu nennen seine „Epitome credendorum oder Inhalt christlicher Lehre“, Wittenberg 1625 ff., in [418] 19 Auflagen erschienen und in verschiedene Sprachen übersetzt; ein Auszug daraus ist seine „Anweisung zum rechten Christenthum“, Lübeck 1637 und 43, in vielen norddeutschen Kirchen und Schulen lange Zeit als Religionslehrbuch gebraucht; als seine bedeutendste theologische Schrift gilt seine „Διάσκεψις theol. de fundamentali dissensu doctrinae ev. Lutheranae et Calvinianae“, Wittenberg 1626.
Hunnius: Nikolaus H., lutherischer Theologe des 16./17. Jahrhunderts, einer der rüstigsten Vorkämpfer der Orthodoxie, geb. am 11. Juli 1585 zu Marburg, † am 12. April 1643 zu Lübeck. Sohn des schwäbischen Theologen- Neben Freher, Witte, Moller, Jöcher, Starcke, Rotermund s. besonders die Monographie von Dr. L. Heller, Nikolaus Hunnius. Sein Leben und Wirken. Ein Beitrag zur Kirchengesch. des 17. Jahrh., meist nach schriftlichen Quellen, Lübeck 1843, und desselben Verf. Artikel in der theol. Realencykl. VI, S. 371 ff. N. Aufl.; vgl. auch Frank, Gesch. der prot. Theol. I, 335 ff.