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ADB:Jäger, Michael

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Artikel „Jaeger, Michael“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 654–657, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:J%C3%A4ger,_Michael&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 20:39 Uhr UTC)
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Jaeger: Michael J., Professor der Chirurgie und Director der chirurgisch-augenärztlichen Klinik zu Erlangen, war am 10. August 1795 zu Würzburg, als Sohn wohlhabender und geachteter Bürgersleute geboren. Nach absolvirtem Gymnasium machte J. seine medicinischen Studien in Würzburg; unter seinen Lehrern war namentlich der Anatom Döllinger, dessen Liebling J. war, ihm bis zu seinem frühen Tode ein theilnehmender Freund und treuer Rathgeber. Am 20. Februar 1819 erwarb J. den Doctorgrad, schrieb darauf die 1820 erschienene Dissertation „Tractatus anat.-physiol. de arteriarum pulsu“ und trat, zu weiterer Ausbildung, eine Reise nach Wien, Berlin und Hamburg an. Seit dem März 1819 Armenarzt eines Districtes der Stadt Würzburg, wurde J., nach Zurücklegung des Staatsexamens, unter dem 8. Juni 1821 zur Ausübung der ärztlichen Praxis daselbst befugt, habilitirte sich darauf bei der Universität, wurde unter dem 14. Februar 1822 zum Privatdocenten ernannt und hielt zuerst Vorlesungen über pathologische Anatomie, mit Demonstrationen an der im Juliusspitale befindlichen pathologischen Sammlung. Er hatte sich außerdem bald einer ausgebreiteten und einträglichen Praxis zu erfreuen, besuchte dabei aber stets noch die öffentlichen Kliniken, namentlich die des Chirurgen Kaj. Textor, und die Militärspitäler. Mit dem 1. October 1826 erhielt J., der sich um die freigewordene klinische Lehrstelle in Landshut bewarb, die durch den vor Jahresfrist erfolgten Tod von Schreger in Erlangen erledigte Direction der dortigen chirurgisch-augenärztlichen Klinik, indem er gleichzeitig zum außerordentlichen Professor ernannt wurde. Als Nachfolger eines in der litterarischen Welt sehr bekannten Mannes, der freilich in den letzten Jahren, in Folge von Kränklichkeit, nur wenig für die Klinik hatte thun können, war es für den jungen Chirurgen nicht ganz leicht, sich Geltung zu verschaffen, indessen derselbe bewies bald durch die That, daß die Behörden bei seiner Ernennung sich nicht [655] getäuscht hatten. Er erweiterte und gestaltete die Klinik um; durch einen ihm von der Regierung gewährten Geldzuschuß wurde er in die Lage versetzt, mehr Kranke unentgeltlich, oder gegen geringe Vergütigung aufzunehmen, die Zahl der die Poliklinik aufsuchenden Kranken so wie der in der chirurgischen Klinik und in der davon abgesonderten Augenabtheilung Hilfe suchenden Leidenden vermehrte sich von Jahr zu Jahr. Indem J. ferner die Instrumentensammlung der Universität neu ordnete und durch Ankauf und Umtausch vermehrte, allen Fleiß auch auf die Sammlung pathologischer Präparate verwendete und von dem ersten Augenblick seiner klinischen Thätigkeit an regelmäßige jährliche Berichte über dieselbe veröffentlichte, lieferte er den Beweis, daß mit ihm neues Leben und ein neuer Geist in die Erlanger chirurg. Klinik eingezogen sei. Neben seiner klinischen Wirksamkeit begann J. auch eine überaus fruchtbare litterarische Thätigkeit, namentlich in Monographieen und zahlreichen Artikeln für encyklopädische Werke, nämlich seit 1830 für das von der Berliner medicinischen Facultät herausgegebene Encyklopädische Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, seit 1831 für Rust’s Handbuch der Chirurgie und später, seit 1836, für das von ihm in Gemeinschaft mit Walter und Radius redigirte Handwörterbuch der Chirurgie und Augenheilkunde. Unter dem 24. Juni 1831 war J. zum Professor ordinarius ernannt worden und diesem Umstande sind zwei im folgenden Jahre erschienene Gelegenheitsschriften, nämlich die Programme „Operatio resectionis conspectu chronologico adumbrata“ und „Commentatio chirurg. de exstirpatione linguae“ zu danken, nachdem J. im J. 1831 eine Monographie unter dem Titel „Die Entzündung der Wirbelbeine“ u. s. w. herausgegeben hatte. Das erwähnte Programm über die Resectionen und die erweiterte Bearbeitung desselben in den Artikeln „Decapitatio ossium, Excisio ossium partialis, Exstirpatio ossium“ des Rust’schen Handbuches der Chirurgie (1831, 32) sind die Grundlagen aller späteren litterarischen Arbeiten auf dem Gebiete dieser in Deutschland zuerst von der Würzburger Schule (Kaj. Textor, Bernhard Heine) und auch von J. mit besonderer Vorliebe cultivirten und mit großem Glück ausgeführten und seitdem zu außerordentlichem Aufschwunge gelangten, in vielen Fällen die Amputation der Glieder unnöthig machenden Operationen gewesen. Es waren dies überhaupt Jaeger’s schönste Lebensjahre. Sehr glücklich verheirathet, in einer mit Kindern gesegneten Ehe, von den Studirenden, die bald seinen Werth erkannten, geliebt und gepriesen, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten anerkannt, von seinen Collegen geachtet und geehrt, in angenehmster geselliger Verbindung mit ihnen lebend, gesund, um in voller Regsamkeit seine Pflichten zu erfüllen und voll heiteren Geistes, um das Leben froh zu genießen, konnte ihm wol nichts wünschenswerther sein, als eine Dauer dieser Verhältnisse. Da wurde ihm die Kunde, daß er durch königl. Cabinetsordre vom 30. October 1832 mit seinem bisherigen Gehalte zum Professor der Chirurgie in Würzburg, an Stelle des von dort (zur Strafe für angebliche staatsgefährliche Umtriebe) nach Landshut, als Director der dortigen chirurgischen Schule versetzten Professors Dr. Textor ernannt sei. Sehr gegen seinen Wunsch, mußte er dem königlichen Befehl Folge leisten. Obgleich sich J. in Würzburg, wie in Erlangen, nur der Ausbildung der ihm anvertrauten Jugend und der Förderung der Wissenschaft widmete, auch im Spitale manches Gute und Nützliche hervorrief, von der Universität die Gründung einer Instrumentensammlung mit reichlichen jährlichen Zuschüssen erlangte, so gerieth er bei seinem Feuereifer in Betreff mancher Abänderungen im Spital mit seinen Mitcollegen bald in Conflicte, die ihn wiederholt im Unmuth die Aeußerung thun ließen, er wünschte, er wäre in Erlangen geblieben. Dieser von ihm ausgesprochene Wunsch, der nunmehr von seinen Gegnern zum Vorwande genommen wurde, um ihn wieder [656] von Würzburg zu entfernen, anderseits das Verlangen der Regierung, Textor zu rehabilitiren und in seine frühere Stellung wieder einzusetzen, waren die Ursache, daß J. bereits nach zwei Jahren durch königlichen Befehl vom 4. November 1834 nach Erlangen in die früheren Verhältnisse zurückversetzt wurde, während Dr. Dietz, praktischer Arzt in Nürnberg, der seine Professur und Klinik in Erlangen übernommen hatte, es vorzog, in seine Praxis nach Nürnberg zurückzukehren. Indessen die Anstrengungen in dem größeren Wirkungskreise in Würzburg, namentlich das anhaltende Sprechen in der Klinik und bei dem Operationscursus an Leichen, hatten den schlummernden Funken seiner phthisischen Krankheitsanlage angefacht, der psychische Eindruck, den die unerwartete Zurückversetzung auf sein ohnehin so reizbares und mißgestimmtes Gemüth machte, übte ebenfalls eine schlimme Rückwirkung auf seinen leidenden Organismus aus und so bekundeten sich bereits die bösen Folgen davon in den nächsten Jahren. Ein Kehlkopfsleiden, dessen Beginn sich schon in Würzburg durch mehr oder weniger andauernde Heiserkeit nach längerem Sprechen gezeigt hatte und das mit der weiteren Entwickelung der von ihm glücklicherweise nicht als solche erkannten Lungentuberkulose Hand in Hand ging, machte allmälig solche Fortschritte, daß es dem unermüdlichen Manne nicht mehr möglich war, seine klinischen Vorträge zu halten. Er sah sich daher genöthigt, diese seinem Assistenten und liebsten Schüler Dr. Ried (gegenwärtig Geh. Hofrath und Professor der Chirurgie in Jena) zu übertragen, der, seit 1833 Assistent der Klinik, später als Prinatdocent habilitirt, J. in der Direction der Klinik, den Vorlesungen und practischen Uebungen vom Juli 1836 bis zu Jaeger’s im Februar 1838 erfolgten Tode vertrat und dasselbe Amt noch bis zum October 1838 weiter führte. Obgleich J. eine Wirksamkeit als Lehrer nunmehr versagt war, war es ihm doch unmöglich, unthätig zu bleiben. Er beschäftigte sich nebenbei mit dem Studium der neueren Sprachen und schrieb die große Reihe der im 1. bis 4. Bde. des bereits erwähnten, von ihm mitredigirten Handwörterbuches der Chirurgie (1836–39) veröffentlichten vortrefflichen Artikel; nach seinem Tode noch fanden sich viele völlig ausgearbeitete Artikel zu dem Reste des Werkes. Außerdem erschien in derselben Zeit noch eine Reihe von Aufsätzen und Recensionen in verschiedenen Journalen. Der Wunsch, den er gehegt hatte, zur Erholung seiner Gesundheit nach Italien zu gehen, ging nicht in Erfüllung, seine Lungenkrankheit machte schnelle Fortschritte und nach langen, von ihm mit großer Resignation und Willenskraft getragenen Leiden schied er am 2. Februar 1838, noch nicht 43 Jahre alt, aus der Mitte seiner Familie, aus dem Schoße der Universität und wurde der Wissenschaft entrissen, der er sich mit ganzer Aufopferung hingegeben hatte. – Es ist in hohem Grade bemerkenswerth, wie schnell J., der früher sehr wenig operirt hatte, sich zu einem vorzüglichen Operateur ausbildete. Es läßt sich dies nur aus seinem angeborenen Geschick, seiner Entschlossenheit und seinen gründlichen anatomischen Kenntnissen erklären. Indessen führte ihn das Glück und die Sicherheit, mit welcher er operirte, nicht zu einer Ueberschätzung der operativen Eingriffe, wie er denn auch bei seiner eingehenden Kenntniß der pathologischen Anatomie und bei seinem Scharfsinn ein feiner Diagnostiker war. Namentlich auf dem Gebiete der Knochen- und Gelenkkrankheiten und der mit ihnen in innigem Zusammenhange stehenden Resectionen gehört er, in der Stellung der Indicationen der letzteren und deren Ausführung, zu den bahnbrechenden Chirurgen Deutschlands, welche der Chirurgie der Neuzeit die Grundlage gegeben haben. Mit allen Eigenschaften eines guten Operateurs und Therapeuten verband J. eine große Gelehrsamkeit und bewundernswürdige Kenntniß der älteren und neueren Litteratur, in Folge eines mit unendlichem Fleiße betriebenen Studiums derselben. Hiervon [657] legen nicht nur seine zahlreichen Abhandlungen Zeugniß ab, sondern auch eine Menge unter seiner Leitung erschienener Dissertationen. Wie er seine volle Thätigkeit dem Unterricht der studirenden Jugend widmete, so verstand er es auch, dieselbe für die Chirurgie zu interessiren, indem er alle Studirende ohne Ausnahme kleinere Operationen machen und Verbände anlegen ließ, den fleißigen und talentvollen aber auch größere Operationen übertrug. – Jaeger’s Charakter war frei von dem Makel des Neides und Ehrgeizes; nur seinem Berufe und Studium lebend, war es die Wahrheit, mit der er Hand in Hand durchs Leben ging, die sich als Redlichkeit und freies, gerades Wesen im geselligen Leben äußerte, die ihm aber auch manche Feinde bereitete und manchen Kummer brachte. Seinen Freunden aber und Allen, die ihn näher kannten, ist er unvergeßlich geblieben.

Vgl. Dr. G. H(usemann) in J. J. Sachs, Medicinischer Almanach für das Jahr 1841, S. 137, und handschriftliche Mittheilungen des Hrn. Geh. Hofraths Prof. Dr. Ried in Jena. – Jaeger’s litterarische Leistungen s. in Callisen, Medicinisches Schriftsteller-Lexicon, Bd. 9, 1832, S. 383; Bd. 29, 1841, S. 127.