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ADB:Kähler, Ludwig August

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Artikel „Kähler, Ludwig August“ von Wilhelm Heinrich Erbkam in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 1–3, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%A4hler,_Ludwig_August&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 10:24 Uhr UTC)
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Kähler: Ludwig August K., protestantischer Theolog, geb. zu Sommerfeld, einem kleinen Städtchen der Provinz Brandenburg, am 6. März 1775, wo sein Vater Arzt war, † zu Wogenab bei Elbing am 4. November 1855. Vorgebildet auf der Fürstenschule in Meißen und in Sorau, studirte er 1793–96 in Erlangen Theologie. Nachdem er einige Jahre als Hauslehrer in adlichen Familien thätig gewesen, wurde ihm im J. 1798 die dürftig besoldete Adjunctur des Pfarramts in Canig bei Guben in der Niederlausitz durch den Patron der Stelle, den Baron v. Manteuffel übertragen. Hier verweilte er 11 Jahre, bis 1809, wo er zum Diakonus an der Oberkirche in Cottbus berufen wurde, welches Amt er zwei Jahre darauf mit dem eines Archidiakonus an derselben Kirche vertauschte. Im J. 1819 erhielt er den Ruf als Consistorialrath, ordentlicher Professor der Theologie, Superintendent und Pfarrer nach Königsberg in Preußen und blieb in dieser Stellung bis 1843, wo er durch Kränklichkeit genöthigt wurde seinen Abschied zu nehmen und sich auf ein kleines Landgut seines Sohnes (Wogenab bei Elbing) zurückzog und daselbst nach 12 Jahren starb. Dies ist der äußere Umriß des Lebens eines Mannes, der, begabt mit einem lebhaften vielumfassenden Geiste, auf die kirchliche Entwickelung Preußens einen bedeutsamen Einfluß ausgeübt hat. K. gehört zu den Theologen, welche den gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sich allmählich vollziehenden Umbildungsproceß der rationalistischen Auffassung der christlichen Lehre in eine supranaturalistische mit durchgemacht und dafür in mannigfachen Kundgebungen Zeugniß abgelegt hat. Ursprünglich aufgewachsen in den Anschauungen des herrschenden Rationalismus, befreundet mit den Häuptern desselben, wie Ammon, Hänlein, Seiler, Schuderoff und Andern war er doch niemals in den Fesseln eines dogmatischen Systems gefangen, und je mehr sein vielseitiger Bildungsdrang alle lebendigen Elemente der geistigen Entwickelung seiner Zeit in sich aufzunehmen suchte, desto mehr wurde er von der Beschränktheit seines bisherigen Standpunktes überzeugt und den Regungen der neuen Zeit zugänglich. Daher geschah es, daß er sich der Richtung, welche der Rationalismus später in Paulus, Wegscheider, Röhr einschlug, entfremdet fühlte und ihr sogar offen gegenüber trat, ohne indeß die ursprüngliche Grundlage seiner Theologie ganz zu verleugnen. „Die Zeit wird kommen“, sagt er in einer 1818 erschienenen Schrift, „wo geoffenbarte und Vernunftreligion nur in der Setzung der Worte verschieden sein und wo Religion und Philosophie als zwei von Gott der Menschheit verliehene tesserae hospitales in ihrer Uebereinstimmung zugleich den Gastfreund und die Gastfreude bezeichnen werden.“ Mit diesen Worten hat er selber die Aufgabe bezeichnet, [2] welcher sein wissenschaftliches Streben bis an das Ende gewidmet war. (Worte seines Biographen Siegfr. Aug. Kähler S. 18.) Begabt mit einer überaus lebhaften Phantasie und im Besitze einer durch ausgebreitete litterarische Produktion geübten Darstellungsgabe wußte er zwar sich leicht in die Anschauungsweise fremder Geistesrichtungen hinein zu versetzen, aber seine Selbständigkeit behielt er dabei doch und wußte sie bei der Beurtheilung von Personen in den Ton vornehmer Ueberlegenheit zu kleiden, die den Standpunkt des Gegners als Beschränktheit erscheinen ließ. Dazu kam bei ihm ein hervorragendes Talent der Rhetorik, das seinen Predigten wesentlich zu Gute kam. Ein so begabter Mann mußte, sobald er in die seiner Individualität angemessene Sphäre der Wirksamkeit gestellt wurde, auf seine Umgebungen einen bedeutenden Einfluß ausüben. Dies geschah, als er nach Königsberg versetzt wurde und hier an einer der Hauptkirchen der Stadt das Pfarramt verwaltete. Seine Predigten zogen ihm bald einen großen Zuhörerkreis zu, und wie sehr er ihn befriedigte, zeigt die große Zahl der gedruckten Predigten, die meist auf den Wunsch seiner Zuhörer veröffentlicht wurden. Weniger befriedigten seine Leistungen als akademischer Lehrer. Hier machten sich die Mängel einer für den akademischen Beruf erforderlichen gelehrten Vorbildung fühlbar und wurden von ihm selbst so sehr empfunden, daß er wiederholt das Ministerium mit Bitten um Entbindung von seinem akademischen Lehramt anging. „Zum Universitätsprofessor bin ich nicht gebildet, habe auch nie darauf gerechnet“, schrieb er einmal an Niethammer in München, und ebenso 1821 an Schlichtegroll: „Zum Professor machen Sie mich nicht; ich würde ein guter sein wollen, und das würde mir das Leben kosten.“ Es war nicht blos die Fülle der Kenntnisse, die ihm abging, es war vielmehr das vorherrschend rhetorische Element, verbunden mit einem leicht erregten Pathos seiner Rede, was seiner Lehrweise etwas schillerndes gab und keine klare und bündige Begriffsbildung zu Stande bringen ließ. Daher kam es, daß er zwar viel Anregung und geistreiche Gedanken gab, aber keine theologische Schule gründete. – Nichtsdestoweniger hat er bei verschiedenen Gelegenheiten in die kirchlichen Bewegungen seiner Zeit durch populär geschriebene Schriften eingegriffen und dadurch wohlthätige Wirkungen hervorgebracht. Als Beispiele davon führen wir zwei an. Im J. 1821 erschien von ihm die Schrift: „Betrachtungen über die doppelte Ansicht, ob Jesus, blos ein jüdischer Landrabbiner oder Gottes Sohn gewesen sei?“ Er sagt sich hier entschieden von dem rationalismus vulgaris los, und da dieser damals noch unter den Theologen vorherrschte, so mußte eine solche Schrift von einem Manne, den man bisher zu den Gesinnungsgenossen gerechnet hatte, das größte Erstaunen erwecken und für Viele der Anstoß zu einer Wendung in ihren religiösen Anschauungen werden. – Eine zweite Schrift griff in die durch die Einführung der neuen Agende in die preußische Landeskirche hervorgerufene kirchliche Bewegung ein und ist im J. 1824 anonym erschienen unter dem Titel: „Ideen zur Beurtheilung der Einführung der preußischen Hofkirchenagende aus dem sittlichen Standpunkt“. Indem der Verfasser sich sorgfältig hütete, auf den materiellen Werth dieser Agende näher einzugehen, beleuchtet er allein die Art und Weise der Einführung derselben und zeigt, daß die dabei angewendeten Mittel der Staatsgewalt nur zum Schaden der Kirche ausfallen müßten. Die Schrift machte großes Aufsehen und hat vielleicht zur Milderung mancher bisher angewendeten strengen Zwangsmittel beigetragen. Auch dürfte der hier zuerst empfohlene Rathschlag, die neue Agende der Berathung kirchlicher Behörden zu unterziehen und dann erst zur Einführung durch obrigkeitliche Gewalt zu schreiten, bei der späteren in dieser Richtung eingeschlagenen Behandlung der Sache von maßgebendem Einfluß gewesen sein. – [3] Von seinen gegenüber den vielen kleinen Gelegenheitsschriften nur sparsamen Schriften wissenschaftlichen Gehalts ist die bedeutendste: „Wissenschaftlicher Abriß der christlichen Sittenlehre nach johanneisch-apostolischen Principien“, I. 1835, II. 1837. Sie hat aber in der wissenschaftlichen Welt nur geringe Beachtung gefunden, weil sie sich ganz von der hergebrachten Tradition entfernt und keine klar durchdachte Anschauung der sittlichen Principien erkennen läßt. In Bezug auf die durch das Amt als Consistorialrath ihm zugewiesene Aufgabe an dem Kirchenregimente für die Provinzen Ost- und Westpreußen theilzunehmen, hat K. sich namhafte Verdienste erworben. Ihm vorzugsweise ist es zuzuschreiben, daß im Ermelande, einem ganz katholischen Theile von Ostpreußen, mehrere evangelische Kirchensysteme gebildet werden konnten. Ebenso ist es auf seine Anregung zurückzuführen, daß das Consistorium, nachdem die durch das lebhafter erwachte kirchliche Leben hervorgerufenen Predigerconferenzen in bedenkliche Parteirichtungen auszuarten anfingen, amtlich geordnete Synodalconferenzen einrichten ließ, in welchen kirchliche Angelegenheiten nach vorgeschriebenen, vom Consistorium gestellten Themata verhandelt werden sollten. Diese Einrichtung, die in der Provinz Preußen zuerst eingeführt wurde, hat auch in anderen Provinzen Eingang gefunden und besteht noch jetzt, trotz der inzwischen eingeführten Synodalverfassung. Auch bei einer anderen Angelegenheit, welche damals in Königsberg peinliches Aufsehen machte, ist K. nicht ohne Mittheilnahme geblieben. Es ist die Untersuchung gegen die Prediger Ebel und Diestel wegen einer theosophischen Secte, die sie einzuführen versucht hatten und die mit ihrer Absetzung endete. Da die Sache in erster Linie mit einer Anklage auf unsittliche Lehren und Handlungen begonnen, so fiel die ganze Untersuchung und Entscheidung den gewöhnlichen Gerichten anheim; das Consistorium hatte dabei nur nebensächlichen Antheil. So war auch die Antheilnahme Kähler’s nur auf gutachtliche Aeußerungen beschränkt. Es ist daher eine ganz falsche, von den Anhängern der Ebel’schen Richtung auch in Druckschriften oft verbreitete Annahme, als ob er der Hauptanstifter der Untersuchung gegen Ebel gewesen sei. Seiner ganzen Sinnesweise war freilich die Ebel’sche Richtung entschieden antipathisch und hat er sich auch in diesem Sinne in mehreren Predigten und Druckschriften ausgesprochen. – Die Anhänger Ebel’s haben nicht verfehlt auf Grund jener falschen Annahmen das Andenken des verdienten Mannes auf jede Art zu verunglimpfen. Es sei noch erwähnt, daß K. im Ministerium Altenstein außerordentlich geschätzt wurde und namentlich mit dem einflußrrichen Ministerialrath Nicolovius in freundschaftlichem Briefwechsel stand, sowie er auch vom Könige Friedrich Wilhelm III. wiederholte Beweise der Anerkennung erfuhr.

Dr. Ludwig August Kähler, weiland Consistorialrath, ordentlicher Professor der Theologie und Pfarrer der Löbenicht’schen Kirche etc. Mittheilungen über sein Leben und seine Schriften von seinem ältesten Sohnes Dr. Siegfried August Kähler, Consistorialrath und Militär-Oberprediger des 1. Armeecorps etc. Königsberg 1856.