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ADB:Köstlin, Karl von

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Artikel „Köstlin, Karl (von)“ von Eugen Schneider in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 343–344, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%B6stlin,_Karl_von&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 13:50 Uhr UTC)
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Köstlin: Karl Reinhold (von) K., der als Professor der deutschen Litteratur und der Aesthetik am 12. April 1894 in Tübingen gestorben ist, war am 28. September 1819 als Sohn des Ephorus des niedern theologischen Seminars zu Urach geboren und brachte nach Tübingen, wo er sich auf Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte warf, einen ausgeprägten Sinn für die Schönheit der Natur mit. Theologisch wurde er von Frdr. Christian Baur stark beeinflußt. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Berlin und kurzer Thätigkeit im Kirchen- und Lehrdienst ließ er sich 1849 als Privatdocent an der heimischen Hochschule nieder, die er, der Vollblutschwabe, nie mehr verlassen wollte. Hier verbrachte er sein still verlaufendes Leben, das immer mehr einen altväterischen Anstrich erhielt, bei seinen Studien; ein ehrlicher, schlichter, höflicher Mann, gern gesehen in kleineren Kreisen, die seiner eifrigen Rede lauschten, und bei studentischen Veranstaltungen, bei denen er immer neuen, packenden Gedanken Ausdruck gab. So unansehnlich sein Aeußeres war, so viele Eigenheiten an ihm auffielen, so erwarb er sich doch durch die Lauterkeit seines Charakters, den Ernst und die Tiefe seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung allgemeine Verehrung.

Zuerst gehörte K. der theologischen Facultät an, wurde auch in ihr 1853 zum außerordentlichen Professor ernannt. Seine Arbeiten über den Lehrbegriff des Evangeliums und der Briefe des Johannes (1843) und über den Ursprung der synoptischen Evangelien (1853) wurden hochgeschätzt. Aber das Gefühl der Gebundenheit und äußere Gründe veranlaßten ihn, 1858 in die philosophische Facultät überzutreten, in der er 1863 zum ordentlichen Professor aufstieg. Schon 1856 hatte er den 5. Theil von Friedrich Vischer’s Aesthetik, den über die Musik, bearbeitet; jetzt wandte er sich in erster Linie Goethe’s Faust, in zweiter einem eigenen Ausbau der Lehre vom Schönen zu. Seine starke Gabe der Nachempfindung machte ihn zu einem feinfühligen Erklärer tiefsinniger Dichtungen, und es ist bezeichnend für ihn, daß er als Litterarhistoriker bei Goethe und Shakespeare stehen blieb. Nur das Uhlandfest von 1887 gab ihm Anlaß zur Würdigung auch dieses Dichters. Er legte Werth darauf, neben der litterargeschichtlichen und ästhetischen die ethische und religiöse Seite des behandelten Stoffs klarzustellen, was die Folge hatte, daß er diesen nie ausschöpfte, sondern immer und immer wieder von einer andern Seite angriff, auf andere Art begrifflich zergliederte. So kam es, daß er in seinen Vorlesungen über dem Vielen, das er noch zu sagen hatte, eigentlich nie fertig wurde und die wenigen Hörer, die ihm bis zum Schlusse eines Semesters treu blieben, zuletzt den Saal viele Stunden lang nicht verlassen ließ. 1860 erschien [344] als erstes Werk: „Goethes Faust, seine Kritiker und Ausleger“, in dem er mehr die Gedanken und ihren Zusammenhang mit dem Gang der Handlung beleuchtete und die Buchstabengelehrten herb angriff. Ein „Sendschreiben an Herrn Professor Heinrich Düntzer in Köln“ (1861) setzte den Streit fort. 1863–1869 erschien seine „Aesthetik“. Sie unterschied sich von der Vischerschen wesentlich durch Verzicht auf philosophische Systematisirung, indem sie durch Zusammenstellung der thatsächlichen Schönheitsformen eine sichere Grundlage schuf und durch psychologische Zergliederung die Natur des Schönen zu ergründen suchte. Diese fand K. in der richtig verstandenen und empfundenen Form. Die Betonung des Formprincips widersprach übrigens der ethischen Grundauffassung des Mannes, der in der veredelnden Wirkung der Kunst deren Berechtigung sah und sie deshalb in ihrer Bedeutung der Wissenschaft gleichstellte. In seiner Abhandlung über den Schönheitsbegriff (1878), in seinen 1889 der „Aesthetik“ nachgesandten Prolegomena, wie in seinen Vorlesungen trat denn auch das Formprincip mehr zurück.

Sein Werk über „Hegel in philosophischer, politischer und nationaler Beziehung“ (1870) zeigte K., ähnlich wie in der „Aesthetik“ von der apriorischen Philosophie abgewendet und dem Ethischen zugekehrt. Er wandte sich unwillkürlich der Geschichte der Ethik selbst zu und veröffentlichte 1887 den ersten und einzigen Band über die Ethik der Griechen.

Sehr bewegt hat K. die Frage der Beurtheilung der Musik Richard Wagner’s. Als einer der ersten Berufsästhetiker ist er 1877 in seiner Schrift „Der Ring des Nibelungen; seine Ideen, Handlung und musikalische Composition“ durch warme Würdigung für den Dichtercomponisten eingetreten. Bezeichnend für K. ist, daß er verschiedene Werke herausgab, deren Verfasser weggestorben waren und die er der Nachwelt retten wollte. So die Geschichte der griechischen Philosophie“ von Albert Schwegler (1859) und „Das Testament eines Deutschen, Philosophie der Natur und der Menschheit“ von Karl Planck (1881). Auch die Ausgabe der Dichtungen Friedrich Hölderlin’s (1884) ist hierher zu rechnen.

Eine ungewöhnlich vielseitige Natur hat K. die Forderung der Universalbildung vertreten. Schule zu machen verhinderte ihn schon sein originelles Wesen. Aber persönliche Anregungen kräftiger Art sind von ihm ausgegangen, und wer ihn durch seine Schriften auf sich einwirken läßt, wird heute noch ungeahnte Schätze einheimsen.

Goethejahrbuch 16, 245. – Schwäbischer Merkur 1894, S. 161. – Neue Musikzeitung 15, 164.