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ADB:Kühmstedt, Friedrich

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Artikel „Kühmstedt, Friedrich“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 332–335, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%BChmstedt,_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 07:11 Uhr UTC)
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Kühmstedt: Friedrich K., Professor und Musikdirector am Seminar in Eisenach, ward geboren am 20. Dec. 1809 in Oldesleben, nicht weit vom Kyffhäuser, woselbst sein Vater Schmiedemeister war. Von den Eltern, seines sanften Wesens halber, schon früh zum Prediger bestimmt, wurde er seiner besseren Ausbildung wegen nach Frankenhausen gethan. Seine[WS 1] Liebe zur Musik wurde aber durch das Hören einer Aufführung des Freischützes von Weber dermaßen aufgeregt, daß es des strengen Eingreifens des Vaters bedurfte, um den Sohn in dem ruhigen Gange seiner Studien zu fesseln. Er nahm ihn sogar aus Frankenhausen fort und gab ihn in Weimar einer Familie in Obhut, welche die strengste Weisung hatte, ihn von jeglichem Umgange und jeglicher musikalischer Aufführung fern zu halten. Doch der innere Drang ließ sich keine Vorschriften machen, denn trotz aller Absperrung von jeglicher Musik klang und tönte es in dem jungen Herzen fröhlich fort und ohne jegliche Anleitung componirte er heimlich Lieder und Clavierstücke. Siebenzehn Jahre alt geworden, bäumte sich die jugendliche Kraft gegen die eisernen väterlichen Fesseln auf und zerbrach sie gewaltsam. Heimlich, mit nur geringer Barschaft versehen, wanderte er nach Darmstadt zu dem damals berühmten Organisten Rink, von dem er in Weimar gehört hatte. Nun folgte eine Zeit großer Noth, großen Fleißes und großer innerer Glückseligkeit. Nach kurzer Zeit war er im Stande als Claviervirtuose in Darmstadt und Frankfurt aufzutreten, Rink war dem fleißigen und begabten Schüler so geneigt, daß er selbst eine Aussöhnung zwischen Vater und Sohn anstrebte, die ihm auch endlich gelang; der Vater zahlte das kleine Erbtheil aus, um dem Sohne die Mittel zu weiteren Studien zu geben. K. ging nun zu Hummel in Weimar und bildete sich dort zum Claviervirtuosen und Componisten aus, auch machte er Bekanntschaft mit dem berühmten Schauspieler Unzelmann, wo er zuweilen zum Lesen klassischer Stücke herangezogen wurde und darin so Ausgezeichnetes leistete, daß er Aufsehen erregte; doch ließ er das Talent nicht aufkeimen, sondern übte es nur im Freundeskreise. Der Biograph in der Niederrheinischen Musikzeitung (6. Jahrgang, S. 67) sagt hierüber: „Es war ein hoher Genuß, ihn (K.) das kleinste Gedicht vorlesen zu hören. Ohne alle Effecthascherei wußte er Schönheiten einer guten Dichtung, die man kaum geahnt hatte, so hervorzuheben, daß man glaubte, zum ersten Male das Gedicht so recht zu verstehen.“ – Hier erschienen auch seine ersten Compositionen in Hummel’scher Manier geschrieben; es sind Rondo’s, Duo’s u. a. m. – Das theure Stundengeld bei Hummel – einen Louisd’or für die Stunde – konnte seine kleine Kasse nicht lange erschwingen. Auch sagte Hummel nach einem Jahre zu ihm in seiner aufrichtigen Wiener Manier: „Nun sind wir holter fertig, nun müssen’s auf eignen Füßen stehen und holter durch die Welt schmeißen und was erreichen“. Zu seinem Unglück fühlte K., wahrscheinlich veranlaßt durch übermäßiges Clavierüben, eine Lähmung der rechten Hand und unpraktisch, wie fast alle echten Künstlernaturen, verfiel er darauf, sich einen [333] Operntext zu verschaffen und eine Oper zu componiren, theils um während der Zeit die Hand zu schonen, theils um daraus einen Erlös zu gewinnen. Er läßt sich also von einem Literaten in Gotha einen Operntext schreiben und zahlt dafür baare 150 Thlr. „Die Schlangenkönigin“, hieß der Operntext, ein gänzlich leeres Produkt. Ohne Kenntnisse von Instrumentation und noch weniger Kenntnisse über Gesangsleistungen auf der Bühne, nur die Mozart’schen Opern als Musterarbeiten vor sich, wurde er binnen einem halben Jahre mit der Composition fertig. Doch was half ihm das, der Beutel wurde immer leerer und die Aussichten auf Broderwerb immer geringer, trotzdem Spohr, dem er die Partitur der Oper einsandte, sich recht günstig über dieselbe aussprach. Mit den letzten 100 Thlrn. in der Tasche geht er nach Berlin, theils um dort seine Oper anzubringen, theils um sich eine Lebensstellung zu gründen, doch keins will ihm glücken. Verzweiflungsvoll steht er in der Abenddämmerung an einem einsamen Ufer der Spree. Da faßt ihn etwas am Rockzipfel: „Na, wollen Se ’nen Bittern aus der Spree nehmen? det lassen Se man sin!“ ertönt die Stimme eines Eckenstehers. K. muß in all’ seinem Elend über diesen treffenden Humor lachen und – ist gerettet. Zu Hause angekommen, findet er das Billet einer Gräfin, die für ihre Kinder Unterricht in den Anfangsgründen des Griechischen und Lateinischen wünscht. Auf diese Weise findet er ein spärliches Existenzmittel. In Berlin war damals der Philosoph Hegel der Mittelpunkt aller Intelligenz. Auch K. befand sich unter den begeisterten Zuhörern; doch hat er später versichert, daß nur die glänzende Dialektik des bedeutenden Mannes ihn bestochen habe, und daß er zum Selbstdenken und Philosophiren damals noch wenig Neigung gehabt. Nach einiger Zeit erhielt er durch Vermittelung des Kapellmeisters Hummel, besonders aber durch den bekannten Musikdilettanten Freiherrn von Beyerburgk den Antrag, in Eisenach als Musik- und Singlehrer am Gymnasium, ferner am Seminar zu lehren und die Kirchenmusik zu leiten. Mit Freuden nahm er die Stelle an – es war der Hoffnungsstrahl einer besseren Zeit, einer gesicherten Existenz. Doch auch hier wollte ihn sein Unglücksstern verfolgen und die öffentliche Wirksamkeit verbittern. Die Lähmung seiner Hand glaubte er soweit überwunden zu haben, um sich durch ein Concert öffentlich in Eisenach einführen zu können. Der große schöne Mann, wie der Biograph in der Niederrheinischen Musikzeitung schreibt – mit dem braunen kurzgelockten Haar über der hohen Stirn, den edeln ausdrucksvollen Zügen und den glänzenden dunkeln Augen machte den vortheilhaftesten Eindruck, als er in den dicht mit Menschen gefüllten Saal trat und sich an den Flügel setzte. Plötzlich, gleich nach den ersten Passagen, hielt er inne, versuchte mehrmals wieder anzufangen, stockte, machte sein Kompliment, eine etwas verwirrte und nicht ganz passende Entschuldigung stammelnd, und verließ das Podium. Seine gelähmte Hand hatte ihm den Dienst versagt. Noch sollte er in demselben Concert als Sänger auftreten, da er eine ausgezeichnete wohlgebildete Tenorstimme besaß. Zu seinem abermaligen Unglück hatte er eine Arie gewählt, die mit den Worten begann: „O grauses Schicksal!“ Kaum waren dieselben von seinen Lippen, als die Anwesenden in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Er trat beschämt vom Schauplatz ab. Der Stab schien über seine öffentliche Wirksamkeit gebrochen zu sein. Er konnte diese Scene nie überwinden. Auch der Elementarunterricht in der Musik und dem Gesange sagte ihm nicht zu und zur Direction eines Gesangchores war sein Naturell nicht geschaffen. Außerdem brachte ihm seine Stelle nur eine kärgliche äußerliche Existenz und nahm beinahe seine ganze Zeit in Anspruch. Auch das häusliche Glück sollte ihm fürs erste versagt sein. Noch ehe die Hochzeit sein konnte, starb die Braut in seinen Armen an der Auszehrung. Aus Pietät behielt er die Mutter, welche die einzige Stütze in der Tochter verlor, bei sich, [334] eine sehr wenig liebenswürdige Frau, die er dennoch mit der größten Geduld bis an ihr Ende pflegte. Inmitten all’ dieser Widerwärtigkeiten entstanden trotzdem einige der gediegensten Compositionen, unter anderen Orgelstücke, reich und neu an Inhalt, Choräle, die noch jetzt im Munde des Thüringervolkes leben und ihn, der den eigentlichen Priesterstand zurückgewiesen, als würdigen Priester im Reiche der Töne bekunden. Durch Privatschüler in der Theorie angeregt, beginnt er Philosophie zu studiren, und sucht nach der Definition des musikalisch Schönen, nach dem Urgesetz des Zusammenhanges und schafft eine neue einfachere und klarere Unterrichtsmethode, von der alle seine Schüler begeistert sind. Namentlich die Gebildeteren, denen, wie sie versichern, dadurch Geist und Gemüth in überraschender Weise nicht blos für die Musik, sondern überhaupt in rein menschlicher Beziehung höher gehoben wurde. So wenig K. jemals ganz klar in dem Gebiete der Philosophie an und für sich die Ergebnisse seines Forschens kund geben konnte, so licht wurde es, wenn er sie in Verbindung mit der Musik brachte. Nicht nur wußte er seine Lehre den einfachen Bauernsöhnen im Seminar trotz der Vergeistigung dieser theoretischen Gesetze, oder vielleicht eben deshalb, klar zu machen, sondern auch Kindern von 12 Jahren konnte er sie anpassen, wenn sie nur überhaupt musikalisches Talent hatten. Sonderbarer Weise aber wurde es bei einem so abstracten Unterrichte, wie der in der Theorie der Musik, gerade den verständigen reflectirenden Naturen am schwersten, ihm zu folgen, und er hat oft geäußert, er könne dieselben nur bis zu einem gewissen Punkte bringen, dann wäre Alles aus. An größeren Kompositionen, die auch öffentlich aufgeführt wurden, schrieb er das Oratorium: „Des Heilandes Verklärung“, und dann „Der Sieg des Göttlichen“, letzteres 1843 in Kassel aufgeführt. Drei Sinfonien, Fugen und Vorspiele für Orgel, „Gradus ad Parnassum, oder Vorschule zu Seb. Bach’s Clavier- und Orgelcompositionen“, Lieder für eine Singstimme mit Pianoforte, viele Orgel- und Clavierstücke und eine „Theoretisch-praktische Harmonie- und Ausweichungslehre“ (Eisenach 1838). Sein größeres theoretisches Werk, woran er viele Jahre gearbeitet hat, blieb unvollendet. Die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung äußert sich über ihn (1837, Jahrg. 39. Sp. 269) bei Besprechung des 1. Heftes Fugen für die Orgel (op. 19, Mainz bei Schott): „Der Verfasser ist ein Schüler Rink’s und hat dieses sein erstes durch den Druck bekannt gemachtes Orgelwerk aus Liebe und Dankbarkeit seinem Lehrer zugeeignet. Von gerathenen Schülern hat man Dank, von ungerathenen keinen, denn wer will dir in der Hölle danken? Herr K. ist ein sehr gerathener Schüler, nun zum selbständigen Komponisten herangereift. Sein Stil ist rund, seine Schreibart orthographisch genau, seine 3 Fugen über ein Thema sind vortrefflich zum Vortrage und zum Studium. Auch die übrigen 2 Fugen und 2 Präludien zeigen einen klaren, in seinem Fache heimischen Mann, der schlicht das Rechte will, kräftig und geschickt Gesundes giebt und ohne Prunk und Affektation stets eine innere Wohlhabenheit offenbart.“ Auch sein Gradus ad Parnassum wird 1839 (XLI, 890) sehr lobend besprochen. In dem Vorworte setzt K. auseinander, daß zum Künstler nicht nur Talent, sondern auch die Fertigkeit gehört den Stoff mit Leichtigkeit zu beherrschen. Mein Streben – sagt er – war, es Bach wo möglich gleich zu thun, obgleich ich weiß, daß Bach nicht zu erreichen ist. Auch mit äußeren Ehren wurde er bedacht und sein redliches Streben fand weit und breit Anerkennung. Er wurde zum Musikdirector ernannt, 1847 zum Professor, 1846 machte ihn die niederländische Musikgesellschaft (Maatschappij tot bevoordering der Toonkunst) zum korrespondirenden Mitgliede. Auch die Großherzogin Marie von Weimar zeichnete ihn öfters aus, eine Schülerin Hummel’s, welche selbst vortrefflich spielte. Der bereits [335] mehrfach erwähnte Biograph der Niederrheinischen Musikzeitung sagt über seinen Charakter in den letzten Jahren seines Lebens, die er an der Seite einer innig geliebten Gattin verlebte (S. 75): „So schroff und zurückhaltend K. den Entfernterstehenden erschien, so liebenswürdig war er bei näherem Umgange. Deutsche Herzlichkeit und Biederkeit fand man in seinem Hause, und der Hauch seines Genius wußte dem Gewöhnlichsten eine Weihe zu geben. Eine Stunde bei ihm war geistig in hohem Grade anregend und zugleich gemüthlich befriedigend. Aber sein nach Anerkennung strebendes Herz konnte es nicht überwinden, daß dieses immer nur ein kleiner Kreis war; und doch hinderten ihn auch hinsichtlich einer weiteren Geselligkeit sein Mangel an praktischer Lebenskenntniß und sein edler Künstlerstolz.“ Er starb am 8. Januar 1858 an einer überaus schmerzhaften Krankheit, die ihn über ein Vierteljahr ans Lager fesselte.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Sine