ADB:Kalchberg, Franz Freiherr von
Joseph und Franz v. K., von seinem Sohne Alois stammt Wilhelm v. K. und sein jüngster Sohn war Johann Ritter v. K., der Dichter und Schriftsteller (s. A. D. B. XV, 14–15).
Kalchberg: Franz Freiherr von K., Staatsmann. Der Stammvater der Familie der Ritter, später Freiherren v. K. ist Joseph Erhard Kalchegger, der im Mürzthale der oberen Steiermark Güter besaß und erwarb, 1760 mit dem Prädicate „v. K.“ in den Adelstand erhoben und infolge dessen unter die Stände des Herzogthums Steiermark aufgenommen wurde. Von seinem Sohne Franz stammenFranz Ritter v. K. wurde am 8. Februar 1807 im Schlosse Herbersdorf bei Wildon s. von Graz geboren, studirte am Gymnasium zu Marburg an der Drau und an der Universität zu Graz, wurde 1821 Erzieher im Hause des Prinzen Ernst v. Hohenlohe-Langenburg in Graz und später in dem des Grafen Colloredo in Wien; gleichzeitig vollendete er die juristischen Studien; 1831 trat er als Concepts-Practikant beim Hofkriegsrathe in den Staatsdienst und wurde dem Generalcommando zu Budapest zugetheilt. Dort vermählte er sich mit Rosine, der Tochter des Pariser Banquiers Gabriel Schmidt am 17. Juni 1834, welche ihm bald nach der Geburt einer Tochter (4. October 1835) durch den Tod entrissen wurde. – Durch diesen Trauerfall wurde ihm der Aufenthalt in Ungarn verleidet, er kaufte 1838 die Herrschaft Neudegg und das Gut Pepensfeld in Krain an und ließ sich dort nieder. Am 16. November 1839 vermählte er sich wieder und zwar mit Franziska Alexandrine, der Tochter des Josef Camillo Freiherrn v. Schmidburg, Gouverneurs von Illyrien.
Da K. von seinem Vater die Würde eines erblichen Landstands in Steiermark besaß, wohnte er den Verhandlungen des steiermärkischen Landtages in Graz bei und wurde 1838 in diesem vom Ritterstande zum Ausschußrathe und 1840 zum Verordneten gewählt. Der Ausschuß bildete den permanenten kleineren Landtag und handelte im Namen des großen Landtags, wenn dieser nicht versammelt war; die Verordnetenstelle war jene Körperschaft, welcher die Verwaltung des Vermögens der Stände oblag und die als ausführendes Organ aller Beschlüsse des Landtages und des Ausschusses zu fungiren hatte.
In diesen Körperschaften wirkte K. in ausgezeichneter Weise, seine umfassenden und tiefgehenden Kenntnisse, die gründliche Kunde, welche er über alle Verhältnisse von Land und Leuten besaß, die Klarheit seiner Auffassung und Darstellung machten ihn bald zu dem hervorragendsten und einflußreichsten Kopfe in der ständischen Vertretung des Landes. Besonders in finanz- und wirthschaftlichen Angelegenheiten gab er durch seine lichtvollen Erörterungen und zweckentsprechenden Anträge stets den Ausschlag.
Als Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts an die Erbauung der Eisenbahnen geschritten wurde, und es sich um die Herstellung der Bahn von Wien nach Triest handelte, fürchtete man, es werde nie gelingen, den Semmering mit Dampfkraft zu überwinden, und projectirte, die Bahn Wien-Triest um die Ausläufer der Ostalpen durch Ungarn zu führen. Dadurch würde der Steiermark schwerer Schaden zugefügt worden sein, und die Stände faßten daher den Beschluß, für den Fall, wenn die von Wien nach Triest zu erbauende Eisenbahn das Herzogthum Steiermark von seiner Nordgrenze gegen Niederösterreich mit Berührung der Hauptstadt Graz bis an die Südgrenze durchschneiden würde, die Kosten der Grundablösung für die Schienenbahn aus eigenen, ständischen Mitteln bestreiten zu wollen. Die [759] Regierung nahm diesen Antrag gerne an und genehmigte den Bau der Bahn von Mürzzuschlag bis Steinbrück. Zur Durchführung des schwierigen und umfangreichen Geschäftes der Grundeinlösung stellten die Stände eine Commission zusammen und erwählten K. zum Leiter derselben. K. führte dieses schwierige und anstrengende Geschäft in der kurzen Zeit von drei Jahren durch zur vollsten Zufriedenheit des Staates, der Stände und der durch die Expropriation und Ablösung getroffenen Parteien; in der Strecke der Staatseisenbahn von Mürzzuschlag bis an die Grenze Krains waren dabei in der Ausdehnung von 34 Meilen und 3760 Klaftern 4 Kreise mit 48 politischen Bezirken, 152 Gemeinden, 2440 Besitzer mit 6827 Grundparcellen betheiligt gewesen; die für Grundstücke und Gebäude nachgewiesene, mit dreizehn Vierzehntheilen im gütlichen Wege ausgeglichene und von den Ständen geleistete Entschädigungssumme belief sich auf 638 299 fl. 482/4 kr. CM. – K. erhielt vom Landtage ein verbindliches Dankschreiben und der Kaiser verlieh ihm am 18. September 1847 das Ritterkreuz des Leopold-Ordens.
Eine Angelegenheit von noch viel größerer Bedeutung sowol in politischer als wirthschaftlicher Beziehung wurde fast gleichzeitig von K. in Angriff genommen. Am 15. August 1846 überreichte er dem ständischen Ausschusse „einen Antrag über die allmähliche Fixation und Ablösung der Urbarial- und Zehentverhältnisse in Steiermark zur geneigten Vorlage an die nächste Landtagsversammlung“. Dieser Vortrag ist eine umfangreiche Denkschrift, in der er zunächst von der hohen Bedeutung, ja Nothwendigkeit der Ablösung der Urbariallasten (Zehent, Robot, Laudemium u. s. w.), welche die gutsunterthänigen Bauern an die Herrschaftsbesitzer zu leisten hatten, spricht, von dem außerordentlichen Nutzen einer solchen Ablösung sowol für die berechtigten Herrschaftsbesitzer als für die verpflichteten Unterthanen und endlich den unberechenbaren Vortheil darlegt, den eine so tiefgreifende und großartige Operation dem ganzen Lande, allen seinen Bewohnern, namentlich dem Landmanne und der Landwirthschaft gewähren wird. Dieser Denkschrift, welche wahrhaft staatsmännischen Geist athmet, legte er einen vollständig ausgearbeiteten Gesetzentwurf „über die Fixation und Ablösung der Urbarial- und Zehentbezüge im Herzogthum Steiermark“ bei. Damit war also K. der kais. Entschließung vom 14. December 1846, durch welche die freiwillige Ablösung der Urbariallasten empfohlen wurde, und dem von Hans Kudlich am 8. August 1848 gestellten und vom constituirenden österreichischen Reichstage angenommenen Antrage auf Lösung des Unterthansverbandes und Ablösung der Robot- und Zehentpflicht, letzterem um fast zwei Jahre zuvorgekommen. K. kann daher mit Recht als der geistige Urheber jener großen Operation, welche man die Grundentlastung nennt und welche in allen Provinzen des Kaiserthums Oesterreich in den Jahren von 1848/49 an vollzogen wurde, bezeichnet werden. Sein Antrag wurde auch in dem steirischen Landtage in den Sitzungen der Jahre 1846 und 1847 eingehend berathen; bevor es jedoch hierüber zu Beschlüssen kam, war die Märzrevolution von 1848 zum Ausbruch gelangt. Die wichtigste Folge derselben war, daß der ständische Landtag, der aus den privilegirten Ständen (Adel, Geistlichkeit und zehn Vertretern der landesfürstlichen Städte) bestand, den Beschluß faßte, einen provisorischen Landtag, in dem alle Classen der Bevölkerung vertreten sein sollten, einzuberufen, welcher über drei Angelegenheiten: über eine Gemeindeordnung, über die Ablösung der Grundlasten und über die definitive Organisirung des steiermärkischen Landtages (Verfassung oder Landesordnung für Steiermark) berathen und Beschlüsse fassen sollte. K. wurde als Vertreter des Herren- und Ritterstandes in diesen Landtag, der vom 13. Juni bis 17. August und am 6., 7. und 8. November 1848 tagte, gewählt. Jedoch [760] vorher schon hatte ihn die Wahl als Vertreter der Stadt Graz in der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main getroffen. Er nahm dieses Mandat mit dem Vorbehalte an, wieder nach Graz zurückkehren zu wollen, wenn seine Anwesenheit daselbst, besonders wegen der Urbarialfrage im Landtage, erwünscht sein sollte. Dies war in der That bald der Fall; er war, wie er selbst schreibt, „der erste Abgeordnete, welcher die Nationalversammlung (am 13. Juni) verließ, in welcher 150 gelehrte Professoren mit ihren ausgezeichneten Reden über die Grundrechte die Anwesenheit meiner praktisch angelegten Natur wirklich ganz unnütz machten“ und kehrte nach Graz zurück.
Um so folgenreicher wirkte er im provisorischen Landtag für Steiermark. Auch in diesem war er kein Vielredner; das Hauptgebiet seiner Thätigkeit war das Comité zur Vorberathung und Entwerfung eines Gesetzes, betr. die Ablösung der Grundlasten, welches man ganz als Kalchberg’s Arbeit betrachten muß. Wenn er im Plenum des Landtages das Wort ergriff, bestimmten ihn hierzu immer sachliche Gründe und da er reiche politische Bildung besaß und die Verhältnisse des Landes gründlich kannte, so waren seine Reden und Anträge so wohl begründet, daß sie stets Beifall, die letzteren fast immer Annahme fanden. Als das vorzüglichste Gebrechen der Volksschule bezeichnete er den überwiegenden Einfluß der Geistlichkeit, trat gegen die Zuweisung der Schule an die Kirche auf und erklärte, „daß mit der Staatshoheit auch das Recht der Aufsicht und des Schutzes über die Schulen verbunden“ sei – Grundsätze, welche erst zwanzig Jahre später in Oesterreich durch die Hasner’schen Volksschulgesetze zur Verwirklichung gelangten; er bekämpfte das Aufkaufen der Bauerngründe durch die Großgrundbesitzer, forderte Maßregeln gegen Grundzerstückung, hielt eine wahrhaft staatsmännische Rede gegen die Beibehaltung der erblichen Stände im Landtage, als dem Geiste der Zeit widersprechend, und legte schließlich eine Denkschrift vor, in welcher er die Grundzüge einer österreichischen Reichsverfassung nach dem Principe der festen Vereinigung aller österreichischen Länder in einen Föderativstaat entwickelte.
Am 2. December 1848 wurde K. von dem Ministerium Schwarzenberg-Stadion nach Wien berufen und am 7. Januar 1849 zum Ministerialrath im Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten ernannt. Kalchberg’s reiche Erfahrungen, gründliche Kenntnisse und bis dahin schon umfassende Arbeiten auf dem Gebiete der Grundentlastung veranlaßten das Ministerium, ihn mittelst eines von dem Kaiser genehmigten Beschlusses am 2. October 1849 zum Präsidenten der Grundentlastungscommission für Steiermark zu ernennen. Nachdem er diese organisirt und die ganze großartige Arbeit in Gang gebracht, kehrte er wieder in das Handelsministerium zurück, wo er die Leitung der III. Section (Eisenbahnen, Post und Telegraphen) übernahm, der er so trefflich vorstand, daß er (9. December 1852) zum Sectionschef und Generaldirector des Communicationswesens ernannt wurde. Die Jahre 1853–1856 mußte er krankheitshalber in zeitlichem Ruhestand verbringen. Genesen wurde er (15. Juli 1856) wieder in den öffentlichen Staatsdienst als Sectionschef im Finanzministerium und Generaldirector des Grundsteuercatasters aufgenommen. Als solcher präsidirte er einer Commission zur Entwerfung eines neuen Steuergesetzes; dieses beruhte auf dem Principe der Contingentirung der Steuerschuldigkeit nach den verschiedenen Provinzen und der Vertheilung des Contingentes durch autonome Organe; die bestehenden Steuern sollten durch gleichmäßigere Vertheilung erleichtert, allmählich vermindert und das zur Bedeckung des Staatserfordernisses mangelnde durch eine über den damaligen Ertragssteuern stehende Personaleinkommensteuer aufgebracht werden. Dieser Gesetzentwurf [761] wurde in den folgenden Jahren langwierigen weiteren commissionellen Berathungen unterzogen, ohne verwirklicht zu werden. Aber die Steuervorlagen, welche die Regierung im J. 1878 im Reichsrathe vorlegte und das Gesetz betreffend die directen Personalsteuern vom 25. October 1896 basiren in wesentlichen Punkten auf jenem Entwurfe, welcher Jahre vorher von der unter Kalchberg’s Präsidium tagenden Commission war verfaßt worden.
Am 8. Januar 1861 wurde er zum Unterstaatssecretär im Finanzministerium ernannt und wirkte durch drei Jahre in dieser Stelle, bis ihn schweres Leiden nöthigte, um die Versetzung in den Ruhestand einzuschreiten, welche am 24. Februar 1864 gewährt wurde. Die letzten Jahre seiner amtlichen Thätigkeit waren reich an Ehren und Auszeichnungen. Am 28. Mai 1859 wurde K. Wirklicher kaiserlicher Geheimer Rath (Titel Excellenz); am 19. April 1861 erhielt er das Commandeurkreuz des Leopoldordens, dessen Ritterkreuz er schon seit 1847 besaß, am 4. October 1861 wurde er in den erblichen Freiherrnstand erhoben. Es wird sehr selten vorkommen, daß im Laufe von nur zwölf Jahren drei Mitgliedern derselben Familie unabhängig von einander ob ihrer Verdienste auf dem Schlachtfelde und im Dienste des Staates der Freiherrnstand zuerkannt wird, wie dies bei der Familie K. der Fall war: Wilhelm 1849 als Ritter des Maria-Theresien-Ordens, Josef 1857 als Statthalterei-Vicepräsident in Galizien und Franz als Sectionschef und Unterstaatssecretär in den Ministerien für Handel und für Finanzen. Auch eine Anzahl ausländischer Orden waren ihm verliehen worden.
Wo immer K. in seinem Berufsleben thätig war, wirkte er in reformatorischer Weise, gebar neue Ideen und führte sie zum Wohle seines Heimathlandes, der Steiermark und zum Besten des Staates durch. Er war eine edle vornehme Natur, geistreich, dabei voll Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit im Umgang, Fernerstehenden schien er in seinem ernsten zurückhaltenden Wesen eher kalt und stolz, seiner Familie und seinen Freunden war er aber stets unerschütterlich treu ergeben. Nach seinem Rücktritte vom Amte war es ihm noch gegönnt, sich durch 26 Jahre der wohlverdienten Muße zu erfreuen. Doch hinderte ihn Kränklichkeit und Alter dem steiermärkischen Landtage als Vertreter des Großgrundbesitzes länger als eine Session (1865) anzugehören und veranlaßte ihn auch, den Ruf in das Herrenhaus des Reichsrathes abzulehnen.
Er starb 831/2 Jahre alt zu Graz am 12. Juli 1890 und hinterließ eine Wittwe, eine Tochter erster Ehe, Rosine, zwei Söhne zweiter Ehe, Adolf, Inspector der k. k. Staatsbahnen und Victor, Sectionschef im Handelsministerium und Präsident des österreichischen Lloyd in Triest, der mithin im Dienste des Staates treu der Bahn des Vaters gefolgt ist.
- Ilwof, Franz Freiherr v. K. (1807–1890). Sein Leben und Wirken im Ständewesen der Steiermark und im Dienste des Staates. Graz 1897. – Ilwof, Zur Geschichte der Steiermark im J. 1848. 1. Franz Ritter v. Kalchberg’s Entwurf einer Verfassung für den österreichischen Kaiserstaat. (In den Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark, 1897, XLV. Heft, S. 1–12.) – Ilwof, Der provisorische Landtag des Herzogthums Steiermark im J. 1848. Graz 1901.