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ADB:Karoline (Landgräfin von Hessen-Darmstadt)

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Artikel „Karoline, Landgräfin von Hessen-Darmstadt“ von Philipp Walther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 410–415, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karoline_(Landgr%C3%A4fin_von_Hessen-Darmstadt)&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:05 Uhr UTC)
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Karoline, Landgräfin von Hessen-Darmstadt, von ihren Zeitgenossen „die große Landgräfin“ genannt. Geboren am 9. März 1721, † am 30. März 1774. Sie verdankt diese ehrende Bezeichnung nicht der Großartigkeit ihrer Lebensschicksale, auch nicht einer politischen Thätigkeit, wie sie von einzelnen Fürstinnen, sei es in selbständiger Regierung eines Landes, sei es als berathende fürstliche Gemahlinnen entwickelt worden ist; sie findet auch nicht eine Erklärung in einer unmittelbaren thätigen Mitwirkung bei den litterarischen Bestrebungen ihrer Zeit, wie man sie von jeher, aber ohne einen jeden anderen Beleg, als die von ihr veranstaltete erste Ausgabe der Klopstock’schen Oden anzunehmen geneigt war. Sie war einzig und allein begründet in dem Eindruck, den ihr ganzes Denken und Fühlen auf ihre Zeitgenossen machte. An dieser Bewunderung nahmen Fürsten und Staatsmänner, Dichter und Gelehrte, Hofleute und Bürger Theil. Es nannte sie Goethe „die große Landgräfin“, Wieland wünschte einen Augenblick Herr des Schicksals zu sein, um sie zur „Königin von Europa“ zu erheben, Friedrich II. nannte sie die Fürstin, welche die Zierde und die Bewunderung des Jahrhunderts bildet, und ehrte ihr Andenken durch das Denkmal, welches den Hügel über ihrer Grabesgruft krönt, mit der vielsagenden Inschrift: „An Geschlecht ein Weib, an Geist ein Mann“, der Encyklopädist Grimm beklagt, daß sie nicht allmächtig, wie die Vorsehung sei, weil sie dann das Glück der Welt sein werde, und in ähnlicher Weise sprechen sich noch andere hervorragende Männer und Frauen aus, wie z. B. die Frau v. Buchwald, die hochgepriesene Freundin Wieland’s, Herder’s und Goethe’s, welche sich in den begeistertsten Worten vernehmen läßt, wo sie der Landgräfin gedenkt. Wir Nachkommen erkennen diese menschliche Größe aus den Tausenden von Briefen, welche von ihr erhalten sind. Aus ihnen erkennt man die Landgräfin in ihrer seltenen hohen Geistes- und Gemüthsbildung, in ihrem Gefühle für alles Schöne und Edle, in der Güte ihres Herzens, in der Klugheit ihres Verhaltens in den schwierigsten Lebensverhältnissen, als Gemahlin eines eigenartigen Fürsten, als Mutter, als Tochter, als Freundin, als Beschützerin der Verfolgten, als Helferin der Bedrängten in gleich großer Weise. Diese ihre hervorragenden Geistes- und Gemüthseigenschaften, welche ihre Zeitgenossen in unmittelbarer Anschauung zu erkennen Gelegenheit hatten, waren es, welchen sie die schon erwähnte ehrende Bezeichnung der „großen Landgräfin“ verdankte. K. war die am 9. März 1721 geborene Tochter des Herzogs Christian III. von Pfalz-Zweibrücken und der Prinzessin Karoline von Nassau-Saarbrücken. Nach dem Tode Christians III. führte [411] seine Wittwe als Vormünderin mehrere Jahre die Regierung bis zur Mündigkeit ihres ältesten Sohnes, dann zog sie sich mit ihren Töchtern auf ihren Wittwensitz Bergzabern zurück. Hierher kam bei öfteren Besuchen der Erbprinz von Hessen-Darmstadt, der nach der Bestimmung seines Großvaters, des letzten Grafen von Hanau, seinen Sitz in der Hauptstadt der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, in Buxweiler, hatte. Die Herzen fanden sich und der Erbprinz Ludwig wurde der Gemahl der jungen Prinzessin. Als regierender Graf von Hanau blieb der Prinz in Buxweiler wohnen; Buxweiler wurde Residenz des jungen Paares. Die Neigung des Prinzen zum Soldatenstande bestimmte ihn in französische Kriegsdienste zu treten. Allein auf die Dauer genügte ihm der französische Kriegsdienst nicht, er strebte darnach, sich als deutscher Reichsfürst sein eigenes Militär zu schaffen, das that er, indem er sich nach seiner Grafschaft Lemberg, welche unter deutscher Oberhoheit stand, in den kleinen Ort Pirmasens, wo sein Großvater ein Jagdschloß besaß, zurückzog, während seine Gemahlin in ihrer Residenz Buxweiler zurückblieb. Dieser Schritt war entscheidend, denn er führte zu einem getrennten Leben der beiden Ehegatten, welches mit Ausnahme zeitweiser Besuche bis zum Tode der Prinzessin sich fortsetzte und nur wenige Jahre eine Unterbrechung erfuhr, als der Prinz in preußische Kriegsdienste getreten war, denn auch als ihn nach dem Tode seines Vaters seine Pflichten als Landgrafen nach seinem eigenen Stammlande riefen, behielt er Pirmasens als seine persönliche Residenz bei. Die Schwierigkeiten, welche der soldatenliebende Prinz bei der Bildung seiner Truppen fand, namentlich der Mangel an Geldmitteln zu diesem Zwecke, die Aergernisse, welche ihm aus der Werbung seiner Grenadiere und deren häufiger Desertion entsprangen, machten ihn mißmuthig, und der ihn beherrschende Mißmuth konnte nicht verfehlen, auch seiner Gemahlin Leben zu verbittern, zumal da die natürliche Eigenartigkeit seines Charakters in diesem Mißmuth einen noch stärkeren Ausdruck erfuhr. Der Prinz sehnte sich nach einem ausgedehnteren militärischen Wirkungskreis und er trat daher in preußischen Kriegsdienst; es wurde ihm das Regiment Selchow verliehen, welches in Friedenszeiten in Prenzlau in Garnison lag. Der Prinzessin bot dieser Aufenthalt in Prenzlau keine besonderen Annehmlichkeiten; er war ein sehr einförmiger und genügte der geistreichen Frau in keiner Weise. Ihr Gemahl war viel abwesend, bald in Berlin bei dem König, bald bei militärischen Uebungen, bald im Felde, und die Einförmigkeit erfuhr nur selten eine Abwechslung durch kleine Festlichkeiten, an dem kleinen Hofe erwünschte Besuche. Während des Aufenthaltes in Prenzlau wurde K. Mutter von vier Kindern, darunter die des langersehnten Thronerben. Eine der Prinzessin unendlich angenehme Unterbrechung bildete der öftere zuweilen auf Wochen sich ausdehnende Aufenthalt in Berlin, wohin sie ihren Gemahl begleitete und wo sie im Umgange mit dem geistreichen Könige und der ganzen ihr mit höchster Achtung begegnenden königlichen Familie Genüsse fand, wie sie solche liebte. In ihren vertrauten Briefen an ihre Schwägerin von Baden weiß sie dieselben nicht genug zu rühmen. Der Erbprinz hing mit der höchsten Verehrung an dem großen König und dieser schätzte den Prinzen sehr hoch, namentlich wegen seiner militärischen Pünktlichkeit, so daß er öfters dessen Regiment als ein Musterregiment bezeichnete und anderen Regimentern, wenn sie ihn nicht befriedigten, drohte, sie in die Schule des Erbprinzen geben zu wollen. Aber ungeachtet dieser wechselseitigen Zuneigung sah sich der Erbprinz genöthigt, den preußischen Dienst zu verlassen, weil sein Vater, ein leidenschaftlicher Anhänger der Kaiserin Maria Theresia, den Gedanken nicht ertragen konnte, daß sein Sohn in dem zwischen den beiden Mächten drohenden neuen Kriege gegen die österreichischen Truppen kämpfen sollte. So sehr sich auch der Prinz dagegen sträubte, er mußte den dringenden Bitten des Vaters willfahren. Die Pietät gegen den alten Schwiegervater [412] veranlaßte die Prinzessin, wenn auch mit schwerem Herzen und gegen ihre eigene Neigung, den Gemahl zu dem Entschlusse bereden zu helfen. Als nächster Vorwand für die Entlassung mußte des Prinzen durch die Strapatzen, namentlich während des böhmischen Feldzuges, gestörte Gesundheit dienen. Als stichhaltiger Grund konnte indessen auch der Umstand gelten, daß die von Frankreich an Preußen erfolgte Kriegserklärung dem unter französischer Oberherrlichkeit stehenden Hanauer Land Gefahr bringen könnte, wenn der Prinz in preußischem Kriegsdienst bliebe. Genug, der König gab die erbetene Entlassung und das fürstliche Paar ging wieder in sein Hanauer Land zurück, um da wieder wie ehedem, getrennt, der Prinz in Pirmasens, die Prinzessin in Buxweiler zu leben, und in ähnlicher Weise wie früher seine Tage zu verbringen. Die Prinzessin verließ das preußische Land mit schwerem Herzen. Der Verkehr mit dem preußischen Hof war ihr ein so lieber geworden, daß sie ihn schmerzlich vermissen mußte, zumal da sie sehr wenig Aussicht hatte, daß sich derselbe wieder anknüpfen werde. Was sie aber sonst schmerzte, war, daß sie in ihrem Heimathlande, namentlich bei ihrem Schwiegervater, einer Gesinnung gegen den König Friedrich II. und seine Politik begegnete, die in geradem Gegensatze zu der ihrigen stand. In ihren Briefen an die Prinzessin Amalie gibt sie diesem Gefühle von da an fortwährend Ausdruck. Sie hatte sich stets zu hüten, daß sie ihre Freude über die Siege „ihres Heros“, wie sie den König nannte, sowie ihren Kummer über die ihn treffenden Niederlagen nicht allzulaut äußerte. Alle diese Briefe bekunden die wechselnden Gefühle, denen sie zu Hause keinen Ausdruck geben durfte, alle verrathen aber auch die Sehnsucht, wieder nach Preußen zurückzukehren. Wie sehr sie den Aufenthalt am preußischen Hofe, den sie gerade in dem letzten Jahre Monate lang genossen hatte, vermißte und wie groß ihr der Gegensatz ihres Lebens zu Pirmasens, wo sie öfters Wochen lang aushalten mußte, erschien, spricht sie in einem Briefe vom Jahre 1757 an die Prinzessin Amalie in den Worten aus: „Ich hatte ein Jahr lang das Glück in der strahlendsten Gesellschaft zu leben und nun sitze ich am Tisch mit Leuten, die in ihrer größeren Mehrzahl das Rad und den Strick verdienten.“ Zu einem Umzuge nach Darmstadt wollte sich der Erbprinz aber trotz aller Bitten seines Vaters und trotz des dringenden Wunsches seiner Gemahlin nicht überreden lassen. Den Hauptgrund dieser Weigerung bildete die Liebe zu seinen Pirmasenser Grenadieren, von denen er sich nicht trennen wollte. Da jedoch Landgraf Ludwig VIII. das hohe Greisenalter erreicht hatte und sein baldiger Tod befürchtet werden konnte, gebot es die Staatsklugheit, daß wenigstens die Erbprinzessin mit ihren Kindern unter ihren künftigen Unterthanen lebe und gegen diese Nothwendigkeit wußte auch der Erbprinz keinen Einwand zu erheben. Und so verließ sie im J. 1765 das ihr liebgewordene Buxweiler, ihr doppelt lieb durch die Nähe von Bergzabern, wo ihre heißgeliebte Mutter lebte, und zog nach Darmstadt über. Den Anfang ihres Darmstädter Aufenthaltes theilte indessen ihr Gemahl mit ihr und er dehnte seinen Aufenthalt, den er anfangs auf sechs Wochen bestimmt hatte, endlich auf vier Monate aus, wie die Prinzessin ihrer Schwägerin Karoline von Baden in einem Briefe vom 26. October 1765 berichtet. Die Verhältnisse, in die sie hier trat, gaben ihr einen ungenügenden Ersatz für das, was sie verließ, ihr Pflichtgefühl machte ihr das Opfer leichter. Die Residenz der Landgrafen von Hessen-Darmstadt hatte sich von dem ersten Landgrafen an durch den Anbau einiger Vorstädte vergrößert und durch die allmähliche Vergrößerung des Residenzschlosses ihre Physiognomie wesentlich verändert, wenn auch die Erweiterung des Schlosses bei der Unfertigkeit des Baues gerade nicht zum Glanze der Stadt beitrug. Der weitläufige über die Häuser der Stadt hervorragende Bau des neuen Schlosses stand in seinen Mauern, aber seine Fensteröffnungen [413] standen offen oder waren mit Brettern geschlossen. Nur das alte Schloß befand sich in bewohnbarem Zustande und bot nicht einmal für alle in Darmstadt befindlichen Mitglieder des fürstlichen Hauses die nöthigen Wohnräume, so daß, als die Erbprinzessin kam, kleine Neubauten vorgenommen werden mußten und der Prinz Ludwig vorerst im sog. Jagdhause Quartier zu nehmen genöthigt war. Karoline’s Hauptthätigkeit und ihre größte Freude bildete die Sorge für die leibliche und geistige Erziehung ihrer Kinder, dann ihr Briefwechsel und ihre Beschäftigung mit der neuen Anlage des „Herrngartens“, von dem ihr sie zärtlich liebender Schwiegervater ihr im J. 1766 ein großes Stück zu beliebiger Anlage überlassen hatte. Von dieser Zeit an datirt die schöne Verwandlung des Gartens aus einem schlichten Obst- und Gemüsegarten in eine englische Anlage. Am 17. October 1768 ereilte der Tod den alten Landgrafen Ludwig VIII. ganz plötzlich, als er sich im Theater befand. Die Erbprinzessin, welche von ihrer Tochter einige Stunden zuvor aus Homburg zurückgekommen war, hatte einige Minuten vorher noch mit ihm gesprochen und nicht geahnt, daß ihre Worte die letzten sein sollten, die sie mit dem hochverehrten Vater wechseln könne. Ihr fiel die Aufgabe zu, das unerwartete Ende des Landgrafen seinem Nachfolger, ihrem Gemahle, und ihrer geliebten Schwägerin von Baden zu verkünden. Durch den Tod des Landgrafen und die Thronbesteigung des Erbprinzen erfuhren die Verhältnisse allerdings eine Veränderung; dieselben legten der nunmehrigen Landgräfin zwar schwerere Pflichten auf, aber sie erhöhten ihr die Lebensannehmlichkeiten in keiner Weise. Die Uebernahme der Regierung konnte den neuen Landgrafen von Hessen-Darmstadt nicht bestimmen, nach seiner hessischen Residenz über zu ziehen; allen Bitten seiner Gemahlin setzte er deshalb anfangs entschuldigende Ausflüchte und dann einen schweigenden Widerstand entgegen. Sein Aufenthalt inmitten seines Grenadierbataillons war ihm zu angenehm und seine Gewöhnung zu mächtig, als daß er sich zur Erfüllung dieser Regentenverpflichtung hätte entschließen können. Die Landgräfin empfand es sehr schmerzlich, und ihre Lage wurde ihr ungemein erschwert durch die Anordnungen, welche ihr Gemahl einerseits in Rücksicht auf die zerrütteten Finanzverhältnisse, andererseits aber auch in seinem Gefühle, daß er nun gebietender Herr sei und das, was ihm bisher ein Aergerniß gewesen war, anders machen könne, zu treffen für gut fand. Diese Anordnungen, welche sich der Landgraf schon lange überdacht und beschlossen hatte, bezogen sich ebenso auf die Regierung des Landes, wie auf die Umgestaltung des fürstlichen Hofes. In beiden Beziehungen konnte ihnen Zweckmäßigkeit nicht abgesprochen werden, ja zum Theil sind sie als höchst heilsam anzusehen; sie wurden aber schwerer empfunden, weil sein energischer, ja schroffer Charakter keine vermittelnden Uebergänge duldete, sondern die Veränderungen rücksichtslos und ohne alle Beachtung bestehender Verhältnisse zur Ausführung bringen ließ. Wir haben hier nur von einigen Veränderungen zu reden, die unsere Landgräfin berührten. Sie bezeichnet dieselben in einem Briefe an ihre Freundin und Schwägerin von Baden in folgenden Worten: „Du weißt, in welcher Unordnung die Verhältnisse liegen; der Landgraf wird, um sie zu bessern, in allen Zweigen der Verwaltung Einschränkungen machen. Die Parforcejagd ist sogleich aufgehoben worden, der Marstall hat nur 60 Pferde behalten, die Pferde der Dragoner wurden genommen, um die Gardes du corps beritten zu machen, und um den Marstall in Pirmasens zu ergänzen, die Pagen sind entlassen – – – unsere Tafel ist vereinfacht und für gewöhnlich auf 14 Personen beschränkt, viele Diener sind entlassen, ich beklage aber nur die, welche lange treu gedient haben, das schmerzt mich, aber ich sehe ein, daß es sein muß. Es ist nicht die Einschränkung des „Staats“, was mich betrübt, denn aus diesem habe ich mir nie etwas gemacht, aber ich leide, weil ich Unglückliche sehe.“ So mußte sich nun [414] die Landgräfin das Leben in der Residenz gestalten, wie es die bestehenden Verhältnisse möglich machen konnten. Es blieb, was es vorher gewesen, ein einfaches und doch vielfach bewegtes; aber den Mangel an fürstlicher Pracht, welche sie ohnedies nicht liebte, suchte sie sich zu ersetzen durch Genüsse, welche ihr gebildeter Geist, ihr Sinn für Edles und Schönes, die Liebe und Sorge für ihre Kinder ihr bereiten konnten. Ein noch größerer Genuß als er bisher schon gewesen, wurde ihr von jetzt an ihre Correspondenz, der sie bis zum Schaden für ihre Gesundheit lebte. Ihr Lieblingsplatz dafür wurde ihr eine Einsiedelei, die sie sich in dem von ihr mit Liebe angelegten Herrengarten erbauen ließ. Dort brachte sie viele Stunden des Tages zu und dort müßte man auch den Schauplatz der Begegnung mit Goethe suchen, welche in Erzählungen und dramatischen Dichtungen verherrlicht worden ist, nicht aber in der Grabesgrotte, welche sie im Herrengarten als ihre einstige Ruhestätte hatte herstellen lassen, die aber verborgen und nur wenigen Personen bekannt war. Hier liebte sie auf einer in der Nähe stehenden Bank sich frommen Betrachtungen hinzugeben und im Gebete Stärkung zu holen in den Mühen des Lebens. Mit treuer Sorgfalt lebte sie den Aufgaben der Erziehung ihrer Kinder, die sie allein zu lösen hatte und die ihr von ihrem Gemahle nie erleichtert, oft aber auch sehr erschwert wurden. Es war namentlich die Erziehung ihres ältesten Sohnes, der einmal der Vater seiner Unterthanen werden sollte, welche ihr am Herzen lag. Sie beobachtete ihn in seinem ganzen Denken, Fühlen und Handeln, und theilte ihre Beobachtungen mit den sich an diese knüpfenden Hoffnungen und Befürchtungen stets den Männern mit, auf deren Urtheil in dieser Beziehung sie ein Gewicht legte und die sie dabei zu berathen pflegte, wie z. B. v. Moser und Grimm, welcher letztere auf ihren dringenden Wunsch den Prinzen Louis auf der Reise nach England begleitete. Schon frühe lag ihr daran, tüchtige Lehrer für ihn zu gewinnen; Moser stand deshalb mit Sturz und mit Hamann in Unterhandlung, aber die Wahl des ersteren scheiterte an der Weigerung des Vaters, die des letzteren an seiner eigenen Ueberzeugung, daß er für solche Stelle nicht passe. Entfernt von aller Einseitigkeit, frei von den Fesseln beschränkender Meinungen, hatte sie selbständig und mit Weisheit erwogen, wie der Mensch und wie der Fürstensohn erzogen werden müsse, daß nicht die Sorge für das Eine verdrängt werde durch die Sorge für das Andere, nicht die Rücksicht auf das Körperliche durch die auf das Geistige, nicht die Rücksicht auf die Bildung des Herzens durch die auf die Bildung des Verstandes, nicht die Rücksicht auf den Menschen durch die auf die Bestimmung des künftigen Regenten. Mit gleicher Theilnahme schlug ihr Herz für das Wohl und Weh des Landes und sie war dafür thätig, so weit sie dies durfte, ohne das Mißfallen des Gemahls zu erregen. Sie stand darin dem durch sie in den darmstädtischen Dienst gelangten, seiner Zeit vorangeschrittenen berühmten Kanzler K. F. v. Moser zur Seite. Genüsse gewährten ihr die Beschäftigung mit den Erzeugnissen der Litteratur, die in Frankreich und Deutschland an die Oeffentlichkeit traten, die Pflege der musikalischen Kunst und der Umgang mit den gebildeten Kreisen ihrer Residenz und den auswärtigen Gästen dieses Kreises, dessen Mittelpunkt der im darmstädtischen Dienste stehende Merck bildete und zu dem der Geschichtschreiber H. B. Wenck, Herder, Goethe, Wieland, Gleim, Sophie la Roche u. a. m. gehörten. Durch ihre Verbindung mit Grimm, der mit dem höchsten Vertrauen von ihr beehrt war und ihre litterarischen Bedürfnisse in Frankreich besorgte, trat sie auch in Beziehung zu den französischen Zeitgenossen, welche sie besuchten, wenn sie auf ihren Wanderungen Darmstadt berührten. Ihre Haupterholung bildete aber die Correspondenz, die sie nach allen Seiten hin führte, wie z. B. mit Friedrich II., mit ihrer Herzensfreundin Prinzessin Amalie von Preußen, mit Grimm u. a. m. und die sie gegen den Rath der Aerzte bis [415] zum Schaden ihrer Gesundheit ausdehnte. Die Sorgen der Landgräfin hatten mit dem Heranwachsen ihrer Kinder und deren immer schwieriger werdenden Erziehung, sowie mit der Vermählung ihrer Töchter eine bedeutende Steigerung erfahren. Alle damit verbundenen Aufgaben ließ der Landgraf sie allein lösen, ja dessen Eigenartigkeit erschwerte ihr diese Lösung sehr vielfältig. Bei der Vermählung der Töchter reichten sich freudige Erregung und sorgenvolle Gedrücktheit die Hand und übten nebst den dabei unvermeidlichen körperlichen Anstrengungen auf ihren ohnedies geschwächten Körper eine verderbliche Wirkung. Am 26. Mai 1765 hatte die Landgräfin, als in dem Prinz Georg’schen Hause wieder eine Prinzessin zur Welt gekommen war, an die Markgräfin von Baden geschrieben: „Ich gratulire Dir zu der neuen Nichte, die uns unsere Schwägerin geschenkt hat; ich hätte indeß doch einen Neffen vorgezogen. Wo soll man Männer finden für die neun Prinzessinnen in Darmstadt?“ Diese Sorge haben die Ereignisse als eine unbegründete erscheinen lassen; alle neun Prinzessinnen haben sich vermählt und alle bildeten Zierden ihres Geschlechtes. Sie hatte das Glück, die Vermählung von dreien derselben zu erleben. Die älteste, Karoline, wurde die Gemahlin des Landgrafen Friedrich V. von Homburg, die zweite, Friederike, die Gemahlin des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen. Die Vermählung ihrer dritten Tochter, Wilhelmine, mit dem Großfürsten Paul von Rußland wurde Veranlassung, daß ihr Leben rascher seinem Ende entgegen ging. Ihre Gesundheit, bereits seit Jahren sehr geschwächt, so daß sie schon im J. 1767 einmal nach Paris gereist war, um den berühmten Tronchin zu consultiren, fing nun an immer zweifelhafter zu werden. Die großen Sorgen der Vorbereitungen zur Reise nach Petersburg, ihr vermehrt durch die Schwierigkeiten, welche ihr eigenartiger Gemahl ihr bereitete, die anstrengende Reise selbst und der die Kräfte aufreibende Aufenthalt am russischen Hofe mußten ihre Gesundheit in erhöhtem Maße schädigen. Sie kehrte schwer krank nach Darmstadt zurück und ihr Leiden nahm von Tag zu Tag zu. Am 30. März 1774 verschied sie, nachdem sie noch den Schmerz erlebt hatte, ihre bei ihr weilende geliebte Mutter fünf Tage vor ihrem eigenen Tode zu verlieren. Groß war die Trauer um die edle Fürstin allüberall und gab sich in den aufrichtigsten Aeußerungen kund. König Friedrich II. weihte ihrem Andenken das Monument auf ihrem Grabeshügel mit der vielsagenden Inschrift: Femina sexu, ingenio Vir.

Walther, Die „große Landgräfin“, Darmstadt 1873 (auch im Archiv des histor. Vereins für das Großherzogthum Hessen, XI). Briefwechsel der Landgräfin Karoline von Hessen, hrsg. v. Walther, 2 Bde., Wien 1877.