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ADB:Kirchenpauer, Gustav Heinrich

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Artikel „Kirchenpauer, Gustav Heinrich“ von Wilhelm Sillem in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 148–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kirchenpauer,_Gustav_Heinrich&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 14:49 Uhr UTC)
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Kirchenpauer: Gustav Heinrich K., hamburgischer Bürgermeister; in Hamburg geboren am 2. Februar 1808, † daselbst am 3. März 1887, gehörte einer ursprünglich böhmischen Familie an. Kaiser Ferdinand I. hatte 1539 dem Michael K. einen Wappenbrief verliehen, Rudolph II. adelte dessen Sohn [149] Hans K. v. Kirchdorf mit Wappenvermehrung 1590. Dieser bekannte sich zur evangelischen Lehre und gehörte zu den „erbittertsten Gegnern“ Ferdinand’s II. Nach der Schlacht am Weißen Berge verlor auch er seine Güter und wanderte nach Breslau aus. Da alle Aussicht sie wieder zu erhalten, verloren war, wandte sich sein Sohn 1629 nach Hamburg und trat hier in ein kaufmännisches Geschäft ein. Seine Nachkommen, auch der Vater des Bürgermeisters, mit einer Stieftochter des Senators Gräpel verheirathet, ergriffen denselben Beruf. Als Napoleon die Continentalsperre decretirt hatte, sah sich der Vater genöthigt, mit seiner Familie 1810 nach Petersburg zu ziehen, wo seine Schwester, an den angesehenen Kaufmann Jakob v. Krause vermählt, lebte. Noch in demselben Jahre starb Kirchenpauer’s Mutter, ein für die ferneren Schicksale Kirchenpauer’s entscheidender Schlag. Denn da der Vater durch seine Geschäfte vielfach auf Reisen war, nahm der Onkel v. Krause seine drei Neffen zu sich und sorgte „auf das Liberalste“ für ihre Erziehung. K. besuchte die Schule Joh. v. Muralt’s, eines Schülers Pestalozzi’s und Predigers an der deutsch-reformirten Gemeinde. Kirchenpauer’s Schulkameraden waren außer einigen vornehmen Russen meist Söhne baltischer in Petersburg wohnender Familien und der fremden Kaufleute. Mit 15 Jahren wurde K. dem deutsch-protestantischen Gymnasium in Dorpat übergeben, um dann von 1826–29 auf der dortigen Universität Rechts- und Staatswissenschaften zu studiren. Hier trat K. in die Corporation Livonia ein, deren Senior er wurde. Als solcher machte er sich um die Dorpater Studentenschaft verdient durch die Beilegung mancher Zerwürfnisse, die unter derselben bestanden. K. war bei seinen Commilitonen so beliebt und geachtet, daß auch nach Jahrzehnten wol kaum ein gebildeter Livländer nach Hamburg gekommen ist, der ihn nicht aufgesucht hätte. Als er, der 73jährige, 1881 sein 50jähriges Doctorjubiläum feierte, ließen Rector und Senat der Dorpater Hochschule ihm einen amtlichen Glückwunsch zugehen. Von seinem livländischen Biographen, H. v. Samson, wird K. als ein Jüngling geschildert, der, lauteren Herzens, seine ursprüngliche Schüchternheit durch strenge Selbstzucht überwand und durch seinen Charakter von entschiedenem Einfluß auf seine Umgebung war. Im Januar 1830 verließ K. Dorpat, um seine Studien in Heidelberg zu vollenden. Hier lernte er unter den zahlreichen Studirenden aus Hamburg manche kennen, mit denen er Lebenslang befreundet blieb, unter ihnen auch die späteren Collegen im Senat, Bürgermeister K. Petersen († 1892) und Syndicus Karl Merck (s. A. D. B. XXI, 405). Von gleicher Bedeutung für K. war es, daß er durch die Julirevolution veranlaßt wurde, sich mit Zeitungen und der Tagespolitik zu befassen, ein Gebiet, das ihm wie allen Dorpatern gänzlich fremd geblieben war. Am 8. August 1831 wurde K. nach glänzend bestandenem Examen zum Doctor der Rechte promovirt und blieb dann bis zum Frühling des nächsten Jahres bei seinem Onkel J. v. Krause auf dessen schönem Gute Weißtrop bei Dresden. Die Erinnerung an seine Universitätsjahre faßte er in seinen Aufzeichnungen in die Worte zusammen: „In Heidelberg war es herrlich, es wäre aber noch herrlicher gewesen, wenn ich meine Dorpater dort gehabt hätte.“

Am 26. März 1832 betrat K., von seinem Vater empfangen, seine Geburtsstadt, die er als zweijähriges Kind verlassen hatte. Als er Bürger geworden war, stand ihm als einem Doctor juris nichts im Wege, zur Advocatur zugelassen zu werden. Als Advocat schlug er die Bahn ein, die damals als Anfangsstufe von allen Hamburger Juristen betreten wurde, obwol sie weder seinen Anlagen noch seinem Lebensziel entsprach, das auf ein Staatsamt gerichtet war. Da K. ohne „Connexionen“ war und sein Vater sich nicht in der Lage befand, ihm solche zu vermitteln, war K. ganz auf sich selbst angewiesen. [150] In dieser Lage gab er zwar seinen Beruf nicht auf, wandte sich aber zugleich der journalistischen Thätigkeit zu theils als Mitarbeiter, theils als Redacteur verschiedener Zeitschriften und Zeitungen, „eine vortreffliche Schulung für seine spätere, active Betheiligung am politischen Leben“. Seine Arbeiten betrafen zunächst die Handelspolitik Hamburgs. Als im J. 1836 der badische Staatsminister Nebenius (s. A. D. B. XXIII, 351) in seiner Schrift: „Der deutsche Zollverein“ dargelegt hatte, wie vortheilhaft auch für die Hansestädte der Eintritt in den Zollverein sein würde, wies K. darauf hin, „daß, so wohlthätig die Aufhebung der Zollschranken zwischen den deutschen Staaten sei, so schädlich würde der Eintritt in den Zollverein für die Hansestädte sein, die die Freiheit des Handels dadurch einbüßen würden“. Freihandel und Kampf gegen Differentialzölle war Kirchenpauer’s Grundsatz. Zunächst hatte K. kein Glück mit seiner Schrift gegen den Zollanschluß Hamburgs. Er schrieb darüber noch 1853 an seinen gleichgesinnten Freund, den kaufmännischen Senator Geffcken (s. A. D. B. VIII, 493): „Diese Schrift ging an Hamburg spurlos vorüber. Etwa ein halbes Jahr später machten die Hamburger Blätter auf eine Abhandlung im Londoner „Portfolio“ aufmerksam, welche die Anschlußfrage behandle „und wirklich war“, wie K. an Geffcken schrieb, „das betreffende Heft des Portfolio im Lesezimmer der Börsenhalle so vergriffen, daß ich erst nach mehreren Wochen desselben habhaft werden konnte. Wie erstaunte ich dann, als ich eine wörtliche Uebersetzung meiner eigenen Abhandlung fand“ u. s. w.

Indeß diese Erfahrung schreckte K. nicht ab, auch gegen den Handelstractat vom 21. Januar 1839 seine Stimme zu erheben, durch welchen der Zollverein mittelst Differentialzölle die belgischen und holländischen Häfen gegen Hamburg und Bremen zu begünstigen bestrebt war. Kirchenpauer’s Gegenschrift lenkte die Aufmerksamkeit der Commerzdeputation (jetzt Handelskammer genannt) auf K., die ihn im Februar 1840 zu ihrem Protokollisten und ersten Bibliothekar ernannte. In dieser Stellung widmete K. seine Thätigkeit sehr bald auch anderen Gebieten. „Wir mußten“, so heißt es in seinen Aufzeichnungen, „nach Eisenbahnverbindungen uns umsehen, bis wir endlich (1842) die Duodezbahn Hamburg-Bergedorf zu Stande brachten.“ Dänemark verharrte in seiner traditionellen Politik gegen Hamburg und gab eine Schienenverbindung Hamburg-Lübeck nicht zu; es war schon viel, daß zwischen beiden Städten 1841 ein Chausseebau erlaubt wurde. Die Verhandlungen mit Berlin über die Bahn dorthin geriethen aber nicht ins Stocken. Der geplante Bahnbau machte ein Expropriationsgesetz nothwendig. Vom Senat erhielt K. den Auftrag, dies auszuarbeiten. Kirchenpauer’s wissenschaftliches Interesse für die Geschichte der Hansa führte ihn mit Wurm (s. A. D. B. XLIV, 326) und Lappenberg (ebenda XVII, 707) zusammen. Bei der Gründung des Vereins für hamburgische Geschichte drang K. darauf, die historische Wissenschaft im weitesten Umfange zu fördern, er selbst leitete die handelsgeschichtliche Section desselben. Eine Frucht seiner hansisch-hamburgischen Studien war die Festschrift: „Die alte Börse, ihre Gründung (1560) und ihre Vorsteher“, welche zur Eröffnung der neuen Börse am 2. December 1841 erschien. Dagegen wurde die beabsichtigte Eröffnung der ersten Hamburger Eisenbahn, der Hamburg-Bergedorfer, die am Himmelfahrtstage am 4. Mai 1842 stattfinden sollte, auf bessere Tage verschoben. Denn in den ersten Morgenstunden desselben Tages brach die gewaltige Feuersbrunst aus, die bis zum Sonntag Morgen einen großen Theil der inneren Stadt in Asche legte. K. begab sich gleich am ersten Tage nach der Börse, um dieselbe zu schützen. Seinen Anordnungen ist es wohl hauptsächlich zu danken, daß das neue Gebäude mit der äußersten Anstrengung [151] gerettet wurde, während alle umliegenden Häuser, weit und breit, dem Feuer unterlagen.

Nach dem Brande traten neue Forderungen an die Stadt heran. Der Aufbau des zerstörten Stadttheils machte neue Straßenzüge und Expropriationen nöthig. Um den augenblicklichen Bedürfnissen des Handels entgegenzukommen, wurde eine Darlehnscasse gegründet, zu welcher sechzehn Häuser sogleich sechs Millionen heutigen Geldes zeichneten. Bei allen diesen Einrichtungen war K. thätig, bei einigen Commissionen führte er den Vorsitz. Die „Patriotische Gesellschaft“, welche die Meinung der gebildeten Bürger repräsentirte, nahm auch eine Reform der Verfassung und Verwaltung in Aussicht. Eine darauf abzielende Supp1ik an den Senat wurde von K. redigirt. Im November 1842 wurde K. von dem Hamburger Comité für die Berliner-Hamburger Bahn nach Berlin gesandt. Da Hamburg sich gleich Mecklenburg und Preußen für eine Zinsengarantie erklärt hatte, so fand er in Berlin eine sehr günstige Aufnahme, auch für den Plan, die Bahn am rechten Elbufer anzulegen anstatt am linken, wie einige Stimmen vorgeschlagen hatten. Aus Kirchenpauer’s Bericht an den Senat mag hier eine Stelle über den späteren Feldmarschall Moltke ihren Platz finden: „Major v. Moltke, Adjutant des Prinzen Karl, scheint besonders in technischen Fragen von Einfluß zu sein.“ Im Februar 1843 wünschte Syndikus Sieveking (s. A. D. B. XXXIV, 227), der die hamburgische Stimme auf der Elbschifffahrtsconferenz in Dresden vertrat, die Sendung Kirchenpauer’s als seines Gehülfen. Als Sieveking sehr bald zum Bundestagsgesandten in Frankfurt ernannt worden war, trat K. an seine Stelle. Es handelte sich um die Befreiung der Elbschifffahrt von lästigen Zöllen und anderen Hemmnissen. Hamburg drang besonders auf die Aufhebung des Stader Zolls, den Hannover von allen stromaufwärts fahrenden Schiffen erhob. Es erreichte nur die „vertragsmäßige Fixirung des bis dahin so zu sagen incommensurablen Zolles“. Seinen Widerspruch, den Zoll aufzuheben, begründete Hannover unter anderen auch durch die Behauptung, daß der Stader Zoll kein Hinderniß der Flußschifffahrt sei, da er nur die Seeschiffe treffe. Erst im J. 1861 erfolgte die Aufhebung dieses Zolles gegen eine an Hannover gezahlte Entschädigung von 2 857 000 Thalern, zu der Hamburg und England je eine Million beitrugen. Für K. ist es aber charakteristisch, daß ihm von Anfang an die sich darbietende ausländische Bundesgenossenschaft in dem Kampfe gegen den Stader Zoll widerstrebte: bereits am 19. März 1843 schrieb er an den Senat: „Die Allianz Englands und Amerikas hilft uns nichts, wenn Deutschland gegen uns ist.“ Der Aufenthalt in Dresden wurde aber für K. noch besonders dadurch wichtig, daß er im Hause seines Onkels Jakob v. Krause seine Cousine Julie Dorothea Krause († 1905, Februar) wiedersah, mit der er sich an seinem 36. Geburtstage 1844 vermählte. Noch in Dresden verweilend, erhielt er die Nachricht, daß er am 4. December 1843 zum Senator erwählt war. Wenn ihm auch vielleicht, seinen Anlagen entsprechend, die Stellung eines Senatssecretär’s erwünschter gewesen wäre, da sie auch weniger gesellschaftliche Verpflichtungen mit sich brachte, so kehrte er doch nach Hamburg zurück, im Begriff, sein eigenes Heim zu gründen. Neben allerlei städtischen und unwichtigen Angelegenheiten wurde K. die Behandlung der handelspolitischen Sachen übertragen. Als man in Preußen in den Jahren 1846/47 die Idee faßte, einen förmlichen Handels- und Schifffahrtsbund zu gründen, hatte man als Ziel „die Handelsfreiheit aller deutschen Staaten mit dem Auslande“ aufgestellt mit dem Vorbehalt, „daß gegen diejenigen fremden Staaten, die ein so liberales System nicht annehmen würden, Deutschland auch eine nachtheiligere Behandlung in deutschen Häfen eintreten lassen würde“. Dieser Entwurf wurde den Regierungen in Hannover, [152] Oldenburg, Bremen und Hamburg zu „einer vertraulichen vorgängigen Erörterung“ übergeben. Zur Erwiderung auf diesen Entwurf wurde in Hamburg eine viergliedrige Senatscommission eingesetzt, in der K. die wissenschaftliche Begründung und die Redaction der ganzen Denkschrift zufiel, während Geffcken die handelspolitische Ausführung durch seine reichen kaufmännischen Kenntnisse unterstützte. Der Inhalt dieser Hamburger Denkschrift von 1847 ist kurz der, daß durch den vorgeschlagenen „Deutschen Schifffahrts- und Handelsvertrag“ schwerlich weder dem Handel noch der Industrie Deutschlands ein Erfolg gesichert werde. Nachdrücklich wies auch die Denkschrift auf die Schwierigkeit hin, die darin liege, daß die fremden Staaten den Staatenbund „Deutschland“ nicht anerkennen würden; für sie gebe es nur einzelne Staaten, mit denen sie Bündnisse abschließen konnten, demnach würden sie auch in ihren Ländern weder die „deutsche“ Flagge noch „deutsche“ Consulate anerkennen. Eine andere Schwierigkeit liege darin, wie deutsche Bundesstaaten, etwa Oesterreich, zu behandeln wären, die dem „Schifffahrts- und Handelsvertrag“ nicht beitreten würden. Sollten sie als Ausland betrachtet werden? Man sieht, der Entwurf hatte Verhältnisse in Aussicht genommen, die ohne eine Einigung Deutschlands nicht möglich waren; ein erfreulicher Hinweis auf die auch wirthschaftlich so nothwendige Erfüllung dieser Bedingung lag freilich in der Antecipation derselben. Der Titel der hamburgischen Denkschrift lautet: „Das Differenzialzollsystem nach den bei mehreren Nordseestaaten Deutschlands zur Erörterung gekommenen Vorschlägen für die Errichtung eines deutschen Schifffahrts- und Handelsvereins.“ Sie erschien im Laufe des Jahres 1847 zweimal in deutscher Sprache und zweimal in englischer Uebersetzung. Als Robert Peel und Cobden nach Aufhebung der Korngesetze auch die Aufhebung der Navigationsacte ins Auge faßten, legten sie diese Schrift dem Unterhause vor, um ihren Antrag zu unterstützen. Die zweite officielle Uebersetzung enthält auch nach dem Titel die Bemerkung: „Presented to the House of Commons by command of Her Majesty“, December 1847, London.

Das Jahr 1848, die Errichtung der provisorischen Centralgewalt, die Wahl des Erzherzogs Johann zum Reichsverweser führten K. nach Frankfurt, wo er als hamburgischer Gesandter bei jener und hernach am Bundestage mit gelingen Unterbrechungen bis 1857 blieb. Zunächst hielten ihn die Vorgänge in Holstein zurück, von wo die provisorische Regierung den Hamburger Senat um Zusendung von Artillerie gebeten hatte. Hamburg hatte – außer einigen Geschützen der Bürgergarde, einer städtischen Miliz – keine Artillerie, und, mit Oldenburg und Hannover im militärischen Verbande des Zehnten Bundesarmeecorps stehend, konnte es nicht über sein kleines Bundescontingent verfügen. Um die Maßnahmen und Entschlüsse Hannovers zu erfahren, wurde K. Ende März dorthin gesandt und kehrte mit der Nachricht zurück, daß Hannover und Preußen mit je 10 000 Mann das holsteinische Gebiet zu schützen entschlossen seien. Ende Mai erschien die dänische Fregatte Gefion bei Helgoland. Dies genügte, um den Seehandel auf der Weser, Elbe und Eider aufzuheben. Es entstanden nun in den Küstenländern Vereine zur Schaffung einer Flotte; Hamburger Rheder stellten einige größere Schiffe zur Verfügung, um sie armiren zu lassen: K. nahm an den Verhandlungen in Stade und Hannover zur Gründung einer Flotte theil. Am 1. Juni eröffnete er namens des Senates den Marinecongreß in Hamburg, der nach Beschluß des Fünfziger-Ausschusses in Frankfurt zusammengetreten war, um die Flottenangelegenheit und den Küstenschutz zu berathen. Der Congreß setzte sich zusammen aus Bevollmächtigten der Regierungen und den Vertretern von Privatcomités. K. sprach unter anderen folgende Worte: „So schön und erhebend die Anstrengungen [153] der Privaten sind, Staatshülfe ist erforderlich. Nur die Staatsgewalt kann der Marine ihre Bedeutung geben. Die Flotte muß Sache des ganzen Staatenbundes sein, oder vielleicht richtiger, sie muß Sache eines großen, alles umfassenden Bundesstaates sein.“ Kirchenpauer’s Worte sind nüchtern und sachverständig, jedenfalls sachverständiger als der Beschluß des Bundestages, der in Sachen der Zolleinigung Deutschlands am 19. Mai beschlossen hatte, daß alle deutsche Staaten Bevollmächtigte nach Frankfurt schicken sollten, um bis zum 1. Juli 1848 die Zolleinheit ganz Deutschlands ins Leben zu rufen. Ende Mai hatten die regelmäßigen Plenarsitzungen der Nationalversammlung begonnen. Sie forderte nun die Regierungen auf, Vertreter zu senden zu dem volkswirthschaftlichen Ausschusse der Nationalversammlung für Sachen des Handels, Verkehrs und der Zolleinigung. Aus Hamburg trafen hierzu K. und Geffcken ein. Anfang August wurde K. zum Gesandten Hamburgs bei dem Reichsverweser Erzherzog Johann ernannt. Die freilich nur sehr lückenshaften Aufzeichnungen Kirchenpauer’s bezeugen das lebhafte Interesse, das er an Personen und Ereignissen nahm. Von Heinrich v. Gagern spricht er mit großer Anerkennung. Nachdem er am 28. August nach vielen vergeblichen Versuchen sich durch Minister v. Schmerling anmelden zu lassen, unangemeldet die erste Audienz beim Reichsverweser gehabt hatte, schreibt er über denselben unter anderen: „Er ist in seinem Wesen einfach – aber freilich sonst nicht so einfach, wie man wohl glaubt, sondern gerade im Gegentheil ganz verdammt klug.“ Mit großer Ruhe und unbefangenem Verständniß hielt K. von Anfang an sich frei von Illusionen über die Kraft der Ministerien. Auch bei dem Aufstand am 18. September, dem Fürst Lichnowski und General v. Auerswald zum Opfer fielen und dennoch manche mit den Aufständischen pacisciren wollten, schreibt K.: „Es hilft jetzt nur noch unbedingte Unterwerfung: pacisciren hieße, die Anarchie oder den Terrorismus proclamiren.“ K. hatte namens seiner Regierung der in der Paulskirche beschlossenen Reichsverfassung zugestimmt und „sah dann traurig dem immer unrühmlicher werdenden Todeskampfe der Nationalversammlung zu“. Als im December 1849 Erzherzog Johann sein Amt als Reichsverweser niedergelegt hatte, war auch Kirchenpauer’s Thätigkeit in Frankfurt beendet und K. kehrte unbefriedigt von dem allen, was er in Frankfurt erlebt hatte, in die Vaterstadt zurück. Hier hatten die nach dem Brande 1842 geäußerten Reformbestrebungen unter den Ereignissen des Jahres 1848 greifbare Gestalt gewonnen. Im August 1848 beantragte der Senat bei der Bürgerschaft, veranlaßt durch Wünsche von verschiedenen Seiten, die Feststellung der zukünftigen Verfassung durch eine constituirende Versammlung. Die Mitglieder derselben sollten von allen männlichen volljährigen hamburgischen Staatsbürgern gewählt werden in den verschiedenen Districten. Die gewählten 188 Abgeordneten gehörten meist der demokratischen Partei an. K., der selbst zuerst für gewisse Reformen aufgetreten war, hielt sich während dieser Wahlen gerade in Hamburg auf und schrieb an Geffcken: „Hier sieht es jetzt böse aus. Das Resultat der Wahlen ist so kläglich wie irgend möglich. Es ist nicht nur ein großer Skandal, sondern auch ein bedenkliches Zeichen der immer schlechter werdenden Gesinnung. Alle Gutgesinnten sind überaus niedergeschlagen. Auch hier wird zuletzt die Hülfe in den Bajonetten liegen, und wir haben davon sehr wenige. Man darf aber den Muth nicht verlieren.“ Am 11. Juli 1849 übergab jene Versammlung, die sich selbst wol die „Constituante“ nannte, die neue „Verfassung des Freistaates Hamburg“ dem Senat. Danach sollte die Bürgerschaft aus 300 von allen Staatsbürgern auf zwei Jahre gewählten Mitgliedern bestehen; der Senat au neun von der Bürgerschaft gewählten Mitgliedern; [154] ihm sollten sechs vom Senat gewählte Syndici beigegeben werden, deren Wahl aber die Bürgerschaft zuvor zu bestätigen habe. Der Senat, das geistliche Ministerium, die Handelskammer und mehrere Privatvereine erklärten sich gegen diese Verfassung. Der Senat aber forderte die Einsetzung einer neuen Commission, der „Neunercommission“, zu welcher der Senat vier Senatoren und die Bürgerschaft je einen Bürger aus jedem der fünf Kirchspiele entsenden sollte, um mit der Constituante und, wenn diese sich weigerte, mit der Bürgerschaft Reformen zu berathen. Zu den vier Senatoren gehörten auch K. und Geffcken. Indeß hatte schon im Juli eine Berliner lithographirte Correspondenz von der Möglichkeit einer preußischen Intervention in dem hamburgischen Verfassungsconflicte gesprochen. Eine Bestätigung dieser Meldung erblickte man darin, daß ein Theil der aus Holstein zurückkehrenden preußischen Truppen in Hamburg einquartirt werden sollte. Am 13. August rückte ein westfälisches Bataillon ein unter dem Tumulte des Pöbels. Wegen solcher allerdings unblutigen Ausschreitungen erklärte die preußische Regierung, daß auch wegen der sicheren Verbindung mit den noch in Holstein verbliebenen Truppen noch andere bei den Bürgern einzuquartieren seien. Hierdurch war die Stadt gegen etwaige Ausschreitungen hinlänglich gesichert. Uebrigens war auch Hamburg am 27. August dem Dreikönigsbündnisse beigetreten und „die preußische Regierung hatte sich inzwischen bereits deutlich genug gegen das radicale Treiben der Constituantenpartei in Hamburg ausgesprochen“. Deren Einfluß nahm zusehends ab, nicht einmal zur Se1bstauflösung gelangte sie, da sich zur Beschlußfähigkeit nicht die genügende Anzahl von Mitgliedern in ihrer letzten Sitzung eingefunden hatte. Im Mai 1850 legte der Senat die von der Neunercommission ausgearbeitete Verfassung der Bürgerschaft vor, die ihr Placet aussprach. Neben dem späteren Bürgermeister, damaligem Advocaten Karl Petersen gilt K. für einen Haupturheber dieser Verfassung, die alle wesentlichen Bestimmungen enthielt, die in der Verfassung von 1860 und forthin gültig sind. Aber mittlerweile war von conservativer Seite durch die 15 Oberalten (jetzt Gemeindeältesten genannt, die Vorsteher der Bürgerschaft) und einige (vier) ihrer Anhänger eine Erklärung gegen die Verfassung vom Mai 1850 abgegeben worden wegen angeblich verletzter hamburgischer Grundgesetze. Da ihre Erklärung bei dem Senat keine Folgen hatte, wandten sie sich am 18. März 1851 an den Bundestag mit der Bitte um „Rechtsschutz und Abwehr der Revolution im städtischen Gemeinwesen“. An Stelle des damaligen hamburgischen Bundestagsgesandten Syndikus Banks (s. A. D. B. II, 41), der im Herbste 1851 erkrankt, Frankfurt verlassen mußte († in Vevey December 1851), wurde K. von Hamburg gesandt. Er blieb bis ins Jahr 1857 dort als Bundestagsgesandter. Ein Bundestagsausschuß war im August 1851 eingesetzt worden zur Prüfung aller seit dem Jahre 1848 in deutschen Staaten eingeführten Verfassungsneuerungen, um diejenigen Bestimmungen auszumerzen, die nicht im Einklange ständen mit den Grundgesetzen des deutschen Bundes. Besonders unerfreulich für K. war es, daß das Referat über die hamburgische Verfassung Bismarck zugefallen war, der nach seinem damaligen Standpunkt den der Hamburger Oberalten vertrat. Hiergegen machte der Senat mit Recht geltend, daß der Einwand einiger weniger Bürger unmöglich jede Neuerung hindern dürfe; Hamburg nehme für sich dasselbe Recht in Anspruch wie Bremen und Lübeck, die auch ihre Verfassung geändert hätten ohne Intervention des Bundestages und der beiden deutschen Großmächte. Obgleich K. in Bismarck nicht nur den bedeutendsten, sondern auch den entschiedensten Widersacher in diesen Jahre langen Verhandlungen fand, so hindert ihn dies nicht, Bismarck’s „angenehmes, ritterliches Wesen, sein [155] solides Auftreten, seinen Freimut und seine Geradheit anzuerkennen. Bismarck sei ebenso sehr Feind der geheimen Wege wie er selbst“. (Nach verschiedenen Berichten im Hamb. Staatsarchiv bei Wohlwill S. 67.) Andererseits äußerte Bismarck 1892, von seiner Frankfurter Zeit redend: „K., ein kluger Mann, war mir einer der angenehmsten Collegen, wenn ich auch nicht immer mit demselben harmonirte.“ (Poschinger, Bismarck und seine hamburgischen Freunde S. 142.) Viel Arbeit und Verdruß machten die Bundestagsverhandlungen K., der schon 1852 an Geffcken geschrieben hatte: „Sie wissen, daß ich die ,ehrenvolle Stelle’ nicht ambitionirt habe. Eigentlich ist es gut, daß der Bundestag nichts thut. Wenn er etwas thäte, wäre es doch nur Verkehrtes.“

K. war des diplomatischen Treibens nach siebenjährigem Aufenthalt in Frankfurt müde und wünschte als Amtmann in Ritzebüttel ein weniger aufregendes Leben zu führen. Der Senat gab, wenn er auch gern ihn in Hamburg gehalten hätte, Kirchenpauer’s Wünschen nach und ernannte ihn 1858 auf sechs Jahre zum Amtmann daselbst. Diese Stellung war völlig selbständig; der Amtmann regierte dort unumschränkt vom alten hundertjährigen Schlosse aus. Das Lootsenwesen, der Hafen von Cuxhaven, Quarantäne und Beleuchtungswesen der Elbmündung, die ganze Polizei auf dem untersten Theile der Elbe, die Deichbauten unterstanden dem Amtmann. Aber auch alle Kleinigkeiten kamen an ihn, wie er seinem Freunde Geffcken schreibt: „Es ist ein eigen Ding um einen solchen Duodezkönig von Ritzebüttel, der fast alles allein und auf eigene Faust abmachen soll. Von Hamburg aus kümmert man sich um nichts, und hier ist der Packesel von Amtmann alles in allem. Wenn auf einem beliebigen Bauernhofe die Viehmagd sich mit dem Großknecht über das Schweinefutter veruneinigt, so kommen die Leute ebensogut zum Amtmann gelaufen, als wenn es sich um Hunderttausende handelt, die für Hafenbauten und Lootsenwesen ausgegeben werden. In Kleinigkeiten und einfachen Dingen ist es freilich angenehm, ganz allein wirtschaften zu können, in anderen aber sehne ich mich oft genug nach collegialischer Berathung und Besprechung mit guten Freunden.“ Uebrigens blickte K. wie auch seine Familie stets mit Freuden auf die glücklichen und ruhigen Jahre zurück, die er dort verlebt hat. Wenn er von seinem ersten Aufenthalt in Frankfurt zurückgekehrt, eine Stammbuchinschrift mit den Worten schloß:

Häßlich ist der Menschen Treiben!
Ewig schön ist die Natur!

so bot ihm das Meer bei Ritzebüttel reichliche Gelegenheit, die Natur des Meeres und seiner kleinsten Producte, der Seethiere und Algen, mikroscopisch und wissenschaftlich zu untersuchen. Ueber diese Untersuchungen schrieb K. 1860 an Geffcken: „Jeder Mensch hat seine Liebhaberei, sein Steckenpferd, seine Erholung – oder sollte sie wenigstens haben. Ich meinestheils kann sie kaum entbehren. Es ist eine wahre Wohlthat nach den verschiedenen Amtsgeschäften, sich in ein möglichst heterogenes Gebiet flüchten zu können; wie in das Gebiet der mikroscopischen Thiere und Pflanzen, wo man jedenfalls sicher ist, weder auf Schlechtigkeit, noch auf Dummheit zu stoßen und auch selbst Unrecht zu thun.“ Für seine Untersuchungen ließ K. die Seetonnen an der Mündung der Elbe von den daranhaftenden Pflanzen und Muscheln reinigen, um diese dann unter dem Mikroscop zu bestimmen. Manche neue Entdeckung verdankt ihm die Naturwissenschaft. Die Universität Kiel ehrte ihn in Anerkennung seiner Arbeiten mit der Ertheilung der philosophischen Doctorwürde honoris causa. Aber wie bescheiden dachte er über seine Leistungen: „In diesen Studien“, so schrieb er demselben Freund, „findet ein blindes Huhn auch wol einmal ein Korn.“ Kirchenpauer’s letzte Arbeit war die Durchführung [156] der Trennung von Justiz und Verwaltung in Ritzebüttel. Am letzten August 1864 schied K. aus Ritzebüttel unter dem Geleite der Bevölkerung, die ihm eine dankbare Erinnerung bewahrt hat. Er war der letzte der Hamburger Senatoren, die seit 1400 dort Amtmänner gewesen waren. An ihre Stelle sind fortan Amtsverwalter getreten. K. fand bei seiner Rückkehr nach Hamburg die endlich 1860 eingeführte Verfassung der Neunercommission in Kraft getreten, die Physiognomie des Senats durch Austritt älterer Herren nicht unwesentlich verändert. Er trat in die Senatscommission für auswärtige Angelegenheiten und in die Verwaltungsabteilung für Handel und Gewerbe ein und wurde Präses der Deputation für Handel und Schifffahrt, ein Wirkungskreis, der seinen Neigungen und seiner Begabung entsprach. Im J. 1867 wurde K. der erste hamburgische Vertreter im Bundesrath, dem er bis zum April 1880 angehört hat. 1868 wurde er vom Senat zum Ersten Bürgermeister erwählt, ein Amt, das er in regelmäßigem Turnus als Zweiter Bürgermeister wechselnd bis zu seinem Tode bekleidete. Als solcher begrüßte er im Juni 1871 die siegreich aus Frankreich heimkehrenden Truppen auf dem Rathhausmarkt. – Hatte bisher K. auch im Bundesrathe bei wirthschaftlichen und den Handel betreffenden Fragen seine Grundsätze gegen höhere Zölle und für die Freihafenstellung der Hansestädte nicht verhehlt, so trat er doch in einen schärferen Gegensatz gegen die veränderte Wirthschaftspolitik Bismarck’s seit dem Jahre 1878. Mit der Freihafenstellung könne es auch so nicht weiter gehen, hatte der Fürst im Frühjahr 1878 in einer Unterredung mit dem Bremer Reichstagsabgeordneten Mosle geäußert. Am 19. April 1880 hatte Preußen an den Bundesrath den Antrag gebracht, nicht nur Altona, sondern auch einen Theil der früheren hamburgischen Vorstadt St. Pau1i, die aber schon Hamburg eingemeindet worden war, an die deutsche Zollgemeinschaft anzuschließen. „K. empfand es als eine Kränkung für sich und die von ihm vertretene Stadt, daß er keinen Augenblick früher als alle übrigen Bevollmächtigten von dem preußischen Antrag in Kenntniß gesetzt worden“ (Wohlwill S. 142). Es erschien ihm unmöglich sowol für sich als auch im hamburgischen Interesse unstatthaft, länger in der bisherigen Stellung zu bleiben. Der Senat willfahrte seinem Wunsche, und Senator Versmann reiste schon am 27. April als Kirchenpauer’s Nachfolger nach Berlin. K. veröffentlichte noch in demselben Jahre seine Ansichten in der anonym erschienenen historisch-staatsrechtlichen Denkschrift: „Die Freiheit der Elbschifffahrt“. Fortan widmete K. seine Hauptthätigkeit der Oberschulbehörde, deren Präses er von 1869 an war und blieb. Ihr unterstanden die wissenschaftlichen Anstalten und die Volksschulen. Da wol in keiner Stadt Deutschlands das Privatschulwesen so verbreitet war wie in Hamburg, so erforderte es unendlich viel Arbeit, in dasselbe einen gewissen Organismus einzuführen. Unter den staatlichen Anstalten nahm das akademische Gymnasium die erste Stelle ein, hatte sich aber mit der Zeit überlebt. Hatten sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sogar Stimmen dafür gefunden, es zu einer Akademie, selbst zu einer Universität zu erheben, so förderte K. den Gedanken, dasselbe durch Einrichtung von Vorlesungen von wissenschaftlich tüchtigen Männern für gebildete Laien für die Gegenwart nützlich zu machen. Eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Instituten Hamburgs war ursprünglich aus der Thätigkeit von Privatleuten oder Vereinen hervorgegangen. Dazu gehörten z. B. der botanische Garten, die Sternwarte, die Gemäldegalerie u. a. Wenn sie an Umfang und Bedeutung zugenommen hatten und nicht mehr durch Privatmittel erhalten werden konnten, so übernahm der Staat sie. K. trat dafür ein, daß auf diese Weise noch andere Anstalten übernommen oder erweitert werden möchten. Er hat die Anträge [157] ausgearbeitet und befürwortet über die Neugestaltung des chemischen Laboratoriums und des physikalischen Staatslaboratoriums. Bei diesen Vorschlägen ließ er sich durch wissenschaftliche und nicht weniger durch gemeinnützige Gesichtspunkte leiten. Seinen eigenen Studien entsprechend, wandte K. besonderes Interesse dem naturhistorischen Museum zu, das er zu einer wissenschaftlichen Anstalt ersten Ranges erhoben zu sehen wünschte. In gleicher Weise widmete K. sein Interesse und seine Thätigkeit der 1873 von ihm mit gegründeten Geographischen Gesellschaft. Auch hier war er Präses. Hat er so die wissenschaftlichen Anstalten Hamburgs theils erst gegründet, theils gefördert, so nahm auch das Volksschulwesen in seinen verschiedenen Abstufungen auf dem Landgebiet und in der Stadt seine lebhafte Aufmerksamkeit und Thätigkeit in Anspruch, z. B. wenn etwa der Landschulinspector ihm einen eingehenden Vortrag hielt über die nothwendigen Aenderungen einer Dorfschule in den Vierlanden.

Bis zu seiner Todesstunde erfreute sich der 79jährige Greis völliger geistiger und körperlicher Frische. Im Dienst des Staates endete sein Leben in der Nacht vom 3. zum 4. März 1887. Von einer Sitzung der Geographischen Gesellschaft, der er bis zum Schluß präsidirt hatte, zurückgekehrt, „hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt, um dringende Amtsgeschäfte zu erledigen, und, mit dem Bleistift in der Hand, ein Senatsprotocoll vor sich, fand ihn dann seine sorgende Gattin in früher Morgenstunde sanft entschlafen“. Ein Herzschlag hatte den Tod herbeigeführt. Seine Mitbürger haben sein Andenken durch ein aus freiwilligen Beiträgen errichtetes Monument geehrt. Aus Bronce in Hochrelief gearbeitet ist es bestimmt „die edlen, geistvollen Züge Kirchenpauer’s festzuhalten und seinen Namen vor unverdienter Vergessenheit zu bewahren“. Schließlich möge hier die Charakteristik Kirchenpauer’s von berufener Feder (W. v. Melle, s. u.) einen Platz finden: „Alles, was K. schrieb und sprach, zeugte von Geist und Wissen und zugleich von einer wahrhaft vornehmen, edlen und liebenswürdigen Persönlichkeit. Sein Wesen erschien zwar, wenn man ihn nicht kannte, steif und kalt, und seine äußeren Formen waren dies auch. Entgegenkommende Verbindlichkeit und leichte Conversation waren nicht seine Sache. Wer aber ihm nahe getreten, der ward durch seine einfache, von Herzen kommende Liebenswürdigkeit gewonnen, der lernte seine Uneigennützigkeit und wahre Bescheidenheit schätzen, der erkannte, wie hinter diesem Manne, dem jeder krumme Weg, jede Intrigue und jedes Haschen nach Popularität verhaßt war, im wesenlosen Scheine alles Gemeine lag.“

Kirchenpauer’s bis zum Jahre 1857 veröffentlichten Schriften sind im Hamb. Schriftstellerlexikon Th. III, S. 578 aufgezählt. W. v. Melle, G. H. Kirchenpauer, Hamburg u. Leipzig 1888, XV u. 459 S. führt S. 401 f., 405, 432 die folgenden Schriften Kirchenpauer’s auf: „On a new Hydroid Polype, belonging to the genus Cordylophora Allman.“ (Quart. Journ. Micr. Soc. New Ser. Vol. I, p. 283, 1861); „Die Seetonnen der Elbemündung“ (Abh. d. Naturw. Vereins zu Hamb. IV, 59, 1862); „Ansprache bei Einführung der neuen Beamten auf Schloß Ritzebüttel durch … K …“ (Ritzebüttel 1864); „Die Freiheit der Elbeschifffahrt. Geschichtliche Erläuterungen der staatsrechtlichen Sachlage“ (Hamburg 1880); „Neue Sertulariden“ (in Nova Acta Acad. Caes. Leop. Carol. Vol. XXI, p. 16, 1864); „Neue Bryozoen“ (im Katalog d. Museum Godeffroy, S. 25–34. Hamb. 1869);. „Ueber die Hydroidenfamilie Plumularidae“ etc. (Abh. d. Naturw. Vereins zu Hamb. V, 52, 1872); „Grönländische Bryozoen“ (in „Die zweite deutsche Nordpolfahrt“, Bd. II, S. 12, 417 f. Leipzig 1874); „Bryozoa“ (im Ber. [158] über die Untersuchungsfahrt der „Pomerania“ in der Nordsee. Berlin 1875, S. 173 ff.); „Ueber die Hydroidenfamilie Plumularidae“ etc. (in d. Abh. d. Naturw. Vereins. Hamb. Bd. VI, S. 59, 1876); „Ueber die Bryozengattung Adeona“ (a. a. O. Bd. VII, S. 1 ff.); „Nordische Gattungen und Arten der Sertulariden“ (a. a. O. Bd. VIII, S. 56, 1884); ein Band Gedichte Kirchenpauer’s ist als Manuscript gedruckt worden; bei v. Melle nicht erwähnt.

W. v. Melle’s schon genanntes Werk, dem Ref. die meisten Citate entnommen hat. – A. Wohlwill, Die Hamb. Bürgermeister Kirchenpauer, Petersen, Versmann. Hamb. 1903. S. VIII u. 196. Fünf Jahre nach v. Melle’s Werk erschienen, berücksichtigt W. manche Berichte Kirchenpauer’s, besonders aus Berlin, die dem Staatsarchiv Hamburgs angehören. – H. v. Samson, G. H. Kirchenpauer, Reval 1891. 171 S. und Anhang: Der Kampf um den Zollanschluß Hamburgs 90 S. Dem baltischen Verfasser standen Familiennachrichten zur Verfügung, die den beiden anderen Verfassern fehlten. Aus diesen Briefschaften weist v. S. eingehend nach, daß K. keineswegs der kalt-vornehme Herr gewesen ist, für den er von ferner Stehenden gehalten worden ist.