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ADB:Klesl, Melchior

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Artikel „Klesl, Melchior“ von Moriz Ritter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 167–178, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Klesl,_Melchior&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 11:26 Uhr UTC)
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Klesl: Melchior K., Führer der katholischen Gegenreformation in Niederösterreich und leitender Staatsmann unter Kaiser Matthias. Er wurde geboren im Februar 1552 zu Wien; sein Vater, der ein Bäckergeschäft betrieb, gehörte zu dem verhältnißmäßig nicht großen Kreis von Familien, die sich durch den Besitz des städtischen Bürgerrechts von der Masse der unbürgerlichen Einwohner mit ausgeprägtem Standesgefühl unterschieden; derselbe hielt sich gleich der großen Mehrzahl der Stadtbewohner mit Frau und Kind zum protestantischen Bekenntniß. Wie als die Vorkämpfer protestantischer Lehre in den Städten einerseits die Schulmeister auftreten, die in den zahlreichen Privat- und Gemeindeschulen wirkten, anderseits die Prediger, welche der Bürger in seine Wohnung zog oder in den adelichen Häusern der Stadt und der Nachbarschaft aufsuchte, so wurde der junge K. zunächst der Schule eines solchen Lehrers, dann der Obhut eines Prädicanten in der Stadt Wels übergeben, worauf er noch in sehr jungen Jahren an der Universität Wien den philosophischen Studiencursus begann. Seiner späteren Behauptung nach hätte er sich damals nicht den Studien, sondern dem Lebensgenusse ergeben, gewiß ist jedoch, daß sein lebhafter Geist von den unausgetragenen Gegensätzen der Bekenntnisse erfüllt war, und daß aus dieser inneren Gährung die entscheidende Wendung seines inneren Lebens entsprang. Als die eifrigen Vertreter der katholischen Sache wirkten in Wien seit 1551 eine Anzahl Jesuiten: sie hatten ein Collegium, welches sie für den philosophischen und theologischen Unterricht zu einer Concurrenzanstalt der Universität ausbildeten, und an der Universität selber verfügten sie über zwei theologische Lehrstühle. Mit diesen, besonders mit dem als Prediger und gelehrten Polemiker wirksamen Georg Scherer, kam K., sei es aus Streitsucht, sei es aus tieferen Bedürfnissen, zum Austausch der religiösen Meinungen; das Ergebniß war, daß die Jesuiten in dem jungen Mann eine Umwandlung der religiösen Ueberzeugung zu Gunsten des katholischen Glaubens bewirkten. Seit dieser Conversion stand die weitere Entwickelung Khlesl’s unter dem Einfluß und dem mächtigen Schutze der Wiener Jesuiten. Er brach seine über das dritte Jahr hinaus geführten philosophischen Studien an der Universität ab, um sie neuerdings an dem Jesuitencolleg zu beginnen und dann an derselben Anstalt zu den theologischen Studien fortzuschreiten. Als er die letzteren vollendet und die niederen Weihen empfangen hatte, machte er auf Anordnung der Jesuiten seine ersten Versuche als Missionsprediger. Einige Zeit später (1579) erwarb er sich in Ingolstadt den Grad eines Licentiaten der Theologie und ließ sich dann in Wien zum Priester weihen.

Lag es nun an den Erfolgen seiner eifrigen Predigten und den Siegen seiner Disputationen mit protestantischen Geistlichen oder vielmehr, was wol mit Sicherheit angenommen werden darf, an der Fürsprache der Jesuiten, – gewiß ist, daß K. in der Zeit, da er seinen akademischen Grad und die Priesterweihe erwarb, am Hofe des Kaisers Rudolf in Prag, des Erzherzogs Ernst in Wien. des Herzogs Albrecht in München bereits gut empfohlen war. Im J. 1577 erhielt er durch päpstliche Verleihung ein Canonicat in Breslau, zu dem ihn noch der verstorbene Kaiser Maximilian empfohlen hatte, im J. 1579 verlieh ihm Kaiser Rudolf die Dompropstei von St. Stephan in Wien, mit welcher die Würde eines Kanzlers der Universität verbunden war, im J. 1580 ernannte ihn der Bischof von Passau, der ihn bei Gelegenheit seiner Reise nach Ingolstadt am Münchener Hof hatte kennen lernen, zum Offizial und im folgenden Jahr zum Generalvicar für den unterösterreichischen Theil seiner Diöcese. Als solcher übte K. die bischöfliche Jurisdiction über den größten Theil des Landes unter der Enns, später (1588) wurde ihm dort durch kaiserliche Ernennung auch noch die Administration des winzigen Bisthums Neustadt zugewiesen.

[168] Vor allem die Vertretung des Passauer Bischofs war es, welche den noch nicht 30jährigen Geistlichen mitten in die kirchlichen Gegensätze hineinzog. Er fand, wie er selber (wol nicht ohne Uebertreibung) berichtet, unter 900 Pfarrern und Geistlichen, die ihm unterstanden, nur fünf eifrig katholische; die große Masse lebte im Concubinat, vielfach auch in förmlicher Ehe, zu welcher der Offizial oder der Decan wol eine besondere „Licenz“ ertheilte. Die Prälaten und Mönche der reichen, zum größten Theil exemten Klöster und Stifte lebten ähnlich wie der Weltclerus, ohne Unterricht und klösterliche Zucht. In den Städten war die protestantische Gesinnung vorherrschend: Geistliche, welche Messe lasen, waren dort den Insulten des Pöbels ausgesetzt, und manche Magistrate gingen so weit, daß sie die Katholiken von der Verleihung des Bürgerrechts ausschlossen. In den adelichen Herrschaften besaß der Adel kraft der verbrieften Concession von 1571 das Recht des protestantischen Gottesdienstes in seinen Schlössern und Patronatspfarreien, zu welchen letzteren er dann durch eine massenhafte Usurpation Filialkirchen und Lehenspfarreien der Klöster und Stifter, des Passauer Bischofs und seines Capitels, der verpfändeten Herrschaften des Landesfürsten hinzufügte. Gewiß war bei dieser Lage der Dinge die Stellung eines Passauer Generalvicars schwer, doppelt schwierig wurde sie durch ein gespanntes Verhältniß zur Landesregierung. Es war in Oesterreich der Landesregierung und keineswegs der Geistlichkeit oder dem Adel oder dem Bürgerthum zuzuschreiben, daß das Land nicht ebenso protestantisch geworden war, wie Sachsen oder Brandenburg, daß wenigstens das äußere Gerüste der katholischen Hierarchie erhalten war. Eben dieses Eingreifen hatte aber dazu gedient, um die ohnehin sehr umfassende Kirchenhoheit des österreichischen Landesherrn zu steigern: eine Hoheit, welcher am unmittelbarsten Klöster und Stifter, sowie die Pfarreien des landesfürstlichen Patronats unterstanden und die ihren kräftigsten Ausdruck in der Thätigkeit zweier Behörden fand, des Klosterraths und der niederösterreichischen Regierung. Mit Widerwillen sahen die Bischöfe dieser Machtentfaltung zu; Streitigkeiten zwischen ihnen und der Regierung waren seit Ferdinand I. an der Tagesordnung, und noch bevor K. die Stelle des Offizials erhielt, hatte sich der Unwille des Passauer Bischofs vornehmlich gegen den Klosterrath gerichtet: er betrachtete die Mitglieder desselben als halbe Ketzer.

Das waren nun Verhältnisse, die einem Mann, wie K., keine Ruhe lassen konnten. Er war von den Grundsätzen erfüllt, welche die Führer der katholischen Restauration überall bekannten; die Schroffheit derselben, der Geist des unbedingten Herrschens und Unterwerfens stieß in ihm auf innere Verwandtschaft des Wesens; ehrgeizig, hochfahrend und zornig, in seinem Auftreten jeglichen Sinnes für edle Formen baar, war er doch in seiner sittlichen Haltung ohne Tadel und konnte mit Wahrheit sagen, daß ihn der Eifer für das, was er als Recht seiner Kirche ansah, verzehre. Er säumte keinen Augenblick, den Clerus die Schärfe seiner Zuchtgewalt fühlen zu lassen. Gesinnung und Kenntnisse konnten freilich in einer verkommenen Masse nicht künstlich hervorgerufen werden und wenn K. 11 Jahre nach Antritt seines Amtes behauptet, es seien nunmehr seine sämmtlichen Pfarren mit „katholischen Priestern“ besetzt, so ist das eine der Prahlereien, in denen er sich gerne erging; allein, daß die große Mehrzahl der Geistlichen sich äußerlich den Hauptforderungen kirchlicher Zucht und Gläubigkeit fügte, daß sie, denen vielfach die elementaren Kenntnisse und Hülfsmittel für den Gottesdienst abgingen, eine vom Offizial herausgegebene Pastoralinstruction (1582) annahmen und beachteten, daß endlich bei dem Emporkommen geistlicher Bildungsanstalten, besonders des päpstlichen (1574) und des bischöflich-passauischen (1595) Alumnates zu Wien, die Anforderungen an die neuangestellten Geistlichen erhöht wurden, – das ließ sich erreichen und wurde von K. erreicht. Sein [169] reformatorischer Eifer erstreckte sich auch auf die den Klöstern untergebenen Pfarreien. Als die Klosterprälaten sich dagegen durch ihre Exemtionen zu schützen suchten, erwirkte er sich die päpstliche Vollmacht (1583, 1585) zur Visitation nicht nur jener Pfarren, sondern auch der Klöster selber. Zum Theil war es seinem Einflusse zuzuschreiben, wenn jetzt mehrfach kirchlich gesinnte Prälaten die Leitung der Klöster empfingen. In seiner Eigenschaft als Kanzler der Universität griff er endlich auch in diese halb protestantisirte Anstalt ein und erwirkte einen kaiserlichen Erlaß, nach dem fortan in den drei nicht theologischen Facultäten Niemand promovirt und kein auswärts Promovirter aufgenommen werden durfte, der nicht das vom Trienter Concil verlangte Glaubensbekenntniß ablegte.

Geräuschvoller als diese Wirksamkeit und, wie es scheint, der Natur Klesl’s mehr zusagend, war der Kampf, den er zugleich für die Vollgewalt der Hierarchie gegen die weltliche Regierung führte. Sein berufener Gegner war hier nach der Lage der Dinge der Klosterrath. Er stritt mit dieser Behörde über die Befugnisse der geistlichen und weltlichen Regierung gegenüber den Klöstern und landesfürstlichen Patronatsgeistlichen, besonders über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechte bei Besetzung der Prälaturen und Pfarreien, bei der Aufsicht über die Verwaltung der Temporalien und bei der Regelung des Nachlasses verstorbener Prälaten und Geistlichen, bei der Visitation der Klöster und bei dem Strafverfahren gegen die geistlichen Personen. Solche Streitigkeiten, mit einem Manne wie K. geführt, mußten immer einen höchst erbitterten Ton annehmen. Der Passauer Offizial hielt fest an der Lehre der Bulle unam sanctam: unmöglich konnte er da seinem staatlichen Gegner den Boden eines für beide Theile gleichen Rechtes zugestehen; seinem harten Wesen entsprachen die Bannflüche, welche die römische Kirche auf jede Beeinträchtigung ihrer Ansprüche gelegt hat: mit bitterem Ernst wies er also seine Gegner auf die Gefahr des ewigen Verderbens; damals wie später ließ er sich hinreißen zu Schmähungen seiner Widersacher, zu Denunciationen am kaiserlichen Hof. Der Erfolg aber, den er schließlich davon trug, war nicht unbedeutend. Aehnlich, wie in Baiern die erstarkende Hierarchie das Concordat von 1583 errang, so wurde hinsichtlich der landesfürstlichen Patronatsgeistlichen und der nicht exemten, dem Bischof von Passau unterstehenden Klöster zwischen dem Kaiser und dem Passauer Bischof im J. 1592 ein Vergleich vereinbart (mit dem Zusatzvertrag von 1600), der in wesentlichen Punkten ein Zurückweichen der Landesfürsten in sich schloß. Ein wirklicher Friede kam freilich durch diesen Vertrag nicht zu Stande. Die Streitigkeiten dauerten fort, mindestens bis zum Schluß des Jahrhunderts.

Wenn so das Verhältniß Klesl’s zur österreichischen Regierung keineswegs ungetrübt war, so hinderte das doch nicht, daß beide einem dritten Widersacher gegenüber einträchtig zusammengingen. Dieser dritte war der österreichische Protestantismus. Wie K. dem Staat kein Recht zugestand gegen die Kirche, so verwahrte er sich noch bestimmter gegen ein Recht, das dem Ketzer gegen Kirche oder Staat zukommen könne. Er sprach das harte Wort aus, daß die Ketzer kein rechtes Gewissen haben, daß Menschen verschiedenen Glaubens sich nicht recht lieben können. Für die Ausrottung des Protestantismus in Oesterreich zu arbeiten, war eine Aufgabe, die ihm nicht minder am Herzen lag, wie der Kampf für die Freiheit der Kirche. Sein Eifer traf mit den Bestrebungen der österreichischen Regierung zusammen. Rudolf II., der seit 1576 deutscher Kaiser und Beherrscher der Lande der böhmischen und der ungarischen Krone, sowie der beiden österreichischen Herzogthümer ob und unter der Enns war, wollte eine starke Regierung auf dem Grunde kirchlicher Uniformität errichten, und deshalb verband er seine Sache mit der der katholischen Restauration. Wie K. die [170] Dinge auffaßte, lag die Ursache der früheren Verluste der katholische Kirche in Deutschland zum Theil an den Räthen und Beamten aus der „verführten, ketzerischen und halb katholischen Schule“, welche in der Regierung des Reichs und der österreichischen Lande thätig waren. Unter Rudolf II. sah er nun mit Zufriedenheit, wie der geheime Rath und der Reichshofrath, beherrscht von Männern, wie Rumpf und Trautson, die katholischen Interessen schärfer wahrnahmen; und wenn ihm in Niederösterreich das Fortbestehen des „schändlichen“ Klosterraths, sowie die Haltung des Collegiums der Regierung die verhaßten früheren Zeiten zurückrief, so fand er hier einen Ersatz in der Gesinnung der kaiserlichen Statthalter: Erzherzog Ernst, unter der Gewissensleitung desselben Scherer, dem K. seine Conversion verdankte, nahm die Förderung der katholischen Religion als Gewissenssache auf, Erzherzog Matthias, welcher, als Ernst nach den Niederlanden abging (1593), in dessen Stelle eintrat, ging auf den Wegen seines Bruders voran. Endlich, was blieb zu wünschen übrig, da K. sich selber Einfluß auf die kaiserliche Regierung zu erringen wußte! Im J. 1582 erregte er durch die Kraft seiner Predigten die Aufmerksamkeit des Kaisers; drei Jahre später erhielt er den Titel eines kaiserlichen Rathes, und von derselben Zeit ab erscheint er zugleich als eifrigster Dränger und als brauchbarstes Werkzeug des kaiserlichen Hofes bei der Gegenreformation in Unterösterreich. Die Folgen dieser Verbindung Klesl’s und der Regierung zum Kampf gegen die Protestanten treten seit der Mitte der achtziger Jahre hervor. Von jener Zeit ab wurde er mehrfach als kaiserlicher Commissar neben Anderen zur Religionsreformation ausgesandt, und es begannen die ersten energischen Versuche zur Zurückdrängung des Protestantismus. Aber bald kam die Thätigkeit dieser Commissionen doch wieder ins Stocken, weil, wie es hieß, ihre Unterordnung unter die höheren Regierungsbehörden Verwirrung erzeugte. Da fertigte der Kaiser im Februar 1590 den Erlaß aus, durch welchen K. zum Director der Religionsreformation in Niederösterreich ernannt und unmittelbar dem Kaiser und seinem Statthalter unterstellt wurde. Der Auftrag Klesl’s erstreckte sich auf die Städte und Märkte, sowol die landesfürstlichen, wie die der Prälaten; nur die Stadt Wien war ausgenommen, für welche im J. 1588 eine besondere Commission niedergesetzt war, der K. ebenfalls angehörte. Der Inhalt des Auftrags schrieb ein sehr gewaltsames Verfahren zur Unterwerfung aller Stadtbewohner unter die katholische Kirche und die kirchlichen Pflichten vor. Mit solchen Aufträgen versehen, führte nun K. eine harte Arbeit durch, die das Ergebniß hatte, daß die landesfürstlichen Städte insofern wieder ein katholisches Aussehen gewannen, als die Magistrate mit katholischen Mitgliedern besetzt wurden, bei Aufnahme neuer Bürger das katholische Bekenntniß gefordert, und der Besuch des protestantischen Gottesdienstes in und außer der Stadt verboten wurde.

Nicht zufrieden jedoch mit solchen Erfolgen seiner unmittelbaren Thätigkeit gegen die Städte, suchte K. zu gleicher Zeit, mittelbar – durch gerichtliche Decrete, die er auswirkte, und durch Gutachten, mit denen er den Hof des Kaisers und Statthalters bestürmte – den protestantischen Adel aus dem weit gezogenen Kreis seiner kirchlichen Befugnisse zurückzudrängen. Und auch hier gewann er die Hülfe der kaiserlichen Regierung. Es war entscheidend für den gesammten Gang und den Charakter der österreichischen Gegenreformation, daß, wie K. seiner ganzen Auffassung nach die dem Adel gewährte Concession als eine Gewaltthat gegen die Kirche verdammte, so auch die kaiserliche Regierung seit 1585 dieselbe grundsätzlich zu verwerfen begann. Allerdings, sie offen zu cassiren, wagte sie noch nicht; sie suchte fürs erste durch ehrliche und unehrliche Erklärungen die Tragweite derselben nach Kräften zu beschränken. Aber K. hielt sein letztes Ziel im Auge. Als die protestantischen Herren und Ritter sich immer [171] fester zum Widerstand gegen die Regierung zusammenschlossen, als sich in einer großen Vereinigung der protestantische Adel von Ober- und Niederösterreich verband und den Widerstand gegen die Reformationserlasse der kaiserlichen Regierung als Gewissenssache hinstellte, gewann der unerbittliche Priester den Erzherzog Matthias für den Plan der förmlichen Aufhebung der Concession und wirkte mit ihm in diesem Sinne auf den schwankenden Kaiser. Allein in demselben Jahre, als die Dinge auf diesen letzten Punkt getrieben werden sollten, erhob sich in Siebenbürgen der Aufruhr Bocskay’s, der bald ganz Ungarn in seine Wirbel zog. Es kam damit eine Zeit, in der die Gegenreformation in Oesterreich vertagt werden mußte, und Klesl’s Thätigkeit mehr und mehr auf das politische Gebiet abgelenkt wurde. Es ist Zeit, daß wir uns nach den Anfängen dieser seiner Wirksamkeit umsehen.

Im J. 1600 legte K. die Stelle eines Passauer Offizials nieder und trat dafür zu Anfang des J. 1602 die Verwaltung des Bisthums Wien an, welches ihm der Kaiser schon 1598 übertragen hatte. Durch diesen Wechsel wurde sein eigentlich kirchlicher Wirkungskreis sehr verengt. Denn Wien war, ähnlich wie das Bisthum Neustadt, dessen Verwaltung K. übrigens nach wie vor behielt, eine unbedeutende Diöcese, bestehend aus der Stadt und einigen umliegenden Pfarreien. Es scheint denn auch, daß K. seinem neuen Amte sich nur mit halbem Herzen widmete; denn den Empfang der bischöflichen Weihe verschob er bis zum J. 1614. Den wirklichen Mittelpunkt seiner Thätigkeit verlegte er eben damals in das politische Gebiet. Schon in früheren Jahren hatte der Kaiser ihn gelegentlich zu diplomatischen Geschäften, die eine kirchliche Seite hatten, gebraucht, so vor allem in den Verhandlungen über die Wahl eines Coadjutors des Bischofs von Passau (1594–98); jetzt aber – und darin bestand das Verhängnißvolle der neuen Wendung – suchte K. nicht am Hofe des Kaisers, sondern des Erzherzogs Matthias seine politische Stellung. In einem Schreiben, welches er im August 1611 an Matthias richtet, spricht er von seinen nunmehr dreizehnjährigen Diensten bei demselben. Darnach würde der Eintritt in ein näheres Verhältniß zu Matthias in das J. 1598 oder 1599 fallen. Nach den sonst bekannt gewordenen Akten wird man den Anfang einer umfassenderen politischen Thätigkeit in die Zeit von 1599 verlegen. Eine feste Bestallung erhielt er nicht, sein Verhältniß zu Matthias war einfach begründet auf dem Zutrauen des Erzherzogs zu seiner Tüchtigkeit und seiner aufrichtigen Hingabe an die Interessen des Hauses Oesterreich, vor allem des Matthias selber. Und wenn K. bald einen herrschenden Einfluß über seinen Herrn gewann, so verdankte er denselben jedenfalls nicht den Künsten der Schmeichelei; denn wohl verstand er sich darauf, seine Nebenbuhler zu verdrängen: er galt für ehrgeizig, schlau und keineswegs aufrichtig in der Leitung der persönlichen wie der allgemeinen Angelegenheiten; aber sein Freimuth, die sehr unhöfische Heftigkeit, mit welcher er seine Meinung verfocht, bewährte sich auch den Mächtigen gegenüber. Matthias war eben ein Fürst, der bei aller Begierde nach der angestammten Macht seines Hauses zugleich träge, ängstlich und weich war, der echte Sprosse einer verkümmernden Dynastie. Vor der Verbindung von Schroffheit mit großer Einsicht, von Geschäftsgewandtheit und Arbeitskraft mit kühner Sicherheit, welche ihm in der Person Klesl’s entgegentrat, unterwarf er sich mit einem halb willenlosen Vertrauen.

Der Eintritt Klesl’s in die Dienste des Erzherzogs Matthias fällt mit der Zeit zusammen, in welcher diejenigen, denen der Bestand und die Macht des Hauses Oesterreich am Herzen lag, immer deutlicher ihren nächsten Gegner in der Person des Hauptes dieses Hauses, des Kaisers Rudolf, erkennen mußten. So wurde denn auch der Rath und die Feder Klesl’s vornehmlich für die Bestrebungen [172] in Anspruch genommen, den Erzherzog Matthias dem Kaiser als Nachfolger und Mitregent aufzudrängen, wozu sich seit dem Aufstande Bocskay’s die weitere Absicht gesellte, die Regierung von Ungarn und Oesterreich möglichst selbständig dem Matthias zuzuwenden. Zum ersten Male wurde K. hierdurch in die Zwistigkeiten des österreichischen Hauses gezogen: der Kaiser verlangte seit Ende 1605 wiederholt von Matthias, daß er denselben aus seinem Rath entferne, und brachte es dadurch aller Welt zur Kenntniß, daß der Wiener Bischof an der beginnenden Erhebung des Matthias gegen seinen kaiserlichen Bruder einen wichtigen Antheil habe. K. selber wurde hierdurch mit schweren Sorgen für seine Person erfüllt; aber nicht minder quälte ihn die weitere Sorge vor einer Kräftigung und Erhebung des österreichischen Protestantismus, die ja bei der Spaltung des Herrscherhauses kaum vermeidlich schien. Dieser letzteren Gefahr suchte er zu steuern, indem er, wie am Hofe des Erzherzogs, so auch in dem Ständehause zu Wien seine Stellung nahm. Als ernannter Bischof von Wien war er der erste der unterösterreichischen Prälaten. Wie nun die protestantischen Stände sich fester zusammenschlossen, so stifteten die katholischen Herren und Ritter von Unterösterreich im J. 1604 eine Vereinigung, welche bald auch die Prälaten und die katholischen Stadtmagistrate umfaßte und durch Zuziehung der katholischen Stände von Oberösterreich erweitert wurde. Es ist nicht zu erweisen, daß K. der Urheber dieses Bündnisses war, gewiß ist aber, daß er in demselben durch die Schärfe und Gewandtheit, mit der er die Sache der Gegenreformation vertrat, hervorragte.

In dieser doppelten Verbindung, mit dem Erzherzog Matthias und mit der katholischen Ständepartei, trat nun K. in die stürmischen Zeiten ein, in denen die Bosheit und Unfähigkeit Rudolfs II. den Erzherzog zum offenen Kampf gegen den kaiserlichen Bruder nöthigten: er sah, wie unter diesen Kämpfen die Autonomie der einzelnen Lande erweitert, und die Freiheiten der protestantischen Stände neu gekräftigt wurden, er sah, wie sein Herr am Ende wol die volle Erbschaft der Kronen Rudolfs II. erlangte, aber nur um den Preis eines unermeßlichen Verlustes an fürstlichem Ansehen, und unter schweren Niederlagen der von Rudolf wie von Matthias vertretenen katholischen und monarchischen Politik. Ganz eigenartig war unter diesen Erschütterungen die Haltung Klesl’s sowol da, wo er handelte, als da, wo er demonstrativ nicht handelte.

Als Matthias im Namen des Kaisers die Empörung Bocskay’s und der Ungarn durch die Wiener Friedensverhandlungen zu stillen suchte und dabei die unvermeidlichen Zugeständnisse für die protestantische Religionsübung gewähren mußte, sprach sich K. mit unbeugsamer Härte gegen die Erlaubtheit solcher Zugeständnisse aus und verwies den durch die Gefahr eines allgemeinen Ruins erschütterten Erzherzog auf das ermuthigende Beispiel der Märtyrer. Sobald jedoch der Friede geschlossen war (Juni 1606), sah er ihn nicht mehr als unerlaubt und unkräftig an; er trat jetzt mit gleicher Entschiedenheit für die Erhaltung desselben ein. Diese Erhaltung wollte der Kaiser unmöglich machen; es stellte sich heraus, daß man Gewalt gegen Rudolf II. brauchen mußte, wenn ein neuer Krieg verhütet werden sollte. Aber als nun Matthias sich mit den Ständen von Ungarn, Oesterreich und Mähren verband, um die Gewalt gegen Kaiser Rudolf ins Werk zu setzen, da hütete der Wiener Bischof sich wohl, an ihrem kriegerischen Vorgehen Theil zu nehmen: er bejammerte den Zwiespalt des österreichischen Hauses, wagte sich persönlich an den Hof des Kaisers und imponirte diesem durch die muthige Entschiedenheit, mit welcher er die Haltung des Wiener Friedens, die selbständige Regierung des Matthias in Ungarn und Oesterreich, die Sicherung der Nachfolge desselben in allen Reichen des Kaisers, als den einzigen Weg zum Frieden empfahl. Da sein Rath nicht befolgt wurde, [173] zog er sich in seine Diöcese zurück und wartete die Entscheidung der Waffen ab. Erst nachdem die Entscheidung zu Gunsten des Erzherzogs gefallen war, dem der Kaiser die Hälfte seiner Erblande abtreten und in der anderen Hälfte die Nachfolge sichern mußte, trat K. wieder hervor. Er begrüßte den Ausgang des Kampfes als den für das österreichische Haus und die katholische Religion vortheilhaftesten; bei Matthias fand er sich wieder im Rathe ein, um von nun an im wahren Sinne die Leitung der Geschäfte zu übernehmen. Sein vornehmster Gedanke war, den protestantischen Ständen, besonders denen von Oesterreich, welche jetzt den richtigen Augenblick ersahen, um sowol die ständischen als die protestantisch-kirchlichen Freiheiten auf neuen Grundlagen herzustellen, die fürstliche Gewalt mit aller Kraft entgegenzusetzen. Zu dem Zweck sollte der Haß, den Rudolf dem Matthias nachtrug, durch eine aufrichtige Versöhnung getilgt werden, es sollte die Hülfe des Hauses Baiern durch eine Heirath zwischen Matthias und Magdalena, der Schwester des baierischen Herzogs Maximilian, gesichert werden. Aber diese Berechnungen schlugen fehl. Da der Kaiser die Annäherungsversuche mit Intriguen beantwortete, die auf den Sturz des Matthias abzielten, da Baiern es gegen seine Interessen fand, in dem Zwiespalt zwischen den beiden Brüdern sich mit einem von ihnen fest zu verbinden, so sahen die Räthe des Königs Matthias am Ende kein anderes Mittel, als Befriedigung der österreichischen protestantischen Stände. Wie die Dinge auf diesen Punkt kamen, zog sich K. abermals zurück. Gegen seinen scharfen Widerspruch wurde die Resolution des Königs vom 19. März 1609, in der die Forderungen der protestantischen Stände zum Theil gewährt wurden, ertheilt; er protestirte sogar gegen dieselbe, soweit sie seine bischöfliche Jurisdiction beeinträchtige, und schloß sich im folgenden Jahr einer neuen, auch zum gewaltsamen Einschreiten bestimmten Verbindung katholischer Prälaten und Adelicher von Unterösterreich an.

Nicht lange jedoch entbehrte Matthias seinen Rath und seine gewandte Feder. Wenige Wochen nach der Resolution hatten beide sich verständigt und zwar – auf Grund der gemeinsamen Absicht, die Untergrabung der eben gemachten Zugeständnisse zu bewirken. Kein Wunder war es, wenn unter solchen Verhältnissen der Vergleich zwischen Matthias und den Ständen in seiner Ausführung sofort eine Quelle neuen Haders wurde, und wenn die Protestanten in der Entfernung Klesl’s aus dem Rath des Königs, aus den Versammlungen der Stände, ja aus dem Lande selber das einzig wirksame Mittel ihrer Befriedigung erkannten. Was aber K. eigentlich wollte, eine Kräftigung der landesfürstlichen Macht, vor der die ständische Gewalt, sowol in Oesterreich, wie in den anderen Landen des Matthias, sich beugen, und der Protestantismus zergehen sollte, wurde auch jetzt nicht erreicht. Er brauchte für diesen kühnen Entwurf den einmüthigen Zusammenschluß aller Fürsten des Hauses Oesterreich und die Verbindung der so vereinigten Macht mit der im Entstehen begriffenen katholischen Liga. Was jedoch dies letztere Bündniß anging, so hielt der Mann, der hier die leitende Stellung einnahm, der Herzog Maximilian von Baiern, an dem Grundsatze fest, erst müßten der Kaiser und Matthias geeint sein, ehe von näheren Beziehungen zu ihnen die Rede sein könne. Der Kaiser vollends brachte es mit seinen Umtrieben dahin, daß Matthias im J. 1610 zum zweiten Mal genöthigt war, sich mit seinen Ständen zu verbinden, um die Lande, die er erworben und zu erwarten hatte und dazu noch die Aussicht auf die Nachfolge im Kaiserthume im offenen Kriege gegen Rudolf II. zu vertheidigen. In diesem neuen Conflicte der beiden Brüder mußte K. seine ersten Wünsche vertagen und darauf sehen, daß nur die österreichische Monarchie zusammengehalten werde. Hatte er in dem ersten Zusammenstoß sich nicht gegen den Kaiser einlassen [174] wollen, so erkannte er jetzt, daß dem schändlichen Regimente Rudolfs ein Ende gemacht werden müsse: er leitete die Verhandlungen, in denen während des Prager Conventes der König Matthias jede wesentliche Aenderung seines früheren Vertrags mit dem Kaiser verweigerte, er rieth zur Bewaffnung seines Königs gegenüber den Rüstungen des Kaisers im Bisthum Passau, und er führte die Geschäfte, als nach dem Einfall der Passauer Truppen in Böhmen die Abdankung Rudolfs II., der völlige Uebergang seiner Lande an Matthias erzwungen wurde (August 1611).

Schon während dieser Katastrophen und vollends nach dem Tode Rudolfs II. (Januar 1612), mußte der rastlose Staatsmann seine Thätigkeit auf ein anderes für ihn neues Gebiet werfen: er hatte die Verhandlungen über die Wahl des Matthias zum Deutschen Kaiser zu leiten. Nun war das Deutsche Reich damals nicht blos verwirrt, man muß vielmehr sagen, sein Organismus war durch den Streit der katholischen und der protestantisch-pfälzischen Partei aufgelöst; es war schwierig, die feindlichen Reichsstände überhaupt zu einer verfassungsmäßigen Handlung, wie der einmüthigen Wahl eines Kaisers, zu vereinigen, und fast verzweifelt schien die Aufgabe, die des neuen Reichshauptes harrte, das zerrissene Gemeinwesen wieder zusammenzufügen. Indem K. berufen wurde, in diese Verhältnisse einzugreifen, kam er in das eigentlich kritische Stadium seiner Laufbahn. In den österreichischen Landen war seine Politik bisher durch den Gegensatz gegen die protestantischen Stände bestimmt gewesen; unleugbar hatte dort sein Verfahren, das doch in letzter Instanz darauf ausging, die durch das Wort des Landesherrn gewährten Rechte zu vernichten, etwas perfides an sich: allein darin war er sich gleich geblieben, daß er für seine Person die den Protestanten gemachten Zugeständnisse stets verworfen und sich nie an der Gewährung derselben betheiligt hatte. Im Deutschen Reich gestaltete sich sein Verfahren anders. Vor der Wahl des Matthias benutzte er das doppelte Antlitz der bisherigen Politik seines Herrn – auf der einen Seite eben jene Zugeständnisse an die Protestanten, auf der anderen den unversöhnlichen Kampf gegen dieselben –, um ihn den protestantischen, wie den katholischen Kurfürsten, jedem von der Seite, die ihm gefiel, zu empfehlen. Nach der Wahl (Juni 1612), als Matthias seinen ersten und letzten Reichstag zu Regensburg hielt (1613), eignete er sich einen Plan an, der aus der feindlichen Stellung der katholischen und protestantischen Partei, aus der Ohnmacht des Reiches, der immer näher kommenden Gefahr eines großen Krieges entsprungen und schon seit einigen Jahren im Reich besprochen war: es sollte unter Verzicht auf den Buchstaben des Religionsfriedens, durch einen umfassenden Ausgleich zwischen beiden Parteien eine neue Grundlage des Rechtes und der friedlichen Entwickelung geschaffen, und damit die confessionellen Bündnisse der Union und Liga überflüssig gemacht werden. Die Leitung dieses Werkes der Versöhnung, so dachte K. weiter, sollte der Kaiser übernehmen; als den Lohn und die Frucht desselben erwartete er, daß diejenigen protestantischen wie katholischen Reichsstände, die es mit der Einheit und Verfassung des Reiches ehrlich meinten, sich wieder vertrauensvoll um den Kaiser schaaren würden, daß aus ihren Bewilligungen ein Heer aufgestellt werden könnte, mit dem der Kaiser in dem damals günstigen Augenblick den großen Krieg gegen die Türken wieder eröffnen, Siebenbürgen dem ungarischen Reiche einfügen, Ungarns Grenzen vorschieben und eine Machtstellung in seinen Erblanden und dem Reiche gewinnen mochte, von der eine neue Ordnung der Dinge anheben konnte.

Die persönliche Stellung des Wiener Bischofs, als er so in die Angelegenheiten des Reiches eingriff, war eine höchst bedeutende. In der Zeit nach dem März des J. 1611, wo der König Matthias in Prag erschien, um im Laufe [175] der nächsten 15 Monate die Regierung sowol der österreichischen Lande, wie Rudolf sie ursprünglich beherrscht hatte, als auch des Deutschen Reiches an sich zu ziehen, war es K., welcher die Einrichtung der Behörden im Mittelpunkt der neuen Regierung besorgte. Für sich selber wählte er einen festen Platz in demjenigen berathenden Collegium, welchem die Leitung der österreichischen, wie der deutschen Regierung unter dem Kaiser zustand, in dem geheimen Rath. Hier waltete er als der Vertreter des Kaisers: er trug dessen Befehle vor, stattete ihm wieder Bericht ab über die Gutachten der Räthe und erließ dann in des Kaisers Namen Weisungen an die hohen Behörden. Er, der bis dahin keine feste Bestallung gehabt, nahm nunmehr den Titel eines Directors des geheimen Raths an. Der feste Grund seiner Macht war dabei immer das persönliche Verhältniß zum Kaiser; wie dieses sich inzwischen ausgebildet hatte, erschien er nicht eigentlich als Günstling, sondern als der Führer seines Monarchen, der mit moralischer Ueberlegenheit zum Rath auch die Zurechtweisung hinzufügte, immer in dem heftigen und derben Ton, der ihm eigen war.

Aber wenn er so alle Macht gewonnen hatte, die das unerschütterliche Vertrauen des unfähigen Herrschers gewähren konnte, so war er zur Durchführung seiner groß gedachten Politik doch zu schwach. Ein Ausgleich zwischen den katholischen und protestantischen Reichsständen, wie er ihn erstrebte, war nur denkbar, wenn man die seit dem Religionsfrieden eingetretene Aenderung der Machtverhältnisse der confessionellen Parteien wenigsten theilweise anerkannte, und diese Anerkennung mußte in der Hauptsache zum Vortheil der Protestanten ausfallen. Sollte nun K. seine ganze Vergangenheit so weit verleugnen, daß er nicht nur für den Vergleich im allgemeinen, sondern für bestimmt formulirte und umfassende Zugeständnisse an die Protestanten eintrat? Gleich vor dieser Schwierigkeit stockte er. Ebensowenig wagte er auf eine andere Forderung der protestantisch-pfälzischen Partei einzugehen, daß nämlich der Vergleich ein reiner Vergleich sein müsse, bei dem der freie Wille der zu einigenden Stände alles und die kaiserliche Autorität nichts gelte. Während K. aber zagte, schlossen sich die katholischen Stände zu starrem Widerstande gegen seine Vergleichsversuche zusammen, am kaiserlichen Hof selber trat ihm eine scharf katholische Partei unter Führung des Reichsvicekanzlers entgegen, und das Ende war, daß der Reichstag ohne Frucht auseinanderging. So erlitt die Reichspolitik Klesl’s gleich zu Anfang eine unwiederbringliche Niederlage. Das schlimmste für ihn war, daß die Folgen des Mißlingens sich sofort in den österreichischen Landen geltend machten. Wie sich das Verhältniß des Matthias zu seinen Landen unter der Einwirkung des Bruderzwistes gestellt hatte – die protestantischen Stände mit erweiterten kirchlichen Freiheiten ausgestattet, durch ein doppeltes System von Bündnissen (Böhmen-Schlesien und Oesterreich-Ungarn-Mähren) geschlossen, dem regierenden Hause gegenüber von solchem Mißtrauen und Eigenwillen erfüllt, daß die Gedanken eines Wechsels der Dynastie wie von selber aufstiegen –, so sah K. die Dinge als unhaltbar an und konnte sie wol auch nicht anders ansehen. Aber er, der im Reich die Protestanten durch die Einladung zur Versöhnung zu gewinnen suchte, erwartete in den Erblanden alles Heil von der Erneuerung der monarchischen und katholischen Reaction. Um diese anzubahnen, mußte der Kaiser ein Heer unter seinem Befehl haben. Da jedoch Rudolf II. eine Schuldenmasse hinterlassen hatte, durch welche allein schon die regelmäßigen Einkünfte des Landes in Anspruch genommen wurden, so waren die Mittel der gewöhnlichen Regierung und vollends diejenigen für die Aufstellung eines Heeres nur aus außerordentlichen Beisteuern des Reiches, der Landstände und befreundeter Mächte zu erschwingen. Wenn daher der deutsche Reichstag so dringend um eine Türkensteuer angegangen wurde, so geschah das mit dem Hintergedanken, [176] dem Kaiser zugleich die Möglichkeit zu einem festen Auftreten in seinen Erblanden zu verschaffen.

Nun war dieser Versuch mißlungen, und gleichzeitig der Plan eines ruhmreichen Türkenkrieges durchkreuzt. Daß fortan von den Ständen der Erblande, auch als man die Ausschüsse derselben in einer einzigen Versammlung vereinigte und so die Einheit der österreichischen Monarchie zum Ausdruck brachte (1614), die Geldmittel für größere Unternehmungen nicht zu erlangen waren, darüber gab sich K. wol keiner Täuschung mehr hin, wie denn auch die Subsidien der befreundeten Mächte, vor allem des Papstes und Spaniens, nur für gewöhnliche Bedürfnisse ausreichten. – Unter diesen Verhältnissen wandte sich K. zu der Politik des Lavirens. Er vereinbarte mit den Türken einen Vertrag, in dem der Friede von 1606 erneuert, und die Pläne auf Siebenbürgen vertagt wurden. Dem Reich gegenüber fuhr er fort, den Plan der Verständigung der Parteien, der „Composition“, wie man sagte, zu vertreten, ohne doch über langathmige Reden und unaufrichtige Versicherungen zu den wirklichen Anfängen einer Vergleichshandlung zu kommen. In den Erblanden verleugnete er die Grundsätze der Reaction keineswegs; aber er mahnte zur Vorsicht. Besonders in Oesterreich, wo er den unmittelbarsten Einfluß besaß, trat die Regierung leiser auf als früher und wußte, wo es galt, die Resolution von 1609 in ihren Hauptpunkten wirkungslos zu machen, die katholischen Stände vorzuschieben. In Böhmen, wo man rücksichtsloser gegen Geist und Buchstaben des Majestätsbriefs vorging, scheint K. den leitenden Einfluß auf die Landesregierung nicht ausgeübt zu haben.

Während er aber so in eine vermittelnde Stellung sich zurückzog, schloß sich eine andere Partei zusammen, welche die kaiserliche Regierung zum thätigen Eingreifen in die großen kirchlich-politischen Gegensätze fortzureißen suchte. An der Spitze dieser Partei ragten des Kaisers Bruder, Erzherzog Maximilian, und des Kaisers Vetter, Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich, hervor. Ihr erster Grundsatz war, daß die Nachfolge des Matthias, sowol im Reich, wie in den österreichischen Landen, für Erzherzog Ferdinand gesichert werden müsse. Gegen die Feststellung der Nachfolge hatte nun auch K. nichts einzuwenden, aber er unterschied sich von den Anderen durch die Umständlichkeit, mit der er überall Schwierigkeiten sah und erst gehoben wissen wollte. Des Kaisers Argwohn und Eifersucht, sagte er, müsse geschont werden, zwischen den Mitgliedern des Hauses Oesterreich müsse über den Uebergang des Erbrechtes auf Ferdinand eine klare Auseinandersetzung getroffen werden, im Reich endlich werde der Versuch, die Kurfürsten zu einer Wahl zu einigen, ebenso vergeblich ausgehen, wie der letzte Reichstag, wenn nicht erst ein gedeihlicher Anfang mit der Composition gemacht sei. Erzherzog Maximilian und seine Anhänger verlangten dagegen ein rascheres Vorgehen; besonders im Reich wollten sie den Widerspruch der pfälzischen Partei unter dem Schrecken von kriegerischen Rüstungen, zu denen sie die spanisch-niederländische Regierung, katholische Fürsten und das Haus Oesterreich zu vereinigen hofften, verstummen machen. Die Bedenken, welche K. ihnen in den Weg legte und mit denen er den Fortgang der Verhandlungen hemmte, schrieben sie dem Eigennutz des Mannes zu, der seine Ministerallmacht an keinen designirten Nachfolger abtreten wolle. Ob diese Beschuldigung gegründet war, läßt sich aus den bekannt gewordenen Akten nicht entscheiden. Klar ist nur, daß K. dem kaiserlichen Hof in der Angelegenheit der Nachfolge eine zurückhaltende Stellung anwies: er ließ die Verhandlungen an sich herankommen, ohne sie durch eigene Initiative voranzutreiben.

Nun hatte K. schon in früheren Verwickelungen den Zorn Maximilians erregt, zuerst im J. 1598 bei einer seiner hierarchischen Streitigkeiten mit der [177] Regierung; unter diesen neuen Conflicten verbitterte sich sein Verhältniß zum Erzherzog der Art, daß derselbe im J. 1616 mit dem Gedanken umging, den verhaßten Minister durch Eisen oder Gift aus dem Wege räumen zu lassen, vorausgesetzt, daß die Theologen die Gewissensfrage entsprechend beantworteten. K., dessen scharfe Zunge dem Gegner nichts schuldig blieb, auch wenn derselbe ein Erzherzog war, fand seinen Rückhalt in dem unerschütterlichen Vertrauen des Kaisers und in der Erhöhung seiner kirchlichen Würden. Im J. 1614 nahm er die Bischofsweihe; im J. 1615 erfolgte auf kaiserliche Verwendung seine geheime Ernennung zum Cardinal und im folgenden Jahr, als Maximilian dem Kaiser eine Denunciationsschrift gegen K. zustellte, ließ derselbe als Antwort darauf jene Ernennung publiciren. Indeß die Stellung Klesl’s wurde im Fortgang der Nachfolgeverhandlungen doch immer bedenklicher. Als die Stände von Böhmen (Juni 1617) und Ungarn (Mai 1618) den Erzherzog Ferdinand als designirten König angenommen hatten, trat ihm der Thronfolger mit dem berechtigten Anspruch auf Einfluß am Hofe entgegen. Leicht war es demselben, aus den kaiserlichen Räthen eine feindliche Schaar gegen K. zu sammeln. Denn der allmächtige Minister hatte keine Spur von der Feinheit besessen, die nöthig gewesen wäre, um seine Herrschaft, wie über die Geschäfte, so auch über die Personen am kaiserlichen Hof zu verdecken. Es waren wenige, die er nicht beleidigt hatte durch schulmeisterliche Verweise und durch Denunciation beim Kaiser, bei allen hatte er sich in schlechtes Licht gestellt durch Unwahrhaftigkeit und Intrigue. Allgemein erhob man auch den Vorwurf der Habsucht und Bestechlichkeit gegen ihn –, freilich in dieser Hinsicht mit mehr Leidenschaft als Wahrheit. K. hatte sich sowol in seinen kirchlichen Aemtern, als in seinen persönlichen Verhältnissen als ausgezeichneten Wirthschafter bewährt: von Haus aus nicht unvermögend, wußte er mitten unter den kläglichen Wirren der österreichischen Finanzverwaltung sich aus kirchlichen und staatlichen Quellen bedeutende Einnahmen zu eröffnen und sein Vermögen während seines langen Lebens auf ungefähr eine halbe Million Gulden zu bringen. Bei seinem Gelderwerb hatte er die Zudringlichkeit und Tactlosigkeit gezeigt, die nun einmal von seinem Wesen unzertrennlich waren, aber als schmutzige Habsucht und Bestechlichkeit konnte man sein Verhalten nach dem Maßstab der am kaiserlichen Hof einheimischen Sitten nicht bezeichnen. Seine Gegner indeß ließen sich von dem Losungswort nicht abbringen: er habe die kaiserliche Autorität mißbraucht zur eigenen Bereicherung, seine ganze Politik ziele auf das Verderben des Hauses Oesterreich und der katholischen Religion. Die betriebsamsten unter diesen Widersachern waren der Kammerpräsident Siegfried Brenner, der Kriegsrathspräsident Hans v. Molart und der spanische Gesandte Oñate.

Die Zeit für diese Männer kam mit dem böhmischen Aufstand (Mai 1618), als die Frage an den kaiserlichen Hof herantrat, ob man die Verantwortung für die bisherige Reactionspolitik in Böhmen voll und ganz übernehmen oder auf mildere Bahnen einlenken solle. K. erkannte, daß ein scharfes Einschreiten gegen die Empörung einen großen Krieg zur Folge haben werde. Und da ihm das Haus Oesterreich zu einem solchen nun einmal zu schwach erschien, so rieth er auch jetzt zum Versuche der Verständigung; er deutete an, daß die Klagen über Verletzung des Majestätsbriefs nicht unbegründet sein möchten. Aber wie nun an der Entscheidung die ganze Zukunft hing, faßten Maximilian und Ferdinand, als Vertreter der Politik der Gewalt, den Beschluß, die Geschicke des Hauses Oesterreich gegen den Willen des Kaisers in ihre Hand zu nehmen, indem sie K. durch einen Gewaltstreich entfernten. Am 20. Juni 1618 ließen sie ihn in der kaiserlichen Burg ergreifen und nach Tirol, unter Maximilians unmittelbare Gewalt, führen. Am Hof fand ihre That bei den Meisten Beifall, [178] bei sehr wenigen Widerspruch. Der alte Kaiser war so heruntergekommen, daß er vor dem festen Willen der Erzherzoge nach einigem Widerstand den Mann preisgab, dem er 10 Jahre lang seine Regierung mit unbedingtem Vertrauen anbefohlen hatte.

Mit der großartigen Wirksamkeit Klesl’s war es nach diesem Schlag zu Ende. Die Untersuchung der gegen ihn erhobenen Anklagen, welche im Jahre 1619 von einer Commission des kaiserlichen geheimen Rathes formulirt wurden, zog der Papst an sich. Nachdem dann unter Paul V. eine Cardinalscongregation ihm ewige Haft zuerkannt hatte, erwirkte Gregor XV. seine Ueberführung nach Rom (November 1622), wo er nach einem halben Jahre seine Freiheit zurückerhielt. Sein Benehmen in dieser Zeit des Unglücks war ein würdiges: bei Verzichtleistung auf seine Vertheidigung, bei vollster Unterwürfigkeit unter den Papst und das Haus Oesterreich, that und sagte er doch nichts, was ihn eigentlich erniedrigt hätte. Er stellte kein Schuldbekenntniß aus und hielt zäh an seinen Rechten, sowol auf das bischöfliche Amt, das der kaiserliche Hof gern einem Anderen zugewandt hätte, als auf sein Vermögen, das man ihm eingezogen hatte. Im Verlauf der Jahre wurde aber auch in Deutschland, in dem Maße, wie dort die Macht des Hauses Oesterreich und der Liga emporstieg, das Urtheil über die Politik Klesl’s, welche mit so schwierigen Verhältnissen hatte rechnen müssen, ein milderes. Der Kaiser und der Kurfürst von Baiern sahen es gern, daß er sich ihnen bei der Curie nützlich machte; schon im J. 1624 stellte ihm Ferdinand II. die Rückkehr nach Oesterreich frei. Im J. 1627, nachdem ihm der Kaiser vorher noch die Restitution seines gewaltsam entzogenen Vermögens hatte zusagen müssen, kehrte er als 75jähriger Mann nach der Heimath zurück. Drei Jahre lang widmete er sich hier noch der Verwaltung seiner Bisthümer Neustadt und Wien. Am 18. Sept. 1630 ist er gestorben.

Hammer-Purgstall, Khlesl’s Leben, Wien 1847 ff. – Kerschbaumer, Cardinal Klesel, Wien 1865. – Fragment einer Selbstbiographie Klesl’s in der Oesterreichischen theologischen Vierteljahrsschrift, 1873. – Einzelnes über Klesl bei Stieve, Die Politik Baierns 1591–1607, München 1878. – Ritter, Politik und Geschichte der Union 1610–13. Abhandlungen der baierischen Akademie, III. Classe, XV. 2. Gindely, Geschichte des 30jährigen Krieges, Bd. I, Prag 1869. – Wiedemann, Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns, Prag 1879.