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ADB:Löhe, Wilhelm

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Artikel „Löhe, Johann Konrad Wilhelm“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 116–119, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:L%C3%B6he,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 12:22 Uhr UTC)
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Band 19 (1884), S. 116–119 (Quelle).
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Löhe: Johann Konrad Wilhelm L., einflußreicher und vortrefflicher lutherischer Geistlicher des 19. Jahrhunderts, wurde am 21. Februar 1808 zu Fürth geboren und starb am 2. Januar 1872 zu Neuendettelsau im 64. Lebensjahre. Sein Vater war ein angesehener Kaufmann und Mitglied des Rathes, der den Sohn in ächter Frömmigkeit erzog. Auf den Knaben machte der ehrwürdige Stadtpfarrer Fronmüller einen bleibenden Eindruck, obschon die Flachheit des Confirmationsunterrichtes ihm wenig bot. Unter seinen Lehrern ward ihm der Subrector Küchle besonders werth; dieser veranlaßte auch nach dem Tode des Vaters die Mutter, ihn studiren zu lassen. So kam er denn im Sommer 1821 auf das Nürnberger Gymnasium; im Herbste desselben Jahres trat hier Karl Ludwig Roth (geb. 1790, † 1868) sein Rectorat an; dieser gewann bald durch seinen Ernst und seine ganze erziehliche Wirksamkeit den größten Einfluß auf L., der es hernach oft und gern aussprach, wie viel er in jeder Hinsicht, auch für seine Stellung zu Religion und Christenthum, diesem einzigartigen Lehrer dankte. Im Herbst 1826 bezog L. die Universität Erlangen, um Theologie zu studiren. Hier war es der reformirte Pfarrer und Professor Joh. Christian Gottlob Leberecht Krafft († 1845, vgl. Bd. XVII S. 16 ff.), der wie so vieler anderer auch Löhe’s geistlicher Vater ward; neben diesem zog Karl v. Raumer ihn besonders an. Durch den belebenden und erweckenden Einfluß des reformirten Theologen wurde das in L. von seiner Heimath und seiner Erziehung her schlummernde Lutherthum lebendig; aber er studirte nun auch eifrig die alte lutherische Dogmatik (Hollaz). Ostern 1828 ging er nach Berlin; weder Neander noch Schleiermacher gewannen einen bedeutenden Einfluß auf ihn, obschon er die Predigten des letzteren gern hörte; wichtiger war ihm das homiletische Seminar von Strauß. Nachdem er im J. 1830 sein theologisches Examen bestanden, hatte er nach der Sitte seiner Landeskirche sich zunächst als Vicar hierhin und dorthin zur Aushülfe rufen oder senden zu lassen. Im Sommer 1831 stand er als Vicar in Fürth; im October 1831 ward er sodann Privatvicar in Kirchenlamitz in Oberfranken. L. wirkte hier gleich in ganz besonders anregender und lebenweckender Weise; doch unterschied sich seine Weise von derjenigen anderer schon jetzt dadurch, daß er nicht in pietistischer Art erwecken, sondern ächt lutherisch durch Wort und Sacrament die Gemeinde erbauen wollte. Nach zwei Jahren etwa erhob sich unter Führung des Landrichters ein Sturm [117] gegen ihn; es wurde eine Untersuchung wider ihn eingeleitet, weil er Conventikel halte, Mysticismus vorbereite u. dgl. m.; das Ende war, daß das Consistorium zu Baireuth am 1. März 1834 seine Entfernung verfügte, die ihm übrigens nicht als Strafe angerechnet werden solle. Obschon das Oberconsistorium in München diese Verfügung mißbilligte und dabei darauf hinwies, welche Sprachverwirrung es sei, L. einen Mystiker und einen Sectirer zu nennen, so ließ sich die Sache doch nicht rückgängig machen; L. wurde aber bald reichlich dadurch entschädigt, daß er zum Pfarrverweser zu St. Aegidien in Nürnberg bestellt wurde, nachdem er zuvor einige Wochen an St. Martha zu Nürnberg vicarirt hatte: am 15. Juni 1834 trat er zu St. Aegidien an. Seine amtlichen Arbeiten waren nicht sehr zahlreich; doch schuf er sich Arbeit, wo er konnte. Schon im Juli übertrug ihm sein Lehrer, der Rector Roth, die Religionsstunden im Gymnasium. Außerdem hielt er Vorträge über das prophetische Wort des alten und neuen Bundes, und weil er nur alle zwei Wochen eine Nachmittagspredigt und alle drei Wochen eine Wochenpredigt zu halten hatte, richtete er sich für Sonntags morgens 6 Uhr in einer Kapelle der Aegidienkirche Bibelstunden ein, die von Männern wie Bürgermeister Merkel und Rector Roth besucht zu werden pflegten. Außerdem gab er Privatstunden und war schriftstellerisch thätig. Einen besonderen Einfluß übte er damals in Nürnberg durch seine Predigten; er predigte oftmals unter der gespanntesten Aufmerksamkeit der Zuhörer so lange, daß, obwol der Gottesdienst um 2½ Uhr begonnen hatte, der Küster noch Lichter auf die Kanzel bringen mußte; seine Predigten waren ein städtisches Ereigniß; seine Freimüthigkeit im Tadeln erreichte einen heutzutage unerhörten Grad, aber die Tiefe und der Gedankenreichthum, dabei der gewaltige sittliche Ernst, der sich in seinen Predigten aussprach, versöhnten auch alle Gutdenkenden mit ihren Härten, obschon es ihm dann auch an Anfeindungen, selbst abseiten des Magistrats, nicht fehlte. Mit dem 31. März 1835 endete Löhe’s amtliche Thätigkeit in Nürnberg; das Consistorium wollte ihn nach Emetzheim oder nach Würzburg senden; da er aber gerade damals in Nürnberg zu bleiben wünschte, übernahm er unter Zustimmung desselben die Vertretung des erkrankten Pfarrers in Behringersdorf, zwei Stunden von Nürnberg gelegen, wobei er in Nürnberg wohnen bleiben konnte. Hier in Behringersdorf confirmirte er am 8. Juni 1835 Helene Andreae aus Frankfurt a. M., seine spätere Frau. Sein Verhältniß in Behringersdorf löste sich wenige Wochen später und nun mußte L. an sein Anstellungsexamen denken, welches er in den ersten Tagen des August 1835 in Ansbach bestand. Die nächsten Wochen der Muße verwandte er zur Fortführung einiger schriftstellerischen Arbeiten, des Communionbüchlein und der Predigten über das Vater Unser. Die letzteren vollendete er im September, als er in Lauf die zweite Pfarrstelle verweste, für den Druck; von hier berief ihn ein Dekret des Consistoriums nach Altdorf. Er war sodann noch Pfarrverweser in Berthelsdorf und in Merkendorf, an welch letzterem Orte er wegen seiner Weigerung, einen aus nichtigen Gründen Geschiedenen wieder zu trauen, noch einen ernsten Kampf zu bestehen hatte, bis er im J. 1837 in Neuendettelsau als Pfarrer angestellt wurde und damit die eigne Gemeinde erhielt, in welcher er dann bis zu seinem Tode geblieben ist und die durch ihn eine große Berühmtheit erlangt hat. Angesehene Freunde hatten ihn gerade damals nach Erlangen ziehen wollen; das Consistorium hatte ihn zum Vicar Krafft’s bestellt, doch hatte dieser schon eine andere Hülfe gefunden. Fast gegen seinen Wunsch kam L. nach Neuendettelsau, aber es ist ihm dann eine theure Heimath geworden; für die Entwicklung seiner Gaben und für die Entfaltung seiner großartigen Thätigkeit war gerade diese abgelegene Landgemeinde der rechte Ort; obwol er sich noch mehrfach um städtische Stellen beworben hat, so würde er doch in einer Stadt, [118] gehemmt durch Verhältnisse und Collegen, seine eigenthümliche Begabung und Art nie in der Weise haben zur Geltung bringen können, wie es allmählich in Neuendettelsau geschah. – Bald nach seiner Berufung verlobte er sich; seine Ehe hatte dann etwas Ideales; seine Frau stellte ihm stets das Christenthum in lieblicher persönlicher Gestalt vor Augen und war ihm, wie er später dankbar bekannte, ein steter Sporn zur Heiligung. Als sie ihm schon im J. 1843 genommen wurde, hat ihn die Sehnsucht nach ihr nie verlassen; er blieb hernach ehelos. – Es ist schwer, von dem reichen Wirken Löhe’s während der 35 Jahre seines Weilens in Neuendettelsau ein übersichtliches, zusammenfassendes Bild zu entwerfen. An erster Stelle wäre hier die energische und erfolgreiche Arbeit des Pfarrers in der Gemeinde zu nennen, die ihm trotz manches Schweren, das er zu tragen und zu überwinden hatte, schließlich doch die Liebe derselben in einer seltenen Weise eintrug, so daß sie auch in allen wichtigen Dingen für ihn eintrat, wenn nicht gerade diese Arbeit der Natur der Sache nach größtentheils im Verborgenen geschieht. Das Hervorragendste war bei ihr Löhe’s Predigtweise; eine aus der Tiefe quellende Beredtsamkeit war mit dialektischer Klarheit gepaart; dabei waren die Gottesdienste liturgisch so ausgestattet, daß er von ihnen sagen konnte, in ihnen würden alle Künste des Menschen einig zur Anbetung und geben Gott die Ehre. Ueber seine Gemeinde hinaus ist L. bekannter geworden durch seine Gründungen für Amerika, seine Wirksamkeit für die Diakonissensache, seine Kämpfe gegen die Landeskirche und seine reiche schriftstellerische Thätigkeit. Als von den massenhaft nach Nordamerika ausgewanderten Deutschen ein Nothruf nach Predigern und Lehrern ausging, entschloß sich L. im J. 1841 junge Leute dazu auszubilden, daß sie im Stande wären den kirchlich verwahrlosten deutschen Lutheranern in Amerika als Prediger und Lehrer zu dienen. Die von ihm entsandten „Nothhelfer“, wie er sie nannte, schlossen sich drüben zuerst der Ohio-Synode an; im J. 1846 gründete L. dann im Verein mit ausgewanderten sächsischen Lutheranern die Missouri-Synode; nach dem Bruch mit dieser stifteten im J. 1854 vier Zöglinge Löhe’s die deutsch-lutherische Synode von Iowa. Die „Missionsanstalt“ hat auch in der Heimath verschiedene Wandlungen erlebt; doch waren bis zum J. 1875 von den 205 in ihr ausgebildeten Männern 181 auf den verschiedenen amerikanischen Stationen zur Verwendung gekommen und L. blieb bis an sein Ende mit dieser Arbeit aufs Engste verbunden. – Die Arbeit in der Diakonissensache begann L. im J. 1853 mit der Bildung eines Vereins für weibliche Diakonissen; man wollte anfangs nur „den Sinn für den Dienst an der leidenden Menschheit in der lutherischen Bevölkerung Baierns, namentlich in dem weiblichen Theile derselben“ erwecken. Am 15. October 1854 wurde dann das Diakonissenhaus in Neuendettelsau eingeweiht und hier fanden dann die Gesinnungen, die durch jenen Verein allgemein verbreitet werden sollten, in ihrer praktischen Verwirklichung einestheils einen festen Halt und eine bleibende Stätte, aber auch anderntheils eine Herabstimmung von mancher unerreichbaren idealen Höhe. Es ist hier nicht der Ort, die große Ausbreitung, die diese Arbeit in Neuendettelsau selbst und auch in den aus dem dortigen Diakonissenhaus erwachsenen Anstalten gewonnen hat, zu schildern; es sei nur daran erinnert, daß die Neuendettelsauer Anstalt sich von den ähnlichen durch die Art unterschied, wie L. die Diakonissen und zwar zum großen Theil selbst theoretisch und praktisch ausbildete; in letzterer Hinsicht forderte Löhes Sinn für Ordnung und für das Schöne unter Anderem Unterweisung der Diakonissen selbst in der Buchführung, in der Anfertigung von Paramenten u. dgl. m. – Löhe’s Kampf gegen die Landeskirche und für die Freikirche hatte seinen Grund nicht in separatistischen Liebhabereien; er wollte nichts lieber als eine rechte lutherische Volkskirche; er fühlte sich aber durch das landesherrliche Kirchenregiment in dem, was er [119] seiner Gemeinde sein sollte und wollte und wie er das kirchliche Leben derselben pflegen und leiten konnte, beengt und gehemmt, was denn wieder mit seiner Ansicht darüber, wie die Kirche die Gemeinschaft der Gläubigen darstellen sollte, eng zusammenhing. Als im J. 1848 eine allgemeine Umgestaltung aller Verhältnisse sich anzubahnen schien, hoffte L. auch für die Verwirklichung seines Kirchenideals; aber er wollte auch nichts überstürzen. In seinen schriftlichen Aeußerungen trat sein Bruch mit der Landeskirche oft herbe hervor; seine theologischen Gegner haben ihm denn auch namentlich mit Recht seinen überspannten Amtsbegriff vorgeworfen; es waren wirklich principielle Differenzen, die ausgetragen werden wollten. Daß es dann doch nicht zu einer Separation Löhe’s kam, so oft auch von ihr die Rede war, das hatte seinen Grund einmal in Löhe’s durch alle theoretischen Bedenken nicht zu überwindender Liebe zu dem Kirchenthum, in welchem er geboren und geworden war, und dabei in seiner berechtigten Furcht, durch seinen Austritt aus der Landeskirche andere, die dazu innerlich keine Berechtigung hätten, zur Nachfolge zu reizen, und sodann aber auch in der Weisheit und Besonnenheit des Kirchenregiments, seitdem im J. 1852 Harleß (vgl. Bd. X S. 763 ff.) an die Spitze desselben berufen war. Daß L. dann im J. 1860 doch zeitweilig vom Amte suspendirt war, war durch seine Weigerung, einen Geschiedenen wieder zu trauen, veranlaßt. Die Liebe zu seiner Gemeinde bewahrte ihn auch damals vor der Separation; aber er war seitdem innerlich gebrochen und zog sich immer mehr von der Theilnahme an den allgemeinen kirchlichen Fragen zurück, um destomehr vor Allem seiner Diakonissenanstalt zu leben. – L. hat seine eigenthümlichen Gedanken und die Resultate seiner Studien in einer ganzen Anzahl Schriften niedergelegt; außer vielen Gelegenheitsschriften sind hier besonders seine „Drei Bücher von der Kirche“ (1845), seine Schrift „Der evangelische Geistliche“ und seine „Agende“ (2. Aufl. 1853 und 1859 in 2 Theilen) von Bedeutung; er hat ferner Predigten und Predigtsammlungen drucken lassen, unter denen die „Evangelienpostille“ von hervorragender Bedeutung ist, und andere erbauliche und lehrhafte Schriften; große Verbreitung fanden und finden noch seine „Samenkörner des Gebetes“. Die im J. 1860 von ihm herausgegebenen „Rosenmonate heiliger Frauen“ wurden selbst von seinen nächsten Freunden als ein Mißgriff bezeichnet und erregten in weiten Kreisen großes Aufsehen; daß in ihnen besonderen äußeren Werken eine Bedeutung beigelegt wird, die bedenklich zu katholischen Anschauungen hinneigt, wird sich nicht leugnen lassen, wenn auch L. selbst nicht an einen Abfall von der lutherischen Grundlehre dachte.

Eine genügende Darstellung des Lebens Löhe’s fehlt noch. Viel Interessantes und zum Verständniß Löhe’s Wichtiges bietet das von J. Deinzer, Conrector an der Missionsanstalt in Neuendettelsau, aus L.’s Nachlaß herausgegebene Leben desselben (Wilhelm Löhe’s Leben, 1. Bd., 2. Aufl. Nürnberg 1874; 2. Bd., Gütersloh 1880; noch nicht vollendet). Am eingehendsten handelt über Löhe’s Persönlichkeit und seine Stellung zu den kirchlichen Bewegungen der Zeit, soweit uns bekannt, der Artikel Adolf Stählin’s in der 2. Aufl. der Realencyklopädie, Bd. 8, S. 711–725. Vgl. auch Allg. evang.-luth. Kirchenzeitung von Luthardt, 1872, Sp. 24 ff. Ferner: Theodor Schäfer, Die weibl. Diakonie, 1. Bd., die Geschichte der weibl. Diakonie, Hamburg 1879, und: Hermann Beck, Die innere Mission in Baiern, Hamburg 1880, beide Schriften an den aus ihrem Inhaltsverzeichniß zu ersehenden Orten.