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ADB:La Nicca, Richard

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Artikel „La Nicca, Richard“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 590–593, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:La_Nicca,_Richard&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:13 Uhr UTC)
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La Nicca: Richard L., schweizerischer Ingenieur, geboren am 16. August 1794 zu Tenna in Graubünden, † am 21. August 1883 in Cur. Als der älteste Sohn des Pfarrers Christian Nicca, der einem ursprünglich mährischen wegen der Religionsverfolgung ausgewanderten Geschlechte angehörte, war L. in dem ganz abgelegenen Thale Safien zur Welt gekommen, in dem der Vater den Gemeinden Safien, Neukirch und Tenna als Seelsorger diente. Mit den Eltern zog dann der Knabe infolge des Wechsels der Thätigkeit in dem Verkehr näher gerückte Gegenden, besonders 1804 nach Felsberg bei Cur, wo der Umgang mit der Familie eines dort als Fabrikant niedergelassenen Winterthurers für ihn förderlich wurde. 1809 bezog er die neu errichtete Curer Kantonsschule, wo die Philologen Hold, der Rector der Schule, und Orelli (s. A. D. B. XXIV, 412) ihm wesentliche Anregung gaben; doch zog ihn der mathematische Unterricht am meisten an. 1814 betheiligte sich L. an der militärischen Unternehmung, die im Mai gemacht wurde, um das 1797 verlorene ehemalige Unterthanengebiet Chiavenna für Graubünden zurückzugewinnen, [591] und seine hinterlassenen Aufzeichnungen hierüber – ebenso über den am 4. Januar des Jahres gemachten reactionären Staatsstreich zum Umsturz der Mediationsverfassung – beweisen die Schärfe seiner Beobachtung. Dem folgten wechselvolle Jahre, als Officier in dem bald wieder entlassenen Schweizer Regiment im Dienste des Königs von Sardinien, ein Studienjahr in Tübingen, wo sich der Mathematiker Bohnenberger (s. A. D. B. III, 81 u. 82) des jungen Mannes eifrig annahm, ein Aufenthalt in Mailand, wo sich L. als Commis sein Brot erwarb, aber daneben fleißig in technischen und anderen seine Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Dingen sich umsah. Endlich erhielt L. 1818, als die Alpenstraße über den Bernardino in Angriff genommen wurde, unter dem tüchtigen Oberingenieur Poccobelli, einem Tessiner, Gelegenheit, sich zu bethätigen. Die Arbeiter, die unter L. standen, gewannen ihn bald so lieb, daß sie zu Ehren seiner Hochzeit – es war L. gelungen, die anfängliche Weigerung des Schwiegervaters, Obersten Fischer, zu besiegen – am 20. August 1820 – die Minen zur Sprengung des Straßentunnels im Verlorenen Loch der Via Mala entluden. Die Eröffnung des Bernardino, bald auch der Splügen-Straße rief gründlichen Verbesserungen der nördlichen Zufahrtswege, und für Brücken und Straßenanlagen war L. in den nächsten Jahren in den Kantonen St. Gallen und Graubünden beauftragt. Doch fühlte er noch die Nothwendigkeit weiterer Schulung, und so ging er, schon 1822 Wittwer geworden, für den Winter 1822 auf 1823 nach München, das ihm die reichlichste Förderung bot. Nach seiner Rückkehr zum Oberingenieur des Kantons Graubünden ernannt, entfaltete L. vorzüglich als berathendes Mitglied der Straßencommission eine umfassende Thätigkeit; ebenso diente er als eidgenössischer Geniehauptmann. Auch auswärtige Aufträge kamen ihm neuerdings zu, so 1830, als Herzog Ernst von Coburg sein neu gewonnenes Herzogthum Gotha mit dem südlich vom Thüringerwald liegenden Gebiete durch eine neue Straße zu verbinden wünschte. Dann folgte die unter dem Eindrucke der kriegsschwangeren Zeit nach der Julirevolution von der Tagsatzung angeordnete Neubefestigung des Nordeinganges Graubündens an der Luziensteig, und Arbeiten am Rheine, die fortgesetzt nothwendig wurden, weckten in L. schon 1831 den Plan einer Gesammtcorrection des Stromes. Furchtbare Wasserverheerungen im östlichen schweizerischen Alpengebiete, die 1834 eintraten, riefen neuen Unternehmungen zur Abhülfe, und besonders nahm die Correction des Hinterrheins von Thusis abwärts Jahre hindurch seine Kraft in Anspruch. Schon im gleichen Jahre, in dem L. den schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein begründen half, 1837, trat er auch zum ersten Male dem Gedanken näher, für die Bewahrung des Transits über die rätischen Pässe den Anschluß an ein zukünftig sich bildendes Eisenbahnnetz nicht zu versäumen, und gemeinsam mit dem St. Galler Oberingenieur Hartmann wurde die Linie nach der alten Anknüpfungsstelle des Bündner Verkehrs, Zürich, studirt. Zu diesem Zwecke folgte auch 1838 eine Reise nach Belgien und England. Mit dem Jahre 1840 trat L. ferner als technisches Mitglied in die Linth-Commission ein und hatte fortan dergestalt an der Weiterführung des großen Lebenswerkes Escher’s (s. A. D. B. VI, 369 u. 370) sich zu betheiligen. Weitere Arbeiten, die ihn in der nächstfolgenden Zeit beschäftigten, waren beispielsweise ein 1840 übernommenes Project für die Juragewässercorrection, zum Behufe der Entsumpfung des großen Moorlandes an der Grenze der Kantone Bern und Freiburg, ein Gutachten für die Thurgauer Regierung, wodurch diese veranlaßt wurde, für die Anlage des Bodenseehafens die schöne Seebucht von Romanshorn auszulesen, sowie in Graubünden selbst der Schutz des durch Felsstürze bedrohten Dorfes Felsberg, in dem er Jugendjahre verlebt [592] hatte, die Besserung der Einmündung des Flusses Landquart in den Rhein. Zugleich lehnte er Berufungen, die ihn nach Gotha, nach Bern ziehen sollten, ab, um seiner Heimath treu bleiben zu können, während er gern stets Expertisen, nach Wien wegen eines Donaucanals, nach Lucca zur Bekämpfung der Ueberschwemmungen des Serchio, folgte. 1844 untersuchte er die Frage des Ausflusses der Rhone aus dem Genfersee im Hinblick auf die Gefährdung des Waadtländer Rhonethales, 1845 diejenige eines Schleußenprojectes für die Aare in Thun. Allein vorzüglich concentrirte er sein ganzes Denken und Wollen schon seit Beginn der Vierziger Jahre auf die Frage der schweizerischen Eisenbahnen, wobei ihm für die östliche Alpenbahn seine Bündner Pässe, zuerst der Splügen, dann neben diesem auch der Lukmanier, voranstanden. Für den Lukmanier kam das Interesse Piemonts, des Königreichs Sardinien, wogegen der Splügen auf österreichischem Territorium ausmündete, in Betracht, und so ging L. schon 1845 zu einer ersten Conferenz nach Turin, und am 28. September wurde ein Vertrag einer Vorbereitungsgesellschaft für eine Eisenbahn vom Langensee nach dem Bodensee unterzeichnet. Zwischen dieser Gesellschaft und den Kantonalregierungen von Tessin, Graubünden und St. Gallen begannen nun die Unterhandlungen; 1846 ging L. zum Zweck einer Anknüpfung mit Baiern nach München und berührte auf dem Rückwege auch Stuttgart. Eine Unterbrechung bildete dann freilich der Sonderbundskrieg von 1847, in dem L. im Kanton Tessin dem Divisionär Luini als Geniechef beigegeben war und am 17. November umsonst dem kläglichen Rückzuge seines kopflosen Chefs vor den eingefallenen Urnern Einhalt zu thun suchte. Unermüdlich arbeitete L. in den folgenden Jahren weiter für das Lukmanier-Project, besonders auch, daß die nach Cur die Eisenbahn bauende Südostbahn-Gesellschaft verpflichtet werde, die Concession der Lukmanier-Bahn bis zur Grenze gegen Tessin zu übernehmen, damit nicht die Lukmanier-Bahn zerrissen werde; aber 1853 fiel der Entscheid des Graubündner Großen Rathes gegen ihn. Zwar hinderte das nicht, daß die Kammer des Königreiches Sardinien noch in diesem Jahre für die Lukmanier-Bahn Subsidien votirte, und so kam durch den Beitritt des Kantons Tessin die Concession der Südost-Lukmanier-Gesellschaft bis zum Herbst 1853 dennoch zu Stande. L. legte jetzt seine Stelle als kantonaler Oberingenieur nieder und trat als technischer Director in die Bauleitung der Eisenbahn ein; aber bis Ende 1854 verschlimmerte sich der Stand des Unternehmens schon so sehr, daß er seine Entlassung zu nehmen gewillt war. Auch neue Reisen, nach Paris, 1855, wohin Cavour L. rief, nach London, brachten keine Besserung, und L. mußte die bis 1857 zum Abschluß gebrachte Fusion, durch die die Südostbahn in eine Union Suisse eingegliedert und das Alpenbahn-Project ausgeschieden wurde, als gänzlich nachtheilig beurtheilen. Zwar war dadurch das Lukmanier-Project noch nicht beseitigt; doch beauftragte die neue concessionirte Gesellschaft, die in das Project eintrat, L. nicht mit den weiteren Studien, wenn auch der große Bauunternehmer Brassey, der sich jetzt für eine Uebernahme des Lukmanier-Baues präsentirte, dessen Erfahrungen in seinen Dienst zog. 1858 empfing L. mitten in diesen Arbeiten einen Besuch Cavour’s, der den Lukmanier fortgesetzt protegirte, und mit Cavour reiste er dann an den Langensee. 1860 legte L. zu Paris seinen Bauplan einer Conferenz vor, und in Turin wurden die Verabredungen ergänzt. Aber trotz aller weiteren zeitweise scheinbar Erfolg verheißenden Anstrengungen und Reisen wurde das rätische Bahnproject, innerhalb dessen auch der Splügen wieder, neben dem Lukmanier und gegen ihn, auftauchte, immer mehr zurückgedrängt, je stärker die Vorkämpfer für den St. Gotthard, besonders auch im Kanton Tessin, an Boden gewannen. Bis 1867 suchte L. wenigstens noch für den [593] Gedanken einer Vereinigung des Lukmanier mit der Bahnlinie des St. Gotthard zu arbeiten; aber auch dieses Fusionsproject, die Idee einer doppelarmigen Alpenbahn, erlag 1871, obschon Moritz Mohl in der Ausschlag gebenden Sitzung des Deutschen Reichstags La Nicca’s „im höchsten Grade ausgezeichneten und geistreichen Plan“ rühmend erwähnte. Die von L. getragenen Projecte waren unterlegen, und er tröstete sich mit „der Befriedigung, mit dem Aufgebote aller geistigen und materiellen Kräfte für das Beste beharrlich gewirkt und gekämpft zu haben“. Indessen war L. auch in diesen Jahrzehnten stets noch mit anderen Arbeiten, so der Aare-Correction im Thale Hasle im Berner Oberland, der Tieferlegung des Hallwiler-Sees im Kanton Aargau beschäftigt, und vorzüglich widmete er fortwährend seine Kraft der durch Dr. Rudolf Schneider betriebenen Juragewässer-Correction, deren Hauptwerk, die Einleitung der Aare in den Bielersee, L. 1878 noch erlebte. – L. hatte ein schönes und reiches Familienleben, wenn er auch seine zweite 1826 ihm angetraute Frau, die Tochter des Podestaten Hößli in Rheinwald, 1854 verloren hatte. Der bis zum Tode geistig klare und körperlich rüstige Mann, der noch die Urenkel um sich sah, starb nach nur kurzem Abnehmen der Kräfte wenige Tage nach Antritt des neunzigsten Lebensjahres.

Vgl. Leben und Wirken des schweizerischen Ingenieurs Richard La Nicca, aus seinen nachgelassenen Papieren von seiner Tochter (Frau Benziger-La Nicca) zusammengestellt und bearbeitet (Davos 1896).