Zum Inhalt springen

ADB:Lammers, August

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lammers, August“ von Viktor Böhmert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 536–542, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lammers,_August&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 11:24 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Lamlé, Reinhold
Band 51 (1906), S. 536–542 (Quelle).
August Lammers bei Wikisource
August Lammers (Politiker, 1831) in der Wikipedia
August Lammers in Wikidata
GND-Nummer 116654244
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|536|542|Lammers, August|Viktor Böhmert|ADB:Lammers, August}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116654244}}    

Lammers: August L., geboren am 23. August 1831 in Lüneburg und † am 28. December 1892 in Bremen, hat sich nicht nur als hervorragender Publicist und Chefredacteur verschiedener Zeitungen ersten Ranges, sondern auch als praktischer Politiker, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und Hauptbegründer wichtiger politischer, volkswirthschaftlicher und gemeinnütziger Vereinigungen große Verdienste um das öffentliche Leben und die culturelle Entwicklung seines deutschen Vaterlandes erworben. L. erhielt in [537] den Schulen von Lüneburg eine gute Vorbildung und Grundlage für seine spätere Laufbahn und verlebte im Elternhause, wo der Vater ein kaufmännisches Geschäft betrieb, als ältester Sohn mit zwei Schwestern, welche beide später Lehrerinnen und auch seine geistigen Mitarbeiterinnen wurden, eine glückliche Jugend. Das Jahr 1848 erweckte in ihm schon früh Interesse für Politik und öffentliche Thätigkeit und begeisterte ihn sogar im März 1848 zu dem mannhaften Unternehmen, nach Hamburg zu reisen, um dort für Schleswig-Holstein gegen Dänemark die Waffen zu ergreifen. Der patriotische Versuch mißlang. L. war berufen, ein friedlicher Kämpfer für Menschenwohl zu werden. Ostern 1850 bezog er die Universität Göttingen, um Philologie und besonders Geschichte zu studiren.

Schon als Student wurde L. durch seine liberale und nationale Gesinnung und durch journalistische Neigungen dazu getrieben, der im Nordwesten Deutschlands rasch zu Ansehen gelangten „Weser-Zeitung“ Aufsätze zu schicken, um den liberalen hannoverschen Politikern Stüve und Bennigsen im Kampf gegen das Ministerium Borries beizustehen. Die Aufsätze von L. fanden solchen Anklang, daß er, noch nicht 21 Jahr alt, in die Redaction der „Weser-Zeitung“ berufen wurde und daher seine akademischen Studien nicht abschließen konnte. Er redigirte die „Weser-Zeitung“ von Juli 1852 bis Februar 1853, ging dann einige Wochen nach Paris und schrieb von dort Berichte an das Bremer Blatt. Im Frühjahr 1853 kehrte er nach seiner Vaterstadt Lüneburg zurück, übernahm noch in demselben Jahre die Redaction der „Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“ bis zum Jahre 1857, redigirte dann die „Zeitung für Norddeutschland“ (jetzt „Courier“) in Hannover 1857–59, sodann wiederum die „Weser-Zeitung“ von 1859–61, begründete im Frühjahr 1861 in Frankfurt a. M. die „Zeit“ und redigirte von 1862–64 die mit der „Zeit“ vereinigte „Süddeutsche Zeitung“ in Frankfurt a. M., ferner die „Elberfelder Zeitung“ von 1864–66 und kehrte von Elberfeld wieder zurück nach Bremen, wo er von 1866 an die Redaction des „Bremer Handelsblatts“ übernahm und 1877 den „Nordwest, Monatsschrift für Gemeinnützigkeit und Unterhaltung“ begründete und mit seiner am 28. August 1905 verstorbenen Schwester Mathilde L. bis zu seinem Tode leitete. Außerdem wurden vom Jahre 1883 an auch die „Mäßigkeits-Blätter“, Mittheilungen des Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, von L., als Geschäftsführer des Deutschen Vereins, herausgegeben und bis zu seinem Tode redigirt.

Es ist eine stattliche Reihe von theils neubegründeten, theils älteren angesehenen Tageszeitungen und Wochen- oder Monatsschriften, an welchen L. als Hauptredacteur thätig gewesen ist. Noch viel größer ist die Zahl der Zeitungen und wissenschaftlichen Zeitschriften, in welche L. kleinere Artikel oder größere Essays geliefert hat. Die schwierigste Lebensaufgabe trat im J. 1861 an L. heran, als er von dem hochverdienten Arzt Dr. Varrentrapp in Frankfurt a. M. und von dessen nationalliberalen Gesinnungsgenossen aufgefordert wurde, ein neues großes politisches Organ, „Die Zeit,“ in Frankfurt a. M. zu gründen. L. widmete sich dieser Aufgabe mit der ganzen Kraft seines Geistes und der patriotischen Wärme seines Herzens. Aber die preußisch gesinnte „Zeit“ konnte sich auch in ihrer Vereinigung mit Brater’s „Süddeutscher Zeitung“ in dem mehr österreichisch gesinnten Frankfurt damals nicht halten. – Es war für L., der sich in Frankfurt vergebens abarbeitete, keine ungünstige Wendung seiner Laufbahn, daß er im J. 1864 an die „Elberfelder Zeitung“ berufen wurde und dort zum preußischen Realpolitiker heranreifte und in seinem Vertrauen auf Preußens deutsch-nationalen Beruf befestigt wurde. Man kann in dem öffentlichen Leben von L. vier Hauptthätigkeiten [538] unterscheiden: 1. die politisch-publicistische, 2. die allgemein volkswirtschaftliche, 3. die gemeinnützig-humanitäre und 4. die kirchliche und volksbildungsfreundliche Thätigkeit.

L. war in erster Linie Publicist von Beruf und hatte Freude daran, durch die Zeitung erziehen zu helfen, vieles anzuregen, mit den Geistern in Verkehr zu treten. Als Redacteur politischer Tagesblätter trieb er auch eifrig Politik und zwar mit Vorliebe liberale und nationale Politik. Er trat schon früh in regen brieflichen Verkehr mit nationalen Politikern und war eifrig bemüht, im September 1859 in Frankfurt a. M. auch persönlich den deutschen Nationalverein unter Führung von Bennigsen und Schulze-Delitzsch mit gründen zu helfen, und er hat an den Programmen und auch an der äußern Fortentwicklung des Nationalvereins thatkräftig mitgearbeitet.

Während L. auf politischem Gebiete lieber im Stillen hinter den Coulissen theils brieflich, theils durch Zeitungsartikel und Flugschriften und als Berichterstatter oder Rathgeber in kleineren Kreisen wirkte, hat er auf volkswirthschaftlichem und gemeinnützig-humanitärem Gebiete tiefe Spuren seines öffentlichen Wirkens hinterlassen. Volkswirthschaftslehre und Geschichte waren schon auf der Universität in Göttingen[WS 1] die Lieblingsfächer seines theoretischen Studiums gewesen. Der Erörterung volkswirthschaftlicher, administrativer und culturhistorischer Fragen widmete er auch in der Folgezeit vorzugsweise seine publicistische Feder, nachdem er zuerst als Knabe und Jüngling in seiner Vaterstadt Lüneburg mehr den Kleinbetrieb im Gewerbe, Handel und Ackerbau angeschaut und dann später in Bremen, Frankfurt, Elberfeld, den Großhandel, Seeschiffahrt, Bankwesen, Fabrikbetrieb und städtisches Verwaltungswesen näher kennen gelernt hatte. Die Werthschätzung der Arbeit, namentlich auch der Handarbeit und Kleinarbeit und die Liebe zum kleinen Mann waren ihm angeboren. Mit dieser gemüthlichen Veranlagung, mit klarem, kritischem Verstande und mit scharfer Beobachtung von Menschen und Dingen in den verschiedensten Verhältnissen reifte er zum begeisterten Vorkämpfer für Menschenwohl.

Die erste volkswirthschaftliche Gründung, an deren Vorbereitung sich L. schon als junger Redacteur lebhaft betheiligte, betraf den volkswirthschaftlichen Congreß, der im Mai 1857 von Bremen aus angeregt wurde und im September 1858 zum ersten Male in Gotha unter der Führung von Lette, Schulze-Delitzsch, Mathy, Biedermann, Bennigsen, Böhmert, Prince Smith, Michaelis, Braun, Wirth u. s. w. zusammentrat. In Gotha wurden viele Freundschaften unter den dort versammelten meist jüngeren Volkwirthen geschlossen und auch politisch nationale Pläne entworfen. Auf allen bis in die siebenziger Jahre hinein alljährlich wiederholten Congressen der deutschen Volkswirthe wurden umfassende wissenschaftliche Berichte erstattet und wichtige Beschlüsse gefaßt, welche wesentlich dazu beitrugen, daß die Beschränkungen des Gewerbe- und Genossenschaftswesens, der Niederlassung und Verehelichung etc. von dem norddeutschen oder deutschen Reichstage ohne Schwierigkeiten beseitigt und der Aufbau eines neuen Arbeiter- und Coalitionsrechts, sowie des deutschen Münz-, Maaß-, Gewichts-, Papiergeld- und Bankwesens erleichtert wurde.

Die wirklich freudige und innerlich tief befriedigende Mitarbeit an der Neugestaltung der deutschen Verhältnisse, welche für L. und seine volkswirthschaftlichen Freunde im J. 1858 mit der Begründung des volkswirthschaftlichen Congresses in Gotha begonnen hatte, erreichte ihren ersten Höhepunkt bei dem am 24. Februar 1864 erfolgten Zusammentreten des norddeutschen Reichstags und den zweiten Höhepunkt am 21. März 1871 in Berlin bei der Eröffnung [539] des ersten deutschen Reichstags, in welchem die nationalliberale Partei maßgebend blieb bis zum Jahre 1876. Mit dem Rücktritt Delbrück’s verlor die freihändlerische Richtung, zu welcher L. gehörte, ihren Führer in der Reichsregierung. Fürst Bismarck begann seine Versuche, das Tabaksmonopol und Schutzzölle einzuführen. Die große nationalliberale Partei fing an zu zerfallen und mit der Einführung von Getreidezöllen den Boden in den hart arbeitenden Volkssclassen zu verlieren, die sich theilweise der Socialdemokratie zuwendeten.

Für L., der nicht schmollen, sondern Positives schaffen wollte, war die Wendung der innern deutschen Politik am Ausgange der siebenziger Jahre nur ein Anstoß, nunmehr um so entschiedener die Bewegung für Gemeinnützigkeit zu fördern und auf dem Boden humanitärer Bestrebungen Conservative, Liberale, Centrumsmänner, Agrarier und Arbeiter zu friedlicher nationaler Arbeit zusammenzuführen. Sein Interesse für die Landwirthschaft hatte er schon durch seine im J. 1876 erschienene Schrift „Der Moorrauch und seine Culturmission“ bewiesen. Er wurde Begründer und auch Schriftführer eines „Vereins gegen das Moorbrennen“, der sein Ziel, „die Ausrottung des Moorbrennens,“ erreicht und gleichzeitig auch die positive „Cultivirung“ der Moorgegenden gefördert hat.

Von größerer allgemeiner Bedeutung war die Thätigkeit, welche L. mit seinem in Elberfeld gewonnenen Freunde Franz Leibing entwickelte, um in Verbindung mit Fritz Kalle-Wiesbaden, Seyffardt-Krefeld und Schulze-Delitzsch die deutsche Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung ins Leben zu rufen. Es geschah dies in einem Aufrufe vom März 1872, welcher betonte, „daß der wiedergewonnene Frieden uns zu ernstester Selbstprüfung und zu erneuter Aufnahme der Culturarbeiten auffordere, und daß dabei die Arbeit an der allgemeinen Volksbildung in erster Linie stehe“. Leibing wurde erster Generalsecretär dieses zu großer Blüthe gelangten Vereins und fand bis zu seinem frühen Tode in L. den treusten Helfer und journalistischen Berather.

Einen noch weit intensiveren Antheil nahm L. an der Begründung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, welcher von ihm schon in den Jahren 1878 und 1879 vorbereitet worden war und 1880 im Anschluß an die Leipziger Generalversammlung der deutschen Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung besonders durch die Mitwirkung von Stadtrath Roestel-Landsberg, Seyffardt-Krefeld, Ludwig-Wolf-Leipzig etc. gelang, welche Dr. Straßmann in Berlin gewannen, der bis zu seinem Tode 1886 den Vorsitz führte. Nach ihm haben Seyffardt-Krefeld, Wolf-Leipzig und Stadtrath Münsterberg-Berlin wesentlich dazu beigetragen, die Stellung des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit im öffentlichen Leben des deutschen Reiches weiter zu befestigen.

L. hatte sich zum Vorkämpfer für Reformen im deutschen Armenwesen in Elberfeld praktisch und theoretisch geschult, wovon seine Schriften über „die Elberfelder Armenpflege“ in dem großen Werke von Dr. Emminghaus: „Das Armenwesen und die Armengesetzgebung in europäischen Staaten“, Berlin 1870, ferner die Schriften über die Bettelplage im Heft 6 der Volkswirthschaftlichen Zeitfragen (Berlin, Leonhard Simion 1879), Zeugniß ablegten. L. hatte auch im preußischen Landtage als Abgeordneter für Elberfeld und Berichterstatter der Commission über den Gesetzentwurf betr. die Unterbringung verwahrloster Kinder im Jahre 1878 sich vortheilhaft bekannt gemacht und sich auch nach der Begründung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit auf verschiedenen Jahresversammlungen große Verdienste um [540] das deutsche Armenwesen und namentlich um die weite Verbreitung der Elberfelder Armenpflege erworben.

Zur Linderung der Armennoth waren nach L. vor allem anzustreben: 1. Erziehung zur Arbeit und Arbeitsnachweis, 2. Erziehung zum Sparen und Versichern und 3. Erziehung zur Mäßigkeit. L. hat zur theoretischen Begründung dieser Ansichten eine Reihe verdienstvoller Schriften verfaßt. Die erste erschien unter dem Titel: „Sparen und Versichern“ im Hefte 23 der volkswirthschaftlichen Zeitfragen, Berlin, Verlag von Simion 1881. Diese Schrift war nur der Vorläufer für eine neue Agitation. Im Anschluß an die Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit in Darmstadt von 1882 trat unter Vorsitz von L. in Darmstadt der erste Deutsche Sparcassentag zusammen. Verhandlungsgegenstände waren: 1. deutsche Sparcassengesetze, 2. Uebertragbarkeit der Einlagen, 3. Popularisirung der Sparcasseneinrichtungen.

Bedeutungsvoller als die deutschen Sparcassentage, auf denen L. in Dresden und Weimar stellvertretender Vorsitzender war, wurde für L. selbst die von ihm beinahe allein angeregte und ausgehende Begründung des Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, der am 29. März 1883 in Kassel ins Leben trat. L. hatte 1881 in Holtzendorff’s „Zeit- und Streitfragen“, Heft 149, die Schrift: „Bekämpfung der Trunksucht“ veröffentlicht und wurde bald nach dem Erscheinen derselben im September 1881, als der Congreß für Innere Mission in Bremen tagte, von drei hochkirchlichen, konservativen Männern, darunter Pastor Hirsch, der Leiter der Trinkerheilanstalt in Lintorf und Director Engelbert von Duisburg besucht und aufgefordert, doch die Gründung des von ihm vorgeschlagenen großen Mäßigkeitsvereins in seine Hände zu nehmen. Dieser Beweis des Vertrauens von Männern, die ihm bisher ganz fremd waren und einer anderen kirchlichen und politischen Richtung angehörten, deutete L. als „Zeichen einer Aussicht auf Erfolg“. Er verständigte sich auf einem der deutschen Gesundheitspflegertage, an deren Entstehen L. ebenfalls lebhaft betheiligt mar, mit Dr. A. Baer, dem Verfasser des inhaltsreichen Buches „Der Alkoholismus“, und später mit dem berühmten Irrenarzt Dr. W. Nasse und Prof. Finkelnburg in Bonn, sowie mit Dr. Varrentrapp und Oberbürgermeister Miquel-Frankfurt und Seyffardt-Krefeld und wurde von allen diesen Theilnehmern der Kasseler Versammlung als Geschäftsführer vorgeschlagen und erwählt. L. hat dieses Amt mit größter Hingabe, aber in seinen letzten Lebensjahren doch mit schwächer werdenden Kräften verwaltet und hatte am Abend seines Lebens noch die Freude, das Erscheinen der deutschen Gesetzesvorlage gegen die Trunksucht im J. 1891 und auch die Anfänge der deutschen Enthaltsamkeitsbewegung durch die weitere Verbreitung des Guttempler-Ordens und des Blau Kreuz-Vereins zu erleben. Erst ein späteres Geschlecht wird durch ein Studium der vielen Schriften von L. und der Berichte über das Entstehen und die Entwicklung der deutschen Mäßigkeitsbestrebungen seit 1878 zur vollen Würdigung seiner Verdienste gelangen. – Es lassen sich noch verschiedene Vereine und gemeinnützige Unternehmungen anführen, für welche L. direct theils als Mitbegründer, theils als Berather und Befürworter in Vorträgen und Versammlungen und durch vorbereitende Berichte in Zeitungen thätig war, z. B. für den von seinem Freunde Dr. Emminghaus begründeten Deutschen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger, ferner für den Deutschen Verein für Gesundheitspflege, den Verein für Massenverbreitung guter Schriften, für Feriencolonien, Knabenhorte, Arbeiter-Bildungsvereine und Frauen-Bildungs- und Erwerbs-Vereine, insbesondere für den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und für die Frauenfrage überhaupt, da [541] ihm eine Verbesserung der Lage und der Stellung des weiblichen Geschlechts auf seiner ganzen Lebenslaufbahn immer sehr am Herzen lag.

Es möge schließlich noch der von L. seit dem Jahre 1880 geförderten und bis an sein Lebensende geleiteten Bewegung für Handfertigkeits-Unterricht der Knaben und des 1886 von ihm in Stuttgart mit begründeten Deutschen Vereins für Knabenhandarbeit gedacht werden. Die Idee der Erziehung zur Arbeit bildete einen Cardinalpunkt in den Lammers’schen Bestrebungen. Ein von ihm in der Gemeinnützigen Gesellschaft zu Leipzig gehaltener Vortrag über „Selbstbeschäftigung und Hausfleiß“ wurde die Veranlassung, daß zu Ostern 1880 unter der Leitung des Lehrers Dr. Götz die Leipziger Schülerwerkstatt begründet wurde, welche später zu einem Seminar für den deutschen Arbeitsunterricht ausgebaut worden ist und der deutschen Bewegung für Knabenhandwerk und der Ausbildung von Lehrern für diesen Zweck mächtigen Vorschub geleistet hat. Die Knabenhandarbeit hat den Zweck, der Ueberbürdung des kindlichen Gehirns durch die Abwechselung einer mehr körperlichen Arbeit, durch Uebung von Hand und Auge, entgegen zu wirken. Neben L., der bis zu seinem Tode immer den Vorsitz in den Jahresversammlungen führte, ist der Görlitzer Stadtrath und preußische Landtagsabgeordnete Emil v. Schenkendorff für 21/2 Jahrzehnte immer ein Hauptträger und Förderer der Bewegung gewesen und Nachfolger von L. im Vorsitz des Deutschen Vereins für Knabenhandarbeit geworden. Die Ziele und Aufgaben der ganzen Bewegung hat L. in seiner Schrift: „Die Erziehung zur Arbeit“ klar gekennzeichnet und darin zugleich auch vorgeschlagen, der Mädchenvolksschule die Haushaltungslehre nach und nach ebenso anzugliedern, wie man in der Knabenvolksschule die sogenannte Handfertigkeit einzubürgern sucht. Die Lammers’sche Schrift „Die Erziehung zur Arbeit“ ist in Zimmer’s Handbibliothek der praktischen Theologie (Bd. XI–XIV Abs. 9, Gotha 1891) erschienen.

Die ebenerwähnte Mitarbeit an Zimmer’s Handbibliothek der praktischen Theologie kann als Beweis dienen, daß L. auch eine kirchliche Thätigkeit entwickelt hat. Er war ein warmer Freund seiner evangelischen Kirche und eifriges Mitglied eines Clubs evangelischer bremischer Geistlichen und Laien und des deutschen Protestantenvereins, dessen Organ, das deutsche „Protestantenblatt“, viele Aufsätze von ihm veröffentlichte und zeitweise auch von ihm selbst redigirt wurde. In seiner Schrift „Die Verjüngung der Kirche“ (Bremen 1876) eifert L. lebhaft gegen Kirchenflucht und religiöse Gleichgültigkeit und schrieb gleich im Eingange u. a.: „Die Religion zieht sich vor allen historisch-philosophischen oder poetischen Beweisen ihrer Ueberflüssigkeit nicht aus der Welt zurück, und die Kirche ist soweit entfernt, sich abschaffen lassen zu wollen, daß sie sich vielmehr vor unsern Augen verjüngt“ … „Daraus folgt für alle Liberalen, die der evangelischen Kirche äußerlich angehören und nicht ein für alle mal mit ihr gebrochen haben, das Gebot, sich thätig, ausdauernd und in lebendigem Zusammenhange mit ihren Gesinnungsgenossen an den kirchlichen Aufgaben, zunächst und namentlich an den Wahlen zu betheiligen“. – Wie schon erwähnt, genoß er auch das Vertrauen strenggläubiger Mitglieder der Inneren Mission und arbeitete sehr gern mit ihnen für alle Rettungswerke und gemeinnützigen Veranstaltungen.

Von Schriften über L. sei eine längere Abhandlung erwähnt „August Lammers“ von W. Bode in der Monatsschrift „Nordwest“, 16. Jahrgang, 1. Heft von Januar 1893 (Bremerhaven und Leipzig) 39 Seiten stark. Die warm geschriebene Schrift enthält u. a. auch werthvolle Auszüge aus Briefen von L. an seine Schwester Mathilde und aus seinen Schriften. Dr. Bode irrt, wenn er behauptet, daß die größte Schrift von L. nur 56 Seiten stark [542] sei. Dr. Bode scheint die größte Schrift von L. nicht gekannt zu haben. Dieselbe ist unter dem Titel: „Deutschland nach dem Kriege. Idee zu einem Programm nationaler Politik“ Leipzig 1871 (135 Seiten stark) erschienen und sehr lesenswerth. L. war ein warmer deutscher Patriot, aber zugleich ein edler Weltbürger, der nur in einer friedlichen, freiheitlichen, sittlichen und religiösen Entwicklung die Bürgschaft für Völkerwohlfahrt erblickte und thatkräftig mit erstrebte. Sein Charakter war von seltener Lauterkeit und Selbstlosigkeit, frei von Ehrgeiz, Gewinnsucht und Streberthum; er hatte in seiner öffentlichen Thätigkeit immer nur die Sache und hohe ideale Ziele im Auge. Er war zwar kritisch beanlagt, aber zugleich schöpferisch und immer voll von Entwürfen und Plänen. Seine ohnehin nicht starke Gesundheit war den großen Ansprüchen, die er an seine Schaffenskraft machte, leider nicht gewachsen. Er wurde seinem Vaterlande und seinen Freunden viel zu früh entrissen; aber seine Werke leben heute noch fort und sein edles Schaffen wird hoffentlich noch Viele zur Nachfolge begeistern!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Göttingeu