ADB:Leuchsenring, Franz Michael
Friedrich Heinrich Jacobi und Herder kennen. Mit dem Prinzen ging er darauf nach Paris und in die Schweiz. Die Wanderlust verließ ihn auch nicht, als er, nach Darmstadt zurückgekehrt, sich von seinem Zögling getrennt hatte. Reisen durch die Rheinlande, nach der Schweiz, nach verschiedenen Theilen Deutschlands und Frankreichs führten ihn mit Goethe, Wieland, Bodmer, Lavater, Moses Mendelssohn, Nicolai, Ramler, dem späteren Fürsten Primas Karl v. Dalberg, Sophie v. la Roche, Julie v. Bondeli und zahlreichen anderen bedeutenden Männern und Frauen zusammen; sein ungemein ausgedehnter Briefwechsel, aus dem er gleichgestimmten Freunden gerne mittheilte, enthielt manch werthvolles Schreiben. Durch sein interessantes und einschmeichelndes Wesen bestach er im Anfang seiner Bekanntschaft; auf empfindsame – namentlich weibliche – Gemüther gewann er rasch einen mächtigen Einfluß. Kräftigere und bestimmtere Naturen vermochte er auf die Dauer nicht zu fesseln. Goethe, durch Merck gereizt, verspottete den „falschen Propheten“ und sein Verhältniß zu Herder und dessen Braut 1774 im „Fastnachtspiel vom Pater Brey“. Noch in demselben Jahre begründete L. das von den Zeitgenossen sehr geschätzte „Journal de lecture ou choix périodique de littérature et de morale“ (36 Hefte, Paris 1775–79). Im Januar 1776 suchte man ihn für eine in Neuwied errichtete Erziehungsanstalt zu gewinnen; doch gab man die Absicht bald wieder auf. Vielmehr blieb L. in Paris, wo er u. a. 1777 den Führer des Landgrafen von Hessen-Homburg machte. 1782 siedelte er nach Berlin über, verließ es aber nach Jahresfrist wieder, um als Hofmeister des jungen Grafen von Schlitz neuerdings Deutschland zu bereisen. 1784 kehrte er zurück und wurde im April von Friedrich dem Großen zum Lehrer des Prinzen Friedrich Wilhelm (III.) in den Anfangsgründen der Dialektik ernannt. Da er sich aber gegen den dirigirenden Lehrer des Prinzen nicht halten konnte, wurde er auf seine Bitte schon im Juni von diesem Amte wieder enthoben. Vorzüglich gern verkehrte L. in den gebildeten jüdischen Kreisen Berlins. Als er sich jedoch leidenschaftlich bemühte, Adele, die Tochter des Geheimraths Ephraim, zur Frau zu erlangen, ohne daß dieselbe aber Christin werden sollte, zerfiel er mit Mendelssohn und dessen Freunden. Ohne seinen Zweck erreicht zu haben, reiste er im Frühjahr 1785 von Berlin fort. Von je hatte er sich mit geheimen Gesellschaften viel abgegeben. Schon in Leyden wollte er einen geheimen Orden der Empfindsamkeit stiften; ähnliches unternahm er später, am Ende der achtziger Jahre, zu Berlin. Er selbst war ein eifriges Mitglied des Illuminatenordens; er führte dort den Namen Leveler. So hatte er auch sein Augenmerk auf andere geheime Gesellschaften, die der Aufklärung entgegenwirkten und bedenkliche Zwecke verfolgten, beständig gerichtet. Jetzt glaubte er, einen [474] Geheimbund entdeckt zu haben, der unter den Protestanten im Sinne des aufgehobenen Jesuitenordens für Ausbreitung des katholischen Glaubens und der römischen Hierarchie thätig sei. In einem anonymen Aufsatz der von Gedike und Biester herausgegebenen „Berlinischen Monatsschrift“ (Juli 1786) sprach er seine Besorgniß kräftig aus und legte rücksichtslos die Documente vor, auf welche sie sich stützte. Der Artikel, der vornehmlich gegen den Darmstädter Oberhofprediger Dr. Johann August Stark ging, erregte ungeheures Aufsehen. Nicolai und seine Gesinnungsgenossen ergriffen Leuchsenring’s Partei; Lavater ward in den Streit verwickelt, und die Schaar seiner Freunde, allen voran Johann Georg Schlosser, bekämpfte energisch die Annahme des Kryptokatholicismus. L., der die in der That vorhandene Gefahr nur maßlos übertrieben hatte, unterlag. Entzweit mit den edleren und bedeutenderen seiner einstigen Freunde, dagegen als Bundesgenosse der Aufklärer kehrte er nach Berlin zurück, das er als Gegner Nicolai’s verlassen hatte. Ernstlich dachte er jetzt an ein großes Werk, welches die französische und deutsche Litteratur umfassen und ihre Vorzüge gerechter, als es bisher geschehen, gegen einander abwägen sollte. Aber aus diesen Plänen riß ihn der Beginn der französischen Revolution. Mit erregter Freude begrüßte sie L., und als König Friedrich Wilhelm II. im Mai 1792 den unbequemen Aufklärer und Freiheitsschwärmer aus Berlin ausweisen ließ, begab dieser sich mit der Hofdame Fräulein v. Bielefeld, die dem bewunderten Freund und Lehrer ihre Hand schenkte, direct nach Paris. Herbe Enttäuschung harrte hier seiner. Der Fortgang der Revolution entsprach keineswegs den Erwartungen Leuchsenring’s; er lehnte darum die Anerbietungen des Directoriums wie der kaiserlichen Regierung, welche seine Dienste zu gewinnen suchten, ab, zog sich von aller Welt zurück und lebte kümmerlich von Sprachunterricht. Lange beschäftigte ihn das Vorhaben, ein allgemeines Wörterbuch aller bekannten Sprachen und zugleich einer neuen, leicht zu erlernenden, internationalen Sprache zu entwerfen; um das vorhandene Material zu vermehren, bemühte er sich, von den verschiedensten Sprachen Amerikas und Asiens möglichst vollständige Wörterverzeichnisse zu bekommen. Einige französische Gelehrte förderten ihn bei diesem Unternehmen; sonst verkehrte er fast nur mit deutschen Landsleuten, die neben ihm in Paris weilten. Wilhelm v. Humboldt und Friedrich Schlegel mit ihren Frauen, Rahel Levin, Achim v. Arnim, der im zweiten Theil seines sonderbaren Romans „Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores“, mehrere Züge von Leuchsenring’s Wesen auf seinen Prediger Frank übertrug, Karl Ernst Oelsner und noch einige wenige gewannen vorübergehend sein Vertrauen. Seine Ehe war äußerst unglücklich, die Gemüthsart der beiden Gatten unvereinbar; aber bei aller gehässigen Leidenschaft, mit der sich Mann und Frau unablässig quälten, konnten sie doch nicht von einander lassen, und die wiederholten Versuche, sich zu trennen, schlugen regelmäßig fehl. Nach dem Sturz Napoleons wurde die pecuniäre Noth Leuchsenring’s merklich erleichtert: seine Gattin erhielt vom Berliner Hof eine kleine Pension. Als sie aber im März 1825 als katholische Convertitin starb, weigerte er sich, fernerhin von fremder Großmuth irgend welche Wohlthat anzunehmen und lebte noch unzugänglicher und gleichgültiger gegen den Weltlauf in vollster Abgeschiedenheit, bis den lange Vergessenen ein sanfter Tod in den ersten Tagen des Februar 1827 dahinnahm.
Leuchsenring: Franz Michael L. (französisch Leisring oder Liserin geschrieben), geboren 1746 zu Langenkandel im Elsaß, genoß im Hause seiner wohlhabenden Eltern eine gute Erziehung. Dann erwarb er sich auf der Universität – wahrscheinlich zu Straßburg – vornehmlich allgemeine historische und litterarische Kenntnisse. Sein in der That gründliches Wissen war nur nicht auf eine bestimmte Disciplin gerichtet, dagegen durch sein reizbares Gefühl und seine regsame Phantasie belebt und mit weltlicher Gewandtheit verbunden. In fremden Sprachen war er wohlbewandert; namentlich beherrschte er das Französische vollständig. Durch einen älteren Bruder, welcher Leibarzt in Darmstadt war, wurde er dem dortigen Hof bekannt. Zum hessisch-darmstädtischen Hofrath ernannt, begleitete er im Herbst 1769 als Unterhofmeister den Erbprinzen auf die Universität Leyden. Dort lernte er- Goethe, Dichtung und Wahrheit, Buch 13. – Denina, La Prusse littéraire sous Frédéric II. (Berlin 1790), II. 403 ff. – K. A. Varnhagen v. Ense, Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, Bd. IV. – Friedrich Förster, Neuere und neueste preußische Geschichte, I. 454 ff. und H. Scheube, Aus den Tagen unserer Großväter, S. 41 ff. (ziemlich werthlos). – Heinr. v. Sybel, Zwei Lehrer Friedrich Wilhelms III. in der Philosophie (Monatsberichte [475] der königl. preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem J. 1879, S. 714 ff. – Die Briefwechsel von Herder, Friedrich Heinrich Jacobi und Merck.