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ADB:Lindner, Friedrich Ludwig

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Artikel „Lindner, Friedrich Ludwig“ von Julius von Eckardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 703–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindner,_Friedrich_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:09 Uhr UTC)
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Lindner: Friedrich Ludwig L., geb. 1772 zu Mitau, der Hauptstadt des damaligen polnischen Lehnsherzogthums Kurland, ging 1790 nach Jena, wo er anfangs Theologie, später Medicin studirte, setzte seine Studien zu Würzburg und Göttingen fort, wurde 1797 zum Dr. med. promovirt und ließ sich, nachdem er eine Weile in Wien, später in Weimar gelebt und daselbst an der Herausgabe des „Sonntagsblatts“ Theil genommen hatte, im J. 1812 als Professor extraordinarius in Jena nieder. 1814 kehrte er nach Kurland zurück, um die Verwaltung des seinem Vater gehörigen Gutes Alt-Abgulden zu übernehmen und drei Jahre lang in ländlicher Abgeschiedenheit zu leben. 1817 erschien L. abermals in Weimar, wo er mit Oken, Luden und Ludw. Wieland in nähere Beziehung trat, alsbald der eifrigste und fähigste Mitarbeiter des von diesen Führern des damaligen liberalen Deutschland herausgegebenen „Oppositionsblattes“, später auch der Nemesis und der Isis wurde und (wie es in Treitschke’s Deutscher Geschichte heißt) „die politische Arbeit als ernsten Lebensberuf trieb“. Durch einen zufälligen Umstand kam L. in die Lage, Auszüge [704] aus Kotzebue’s an den Kaiser Alexander I. von Rußland gerichteten litterarischen Berichten kennen zu lernen (L. wohnte mit Kotzebue’s Abschreiber in demselben Hause und wurde von diesem zu Rathe gezogen) und in der „Nemesis“ und in dem „Volksfreunde“ veröffentlichen zu lassen. Der Inhalt dieser Berichte erregte so peinliches Aufsehen, daß Kotzebue aus Furcht vor dem Unwillen der Jenaer akademischen Jugend Weimar verlassen und nach Mannheim übersiedeln mußte, L. aber auf Betrieb der russischen Regierung ausgewiesen wurde. Nachdem er längere Zeit ein Wanderleben in Deutschland und Frankreich geführt, ließ er sich in Stuttgart nieder, wo er mit dem König von Württemberg in nähere Beziehung trat und auf dessen Antrieb, aber ohne Vorwissen des leitenden Ministers Grafen Wintzingerode das 1820 in London erschienene und rasch berühmt gewordene „Manuscript aus Süddeutschland“ schrieb, den ältesten politischen Katechismus des auf rheinbündlerischen Traditionen und streng protectionistischen Grundsätzen fußenden süddeutschen Particularismus. „Höchst feindselig aber immer mit einem gewissen Anstand gegen Oesterreich und Rußland und nebenher gegen England; höchst feindselig gegen den deutschen Bund, halsbrechend für die kleinen Staaten, insolent gegen das nördliche Deutschland, sackgrob gegen die Seestädte, verachtungsvoll in Hinsicht auf Umtriebler, Studenten u. s. w., zugleich aber wüthend constitutionell“ lautete Gentz’ Bericht über dieses Buch, das als wichtigste Grundschrift der sogen. „reindeutschen“, d. h. die beiden Großmächte ausschließender Bundesidee bezeichnet werden kann und Jahrzehnte lang der particularistischen und protectionistischen Presse Süddeutschlands zum Arsenal gedient hat. – Die vier Jahre später erschienenen „Geheimen Papiere“ stammten nicht von L., wurden ihm aber so allgemein zugeschrieben, daß die württembergische Regierung ihm die Herausgabe der „Tribüne“ untersagen und einen Ausweisungsbefehl zugehen lassen mußte. Er wandte sich in den Elsaß, ließ 1825 seines Oheims Gottlob Immanuel Lindner „Philosophie der religiösen Ideen“ erscheinen, ging dann aber nach Augsburg und später nach München, wo er als officiöser baierischer Publicist im Sinne des constitutionellen Particularismus thätig war, 1832 den Titel eines Legationsraths und das baierische Indigenat erhielt, die Leitung der baierischen Staatszeitung übernahm und schließlich nach Stuttgart übersiedelte, wo er im J. 1845 verstarb. Lindner’s zahlreiche Schriften (zu denen außer verschiedenen Uebersetzungen aus dem Französischen, der Aufsatz „Europa und der Orient“, 1839, und die mit le Bret besorgte Ausgabe der „Oeuvres complètes de Napoléon“ gehören) sind mit Ausnahme des „Manuscripts aus Süddeutschland“ sämmtlich vergessen. Sie zeichnen sich durch Klarheit und Energie des Stils, Nüchternheit und Folgerichtigkeit der Auffassung, zugleich aber durch ausgesprochene Parteilichkeit und Neigung zur Sophistik aus. Von der Mehrzahl zeitgenössischer politischer Publicationen sind sie durch Freiheit von Ueberschwänglichkeit und Phrasenwesen und durch das Streben nach praktischer Behandlung der Zeitfragen unterschieden.

Vgl. Recke-Napiersky, Schriftsteller- u. Gelehrtenlexikon von Liv-, Esth- u. Kurland (Mitau 1831), Bd. III. S. 78 ff. Nachträge u. Fortsetzungen zu dems. W. (Mitau 1859, II. S. 16 ff.) v. Gentz, Briefwechsel mit Pilat (Bd. II. S. 346 ff. u. 437 ff.,). H. v. Treitschke, Historische und politische Aufsätze (3. Aufl. I. S. 207), sowie Neuer Nekrolog der Deutschen, 1845, XXIII. Thl. I. S. 427 ff. und Eckardt, Die baltischen Provinzen Rußlands, 2. Aufl. 1869, S. 261.