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ADB:Lucae, Karl

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Artikel „Lucae, Karl“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 111–113, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lucae,_Karl&oldid=- (Version vom 1. Dezember 2024, 09:47 Uhr UTC)
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Lucae: Karl L., Germanist, ward geboren am 7. August 1833 als Sohn des Besitzers[WS 1] der „Rothen Adler-Apotheke“ zu Berlin, Bruder von [112] Richard L.[WS 2] (dem Architekten) und August L.[WS 3] (dem Berliner Ohrenarzt), erhielt seine Schulbildung auf dem Friedrich-Wilhelms-Gymnasium seiner Vaterstadt und der lateinischen Hauptschule zu Halle und studirte von Herbst 1854 bis Ostern 1859 Philologie und Geschichte in Berlin, Bonn, Halle und wiederum in Berlin. In der classischen wie in der deutschen Philologie war Moriz Haupt der Lehrer, an den er sich am engsten anschloß und dessen Interpretationskunst für ihn zeitlebens vorbildlich blieb. 1859 promovirte er in Halle, blieb dort und habilitirte sich 1862 an der Universität für deutsche Sprache und Litteratur; sein wissenschaftliches Probestück bestand beide Male in der Auslegung einer Reihe von schwierigen Stellen aus Wolfram’s von Eschenbach Parzival, den er von vorn herein in den Mittelpunkt seiner gelehrten Arbeit und seiner akademischen Lehrthätigkeit stellte. Ostern 1868 wurde er auf ein neu errichtetes Ordinariat seines Faches nach Marburg berufen. Hier hat er über zwanzig Jahre gewirkt, seit 1884 freilich durch ein Nerven- oder Gehirnleiden oft für längere Zeit in seiner Lehrthätigkeit behindert. In der Nacht vom 29. auf den 30. November 1888 fand er ein plötzliches Ende.

Lucae’s Vorlesungen hatten ähnlich wie die seines Lehrers Haupt ihren Schwerpunkt in der Interpretation der großen mittelhochdeutschen Dichter; das Altgermanische lag ihm ferner, dagegen war er ein intimer Kenner unserer classischen Litteratur, wenn sie auch in seinen Vorlesungen fast ganz zurücktrat. In seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung bekannte er sich als strengen Lachmannianer; von den großen Fortschritten, welche die deutsche Philologie seit 1868 aufzuweisen hat, ist seinem Unterricht und seiner wissenschaftlichen Arbeit wenig zu Gute gekommen. Jahrelang erwartete man von ihm eine commentirte Ausgabe des Parzival: es ist bei kleinen Beiträgen zu einem Commentar geblieben, die in der Zeitschrift für deutsche Philologie (Bd. 9) und in der Zeitschrift für deutsches Alterthum (Bd. 30) gedruckt wurden, und auch in Lucae’s Nachlaß hat sich nicht viel mehr vorgefunden. Die Arbeit am „Deutschen Wörterbuch“, für das L. die Buchstaben I und J übernommen hatte, gab er mit dem dritten Bogen auf.

Die wissenschaftliche Unfruchtbarkeit und zeitweise Unthätigkeit eines Gelehrten, auf den der strenge Moriz Haupt starke Hoffnungen gesetzt hatte, findet ihre Erklärung nur zum Theil in der Leidenszeit seiner letzten Jahre. L. war in erster Linie eine ästhetische, ja eine künstlerische Natur: streng gegen sich selbst in der Form alles dessen, was er an einen engern oder weitern Kreis hinausgab – Zeichnungen und Gelegenheitsgedichte, Festreden und litterarische Essays – aber ohne starke Originalität und ohne zähe Arbeitskraft. Er war ein liebenswürdiger Gesellschafter, ein sicherer Geschäftsmann, ein ausgezeichneter Repräsentant: die Universität, die ihm in der wichtigsten Periode ihres Aufblühens und ihrer Neugestaltung wiederholt das Rectorat anvertraute, die Bürgerschaft, die ihn in ihren Ausschuß und demnächst in den Stadtrath wählte, die vorgesetzte Behörde, die ihm zu all diesen Geschäften das Amt eines Directors der wissenschaftlichen Prüfungscommission übertrug, haben seine Begabung anerkannt und zu nützen verstanden. Der Wissenschaft freilich ist er durch solche Häufung der Pflichten und Ehrenämter mehr und mehr entfremdet worden. Daß er aber ein feinsinniger Interpret der altdeutschen Dichtkunst war und zugleich ein Meister der poetischen Form, bewies er noch 1886 durch die Ausgabe und Uebersetzung des „Weinschwelg“, die es mit dem besten der deutschen Uebersetzerkunst aufnimmt. Von seiner Begabung für die festliche wie für die populäre Rede, von seinem warmherzigen Patriotismus und von der Vielseitigkeit seiner gelehrten Bildung zeugen die nach [113] seinem Tode erschienenen gesammelten Vorträge „Aus deutscher Sprach- und Litteraturgeschichte“ (1889).

Chronik d. Univ. Marburg f. das Rechnungsjahr 1888/89 (II. Jahrg.) S. 16–24 (m. einem Schriftenverzeichniß); M. Koch vor den Gesammelten Vorträgen S. III–XI.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. August Friedrich Theodor Lucae (1800–1848), Apotheker 1. Klasse zu Berlin. Sohn des Berliner Apothekers Johann Christian Friedrich Lucae († 1806).
  2. Richard Lucae (1829–1877), Direktor der Berliner Bauakademie.
  3. August Lucae (1835–1911), Direktor der k. Universitäts-Klinik für Ohrenkrankheiten in Berlin.