ADB:Ludwig II. (König von Bayern)
*), König von Baiern, geboren zu Nymphenburg am 25. August 1845 als ältester Sohn des damaligen Kronprinzen Max II. und seiner Gattin Marie, Tochter des Prinzen Friedrich Wilhelm Karl von Preußen, † am 13. Juni 1886. Seine Erziehung lag zuerst in den Händen des Fräulein Mailhaus und des Barons Leonrod, vom 7. Jahr bis zur Volljährigkeit leitete sie Graf Larosee, dem zuerst Baron Wulffen, dann Major v. Orff beigegeben war. In einfacher, beinahe mönchisch strenger Zucht wuchs der Knabe heran, der schwächlich zur Welt gekommen und lange Zeit für lungenkrank angesehen war; er erhielt eine humanistische Bildung, aber mehr als die alten Classiker fesselte ihn Schiller. Von lebenden Sprachen lernte er nur Französisch. Liebig und Jolly hielten ihm Vorträge über Chemie und Physik. Eben sollte der schlanke, jäh aufgeschossene Jüngling mit der hohen Stirn, den „unheimlich“ schönen Märchenaugen und dem dunklen Haar, der nach erlangter Volljährigkeit nur gelegentlich zu Empfängen von Gesandten und anderen Personen sowie zu den Staatsreisen seines Vaters herangezogen war, die Universität Göttingen beziehen, als er durch den Tod Maximilian’s II. am 10. März 1864 auf den Thron berufen ward. Schon früher war seine ungewöhnliche Begabung, hohes Gefühl für seine Würde und starker Eigenwille, [541] aber auch sein Hang zu träumerischem Wachen und Gedankenausspinnen hervorgetreten; jetzt überraschte er durch die gründliche Gewissenhaftigkeit, mit der er sich den Regierungsgeschäften widmete, durch die unglaubliche Treue seines Gedächtnisses und durchdringende Verstandesschärfe; bei seiner zurückgezogenen Lebensweise fand man es auffallend, was er im Punkt der Menschenkenntniß und Beurtheilung der Menschen leistete. „Er ist, was er sein kann“, urtheilt Ranke 1864; „der gute Wille seines Vaters beseelt auch ihn. Er hat die volle Lieblichkeit und Anmuth der Jugend, der es einen eigenen Reiz verleiht, daß eine unbestimmte, hoffnungsvolle, jedoch nicht leichte Zukunft über ihr schwebt“.
Ludwig II.Bei der Ablegung des Verfassungseides bezeichnete er seines geliebten Baierlandes Wohlfahrt und Deutschlands Größe als die Zielpunkte seines Strebens, und die Minister seines Vaters, die er beibehielt, bat er um Unterstützung bei seinen inhaltsschweren Pflichten. In der That war auch die Einwirkung auf den König zunächst das Wichtigste, da seine Erziehung, die ohnehin dem feurigen Idealismus des Jünglings wenig entsprochen haben soll, noch keineswegs abgeschlossen war. So hatte er sich mit Militärsachen überhaupt noch nicht beschäftigt, und in politischer Beziehung stand ihm nur die Unantastbarkeit seiner Souveränitätsrechte fest. Wie sein Vater, trat er in der schleswig-holsteinischen Frage für die Rechte des Herzogs Friedrich von Augustenburg ein; aber das Zusammengehen von Oesterreich und Preußen machte alle seine Bestrebungen nach dieser Richtung hin illusorisch. Entsprach L., indem er sich auf dem Rechtsboden des deutschen Bundes bewegte, den Wünschen seines Volkes und der liberalen Majorität in Deutschland überhaupt, so entsprang seinem eigenen glühenden Verlangen die Berufung Richard Wagner’s nach München, dem er seine Schulden bezahlte und am Starnbergersee und in der Briennerstraße ein sorgloses Heim bereitete. Als Fünfzehnjähriger hatte er des Meisters „Lohengrin“ kennen gelernt, und als er bei der Lectüre von Wagner’s Schriften: „Das Kunstwerk der Zukunft“, „Zukunftsmusik“ die Frage des Ruhelosen las: „Wird der Fürst sich finden, der die Aufführung meines Bühnenfestspiels ermöglicht?“ rief er aus: „Wenn ich einst den Purpur trage, so will ich der Welt zeigen, wie hoch ich das Genie Wagner’s zu stellen wissen werde“. Ludwig’s Musiklehrer Wanner sprach ihm jedes Talent für die Musik ab, dagegen beglückwünschte Liszt den Collegen zu seinem königlichen Freund, der an Receptivität auf vollkommen gleicher Höhe zu seiner Productivität stehe. Ranke meint, gerade das Wort Zukunft habe L. für die Wagnerische Musik gewonnen; gewiß aber hat auch der märchenhafte Zauber der deutschen Sagenwelt, der in seinen Tondichtungen wiedererstand, den von Jugend auf mit romantischen Vorstellungen erfüllten Geist des Fürsten angezogen. In ernsten Stunden gemeinsamer Arbeit ging L. auf des Meisters Plan ein, das deutsche Theater zu der nationalen pädagogischen Bedeutung zu erheben, die einst der griechischen Bühne zukam. „Ein hinreißender Umgang“, schreibt Wagner über den Verkehr mit dem „göttlichen Jüngling“. „Dieser Drang nach Belehrung, dies Erfassen, dies Erleben und Erglühen ist mir nie so rückhaltlos schön zu Theil geworden. Und dann diese liebliche Sorge um mich, diese reizende Keuschheit des Herzens, jeder Miene, wenn er mir sein Glück versichert, mich zu besitzen; so sitzen wir oft Stunden da, einer in den Anblick des andern verloren.“ L. aber empfindet, der Gedanke an den Meister erleichtere ihm das Schwere in seinem Berufe; so lange Wagner lebe, sei auch für ihn das Leben herrlich und beglückend.
Zur Durchführung von Wagner’s Ideen wurden bedeutende Männer nach München berufen, wie Hans v. Bülow, Peter Cornelius, der Musikschriftsteller [542] Nohl. Nach Wagner’s Plan sollte das alte Conservatorium durch eine neue musikalische Akademie ersetzt werden, die freilich erst 1867 unter Bülow’s Leitung ins Leben trat, „um den classischen Stil einer reiferen Kunstentwicklung zu conserviren“. Zur Aufführung des Nibelungenringes entwarf Gottfried Semper ein steinernes Festtheater, das jenseits der Isar seinen Platz finden sollte. Aber die Ausführung scheiterte an dem Widerstand der Münchener. Wagner selbst war als „alles vermögender Günstling“ von allen Seiten überlaufen worden, obwohl er sich zum Grundsatz gemacht hatte, seinen Einfluß nur für sachliche, also für Kunstzwecke geltend zu machen. Im December 1865 mußte L. den von allen Parteien Angefeindeten auf das Drängen seiner Umgebung entlassen. „Es fällt mir dieser Entschluß zwar schwer“, sagte er, „aber das Vertrauen meines Landes geht mir über alles. Auch ich will Frieden haben mit meinem Volke.“ Die Frage, wie weit eine nachtheilige Einwirkung Wagner’s auf L. angenommen werden dürfe, wurde von sachverständiger Seite 1886 dahin beantwortet: bei einer so veranlagten, der Excentricität auf allen geistigen Gebieten zugänglichen Individualität wie der des Königs hätte jede bedeutende Persönlichkeit einen nicht nur sympathischen, sondern möglicherweise auch beherrschenden Einfluß ausüben können; wäre damals eine einseitig religiös gerichtete Capacität an Wagner’s Stelle gewesen, so hätte sich wahrscheinlich nach dieser Seite hin eine krankhafte Entartung und Schwärmerei herausgebildet. Jedenfalls verdankt es das deutsche Volk heute zum nicht geringen Theil L., der Wagner’s Genius dazu anregte und ihn förderte, daß es die „Meistersinger“, den „Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“ besitzt. Und daß L. das volle Bewußtsein hatte von dem, was er that, beweist sein Brief an den Meister: „Wenn wir beide längst nicht mehr sind, wird doch unser Werk noch der späteren Nachwelt als Vorbild dienen, das die Jahrhunderte entzücken soll, und in Begeisterung werden die Herzen erglühen für die Kunst, die gottentstammte, die ewig lebende.“ L. bewahrte Wagnern auch fernerhin seine Freundschaft. Nachdem schon früher der „Fliegende Holländer“ und „Tristan“ über die Bretter gegangen waren, folgte 1868 die Aufführung der „Meistersinger“, wobei der König dem Componisten befahl, an der Brüstung der Hofloge sich zu zeigen, 1869 das „Rheingold“, 1870 die „Walküre“. Zum Bau von Wagner’s Musterbühne in Bayreuth spendete der König 300 000 Mark, 1876 begab er sich zwei Mal zu den Aufführungen dahin, und 1881 übernahm er das Protectorat über die Festspiele.
Nach der Erneuerung der Zollvereinsverträge erhielt am 5. October 1864 Minister v. Schrenck seine Entlassung, und sein Nachfolger wurde am 5. December Freiherr v. d. Pfordten, in der Zwischenzeit leitete Staatsrath v. Neumayer interimistisch die Geschäfte. Den Landtag eröffnete L. am 27. März 1865 nicht selbst, da er nur vertagt war (seit 1863); aber er lud sämmtliche Abgeordneten zur königlichen Tafel. Die sechsjährige Dauer der Finanzperioden wurde auf eine zweijährige herabgesetzt, und im Auftrag des Königs ein Generalpardon ausgesprochen für alle an den Aufständen 1848/49 betheiligten Personen sowie für die Militärs aller Grade, die damals aus den Festungen und Garnisonen der Pfalz geflüchtet waren. Nach einer Musteraufführung des „Tell“ besuchte L. die durch die Tellsage denkwürdigen Stätten der Schweiz und auf einen enthusiastischen Bericht über diese Reise antwortete er mit einem Briefe an die Redaction der „Schwyzerzeitung““, indem er dem biedren, freien Volk, welches Gott segnen wolle, seinen Gruß entbot. Vorurtheilslos erkannte er auch das neue Königreich Italien an. Aber trotz der Besuche König Wilhelm’s in Hohenschwangau 1864 und 1865 und der Besprechungen [543] Pfordten’s mit Bismarck in Gastein stellte sich die bairische Regierung im Einklang mit der Volksstimmung auf den Bundesstandpunkt in der schleswig-holsteinischen Frage, und von dem neuen Landtag, den er am 27. Mai 1866 nach einem Besuche R. Wagner’s in der Schweiz in Person eröffnete, verlangte L. die Mobilisirung der Armee. Eine Verständigung mit Preußen, wie sie ihm Hohenlohe im April vorgeschlagen hatte, lehnte er ab, da er schon damals von der preußischen Hegemonie eine Beschränkung seiner Souveränität befürchtete. Am 14. Juni schloß der bairische Generalstabschef v. d. Tann in Olmütz mit Benedek eine Militärconvention, die jedoch durch Freiherrn v. d. Pfordten, der die Katastrophe Oesterreichs voraussah, in wesentlichen Theilen verworfen wurde. Der Krieg, in dem die bairischen Truppen unter Prinz Karl gegen die Preußen in den Gefechten bei Dermbach, Kissingen, Neubrunn, Roßbrunn und Helmstadt fochten, war dem Könige von Anfang an verhaßt; hätte er gewußt, daß Oesterreich sich so schlecht benehmen würde, auch gegen Baiern, gestand er im nächsten Jahre, so würde er anders gehandelt haben. In dem Berliner Frieden vom 22. August 1866 trat Baiern in Form einer Grenzregulirung die Bezirksämter Orb und Gersdorf an Preußen ab und zahlte 30 Millionen Kriegsentschädigung. In einem geheimen Allianzvertrag war der Besitzstand beider Staaten gegenseitig gewährleistet, und für den Kriegsfall der Oberbefehl über die bairischen Truppen dem König Wilhelm übertragen. Bismarck’s Mittheilung an v. d. Pfordten, Napoleon III. habe für preußische Vergrößerungen als Compensation u. a. die bairische Pfalz verlangt, machte im ganzen Lande nachhaltigen Eindruck. In einem Brief lud L. den König von Preußen zum Mitbesitz der Nürnberger Burg ein: „Wenn von den Zinnen dieser gemeinschaftlichen Ahnenburg die Banner von Hohenzollern und Wittelsbach vereinigt wehen, möge darin ein Symbol erkannt werden, daß Preußen und Baiern einträchtig über Deutschlands Zukunft wachen, welche die Vorsehung durch E. K. M. in neue Bahnen gelenkt hat.“
Unmittelbar nach dem Frieden besuchte L. die von dem Krieg am meisten heimgesuchten fränkischen Provinzen, die er schon 1864 anläßlich einer Reise nach Kissingen und an den Rhein berührt hatte; dabei bewegte er sich unter dem Volke ohne Unterschied der Stände, und neben den officiellen Empfängen, Musikaufführungen und Concerten und dem Besuch historisch denkwürdiger Stätten fand er auch Zeit, eifrig Fabriken und gewerbliche Anstalten zu besichtigen. Am 31. December 1866 wurde Reichsrath Fürst Chl. v. Hohenlohe-Schillingsfürst, auf den die Aufmerksamkeit des Königs durch R. Wagner gelenkt worden war, und der sich durch seine Rede über die deutsche Frage vom 31. August 1866 und durch ein Gutachten vom October empfohlen hatte, Vorsitzender des Ministeriums. Das Portefeuille des Krieges lag schon seit dem 1. August in den Händen des Freiherrn v. Pranckh, und an Stelle des Staatsraths v. Pfistermeister war Cabinetschef Johann v. Lutz, der schon am 1. October 1867 die Leitung des Justizministeriums übernahm. Am 1. Januar 1867 verlobte sich L. mit der Herzogin Sophie, Tochter des Herzogs Max, doch wurde die Verlobung aus unbekannten Gründen in gegenseitigem Einvernehmen im Herbste wieder aufgehoben. Der am 8. Januar 1867 wiedereröffnete Landtag erledigte bis zum 29. April 1869 53 Gesetze, darunter das über Heimath, Verehelichung und Aufenthalt, über die Wehrverfassung (auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht), öffentliche Armen- und Krankenpflege, die Gemeindeordnung, Gewerbefreiheit, die Proceßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten u. a. Abgelehnt wurde jedoch der Entwurf eines neuen Schulgesetzes, der den kirchlichen Oberbehörden die Leitung des [544] Religionsunterrichts überließ, aber die Aufsicht und Führung der Schule entzog. Schon im J. 1864 hatte der bairische Episcopat gemeinsame Maßnahmen gegen die in Aussicht stehende Schulreform getroffen und im Juli dieses Jahres in einer Adresse an L. die concordia inter imperium et sacerdotium betont, worauf dieser antwortete, „daß die Ziele, welche die kirchlichen Oberbehörden verfolgten, ebenso die Mittel und Wege, deren sie sich zu bedienen gedächten, unter vollständiger Wahrung der von seinem Vater sorgfältig gepflegten glücklichen confessionellen Zustände des Landes auch Endzweck und Wege seiner Regierung sein könnten“. Als der Bischof von Speyer den Versuch machte, gegen die Bestimmung der Verfassung eine von der Controlle des Staates unabhängige Lehranstalt zu errichten, mußte Cultusminister Koch auf directen Befehl des Königs einschreiten und die Abhaltung von Schulexercitien durch die Jesuiten ohne königliche Erlaubniß verbieten. Hohenlohe’s Circulardepesche vom 9. April 1869, in welcher er die europäischen Regierungen vor der von Rom drohenden Gefahr warnte, ließ den Ultramontanen keinen Zweifel mehr über die Haltung der Regierung.
In der äußeren Politik fand Hohenlohe mit seiner Programmrede vom 19. Januar 1867, in welcher er ein Verfassungsbündniß mit den übrigen deutschen Staaten als wünschenswerth bezeichnete, so bald und so weit dies unter Wahrung der bairischen Souveränität möglich wäre, den Beifall der Kammer so sehr, daß der Abgeordnete Barth seinen Antrag auf Eintritt der Südstaaten in den norddeutschen Bund, noch ehe die Verfassung desselben endgültig festgestellt sei, zurückzog. Am 30. März 1867 ertheilte L. Hohenlohe seine nachträgliche Genehmigung zu Verhandlungen über die Stellung Baierns gegenüber den übrigen deutschen Staaten. Wenn er auch den Eintritt Baierns in den norddeutschen Bund entschieden ablehnte und eine nationale Vertretung beim Bund zur Fortbildung der Bundesgesetzgebung bedenklich fand, entsprach er doch genau dem Wunsche Bismarck’s, wonach Preußen zufrieden war, daß der Süden sich nicht an eine fremde Macht anlehnen werde und die gemeinsame Wahrung und Pflege der nationalen Interessen gesichert sei. Hatte Hohenlohe dem französischen Gesandten schon nach dem Antritt seines Ministeriums keinen Zweifel gelassen, welche Haltung Baiern bei einem Krieg zwischen Preußen und Frankreich einnehmen werde, so ließ der König, der damals auf die gleiche Frage des Marquis de Cadore sich „mehr niedergeschlagen als resignirt“ gezeigt hatte, nach dem Auftauchen der luxemburgischen Verwicklung ohne alle Schwierigkeit Bismarck in unzweideutigen Worten seine nationale und bundestreue Gesinnung versichern. Gleichzeitig mit ähnlichen Eröffnungen Bismarck’s in Berlin machte nun der Ministerialcommissar Graf Taufkirchen dem Finanzausschuß der Abgeordnetenkammer Mittheilung von dem bisher geheim gehaltenen Schutz- und Trutzbündniß mit Preußen; auf Bismarck’s Anregung suchte L. eine Annäherung zwischen Preußen und Oesterreich herbeizuführen, was jedoch an der Abneigung Beust’s scheiterte. Als Napoleon im Juli 1867, wo L. zum Besuche der Weltausstellung in Paris weilte, ihn davor warnte, er möge sich nicht zu tief mit Preußen einlassen, und am 17. August bei seinem Gegenbesuche auf der Fahrt von Augsburg nach München ihn über die Allianz eines Südbundes mit Oesterreich und Frankreich sondirte, erklärte der König nachher unwillig: „Habe ich das Schwert gezogen zur Vertheidigung gegen die preußische Hegemonie, um mich unter Oesterreich zu stellen, dem die Macht fehlt, einen Alliirten zu schützen? Wer würde der Schirmherr dieses Bundes sein? Nicht das schwache, in sich selbst beschäftigte Oesterreich, sondern Frankreich, welches für diesen Schutz seinen Preis aus deutscher Erde schneiden würde.“ So groß war seine Abneigung gegen ein [545] österreichisch-französisches Bündniß, daß er die Einladung zu der Zweikaiserzusammenkunft in Salzburg ablehnte. Eine politische Demonstration dagegen freilich, wie sie der Großherzog von Baden durch einen Besuch der Könige von Württemberg und Baiern bei König Wilhelm in Mainau herbeiführen wollte, hielt er für überflüssig; doch fand die Begegnung Ludwig’s mit dem preußischen Königspaare schließlich in anderer Form am 6. October 1867 auf dem Augsburger Bahnhofe statt.
Als Bismarck, dem die bairisch-württembergischen Vorschläge über das Verhältniß des Südens zum Norden unannehmbar erschienen, die Reform des Zollvereins in Angriff nahm, wurden im October die neuen Zollvereinsverträge vom 8. Juli 1867 in der bairischen zweiten Kammer mit 117 gegen 17 Stimmen angenommen; aber L. empfand es schmerzlich, daß man in Berlin den bairischen Sonderwünschen kein Gehör schenkte. Unter diesen Umständen stieg seine Sorge um die Unabhängigkeit seiner Krone und die Selbständigkeit seines Landes bis zu dem Grade, daß er Geibel wegen eines Gedichtes, in dem von der Herrschaft des Adlers „vom Fels zum Meer“ die Rede war, die Pension aus seiner Cabinetscasse entzog, daß Hohenlohe auch bei einer bevorzugten Stellung, die dem Lande die Diplomatie und das Heerwesen belassen und dem Könige ein Ehrenamt eingeräumt hätte, den Eintritt Baierns in den norddeutschen Bund für unerreichbar hielt. Dagegen führten die Conferenzen der Kriegsminister der drei süddeutschen Staaten in Stuttgart 1867, in München 1868 und 69 schließlich doch zu einem Ziele, indem Verabredungen getroffen wurden über möglichst gleichartige Ordnung des Kriegswesens, Einsetzung einer süddeutschen Festungscommission u. a.; im Mai und Juni 1868 wurden mit Moltke über die Abwehr eines allenfallsigen Angriffs von Frankreich weitgehende Verpflichtungen eingegangen. In den Wahlen zum Zollparlament am 10. Februar 1868 hatte die partikularistische Partei 26 Abgeordnete durchgebracht. Noch größer war ihr Erfolg in den ungemein stürmisch verlaufenen Wahlen zum Landtag 1869, indem sie 79 Sitze erlangte gegenüber von 55 Liberalen und 20 Mitgliedern der Mittelparteien. Bei den infolge der Auflösung des Landtages erforderlichen Neuwahlen im October hatten die Patrioten wieder das Uebergewicht mit 80 Köpfen gegen 63 Fortschrittler und 11 Wilde. L. nahm die infolge des Wahlergebnisses ihm angebotene Entlassung des Gesammtministeriums nicht an und ersetzte nur den wegen des Schulgesetzes unbeliebten Cultusminister Gresser durch Lutz, und den wegen eines Erlasses gegen die Agitationswuth der Beamten angefeindeten Minister des Inneren v. Hörmann durch v. Braun.
Ludwig’s wahrhaft königliche Stellung über den Parteien kennzeichnet sein Wort: „Ich kenne in meinem Lande nur eine Partei, jene der wahrhaft edlen Menschen, die durch reine Gesinnungen, nützliche Thätigkeit, durch ihr Wissen dem Gemeinwohl dienen, seien es nun schlichte Arbeiter, Bürger, Bauern, Gelehrte, Journalisten, pflichtgetreue Beamte, die gleich mir dem Volke gewissenhaft dienen, Officiere, die meinen Soldaten Freunde wie Führer sind, würdige Priester aller Confessionen, die als wahre Seelenärzte gelten, oder gerechte Richter, Lehrer meines Volkes oder Adelige, die mit dem Adel des Titels auch den der Seele verbinden und in allem voranleuchten, diese alle – und nur diese, sind von meiner Partei.“ Ein ander Mal äußerte er: „Glaubt jene Partei denn wirklich, ich könnte und würde zugeben, daß die Schritte, die zu Deutschlands Einigung geschehen sind, zurückgenommen werden? Da wissen sie nicht, wie tief mich dieser Gedanke stets bewegte, wenn ich meinen Lieblingsdichter Schiller las.“ Darum verband auch die Thronrede, [546] mit der der neue Landtag am 17. Januar 1870 eröffnet wurde, mit dem energischen Ausdruck der Bündnißtreue zugleich versöhnende Worte gegenüber dem Streit der Parteien. Als die II. Kammer trotzdem in der Adreßdebatte ein Mißtrauensvotum gegen Hohenlohe mit 77 gegen 62 Stimmen annahm, und von den Reichsräthen nur 12 den Standpunkt der Regierung theilten, erhob L., der den Debatten mit dem größten Interesse gefolgt war, in einem Handschreiben an die erste Kammer den Vorwurf, daß sie durch ihre Angriffe auf den Gesammtbestand des gegenwärtigen Ministeriums ohne jede thatsächliche und gesetzlich greifbare Begründung dem Geist der Versöhnung nicht entsprochen habe; die Minorität der 12 wurde durch eine Einladung zur königlichen Tafel ausgezeichnet, die sechs Prinzen aber, die dem Wunsche des Königs entgegen ihre Opposition gegen die Regierung offen bekundet hatten, bis auf weiteres vom Erscheinen bei Hofe dispensirt. Erst am 7. März 1870 erhielt Hohenlohe seinen Abschied. Wenn L. damals die Befürchtung aussprach, ein anderes Ministerium werde ihn in der Erfüllung seines deutschen Berufes hindern, so schien der neue Ministerpräsident Graf Bray allerdings mehr auf die Selbständigkeit Baierns als auf die Vertragstreue gegen Preußen bedacht. Und so war es in der That auch der König, der nach den Vorgängen in Ems noch vor der officiellen französischen Kriegserklärung, eben von einem Jagdausfluge zurückgekehrt, in Berg in der Nacht vom 15./16. Juli auf den Vortrag seines Cabinetssecretärs Eisenhart hin sich für die Anerkennung des casus foederis aussprach und am 16. Juli ohne Vorwissen Bray’s mit den Worten: Bis dat qui cito dat die Mobilmachung der Armee anordnete; etwaige Bedenken können sich nur auf die Frage bezogen haben, ob besondere Garantien für die Wahrung der Selbständigkeit Baierns gefordert werden sollten.
In den Sitzungen des 18./19. Juli wurde in der II. Kammer der Ausschußantrag Jörg auf bewaffnete Neutralität und ein zweiter Neutralitätsantrag abgelehnt und die Regierungsvorlage mit 101 gegen 47 Stimmen angenommen. Der König war Gegenstand begeisterter Huldigung; der Kronprinz von Preußen, der zur Uebernahme des Commandos über die bairischen Truppen selbst nach München kam, fand ihn „aus vollem Herzen bei der nationalen Sache“ und Bismarck nannte ihn damals Preußens einflußreichsten Freund in Baiern. Die Reorganisation der bairischen Heeresverfassung durch Pranckh bewährte sich glänzend. L. bewies seine Theilnahme an den Siegen der deutschen Waffen durch die Verleihung des Max-Josefordens, den in Baiern selbst damals noch Niemand besaß, an den Kronprinzen am 6. September, und indem er König Wilhelm nach der Einnahme von Metz als den Siegreichen begrüßte. Aber eine Hauptfrage war ihm die Erhaltung der Selbständigkeit, und sein Einheitstraum verquickte sich mit den alten bairischen Vergrößerungsplänen. Schon vor der Eröffnung des Feldzuges hatte er dem Kronprinzen das Versprechen abgenommen, dafür Sorge zu tragen, daß aus dem Kriege nichts hervorgehe, was die politische Stellung Baierns afficire, und dem König Wilhelm geschrieben, daß er nicht mediatisirt werden wolle; trotz der beruhigenden Versicherungen, die Staatssecretär v. Thile dem bairischen Gesandten in Berlin, Baron Perglas, inzwischen gegeben hatte, kehrt die gleiche Sorge noch in dem Briefe an Bismarck vom 2. December wieder. Einer Aufforderung Bismarck’s an den Prinzen Luitpold, man möge von München aus mit Vorschlägen im Interesse einer engeren nationalen Einigung hervortreten, wurde nicht entsprochen, und noch am 1. September beantwortete L. eine dahin zielende Adresse der Münchener Bürgerschaft in ziemlich allgemeiner Fassung. Erst nach der Einladung des Königs von Sachsen hieß [547] L. den Vorschlag seines Ministeriums gut (vom 12. September), von dem Boden völkerrechtlicher Verträge, welche bisher die süddeutschen Staaten mit dem norddeutschen Bunde verbanden, zu einem Verfassungsbündniß überzugehen; aber er war einig mit seinem Ministerium auch darin, daß von einem Eintritt Baierns in den norddeutschen Bund nicht die Rede sein könne. Trotzdem war die bairische Regierung gezwungen, da sie mit keinen selbständigen Vorschlägen hervortrat, in den von ihr angeregten Münchener Conferenzen mit Delbrück und dem württembergischen Minister v. Mittnacht vom 22.–26. September die Verfassung des norddeutschen Bundes als Grundlage der Verhandlungen anzunehmen; über das Kriegswesen und die Diplomatie wurde jedoch hier noch keine Einigung erzielt. Delbrück wurde von L. zwar empfangen, aber der Fürst vermied jedes Eingehen auf die Deutsche Frage; zu einer Reise nach Versailles konnte er sich weder jetzt noch später entschließen. Statt seiner begaben sich am 20. October die Minister Bray, Pranckh und Lutz nach Versailles, die in dem Versailler Vertrag vom 23. November 1870 wenigstens einen Theil der bairischen Forderungen durchsetzten, nämlich die Selbständigkeit des Heeres, die Reservate in der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverwaltung, in der Besteuerung des Bieres und Branntweins, in der Heimaths- und Niederlassungsgesetzgebung und den Vorsitz Baierns in einem ständigen diplomatischen Ausschuß im Bundesrathe. Im Plenum der bairischen Abgeordnetenkammer wurde der Vertrag erst nach zehntägigem heftigen Redekampfe am 21. Januar 1871 mit 102 gegen 48 Stimmen angenommen.
Inzwischen hatte L. der Einladung des Großherzogs von Baden, in der Kaiserfrage die Initiative zu ergreifen, entsprochen, indem er ohne Vorwissen der Minister den Oberststallmeister Grafen Holnstein in das deutsche Hauptquartier entsandte; wenn er sich von Bismarck das Concept für den Kaiserbrief erbat, geschah es lediglich, weil man in München die richtige Fassung nicht zu finden vermochte. Mit der Ueberreichung dieses Kaiserbriefes an König Wilhelm durch den Prinzen Luitpold am 3. December war der Bau des Deutschen Reiches vollendet. Wenn Bismarck gemeint hatte, es dürfte dem Könige leichter fallen, gewisse Rechte an den deutschen Kaiser abzutreten als an den König von Preußen, so äußerte L. jetzt zu seiner Umgebung: „Bis jetzt war der König von Preußen mein Nachbar, jetzt will ich ihn als meinen Landsmann anerkennen.“ Freilich war er mit dem Erreichten nachher selbst nicht zufrieden. Es hatte ihn schon verstimmt, daß die Verhandlungen zuerst mit anderen Staaten abgeschlossen waren, woran doch sein Minister Bray selbst die Schuld trug. Nicht erreicht hatte er die so beharrlich erstrebte Gebietsvergrößerung, den Alternat der Kaiserwürde zwischen Preußen und Baiern, die Befreiung seiner Armee vom Eid gegen den Bundesfeldherrn. Wie bei Beginn des Krieges mit Eisenhart, mußte er jetzt das Verdienst mit dem Grafen Holnstein theilen. Aber wenn man aus den näheren Begleitumständen und aus der späteren Krankheit des Königs von seiner Seite auf einen geringeren Grad von Initiative hat schließen wollen, so ist das falsch. Wie später in das kranke Leben Ludwig’s sich Reste gesunder Zeiten hineinspiegeln, so warf sein Leiden auch in das gesunde Denken und Handeln der ersten Regierungsjahre seinen Schlagschatten voraus. Dahin gehört jene Menschenscheu, die im Anfang seines Königthums als Schüchternheit ausgelegt wurde und unter dem Eindruck gewisser Ereignisse sich bis zur Menschenverachtung steigerte, Ludwig’s immer größer werdende Vereinsamung, die er wohl mit dem Bedürfniß begründete, über die Pflichten seines Berufes nachzudenken, was doch besser mit Gott und der Natur als im Geräusche des [548] Hoflebens geschehen könne; schon 1869 beschränkte sich sein Umgang mehr und mehr auf die schlechte Gesellschaft des Bereiters Hornig. Mit der Hauptstadt zerfallen, zog er sich immer weiter ins Gebirge zurück, wo er die Zeit mit scharfen Ritten (auch bei Nacht), phantastischen Verkleidungen und Ausstattung von Theaterstücken hinbrachte. Schon während der Friedensverhandlungen 1866 war er in Berg mit Theaterdekorationen für „Wilhelm Tell“ beschäftigt. Er beklagte es, wenn seine Liebhabereien an die Oeffentlichkeit gezogen und kritisirt wurden. Auf der anderen Seite bewahrte ihn die Isolirung freilich vor Intriguen, und an dem geringen Verkehr mit den Ministern hatte die von seinem Vater überkommene Einrichtung des Cabinetssecretariats Schuld, an dessen Spitze der Reihe nach Pfistermeister, Lutz, Eisenhart, Lipowski, Ziegler und Schneider standen. Aber seine Theilnahme an den Geschäften zeigte sich auch darin, daß er sich noch immer jedes Schriftstück, das an die Gesandten oder auswärtigen Regierungen abging, vorher vorlegen ließ. Sein körperliches Befinden war schon damals kein gutes; der Kronprinz von Preußen fand ihn im Juli 1870, zwei Jahre nach der ersten Begegnung zwischen den Beiden, auffallend verändert: „Seine Schönheit hat sehr abgenommen, er hat die Vorderzähne verloren, bleich, nervös, unruhig im Sprechen, wartet die Antwort auf die Frage nicht ab, sondern stellt, schon während man antwortet, weit andere Dinge betreffende Fragen.“ Dagegen rühmt Hohenlohe die Klarheit seiner Auffassung und den Scharfsinn, der aus seinen Fragen und Antworten sprach, und Delbrück hatte von ihm den Eindruck einer ungewöhnlich begabten und gewinnenden Persönlichkeit: „Wohl alle verblüffte die staunenswerthe Kenntniß der einschlägigen rechtlichen Materien, wenn der König aus sich herausgehend in klarem, elegantem Vortrage seine Auffassung darlegte.“
Für die Selbständigkeit des Königs zeugt ferner die Thatsache, daß er von seinem Lehrer in der Philosophie J. Huber ein Gutachten über die Kaiserfrage einholte, ehe ihm hierüber von anderer Seite Vorschläge unterbreitet waren, und daß er den Einspruch der Mitglieder seines Hauses in dieser Angelegenheit für nichts achtete. So grenzt es in der That „an das Wunderbare, daß dieser junge Fürst, der an den öffentlichen Angelegenheiten keinen Antheil zu nehmen schien, dennoch in den beiden größten Fragen, welche vorkommen konnten, die Initiative zu Gunsten der großen deutschen Ideen ergriffen hat. Nachdem er erst den casus foederis in dem entscheidenden Moment freudig anerkannt hat, hebt er die Nothwendigkeit dieser Anerkennung für die Zukunft selber auf – das ist das Wesentliche an der Sache, alles andere ist mehr der äußere Schmuck“ (Ranke).
Bei dem Siegeseinzug der bairischen Truppen in München am 16. Juli 1871 traf L. zum letzten Mal mit dem Kronprinzen des Deutschen Reiches zusammen; dagegen begrüßte er den deutschen Kaiser am 10. August desselben Jahres in Schwandorf und am 13. Juli 1874 in München, wo er das Gelöbniß ablegte: „Nein, die Weltgeschichte soll mein Gedächtniß nicht mit jenem Fluch belastet auf die Nachwelt bringen, welcher auf dem Andenken Heinrich’s des Löwen ruht.“ Er hatte sich also jetzt in die neuen Verhältnisse, die ihn anfangs mit Rücktrittsgedanken erfüllten, gefunden, und darum sprach er auch 1875 seine Zufriedenheit mit Wilhelm und Bismarck aus; vom Kronprinzen jedoch fürchtete er eine neue Politik und eine Beschränkung der Selbständigkeit der Einzelstaaten. Seine Verehrung für Bismarck, mit dem er bis an sein Lebensende im Briefwechsel blieb, ohne ihn jemals zu empfangen, entsprang der Dankbarkeit für seine Politik im J. 1866 und der Gewißheit, daß er der einzige sei, der das Band zwischen den deutschen Fürsten in richtiger Weise [549] zu knüpfen verstehe; noch in seinen letzten finanziellen Schwierigkeiten wandte er sich an ihn um Rath. Der Kanzler aber hatte von ihm jederzeit „den Eindruck eines geschäftlich klaren Regenten von national deutscher Gesinnung, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Princips der Reichsverfassung und der verfassungsmäßigen Privilegien seines Landes“.
In dem Kampfe, der nach der Verkündigung der Unfehlbarkeit des Papstes entbrannte, erhielt Bray am 22. Juli 1871 die erbetene Entlassung, da es nicht möglich war, die Eintracht im Gesammtministerium anders wieder herzustellen, und am 21. August ernannte L. Hegnenberg-Dux zum Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen, Lutz erhielt definitiv das Ministerium des Cultus, Ministerialrath Fäustle das der Justiz. Am 28. Februar 1871, allerdings ehe die größere Excommunication über den Gelehrten verhängt war, richtete der König an Döllinger wegen seiner Stellung zu den Beschlüssen des Vaticanischen Concils ein Zustimmungsschreiben, in welchem er ihn als den Stolz des Landes bezeichnete; aber auch später noch gewährte er ihm seine Huld. So ließ er an ihn als Rector der Universität München anläßlich ihrer 400jährigen Jubelfeier ein weiteres Schreiben gelangen, des Inhalts, daß Wissenschaft und Kunst stets sicheren Hort und liebevolle Pflege unter seiner Regierung finden würden. Obwohl L. den Umgang mit Gelehrten nicht in dem ausgedehnten Maße hatte wie sein Vater, blieb Döllinger als Akademiepräsident auch weiterhin sein wissenschaftlicher Berather, von dem er sich öfter Vorträge halten ließ, und auf die Wahl der Themata bei seinen Akademiereden hat der König wiederholt bestimmend eingewirkt. Zur Förderung des Studiums der Geschichte an der Universität München, die sich unter seiner Regierung zur zweitgrößten in Deutschland entwickelte, errichtete L. 1872 ein Stipendium, und den Fortgang der Arbeiten der historischen Commission in München sicherte er durch Ueberweisung der Renten aus der „Wittelsbacher Landesstiftung für Wissenschaft und Kunst“, indem er zum Andenken an das 700jährige Regierungsjubiläum seines Hauses am 23. März 1880 aus dem Nachlaß des Königs Max II. in Gemeinschaft mit seinem Bruder Otto den Betrag von 650 000 Mk. ausschied. Die neu gegründete technische Hochschule erhielt ein geräumiges Heim durch Neureuther; durch die Schaffung von Industrieschulen und Realgymnasien bekundete der König auch seine Theilnahme für die unter der letzten Regierung etwas vernachlässigten Mittelschulen. Ludwig’s Anschauungen über das Verhältniß von Staat und Kirche sind am deutlichsten in einem Handschreiben an Lutz vom 23. Februar 1882 niedergelegt, wonach es sein fester Wille sei, daß den religiösen Bedürfnissen des Landes die sorgsamste Beachtung und Pflege zu Theil werde, daß aber zugleich seine Regierung jetzt und in Zukunft allen Bestrebungen entgegentrete, welche darauf abzielen, die unzweifelhaften und nothwendigen Rechte des Staates zurückzudrängen, und welche Staat und Kirche in eine feindliche und unheilvolle Stellung bringen würden. Thatsächlich wurden in seinen ersten zehn Regierungsjahren von den geistlichen Orden die männlichen von 10 auf 11 erhöht, die weiblichen von 19 auf 22; die Zahl der Klöster stieg von 280 auf 470, was einer jährlichen Vermehrung von durchschnittlich 19 gleich kam.
In dem Culturkampf, der aber in Baiern nie solche Formen annahm wie z. B. in Preußen (siehe den Artikel Lutz), billigte L. die Haltung seines Ministeriums durchaus; er wollte jedoch den Bogen nicht überspannen und hat daher wiederholt in versöhnendem Sinne eingegriffen, indem er z. B. am 6. Juni 1873 entgegen der Ordre des Generalcommandos die Theilnahme [550] der Truppen an der Fronleichnamsprocession befahl. Ihn selbst haben in den ersten Jahren nur dringende Gründe, z. B. Todesfälle, ausnahmsweise von der Betheiligung ferngehalten. Im J. 1874 schritt er zum letzten Mal hinter dem Sanctissimum einher. Sein Fernbleiben beim Schluß des vierzigstündigen Gebets 1875 war veranlaßt durch den Fastenhirtenbrief des Erzbischofs von München, der direct gegen seine Person gerichtet war. Später kam er seinen Repräsentationspflichten auch auf anderem Gebiete nicht mehr nach. Die Messe ließ er in der Regel für sich allein lesen und noch in seinem Todesjahre pilgerte er in schwarzer Kleidung auf den Calvarienberg bei Füssen.
Nach dem Tode des Grafen Hegnenberg-Dux († 2. Juni 1872) bemühte sich der Gesandte am Stuttgarter Hofe Herr v. Gasser vergeblich, ein gemäßigtes ultramontanes Ministerium zu Stande zu bringen, das von den extremen Elementen in der Partei selbst als eine Halbheit bekämpft wurde; am 19. September verwarf L. Gasser’s Vorschläge und die bisherigen Minister blieben. Den Vorsitz mit dem Portefeuille des Aeußeren übernahm nun der bisherige Finanzminister v. Pfretzschner, den in seinem Ressort der Bevollmächtigte beim Bundessrath v. Berr ersetzte. Ein vom Zaun gebrochener Angriff der zweiten Kammer gegen Lutz entbehrte der Bedeutung; dagegen erhielt Freiherr v. Pranckh am 19. März 1875 die wegen der feindseligen Haltung der Landboten erbetene Entlassung. Sein Nachfolger wurde der nicht minder national gesinnte General Maillinger. Die bairische Armee hatte sich 1870 den übrigen deutschen Armeen durchaus ebenbürtig gezeigt. So war die wichtigste Aufgabe der Heeresverwaltung die Annäherung an die allgemein deutschen Verhältnisse. Mit der Einführung des Mausergewehres in Baiern (19. August 1877) erhielt die ganze deutsche Armee eine Waffe; dagegen wurde die Uniformirung des Heeres dahin entschieden, daß die hellblaue Uniform und der Raupenhelm erhalten blieb (24. März 1873). Durch eine kgl. Verordnung vom 9. December 1876 wurde der Wegfall des Küraß bei den Kürassieren und ihre Ausrüstung mit Karabinern verfügt, eine selbständige, aber als großer Fortschritte betrachtete Maßnahme des Obersten Kriegsherrn. Als solcher hielt L. am 22. August 1875 seine letzte große Revue über die Truppen ab.
Am 11. Juni 1875 traf die Regierung nach der ihr gesetzlich zustehenden Befugniß zum Theil eine neue Wahlkreiseintheilung, mit der sie jedoch nicht den Beifall der Ultramontanen fand. Die Macht dieser Partei hatten die letzten Reichstagswahlen (1874) gezeigt, wo ihnen 32, den Liberalen nur 16 Wahlsitze zufielen, während im ersten Reichstag die Patrioten nur 18 Mandate besaßen. Als sie in dem neuen Landtag, der am 28. September ohne Thronrede eröffnet wurde, von ihrer Zweistimmenmajorität (79 gegen 77 Liberale) sofort Gebrauch machten und eine Adresse gegen das Ministerium votirten, bot dieses dem Könige erneut seine Entlassung an. Aber L. sprach nicht nur in einem Signate vom 19. October sein offenes Mißfallen aus über den Ton, in den einzelne Kammerredner bei der Adreßdebatte verfielen, sondern er gab gleichzeitig in einem Handschreiben seinem Ministerium das glänzende Zeugniß, daß es inmitten der hochgehenden Wogen des Parteikampfes nach seiner Ueberzeugung bei seinen Entschlüssen und Handlungen stets des ganzen Landes allgemeines Wohl und Bestes im Auge behalten und in gesetzmäßiger Weise für die Wahrung der Rechte des Staates eingetreten sei, daß er also keinen Grund habe, eine Aenderung des Gesammtministeriums eintreten zu lassen. Diese feste Haltung des Königs wurde damals in zahlreichen Telegrammen und Ergebenheitsadressen aus ganz Deutschland dankbar anerkannt. Vergebens [551] suchte die Majorität durch Cassirung liberaler Wahlen und kleinliche Chikanen gegen die Minister ihre Macht zur Geltung zu bringen; die längst vorhandene Spaltung der Partei in einen gemäßigten Flügel unter Jörg und einen extremen unter Sigl wurde ihr verhängnißvoll. Nur der Finanzminister v. Berr fiel ihr am 24. November 1877 zum Opfer, indem er durch Riedel ersetzt wurde. Dagegen gelang es der Regierung, die von der patriotisch gesinnten Reichsrathskammer in wirksamer Weise unterstützt wurde, das Budget und die außerordentlichen Militärcredite ohne wesentliche Streichungen auch in den folgenden Jahren durchzubringen. Von den Vorlagen an diesen Landtag waren die wichtigsten die Einführungsbestimmungen zu den neuen Reichsjustizgesetzen, die sämmtlich in Baiern 1879 in Kraft traten; seit dem 1. Januar 1876 hatte bereits die Civilehe trotz des Einspruchs des Papstes Eingang gefunden. Mit der Errichtung des neuen Verwaltungsgerichtshofes, der am 1. October 1879 eröffnet wurde, war zugleich eine Reform des Staatsrathes verbunden. Im J. 1878 hatte Riedel die Bilanzirung des Budgets noch ohne Erhöhung der directen Steuern erreicht; als sich aber 1880 statt der bisherigen Ueberschüsse ein Deficit von 25 Millionen ergab, erlangten vier Gesetzentwürfe auf dem Gebiete der directen und indirecten Steuern eine besondere Wichtigkeit. Da die Annahme eines neuen Wahlgesetzes bei der Kammer nicht erreichbar schien und die Regierung principiell an der Grundlage des indirecten Wahlsystems festhielt, verstand man sich nur zu einigen Abänderungen des Gesetzes über die Wahl der Landtagsabgeordneten.
Am 5. März 1880 trat v. Pfretzschner wegen leidender Gesundheit von seinem Amte zurück; im Ministerium des Auswärtigen ersetzte ihn Legationsrath v. Crailsheim, der Vorsitz im Ministerrathe ging an den Cultusminister v. Lutz über. Im nächsten Jahre übernahm Feilitzsch an Pfeufer’s Stelle das Ministerium des Innern. Nach Ablauf der sechsjährigen Legislaturperiode fielen in dem neuen Landtage den Clerikalen 87, den Liberalen 69 Sitze zu. Er erledigte die Gesetze betreffend die Gründung einer staatlichen, aber nicht obligatorischen Hagelversicherung und einer Landesculturrentenanstalt, die Beschaffung von Capitalien zur Ausführung von Culturunternehmungen zu erleichtern, und die Reform der Forstverwaltung. Aber von einer wirklichen Theilnahme des Königs an den Regierungsgeschäften war kaum mehr die Rede. Um den „prunkvollen Festlichkeiten“ anläßlich des Wittelsbacher Jubiläums zu entgehen, sprach er in einem Schreiben an die Gemeindebehörde der Residenz am 2. Februar 1880 den Wunsch aus, einen Theil der hierfür benöthigten Mittel einer den Namen „Wittelsbacher Landesstiftung“ tragenden Sammlung zu überweisen, deren Zinsen er später „zur Förderung des bairischen Handwerks in Stadt und Land“ bestimmte. Die Proclamation vom 22. August 1880, in der er sich zu dem Satze bekennt: „Die Treue ist mir die Grundlage meines Thrones, die Anhänglichkeit der schönste Juwel meiner Krone“ ist die letzte Kundgebung Ludwig’s an sein Volk, wie sein Schreiben an Lutz vom 23. Februar 1882, in dem er den letzten Kammerangriffen gegenüber die bestimmte Erwartung ausspricht, daß die von ihm berufenen Räthe der Krone auch fernerhin fest ausharren und mit aller Kraft für die Rechte seiner Regierung eintreten werden, für seine letzte, aus freier Initiative entsprungene Regierungshandlung von Bedeutung angesehen werden kann.
Wenn es auch um den König im Laufe der Jahre immer stiller geworden war, wenn seine Neigungen immer launenhafter und sonderbarer sich offenbarten, sein Gemüth sich mehr und mehr umdüsterte, so ist doch auch ein guter Theil dieser zurückgezogenen Thätigkeit Ludwig’s dem ganzen Lande zum [552] Segen geworden. Gerade in seinem Verhältniß zur Kunst tritt seine Doppelnatur am deutlichsten zu Tage, aber der Sachkundige wird in Vielem, was der Pöbel nur als die Emanationen einer krankhaften excentrischen Natur verurtheilt, mit Bewunderung die Spuren des Genius erkennen. „Dem Volke die großartigen Ideenschätze erschließen zu helfen, die seine Dichter und Denker ihm gaben, den Niederstehenden das Ringen nach Bildung und Wohlstand zu erleichtern“, hatte er selbst einstmals als die Ziele bezeichnet, für die er am liebsten schaffen und wirken möchte. Wie sein Großvater von der Plastik, sein Vater von der Wissenschaft, ist L. mit seiner Culturpolitik ausgegangen vom Theater, das er wie sein Lieblingsdichter Schiller als eine moralische Anstalt betrachtete. Neben Wagner verehrte er in späterer Zeit besonders Goethe, Grillparzer, Hebbel, Shakespeare und die französischen Dramatiker, vor allem aber Schiller. So ließ er den Don Carlos und den Tell ohne Streichungen aufführen, und die Litteratur und die bildlichen Darstellungen der Tellsage sammelte er sorgfältig. Von den drei größeren Reisen, die er nach 1871 unternahm, standen zwei im Zeichen Schiller’s; nur einmal begab er sich 1874 nach Paris; dagegen war die Reise nach Reims 1875 veranlaßt durch das Interesse an der Jungfrau von Orleans, und noch 1881 besuchte er mit dem Schauspieler Kainz die durch die Tellsage berühmt gewordenen Stätten der Schweiz. Auch seine Separatvorstellungen sind kein Beweis für die geistige Krankheit des Herrschers. Die Zudringlichkeit des Publicums im Theater verdarb ihm die Illusion; er wollte, wie er einmal sagte, selbst schauen, aber kein Schauobject für die Menge sein. Diese Sondervorstellungen wurden mit der größten Sorgfalt ins Werk gesetzt; aber die Ausstattung sollte nicht nur glänzend, sondern auch historisch treu sein; L. hatte sich also das Princip des Herzogs von Meiningen zu eigen gemacht. Die Anschaffungen, die dafür gemacht wurden, kamen noch lange dem Betrieb des Hoftheaters zu Gute. Die Aufführungen fanden bei beleuchtetem Hause statt; nie hat eine Vorstellung um Mitternacht begonnen, und außer „Don Carlos“ waren alle vor Mitternacht beendet. Für die Auswahl der Tondichtungen und der dramatischen Bearbeitungen waren stets die geschichtlichen oder litterarhistorischen Interessen des Fürsten maßgebend, und seine genauen Kenntnisse befähigten ihn, seinen Theaterdichtern Fresenius, Schneegans, K. v. Heigel mehrfach Berichtigungen zukommen zu lassen. Freigebig lohnte er die Kunst der Schauspieler; stets trennte er die Sache von der Person. Er verlangte in erster Linie Gewissenhaftigkeit, und jede Nachlässigkeit fiel ihm sofort auf, da er selbst ganze Stellen aus den Dichtungen auswendig konnte.
Neben dem Theater ist die Architektur seine Lieblingsbeschäftigung geblieben, weshalb schon sein Großvater bei dem Knaben eine auffallende Aehnlichkeit „zwischen dem künftigen Ludwig II. und dem todten Ludwig I.“ zu finden glaubte. Aber auch sonst fehlte es den schaffenden Künstlern unter seiner Regierung nicht an Gelegenheit zur Anregung und zur Bethätigung. Die allgemeine Kunst- und Gewerbeausstellung in München 1876 bedeutet einen Markstein in der Geschichte des bairischen und deutschen Kunstgewerbes, und auch die Landesausstellung in Nürnberg 1882 brachte einen vollen Erfolg. Auf dem Gebiete der Plastik sind die bedeutendsten Leistungen unter Ludwig’s Regierung das Goethemonument von Widnmann und das Denkmal Max’ II. von Zumbusch in München, die Kreuzigungsgruppe auf dem Osterbichel von Halbig, ein Geschenk des Königs für Oberammergau. Durch den Ankauf seiner Medea befreite er den Maler Anselm Feuerbach aus drückender Noth, und auch später hat er es an öffentlicher Anerkennung für ihn nie fehlen lassen. Auch des Malers alten Onkel Ludwig Feuerbach befreite die königliche Gnade aus [553] Armuth und Elend. Noch 1882 spendete L. in hochherziger Freigebigkeit den durch die Ueberschwemmung heimgesuchten Gebieten in der Pfalz und in Unterfranken 40 000 Mk. aus seiner Privatschatulle. Wie weit des Königs Fürsorge für die Armen und Unterdrückten ging, beweist auch eine gelegentliche Aeußerung: „Die rechte Lösung der socialen Frage in meinem Lande würde ich für höher halten, als wenn ich durch Waffenruhm Herr von Europa werden könnte, und ich möchte nicht das Leben eines meiner Bürger für einen selbstsüchtigen Zweck zu verantworten haben“. Freilich, nach dem Attentat Kullmann’s auf Bismarck in Kissingen (1874) mußte die Polizei in München die dortige Verbindung der socialdemokratischen Partei schließen, da ihre Thätigkeit die religiösen und gesellschaftlichen Grundlagen des Staates bedrohe, und unter dem Eindruck der Attentate auf Kaiser Wilhelm und den Zaren wandelte sich die Menschenscheu des Fürsten in Menschenfurcht und Verfolgungswahn. Zur Steigerung seiner inneren Unruhe und Angst trug auch der allmähliche Mangel an körperlicher Bewegung bei. Bei zunehmender Corpulenz wurden die Ritte durch die nächtlichen Spazierfahrten verdrängt, wie überhaupt vermöge einer ungesunden Stundeneintheilung immer mehr die Nacht zum Tage gemacht wurde. Nur eine Leidenschaft blieb ihm bis ans Ende treu, die Leidenschaft, zu bauen. Bei seiner Vorliebe für die bairischen Berge, die er mit allen bairischen Königen theilte, hat er seine Schlösser am liebsten am Saume des Gebirges oder inmitten der Alpenlandschaft erstehen lassen; aber eine Reihe von Schöpfungen hat auch die bauliche Entwicklung der Hauptstadt beeinflußt. Aus der Kriegsentschädigung wurden 2 Millionen für den Bau der Akademie der Künste verwendet, dessen Plan von dem Architekten des Polytechnikums, Neureuther, herrührt. Das Nationalmuseum wurde erst unter L. eingeweiht; um es immer mehr zu einer „Bildungsanstalt für Künstler, Gelehrte und insbesondere für Kunsthandwerker“ werden zu lassen, wurde mit den Sammlungen eine Gipsformatorei, eine photographische Anstalt und eine Fachbibliothek verbunden. Das Maximilianeum ward erst 1874 vollendet. In der Residenz wurde eine Reihe von Prunkräumen im Stile Ludwig’s XIV. mit unerhörtem Luxus ausgestattet, und der neue Wintergarten entzückte die wenigen Besucher durch seine märchenhafte Gestalt. Auch die Bauthätigkeit in den Bergen ist doch schließlich der Allgemeinheit zu Gute gekommen. „Das Naturgroße, das Erhabene, das Naturschöne durch die Kunst zu idealisiren“ hat L. dabei als sein Hauptziel vorgeschwebt, und er selbst stand zu diesen Bauten im allerpersönlichsten Verhältniß. „Jedes Detail, ja jede Linie der Muster, jeden künstlerischen Gebrauchsgegenstand prüfte der König nach. Sein Scharfsinn, seine Erfindungsgabe, sein Sachverständniß, seine aufreibende Thätigkeit hierbei sind bewundernswerth.“ Nicht die zauberhafte Pracht und der feenhafte Zauber war es, die er um ihrer selbst willen suchte, sondern die stilistische Reinheit, mit der er dann alle seine Gedanken zumeist zu klarem Ausdruck zu bringen vermochte. So ist das Landhaus auf dem Schachen recht einfach gehalten, und an der überkommenen Behaglichkeit des Schlosses Berg wurde nie viel geändert. Herrenchiemsee ist eine treue Copie von dem Versailles Ludwig’s XIV., für die bizarre Stilklitterung in Linderhof hat Klein-Trianon Pathe gestanden, Neuschwanstein ist im reinsten romanischen Stile gehalten. Der Plan zur Burg Falkenstein und sein byzantinisches Schloß, das ebenfalls unausgeführt blieb, berechtigen zu der Annahme, daß L. bei längerer Gesundheit auch von seiner Verehrung für den Stil Ludwig’s XIV. wieder zurückgekommen wäre. Die Schwierigkeiten, in welche die Cabinetscasse durch die Ausgaben für das Bauwesen gerieth, haben dann die Krankheit Ludwig’s zum unmittelbaren Ausbruch gebracht.
[554] Schon 1877 hatte das Ministerium ein Memorandum gegen die theuren Bauprojecte in Chiemsee warm unterstützt, und der Chef der Cabinetscasse, v. Bürkel, drang wiederholt auf Ersparungen, mit dem Erfolg, daß ihm die finanzielle Regelung des Bauwesens entzogen wurde. Im Frühjahr 1884 beschaffte Finanzminister v. Riedel unter Bürgschaft des Prinzen Luitpold ein Anlehen von 7½ Millionen zur Tilgung der Schulden des Königs, der ihm jedoch schon am 29. August 1885 die Besorgung von weiteren 6½ Millionen auftrug. Im April 1886 hatten die Schwierigkeiten der Cabinetscasse einen solchen Grad erreicht, daß mehrfach Civilklagen gegen dieselbe gestellt werden mußten. Die mit den Parteiführern gepflogenen vertraulichen Verhandlungen wegen Aufnahme einer Staatsanleihe, wozu auch Bismarck gerathen hatte, verliefen resultatlos. Am 5. Mai erhob das Ministerium erneute Vorstellungen an L., in denen es vergeblich auf die Einschränkung der Ausgaben und die Nothwendigkeit eines Arrangements mit den Gläubigern hinwies. In den maßgebenden Kreisen hatte sich inzwischen die Vermuthung gebildet, daß L. geisteskrank und dadurch an der Ausübung der Regierung verhindert sei. Auf Grund eines erdrückenden, vom Staatsministerium selbst beigebrachten Actenmaterials gaben dann am 8. Juni 1886 vier eidlich vernommene Sachverständige, Gudden, Hagen, Grashey und Hubrich, ihr Gutachten einstimmig dahin ab, daß L. in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört sei und an Paranoia leide. Dieses Gutachten bildete die Grundlage für das weitere Vorgehen. Am 9. Juni begab sich eine Staatscommission, bestehend aus dem Minister v. Crailsheim, den Reichsräthen Graf Holnstein und Törring, dem Geheimen Legationsrath Dr. Rumpler, dem Cavalier des Königs, Baron Washington, den Irrenärzten Obermedicinalrath v. Gudden und Dr. Müller und einigen Pflegern, nach Hohenschwangau; sie mußte jedoch am Morgen des folgenden Tages vor Neuschwanstein unverrichteter Dinge umkehren. L., der von den Vorgängen in München bereits Kenntniß erhalten hatte und durch Alarmirung der Gensdarmerie und der Feuerwehr der umliegenden Orte Vertheidigungsmaßregeln traf, ließ ihr den Eintritt verwehren und die einzelnen Mitglieder, mit einer Ausnahme, nachher verhaften. Weitere Befehle Ludwig’s blieben unausgeführt, und da am gleichen Tage in München die Proclamation der Regentschaft bekannt gemacht worden war, verfügte der Bezirksamtmann v. Füssen die Freilassung der Gefangenen. Wegen der erregten Haltung der Bevölkerung in Linderhof wurde nun Schloß Berg am Starnbergersee als Aufenthaltsort für den König in Aussicht genommen. Gudden begab sich daher neuerlich nach Neuschwanstein und es gelang ihm, den König zu überraschen und bald völlig zu beruhigen. Die Ueberführung nach Berg konnte ohne Schwierigkeit vor sich gehen, und die Nacht vom 12. zum 13. Juni verlief ruhig. Am Morgen des 13. Juni machte L. mit Gudden einen Spaziergang im Park des Schlosses, der am Nachmittag um 6½ Uhr wiederholt wurde; doch blieben das zweite Mal durch ein Mißverständniß die Pfleger zurück. Abends um 11 Uhr fand man die Leichen des Königs und Gudden’s im See. Daß L. von langer Hand einen Selbstmordversuch vorbereitet hatte, den er auf dem Spaziergang zur Ausführung brachte, scheint unwahrscheinlich. Als guter Schwimmer hätte er kaum den Tod im Wasser gewählt; auch hatte er vor dem Ausgang reichlich gegessen und keine Erregung gezeigt. In ruhiger Stimmung war er sogar um sein Leben ängstlich besorgt, und nur in der Aufregung oder nach reichlichem Spirituosengenuß dachte er an Selbstmord. Es scheint daher der Gedanke zur Flucht erst im Laufe des Spazierganges in ihm aufgestiegen zu sein; Gudden suchte ihn daran zu hindern, indem er ihn an den Röcken faßte, aber L. schlüpfte aus denselben und sprang weiter in den an [555] dieser Stelle nicht sehr tiefen See. Da der Arzt von der Verfolgung nicht abließ, kam es zu einem Ringen zwischen den Beiden, in dessen Verlauf L. seinem Begleiter einen Schlag mit der Faust ins Gesicht versetzte und ihn so lange unter Wasser hielt, bis er bewußtlos oder tot war. Dann schritt er weiter in den See, wohl kaum um den Fluchtplan nun auszuführen, sondern um in plötzlicher Gemüthsaufwallung Selbstmord zu begehen.
- Außer den Biographien von Bainville, Beyer, Brachvogel (in „Die Männer der neuen deutschen Zeit“ Bd. I), C. Heigel, Lampert, Steinberger u. A.: Röckl, K. Ludwig II. und R. Wagner; Hulsman, Karakters en Ideeën (Haarlem 1903); Dürck, Joh. Huber und Ludwig II. (Beilage z. Allg. Zeitung 1906, Nr. 118. 119); die Schriften von L. v. Kobell (Unter den vier ersten Königen Bayerns; König L. II. u. die Kunst;. K. L. II. u. Fürst Bismarck im J. 1870; Kaiser Wilhelm u. K. L. II.); Possart, Die Separatvorstellungen K. L. II.; Denkwürdigkeiten von Delbrück, Mittnacht, Mohl, Hohenlohe u. A. Ueber die Katastrophe: F. C. Müller, Die letzten Tage König L. II. und am besten: Grashey in Gudden’s ges. und hinterlassenen Abhandlungen. – Kammerverhandlungen u. Zeitungen.
[540] *) Zu Bd. LII, S. 115.