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ADB:Möller, Ernst Wilhelm

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Artikel „Möller, Ernst Wilhelm“ von Gustav Kawerau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 443–445, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%B6ller,_Ernst_Wilhelm&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:38 Uhr UTC)
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Möller: Ernst Wilhelm M., wurde am 1. October 1827 in Erfurt geboren. Sein Vater Johann Friedrich M., aus altem Erfurter Pastorengeschlechte, war damals Diakonus an der Barfüßerkirche, wurde bald darauf Pastor an derselben Kirche und dann auch Consistorialrath bei der dortigen Regierung (s. A. D. B. XXII, 145 ff.). Eine tüchtige, vielseitige Bildung, hohe katechetische Begabung, dichterische Beanlagung, eine tiefe und zugleich milde Frömmigkeit zeichneten den Vater aus, der damals den Kampf mit der beginnenden lutherischen Separation in Erfurt zu führen genöthigt wurde und in diesem Kampfe ebenso fest für die preußische Union eintrat, wie er sich durch die polizeiliche Behandlung von Glaubensfragen durch das Regiment Friedrich Wilhelm’s III. in seinem Gewissen bedrückt fühlte. Mit dem zum Generalsuperintendenten der Provinz Sachsen berufenen Vater siedelte M. 1843 nach Magdeburg über und wurde hier bald Zeuge der Kämpfe, die der Vater in seiner neuen Stellung mit der in dieser Stadt zeitweise mächtig anschwellenden lichtfreundlichen Bewegung zu führen hatte. Hier vollendete M. Ostern 1847 seine Gymnasialstudien, bezog die Universität Berlin, wo Neander und Nitzsch ihn besonders anzogen, ging Ostern 1849 nach Halle, wo Julius Müller, Hupfeld und Thilo seine Lehrer waren, und konnte dann noch 3 Semester in Bonn Richard Rothe, Dorner und Diestel hören. Der Einfluß dieser Lehrer gewann ihn für die deutsche Vermittlungstheologie, machte ihn auch zu einem überzeugten Anhänger der Union, in der er einen speciellen Beruf Preußens erkannte. Schon Neander hatte ihn für die Kirchengeschichte zu interessiren gewußt, dann Thilo ihn speciell auf patristische Studien hingewiesen. Nachdem er am 20. October 1851 in Coblenz das erste theologische Examen sehr gut bestanden hatte, kehrte er ins Elternhaus zurück, um sich aufs Licentiatenexamen vorzubereiten und vor allem die griechischen Kirchenväter zu studiren. Diese Studien setzte er seit dem Sommer 1852 in Halle fort, promovirte hier am 18. Januar 1854 mit einer Arbeit „Gregorii Nysseni doctrinam de hominis natura et illustravit et cum Origeniana comparavit W. M.“ Am 6. März desselben Jahres habilitirte er sich daselbst für Neues Testament und Kirchengeschichte. Es war die Zeit, wo Baur und die Tübinger Schule mit ihren Aufstellungen über das apostolische und nachapostolische [444] Zeitalter die Disciplinen des Neuen Testaments und der alten Kirchengeschichte gründlich vor neue Probleme gestellt hatten. Der junge Docent mußte vor allem dieser Schule gegenüber eine feste Stellung zu gewinnen suchen. Er that es in entschiedener Ablehnung der wichtigsten ihrer Positionen. Er gelangte zu einer wesentlich conservativen Beurtheilung der Frage nach der Echtheit der Schriften des Neuen Testaments; nur den 2. Petrusbrief und die Pastoralbriefe nahm er von diesem Urtheile aus. Aber die Echtheit des Johannesevangeliums stand ihm fest und bestimmte sein Urtheil über die Person Christi. Noch im J. 1868 hat er in einer längeren Recension der Vorlesungen Baur’s über Dogmengeschichte sein Urtheil über die Methode der Baur’schen Geschichtsconstruction näher dargelegt (Theol. Stud. u. Krit. 1868, S. 169 ff.). Nachdem er 3 Semester hindurch nur neutestamentliche Vorlesungen gehalten, begann er allmählich das Gebiet der Kirchen- und Dogmengeschichte auch als Docent zu behandeln. Seit 1854 hatte die „Real-Encyklopädie für protestantische Theologie“ in erster Auflage zu erscheinen begonnen. J. J. Herzog, ihr Begründer, forderte den jungen Kirchenhistoriker zur Mitarbeit für Artikel aus dem Gebiete der Patristik auf, und dieser lieferte von 1856 an zahlreiche, stets gründlich aus den Quellen gearbeitete Artikel, überwiegend aus dem Gebiete der alten Kirchengeschichte. Eine vom Vater ererbte Vorliebe für Hymnologie trieb ihn daneben zu Studien über die Geschichte des evangelischen Kirchenliedes, und die kirchlichen Kämpfe der Gegenwart veranlaßten ihn zur näheren Beschäftigung mit der brandenburg-preußischen Kirchengeschichte, aus der sein Aufsatz „Johann Sigismund’s Uebertritt zum reformierten Bekenntniß“ in Deutsche Zeitschrift für christl. Wissensch. 1858 hervorging. Sein erstes größeres Werk „Geschichte der Kosmologie in der griechischen Kirche bis auf Origenes“ 1860 war die Frucht seiner patristischen Studien, speciell zur Geschichte der gnostischen Systeme. Neben der wissenschaftlichen Arbeit blieb er beständig auch in praktischer kirchlicher Thätigkeit theils durch Predigen, theils durch seine thätige Hülfe im Hallischen Jünglingsvereine. Da sich Aussicht auf Beförderung für ihn nicht fand – Neander hatte den preußischen Hochschulen eine Anzahl seiner Schüler als Docenten zugeführt – unterzog er sich 1858 der zweiten theologischen Prüfung in Magdeburg, die er mit „vorzüglich“ bestand, und bat um Berufung in ein ländliches Pfarramt. Erst 1862 wurde seine Bitte erfüllt; er erhielt die Pfarre in Grumbach, Ephorie Langensalza. Das Amt in der kleinen Gemeinde (300 Seelen) ließ ihm Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit. Er lieferte hier die Neubearbeitung der de Wette’schen Commentare zu Galater– und Thessalonicherbriefen, zu Pastoralbriefen und Hebräerbrief (1864 u. 1867). Aber auch eine große kirchengeschichtliche Aufgabe wurde ihm geboten. Nach dem Tode des Generalsuperintenden Lehnerdt in Magdeburg trat er in dessen Studien zu einer Biographie Andreas Osiander’s ein, machte zu diesem Zwecke in Königsberg Archivstudien, und so erschien 1870 sein „Andreas Osiander“, eine musterhaft gründliche und umsichtige Arbeit über das Leben und die Theologie des begabten, geistvollen und selbständigen, aber auch leidenschaftlichen Mitarbeiters am Reformationswerk. Inzwischen war er kurz vor der Vollendung seines Werkes auf die Pfarrei Oppin bei Halle versetzt worden. Die Greifswalder theologische Facultät hatte ihn schon 1863 zum Ehrendoctor der Theologie ernannt. Das Werk über Osiander machte jetzt aufs neue auf ihn aufmerksam, und so berief ihn Minister Falk 1873 nach dem Tode des grundgelehrten, aber völlig unproductiven Kirchenhistorikers Thomsen an die Universität Kiel. Hier hat er noch fast 20 Jahre den Lehrstuhl der Kirchen- und Dogmengeschichte innegehabt. Litterarisch bethätigte er sich in dieser Zeit vor allem [445] durch eine umfängliche Mitarbeit an der „Theolog. Litteraturztg.“, an der „Ztschr. f. Kirchengeschichte“ und den „Studd. u. Krit.“ als Recensent von Schriften aus den verschiedensten Gebieten der Kirchengeschichte. Im Unterschiede von den meisten seiner Fachgenossen baute er sich nicht auf einem Specialgebiete an, sondern trachtete nach einer möglichst gleichmäßigen Bekanntschaft mit dem ganzen großen Gebiete. Als Recensent erwarb er sich allseitig die größte Hochschätzung wegen der Gründlichkeit, ruhigen Sachlichkeit und Gerechtigkeit, mit der er diese Thätigkeit ausübte. Nur wo ihm, wie in Tollin’s Servetstudien oder in Kölling’s „Geschichte der arianischen Häresie“, anstatt strenger historischer Methode zuchtlose Phantasterei oder ein dogmatisch befangener Dilettantismus begegnete, konnte er auch einmal als Recensent die Geißel schwingen. An der zweiten Auflage der Real-Encyklopädie war er einer der fleißigsten Mitarbeiter, der eine Fülle gehaltvoller Artikel aus den verschiedenen Perioden der Kirchengeschichte lieferte. In der „Ztschr. f. Kirchengesch.“ gab er längere Zeit gut orientirende Uebersichten über neue Litteratur zur Kirchengeschichte des früheren Mittelalters. Daneben schrieb er über „Schleswig-Holsteins Antheil am Kirchenliede“ 1887 in der Ztschr. für Schlesw.-Holst.-Lauenb. Gesch. Sein Rectorat in Kiel eröffnete er mit einer Rede über die Religion Plutarch’s und 1883 hielt er in der Universität eine sachlich gehaltvolle Lutherfestrede. Bei diesem Feste verlieh ihm Halle auch die philosophische Doctorwürde. Noch am Abend seines Lebens fiel ihm eine größere litterarische Aufgabe zu. Er sollte für die Siebeck’sche Sammlung theologischer Lehrbücher ein dreibändiges „Lehrbuch der Kirchengeschichte“ liefern. Die beiden ersten Bände konnte er noch 1889 und 1891 vollenden, den zweiten Band nur noch mühsam unter schweren körperlichen Leiden. Was er so noch fertiggestellt hat, trägt den Stempel seiner Art und seiner Begabung. In schlichter, mitunter etwas schwerfälliger Darstellung versucht er den Leser stets mit den Quellen in Fühlung zu halten und gibt reichhaltige, dabei sorgsam ausgewählte Litteraturnachweisungen. Ueberall spürt man seine gleichmäßige, weitausgebreitete Bekanntschaft mit den Quellen und mit den Fortschritten der Forschung, und zugleich die Behutsamkeit seines Urtheils neuen Hypothesen und Combinationen gegenüber.

Zu Michaelis 1891 zwang ihn ein schleichendes Nierenleiden, seine Arbeit einzustellen; am 8. Januar 1902[WS 1] erfolgte nach schweren Schmerzenstagen sein Heimgang. Auch als Docent hatte er noch gern die Kanzel bestiegen und in seiner schmucklosen, aber herzlichen Art das Evangelium gepredigt. Von kleiner Gestalt und schwacher Stimme, dabei in gesunden Tagen von großer Heiterkeit des Gemüths, von gewinnender Freundlichkeit, ein eifriger Pfleger guter Hausmusik und ein munterer Freund edler Geselligkeit gehörte er zu den Personen, denen zwar starke persönliche Wirksamkeit versagt bleibt, die aber durch ihre wissenschaftliche Tüchtigkeit wie durch ihren Charakter allseitige Hochschätzung sich erwerben und bei denen, die ihnen näher treten, herzliche Verehrung und Liebe gewinnen. In zweimaliger glücklicher Ehe war er erst mit einer Tochter des Generalsuperintendenten Moll in Königsberg, darauf mit einer Tochter des Leipziger Rectors der Thomasschule, Nobbe, eines Nachkommen Luther’s, vermählt gewesen.

Vgl. die oben Bd. XXII, 147 angeführte Litteratur (der Artikel W. Möller’s über seinen Vater steht jetzt auch in der 3. Auflage der Real-Encyklopädie XIII, 208 ff.). – Personalacten Möller’s im kgl. Consistorium zu Magdeburg; Universitätsschriften von Halle und Kiel. – Nekrolog in Ztschr. für Kirchengesch. XIII, 484 ff. – Real-Encyklopädie, 3. Aufl. XIII, 212 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Da der Nekrolog in der Zeitschrift für Kirchengeschichte bereits 1892 - im Bd. XIII (siehe dort) - abgedruckt ist, kann die Jahresangabe nur ein Druckversehen sein, wenn es auch an anderer Stelle öfters nachgeschrieben wird.