ADB:Thilo, Johann Karl

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Artikel „Thilo, Johann Karl“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 40–42, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thilo,_Johann_Karl&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 18:41 Uhr UTC)
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Thilo: Johann Karl Th., evangelischer Theologe, † 1853. Thilo’s Bedeutung lag in seiner patristischen Gelehrsamkeit; unbekümmert um die durch die brennenden Tagesfragen den Theologen nahe gelegten Probleme des öffentlichen Lebens, lebte er ganz in den Kirchenvätern, die seine Welt waren; ohne nach einer Seite hin Partei zu nehmen, auch ohne sich irgendwie vorzudrängen, lehrte er lediglich als stiller liebenswürdiger Gelehrter; aber seine Arbeiten stehen noch heute alle in Ehren, obgleich keine von epochemachender Bedeutung war. – Th. erblickte das Licht der Welt am 28. November 1794 in Langensalza in Thüringen. Seine Vorbildung erhielt er zu Schulpforta 1809–1814, und schon hier lebte er sich in die classischen Sprachen so ein, daß er später im Kreise der Kirchenhistoriker als philologischer Meister dastehen konnte. 1814–1817 studirte er in Leipzig und Halle Philologie und Theologie. Beziehungen zu dem Kanzler Niemeyer, welcher durch eine Preisarbeit Thilo’s auf ihn aufmerksam geworden war, vermittelten ihm eine Stellung als Lehrer an den Francke’schen Anstalten in Halle. Von da aus eröffnete sich ihm die Möglichkeit, sich an der Universität zu habilitiren. 1819 gelang ihm das; er las über Exegese und Patristik, und schon 1822 wurde ihm eine außerordentliche und 1825 eine ordentliche [41] Professur der (historischen) Theologie zu theil. In dieser Stellung verblieb er bis an seinen Tod (1853), und bemerkt mag nur noch werden, daß er 1833 den Titel „Consistorialrath“ und 1840 den rothen Adlerorden erhielt. Sein Leben war dem „otium literatum“ gewidmet, „quo nihil“, schrieb er, „optabilius novi“. (Vorrede zum Codex apocryphus). Seine Studien und schriftstellerischen Arbeiten bewegten sich zunächst auf einem Gebiete, für welches bis dahin wenig gethan war, auf dem der „Apokryphen des Neuen Testaments“. (Besondere Anregung dazu hatte ihm eine Reise in die Bibliotheken von Paris und Oxford gegeben, welche er 1820 in Begleitung von Gesenius hatte machen können.) 1832 erschien der 1. Band seines „Codex apocryphus N.T., e libris editis et MSS. collectus, recensitus notisque et prolegomenis illustratus“, eine philologisch vorzügliche Bearbeitung der apokryphen Evangelien. Für die beabsichtigte Fortsetzung dieser Edition (Apostelgeschichten und Abhandlungen) sind später nur Einzelarbeiten erschienen, so 1838 die „Acta apostolorum Petri et Pauli ex codicibus nunc primum edita“; 1846 „Acta apostolorum Andreae et Matthiae graece ex cod. Par. nunc primum edita“; 1847 „Fragmenta actuum S. Joannis a Leucio Charino conscriptorum“. – Zu den Apokryphen des Alten Testaments existirt von ihm ein „Specimen exercitationum criticarum in Sapientiam Salomonis“ (1825). – Ein anderes, bis dahin ebenfalls unangebautes Gebiet der Patristik faßte Th. ins Auge, indem er sich dem Studium der durch den Neoplatonismus beeinflußten Kirchenschriftsteller zuwandte; die selbständige Durchforschung des Neoplatonismus selbst bildete dazu die Voraussetzung. Hierher gehören seine Arbeiten „De coelo empyreo commentationes III“ (1839 und 40); „Eusebii Alexandrini oratio περὶ ἀστρονόμων, praemissa de magis et stella quaestione“ (1834); „Commentationes in Synesii hymnum II“ (1842. 43). (Eine von ihm beabsichtigte Gesammtausgabe der Hymnen des Synesius von Kyrene ist leider nicht erschienen.) – Zuletzt plante er die Herausgabe einer „Bibliotheca patrum Graecorum dogmatica“. Von ihr ist aber nur ein einziger Band erschienen, welcher die dogmatischen Schriften des Athanasius enthält: „Sancti Athanasii opera dogmatica selecta“ (Leipzig 1853), welcher den Text nach der Montfaucon’schen Ausgabe und vom Herausgeber noch eine gelehrte Einleitung enthält. Wegen ihrer Handlichkeit, guten Druckes und relativen Wohlfeilheit ist diese Ausgabe noch jetzt viel in Gebrauch. – Alle diese Arbeiten Thilo’s sind in lateinischer Sprache geschrieben; in seiner Muttersprache dürften dagegen von ihm nur zwei andere ausgegangen sein: ein „kritisches Sendschreiben an Augusti über die Schriften des Eusebius von Alexandrien und des Eusebius von Emisa“ (Halle 1832), mit feiner Ironie gegen den Bonner Professor Augusti gerichtet, der „eine Anzahl von Reden des letzteren wieder aufgefunden zu haben glaubte und herausgegeben hatte“; sodann schrieb Th. noch eine deutsche Einleitung zu Ge. Chr. Knapp’s „Vorlesungen über die christliche Glaubenslehre nach dem Begriff der evangelischen Kirche“ (2 Bände, Halle 1827).

In seinen Vorlesungen hatte Th. anfangs kein rechtes Glück, da ihnen die unmittelbar persönliche Anregung fehlte, die von einem für seinen Gegenstand begeisterten Lehrer auf seine Hörer ausgehen kann; aber die ungemein gründliche und streng sachliche Forschung, die ihren Inhalt auszeichnete, die schlichte Einfachheit, welche von seiner keuschen Wahrheitsliebe beabsichtigt war, und die edle Erhabenheit über die Bestrebungen der sich streitenden Parteien des Tages verschafften ihnen je länger desto mehr Einfluß auf die theologische Bildung der Studirenden der Hochschule, von welcher ihn auch die günstigsten Bedingungen nicht hinwegziehen konnten.

Th. war der Schwiegersohn Ge. Chr. Knapp’s, also durch verwandtschaftliche Bande mit demjenigen älteren Mitgliede der Facultät verbunden, welches [42] in der Blüthe des vulgären Rationalismus den schlichten Bibelglauben vertrat. Im Herzen, als Christ, hat Th. dem Schwiegervater wohl immer nahe gestanden. Er starb, nach längeren Leiden, am 17. Mai 1853, noch nicht 60 Jahre alt. H. L. Dryander, Pastor an der Marktkirche zu Halle (der Vater des jetzigen Generalsuperintendenten in Berlin), ein zartsinniger Geistlicher voll Verständniß für die verborgene Herrlichkeit einer solchen in der Stille waltenden Persönlichkeit, hat ihm eine herrliche Grabrede gehalten. (Gedruckt Halle 1853.) Thilo’s Schriften sind im Voranstehenden citirt.

Zu vgl. H. L. Dryander, die eben erwähnte Grabrede. – M. H. E. Meier im Halle’schen Lectionskatalog für den Winter 1853/54. – Henke in Herzog’s Realencyklopädie. 2. Aufl. XV (1885), 557–560.