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ADB:Meyer, Johann Rudolf (Industrieller)

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Artikel „Meyer, Joh. Rudolf“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 587–591, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer,_Johann_Rudolf_(Industrieller)&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 02:50 Uhr UTC)
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Meyer: Joh. Rudolf M., in Aarau; geb. 25. Februar 1739, † 11. September 1813; – einer der edelsten, um seine Heimath verdientesten Männer der Schweiz. – M., der einzige Sohn eines unbemittelten Handwerkers in Aarau, erhielt durch Gunst einer väterlichen Verwandten von einigem Vermögen Gelegenheit, nach Besuch der damals dürftigen städtischen Schule sich durch Privatunterricht und einen Aufenthalt in Lausanne etwas weiter zu bilden, und stand einem Bruder seiner Gönnerin, Flachmaler von Beruf, in Arbeiten bei, als ein unerwartetes Anerbieten dem fünfzehnjährigen Jüngling die Bahn eines andern Berufes öffnete und über seine Zukunft entschied. Ein angesehener Mann, in dessen Hause er arbeitete, Hauptmann Rothpletz in Aarau, fand Wohlgefallen an Meyer’s Gewandtheit und machte ihm den dankbar angenommenen Vorschlag, als Lehrling in sein Geschäft der Seidenbandfabrikation einzutreten. M. widmete sich dieser neuen Aufgabe mit der ihm eigenen Emsigkeit, Einsicht und Gewissenhaftigkeit mit so gutem Erfolge, daß er seinem Lehrherrn bald unentbehrlich und nach Verkauf des Geschäftes an die Herren Bütler in Schafisheim, einem Dorfe unweit Lenzburg, die rechte Hand dieser neuen Prinzipale wurde, die Arbeiten und den Handel der Fabrik leitete und auch kleine Reisen für dieselben machte. Eines Tages in diesen Geschäften in Basel, kaufte er sich daselbst graues Tuch zu einem Kleide, nahm auf Zureden des Verkäufers einige Stücke desselben Zeuges mit, um sie in Aarau mit Vortheil abzusetzen, und der Versuch gelang so glücklich, daß M. seine Reisen zu ferneren Einkäufen von Tuchwaaren benutzte, deren Absatz er in Aarau durch seine Schwester besorgen ließ, seine sonntäglichen Besuche in der Stadt zur Controle und Buchführung über diesen Verkehr benutzend. Bald schlug sein Tuchladen die einzige bestehende Concurrenz gänzlich aus dem Felde. Allein während das Gelingen dieses Unternehmens ihn muthig und nach Unabhängigkeit begieriger machte, ohne daß er darüber die Pflichten gegen seine Prinzipale vernachlässigte, begannen diese ihm Unzufriedenheit, ja sogar Mißtrauen zu zeigen, was ihn 1765 bewog, sich den Abschied zu erbitten. Inzwischen empfand er, daß es ihm zu einer selbständigen Laufbahn an Kenntnissen noch vielfach gebreche, die nur eigene Anschauung [588] und Beobachtung der Welt ihm verschaffen könne, und so unternahm er, ermuntert und unterstützt durch seine mütterliche Gönnerin, – den Tuchladen der Schwester überlassend – eine jahrelange Reise, die ihn zuerst in die damals noch wenig betretene Gebirgswelt des Gotthards und Berner Oberlandes, dann aber über den Rhein hinaus nach Frankfurt, Hamburg, Potsdam, Berlin, an die preußische Meeresküste, die Grenzen von Polen und durch Deutschland wieder in die Heimath zurückführte. Tief ergriffen von der Größe der Alpenwelt, an der fortan sein Herz hing, bereichert mit den mannigfaltigsten Kenntnissen und nicht ohne manche werthvolle Handelsverbindung für die Zukunft angeknüpft zu haben, kehrte er von der langen, meist zu Fuße vollführten Wanderung heim. Nun begann er, sich seinem auserkorenen Geschäfte der Seidenbandfabrikation mit unausgesetztem Fleiße zu widmen, und wußte sie so zu vervollkommnen und zu erweitern, daß sein Handel in wenigen Jahren weit über die Schweiz hinaus nach Italien, Deutschland, Spanien, Polen, Rußland, Ostindien und Amerika reichte. Er kaufte das Geschäft seiner frühern Prinzipale an, die Spinnstühle, die er im Aargau und in Baselland in zunehmender Zahl errichtete, förderten den Wohlstand dieser Gegenden und sein eigenes Vermögen mehrte sich so, daß er bald mit Recht zu den reichsten Bürgern des Landes zählte. Dieser glänzende Aufschwung seiner Glücksumstände veränderte aber weder die Bescheidenheit seiner Denkart, noch die Einfachheit seiner Sitten und seines jetzt begründeten Hausstandes. Von seinem Reichthum „einem Darlehen Gottes, zum Wohle Anderer zu verwalten“, machte er mit Großherzigkeit theils zu Gunsten zahlreicher Hülfsbedürftiger, theils zu gemeinnützigen Zwecken den edelsten Gebrauch. Er versorgte Aarau, wo man Mangel an gutem Trinkwasser litt, mit Brunnen (1788). Rebgelände, welches ihm zufiel, gab ihm Veranlassung, nicht nur den eigenen Weinberg zu veredeln, sondern durch Rath und That eine erfolgreiche Verbesserung des Weinbaues in der ganzen Umgegend zu befördern. Seine Liebe zur heimathlichen Gebirgswelt gab ihm 1785 den Gedanken ein, auf seine Kosten ein Relief der Schweiz – ähnlich demjenigen, das General Pfyffer in Luzern von einem Theile derselben erstellt hatte, – auf Grundlage genauer Messungen anfertigen zu lassen und Vervielfältigung desselben auf mechanischem Wege anzustreben. Er nahm für dies Unternehmen den Topographen J. H. Weiß[WS 1] aus Straßburg, einen geschickten Zeichner, in Dienst; fand aber erst 1787 bei einer Besteigung des Titlis in einem seiner Führer, dem Zimmermann Joachim Eugen Müller von Engelberg, ganz unerwartet, den durch Gebirgskenntniß, praktisches Geschick und Ausdauer geeignetsten und thätigsten eigentlichen Bearbeiter der Aufgabe, die er im Auge hatte. Unter Meyer’s steter Fürsorge kamen nun durch diesen von ihm angestellten wackern Mann zuerst, 1789, zwei locale Reliefs zu Stande, von denen das größere das Berner Oberland, das andere auch noch einen Theil des Wallis umfaßte; bis 1797 aber war das projectirte umfassendere Relief erstellt, welches auf einer Tafel von etwa 15′ Länge und 5′ Breite das ganze Gebirgsland vom Genfer- bis zum Bodensee – gegen 900 Quadratstunden Landes, ungefähr die Hälfte der Schweiz – im horizontalen Maßstabe von 1:60 000 darstellte. Von den beiden ersten Reliefs wurde das größere (5′ 5″ auf 3′ 9″, im Maßstabe von 1:40 000) von M. an die Regierung von Bern geschenkt, und die von ihm beabsichtigte Vervielfältigung des kleinern (4′ auf 2½′ im Maßstabe von 1:120 000), welche dann freilich an der Schwierigkeit der Ausführung scheiterte, von der Regierung bewilligt. Beide Werke befinden sich jetzt in Bern. Das schweizerische Relief, lange Zeit in Aarau aufgestellt und von vielen Besuchern bewundert, mußte M. im J. 1803 gegen seinen Willen an den mächtigen Nachbar und Mediator der Schweiz, Frankreichs Ersten Consul Bonaparte [589] käuflich (und zwar um einen Spottpreis) abtreten. Mittlerweile hatte dasselbe als Hauptgrundlage zu einem zweiten großen Werke gedient, daß Meyer’s gemeinnütziger Sinn schuf: zu dem schweizerischen Atlas in 16 Blättern und der Generalkarte der Schweiz, die auf Meyer’s Kosten, gezeichnet von Weiß und gestochen von Eichler, Guérin und Scheuermann, in den Jahren 1796–1802 erschien. Weiß, dessen Namen die Karten tragen, verschwieg dabei freilich, daß das Beste des Werkes (die Blätter 4, 7, 8, 10, 11 und 14) auf Müller’s Relief beruhen, während das übrige von ihm selbst Herrührende flüchtig und ohne Benutzung guter vorhandener Hülfsmittel angefertigt war; was eine für M. unangenehme Kritik seines verdienstlichen Unternehmens hervorrief. Zudem hatte Weiß Arbeiten, die auf Meyer’s Kosten entstanden waren, unberechtigter Weise dazu benutzt, auf eigene Faust schon im J. 1798 eine „Carte hydrographique de la Suisse“ herauszugeben. Indessen blieb der Atlas auf Jahrzehnte die beste topographische Darstellung der Schweiz, die Grundlage, auf welcher Spätere fortbauten; auf immer ein ehrenvolles Denkmal von Meyer’s Opferfreudigkeit. Dem Bilde des Landes suchte M. auch ein möglichst getreues äußeres Bild seiner Bewohner beizufügen. Zu diesem Ende ließ er in den Jahren 1793–1795 die Schweiz durch den Maler Joseph Reinhard von Horw Cts Luzern (geb. 1749; † 1824) bereisen und die damals noch zahlreichen Volkstrachten für jede besondere Gegend in einer großen Zahl von Oelgemälden darstellen, welche zugleich Bildnisse zum Theil bekannter Persönlichkeiten, wie z. B. des Toggenburgers Ulrich Brägger (Bd. III, 232) sind. Die charakteristische Sammlung ist jetzt Eigenthum des Kunstmuseums in Bern. Zu einem spätern segensreichen Unternehmen gab M. die Anregung, indem er als Präsident der Helvetischen Gesellschaft in Schinznach 1792 auf die Verwüstungen des Linththales zwischen Glarus und dem Zürichsee durch den ungeregelten Flußlauf und die traurigen Folgen der Versumpfung dieses Landstriches nachdrücklich hinwies und 1793, unter feuriger Schilderung der zu erwartenden wohlthätigen Wirkungen, wieder auf den Gedanken einer Correction der Linth, mit Vorlegung eines freilich ungenügenden Vorschlages dafür, zurückkam. Hans Konrad Escher von der Linth (Bd. VI, 365) faßte unter dem Eindrucke von Meyer’s Worten und einer unmittelbar darauf folgenden Besichtigung der Linthgegenden durch Mitglieder der Gesellschaft den bleibenden Vorsatz zu seinem großen Lebenswerke. Bei solcher Wirksamkeit konnte sich M. auch der Aufforderung zur Theilnahme an den öffentlichen Geschäften in amtlicher Stellung nicht entziehen. Schon 1788 ließ er sich durch die Bitten seiner Mitbürger bewegen, in die größere Stadtbehörde von Aarau einzutreten, war 1790 Mitglied eines Bürgerausschusses für Untersuchung der städtischen Rechte betreffend freien Wein- und Fruchtverkehr und betheiligte sich 1792 an dem freilich vergeblichen Versuche einer großen Anzahl von Bürgern von Aarau, von der Regierung von Bern, welcher die Stadt unterworfen war, ein größeres Maß selbstständiger Verwaltungsrechte für letztere bittweise zu erlangen. Die Entschiedenheit, womit er in diesen Bestrebungen auftrat, ließ ihn aber auch den Anhängern der Regierung und der hergebrachten Zustände verdächtig erscheinen, als unter dem Einflusse der Revolutionsereignisse in Frankreich neue Anschauungen und Wünsche mehr und mehr auch in der Schweiz, insbesondere in den Municipalstädten und größern industriellen Ortschaften auf dem Lande erwachten. M. sah sich sogar gezwungen, als der sich vorbereitende Angriff Frankreichs auf die Schweiz im Frühjahr 1798 militärische Anstalten Berns und eine Besetzung von Aarau durch Truppen der Regierung und das ihr im Gegensatz zu den Städten anhängende Landvolk hervorrief, mit den Seinigen aus Aarau zu entfliehen und für mehrere Wochen auswärts Zuflucht zu suchen. Nach Berns Fall und der Errichtung [590] der helvetischen Republik heimgekehrt, wurde er hingegen von seinen Mitbürgern zum Mitgliede des Helvetischen Senates ernannt, welchem er zwei Jahre lang angehörte. Er schloß sich in der Behörde den gemäßigtern Einheitsfreunden (Unitariern) an, deren Ideen er theilte, in Hauptfragen muthig, wie Escher von der Linth u. A. revolutionäre Excesse bekämpfend, und theilte die Schicksale seiner Parteigruppe. Als indessen der regierende Vollziehungsausschuß, der an Stelle des helvetischen Directoriums getreten war, am 7. August 1800 unter Connivenz der Häupter der Unitarier zu einer gewaltsamen Auflösung des Senates und des großen Rathes schritt, welche sich gleichzeitig gegen die revolutionären Elemente und die altgesinnte Partei der Föderalisten richtete, trat M. nachdem er an der Spitze eines Rumpfes des Senates gegen diesen Staatsstreich protestirt hatte, mit der Empfindung wohlthuender Erlösung aus einer seinem Wesen widerstrebenden Atmosphäre in den Privatstand zurück. Dritthalb Jahre später ließ er sich von seinen Mitbürgern zwar bewegen, zu der von Bonaparte nach Paris berufenen schweizerischen Consulta zu gehen, konnte sich aber – dort angekommen – nicht entschließen, vor dem Gewalthaber zu erscheinen und als Werk aus fremder Hand die Verfassung anzunehmen, wodurch der Mediator der Schweiz innern Frieden wiedergab. Noch vor der ersten Audienz der schweizerischen Deputirten beim Ersten Consul kehrte M. nach Aarau heim. Sein Sinnen und Hoffen galt jetzt einzig der bessern Zukunft heranwachsender Geschlechter. Bereits hatte er ein Unternehmen begründet, das aus diesem Gedanken hervorging: die Cantonsschule in Aarau. Angeregt durch M. und den Vorgang der reichen jährlichen Beisteuer, zu welcher er sich verpflichtete, war ein Verein gemeinnützig denkender Männer in Aarau zusammengetreten, um aus eigenen Mitteln diese Lehranstalt zu errichten, die Unterricht in den Gymnasialfächern und in den Naturwissenschaften umfassen sollte, und – später vom Staate übernommen – die eigentliche Bildungsstätte für die aargauische Jugend und viele Schüler aus den benachbarten Cantonen wurde. Am 6. Januar 1802 eröffnete M. die neue Anstalt mit einer Rede, die das schönste Zeugniß der Gesinnungen bildet, die ihn beseelten. Seinem Hause wiedergegeben, lebte M. wie ehemals, der stillen Wirksamkeit für die Seinen, für seine Vaterstadt, für Hülfsbedürftige nah und fern; setzte aber auch mancherlei Bestrebungen früherer Zeiten fort. Auf Einladung der schweizerischen Regierung besorgte er z. B. 1803, einem geäußerten Wunsche des Kaisers Franz II. von Oesterreich zu entsprechen, die Anfertigung eines Modells der Habsburg durch Hans Georg Rust von Solothurn, den M. schon in frühern Jahren, wie auch einen Bruder Rust’s, mit Reliefarbeiten beschäftigt hatte. Durch dieselben Männer ließ M. nun aber auch ein Relief der Umgebungen der Habsburg und durch den Landschaftenmaler J. Caspar Rahn von Zürich (geb. 1796, † 1840) eine Rundsicht von der Habsburg aus in vier Oelgemälden anfertigen und widmete diese Werke dem Kaiser. Die letzten Lebensjahre Meyer’s wurden durch erschwerte Geschäftslast und mancherlei kränkende Erfahrungen getrübt, die indessen seinen Muth nicht zu beugen und ihn in seiner Liebe für den Nächsten, insbesondere zur Kinderwelt, und in seiner innern Heiterkeit und Ergebung nicht zu irren vermochten. Nach kurzer Krankheit entschlief er. In einem von ihm für Lustwandelnde angelegten schattigen Baumgange am Saume eines Waldes aus aussichtsreicher Höhe über Aarau, steht das von der Stadt „ihrem hochverdienten gemeinnützigen Mitbürger, Vater Johann Rudolf Meyer“ gewidmete Denkmal, in seiner Einfachheit dem schlichten Sinne des Verstorbenen entsprechend.

E. A. Evers, Vater Johann Rudolf Meyer. Aarau 1815. – Rud. Wolf, Biographien zur Culturgeschichte der Schweiz II, 231. Zürich 1815[1] und (besonders aufschlußreich): Geschichte der Vermessungen in der Schweiz. [591] S. 123 ff. 4° Zürich 1879. – Em. Zschokke, Vater J. R. Meyer in den Schweiz. Illustr. Jugendblättern, Aarau 1840.[2] (Mit Bildniß).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 590. Z. 2 v. u. l.: 1859 (st. 1815). [Bd. 24, S. 787]
  2. S. 591. Z. 2 v. o. l.: 2. Jahrg. Aarau 1874, S. 10 ff. (st. Aarau 1840). [Bd. 24, S. 787]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Heinrich (Jean Henri) Weiss (1758–1826), Topograph.