ADB:Naegelsbach, Karl Friedrich von
G. A. Gabler (s. d.) ebenso eine philosophisch-religiöse Richtung erhielt, wie er von Joh. Chr. Held (s. d.) mit begeisterter Liebe zu den alten Classikern erfüllt wurde. Einige Monate konnte er auch am Ansbacher Gymnasium den Unterricht von J. A. Schäfer, Bomhard und des Pfarrers Lehmus genießen. Das letzte Schuljahr verlebte er wieder in Baireuth. Im Herbst 1822 bezog N., trefflich vorbereitet, die Universität Erlangen, um dort eine seelsorgerische Freundschaft von Hofrath Heller und die vielseitigste Anregung und Förderung von L. Döderlein zu erfahren, dessen dankbarer Schüler er zeitlebens in Wort und That blieb; daneben studierte er Theologie und hörte die Predigten des Professors Krafft, doch studirte er auch Hegelsche Philosophie. – Ein herrlicher Freundeskreis voll wissenschaftlichen Strebens, voll Patriotismus und glühender Begeisterung für alles Hohe und Edle – die meisten gleichfalls Mitglieder der Burschenschaft – schloß sich damals zu einem idealen akademischen Leben mit N. zusammen (z. B. Rud. Wagner, Briegleb, K. Hase, Dekan Dittmar, Hofrath Dietz, dazu Oberconsistorialpräsident v. Harleß, Oberconsistorialrath R. Höfling, Bäumler, Bürger[WS 1], Pfarrer Gust. Heinr. Schneider u. a.). Ein Semester wurde noch in Berlin Böckhs Vorträgen und besonders Hegel gewidmet, mit Verständniß und großem Gewinn für allgemein wissenschaftliche Auffassung und Methodik, ohne jedoch sonst durch diese Richtung sich beirren zu lassen. – Das philologische Examen bestand N. mit Auszeichnung; der fast gleichzeitige Tod seines Vaters war jedoch ein doppelter Verlust für ihn; doch wurde N. auf Veranlassung Roth’s als Verweser der Oberclasse nach Nürnberg berufen und erhielt im J. 1827 die Professur der ersten Gymnasialclasse (Ober IIIa). Wieviel er Roth neben Held verdankte, hat er in der Widmung seiner Lat. Stilistik ausgesprochen; man muß aber Schüler Nägelsbach’s aus jener Zeit sprechen hören, um die ausgezeichnete Wirksamkeit dieses jungen Lehrers zu ermessen, welche auch Roth (in seiner Gymnasialpädagogik Anh. II S. 363) rühmt. – Mit diesem arbeitete N. das I. und II. Heft der lateinischen Stilübungen aus 1829/30, dann publicirte er das von ihm allein verfaßte III. Heft 1837 (in neuen Auflagen durch Schüler des Verfassers besorgt, gegenwärtig die sechste im Gebrauch). Das Schulprogramm „De particulae γε usu Homerico“, 1830 war gleichsam ein Prodromus der bahnbrechenden „Anmerkungen zur Ilias I. II nebst Excursen“, 1834; 1836 folgten „Explicationes et emendationes Platonicae“; 1838 Verhandlungen der ersten deutschen Philologenversammlung in Nürnberg, von ihm als deren Secretär redigirt. Die ersten Jahrgänge der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche enthalten von ihm: Bewußtsein der protestantischen Kirche über die Nothwendigkeit und Methodik des classischen Unterrichts; Stabilität und Fortschritt; die Kirche und die deutsche poetische Litteratur seit der Reformation; Briefe über Kritik. In den Münchener Gelehrten Anzeigen 1838–42 finden sich von seiner Feder eingehende Recensionen von Fabri’s Livius XXI sq.; Forbigers Vergil; Eyth, Klassiker und Bibel; Geppert, Ursprung der homerischen Gesänge. Im J. 1840 erschien die „Homerische Theologie“, ein epochemachendes [225] Werk, welches Inhalt, Umfang, Gehalt des religiösen Glaubens der Heroenzeit Griechenlands, nicht die Mythologie, an der Hand der homerischen Dichtung darzulegen suchte, theilweise aber als zu sehr „theologisch“ mißverstanden wurde, obwol der besonnene Verfasser keineswegs Christliches in Homer hineinlegte (zweite Aufl. 1861; dritte 1886).
Nägelsbach: Karl Friedrich v. N., Dr. phil. u. theol., berühmter Pädagog und Docent, geb. am 28. März 1806 zu Wöhrd bei Nürnberg, † am 21. April 1859 zu Erlangen. Sohn eines preußischen, dann baierischen Justizbeamten, besuchte er von 1814 an das Gymnasium zu Baireuth, wo er durchNach Kopp’s Tod wurde N. an die Universität Erlangen zu einer höheren und reicheren Wirksamkeit berufen, 1842, nahm aber daneben noch eine Reihe von Jahren an der dortigen Prima stilistischen Unterricht und Correcturen seinem verehrten Lehrer Döderlein ab. – Es ist kaum eine Persönlichkeit zu denken, welche so wie N. alle Eigenschaften besaß, um als Lehrer die studirende Jugend zu begeistern und emporzuheben. Eine stattliche Mannesgestalt, edle regelmäßige Züge, zum Herzen sprechender Blick, fließende gewählte Sprache, dabei ein ideales Wesen, glänzende Begabung, die nicht durch Scharfsinn und Witz glänzen wollte, sondern lieber das Wohldurchforschte und Durchdachte in lichtvollem Vortrage den lauschenden Hörern bot und eine selbstempfundene Begeisterung auf dieselben übertrug – so konnte und mußte N. sein Ziel, neben Pflege und Förderung der Wissenschaft, insbesondere für die Gymnasien tüchtige Lehrer heranzubilden, in schönem Verein mit Döderlein, welcher nach anderen Seiten anregend wirkte, erreichen. Dazu dienten besonders die Uebungen des Seminars, welches unter diesen sich wunderbar ergänzenden Männern seinen Höhepunkt erreichte, so daß man mit Recht von einer Erlanger Schule spricht. N. verschmähte es auch nicht, eine große Anzahl von Arbeiten, mitunter über vierzig, außer den damit wechselnden lateinischen kritisch-exegetischen Arbeiten sorgfältig zu corrigiren. So hat er durch Wort und Schrift und vor allem durch sein Beispiel auf Generationen von Zuhörern aus allen Gauen des Vaterlandes, vorwiegend natürlich Süddeutschlands, bedeutenden Einfluß geübt und darin liegt sein bleibendes Verdienst.
Seine Vorlesungen, in denen es ihm weniger um vollständige Litteraturangaben als um den vollen Eindruck des Ganzen zu thun war, wurden von Studirenden aller Facultäten gerne besucht: die gelehrte philologische Behandlung der Autoren zeigte N. im Seminar. Seine Vorlesungen umfaßten etwa folgende Autoren und Schriften: Cicero orr. pro Sest., Rosc. Com., Phil. I. II, de domo sua; orator, de Rep. (im Seminar: pro Marcello, Somn. Scip.; Vergil), höhere Kritik der Horazischen Oden (ästhetisch-poetisch, gegen Peerlkamp), römische Satire, Juvenal, Persius; griechische Tragiker, besonders Aesch. Orestia, Soph. Aias, Antigone; Eur. Bacch. Alcest.; Aristoph. Av., Nub., Ran.; Plato Sophist., Theaet., de Rep. VI–VIII; Dem. Leptin., de cor., Chers., Phil. III u. a. Aristot. de anima. Systematisch: Lateinische Stilistik (anfangs), griechische Religionsgeschichte („nachhomer. Theologie“), römische Staatsalterthümer; Geschichte der deutschen Philologie seit der Reformation; Gymnasialpädagogik (nach seinem Tod hrsg. 1861; 2. Aufl. 1869 mit seinem Bildniß). – An Publicationen seit 1841 sind zu nennen: Jubiläumsprogramm 1843 „De religionibus Orestiam Aeschyli continentibus“; dann „De vera modorum origine“, heute noch beachtet; 1846 die bahnbrechende „Lateinische Stilistik für Deutsche, ein sprachvergleichender Versuch“, an dem „der Verfasser mehr und länger im Lehrzimmer und im Hörsaale als am Schreibtische“ gearbeitet hatte (2. großentheils umgearb. Aufl. 1852, 3. 1858; durch Schüler des Verfassers die vierte bis sechste, 1865, 1870, 1876; die siebente durch Iw. Müller 1881); ferner 1846 „Laudatio Lutheri“ an der Säcularfeier von dessen Todestage gehalten; für 1849/50 zum Prorector gewählt, sprach er über „die mögliche That für Deutschland“. – Seine deutsche Gesinnung und Vaterlandsliebe wie sein ehrenfester Charakter war überall bekannt, die studirende Jugend [226] schwärmte für den Mann, seine Mitbürger und selbst die Landbevölkerung achtete ihn hoch; eine ihm zugedachte Wahl in das Frankfurter Parlament lehnte er bescheiden ab, obwol er hiebei öffentlich für politische Gleichstellung aller Confessionen und in bedingter Weise für Trennung von Staat und Kirche sich erklärte. Die Wahl seiner Collegen, die ihn nach Jena sandten, wo über eine möglichst freisinnige zeitgemäße Umgestaltung der deutschen Hochschulen berathen werden sollte, hätte keinen geeigneteren Mann treffen können; zu gleichem Zweck berief ihn später sein König nach München, wo man längst N. zu würdigen verstand, welcher 1843–52 als ständiger Ministerialcommissär für die Gymnasien Baireuth, Hof, Schweinfurt, seit 1854 jährlich bei der Superrevision der Maturitätsprüfungsarbeiten in Baiern, seit 1853–58 regelmäßig bei den philologischen Lehramtsprüfungen in München mit ehrenvoller Arbeitslast betraut, trotz verschiedener lockender Berufungen (1842 als Gymnasialdirector in Elberfeld, 1845 in Weimar und Meißen, als Universitätsprofessor 1845 und 1847 nach Halle, 1851 nach Kiel, 1857 nach Tübingen) seinem engeren Vaterlande treu blieb. Dafür schmückte ihn sein König mit dem Verdienstorden vom hl. Michael und später mit dem Civilverdienstorden der baierischen Krone; correspondirendes Mitglied der kgl. baier. Akademie der Wissenschaften war er schon lange, ordentliches 1859. – Nach kleineren Arbeiten erschien 1850 die 2. Aufl. d. Anm. zur Ilias nach erweitertem Plane, besonders hinsichtlich der poetischen Structur und Motivirung der Handlung (die 3. nicht mehr von seiner Hand 1864). 1851 fungirte er bei der Philologenversammlung in Erlangen als zweiter Präsident und hielt hier einen Vortrag über den Ausgangspunkt der Fabel in der aeschyleischen Trilogie (Orestie). Um 1857 erschien der Artikel „Classikerlectüre“ in Schmids Encyklopädie, und die „Nachhomerische Theologie des griechischen Volksglaubens“, geschöpft aus den litterarischen Denkmälern (mit Ausschluß der Inschriften und Kunstdenkmäler). Obwol er selbst am wenigsten von dieser Leistung befriedigt war, fand sie doch auch weithin den verdienten Beifall und die theologische Facultät Erlangens verlieh ihm die Doctorwürde honoris causa. Dieses Werk, das letzte bedeutendere aus seiner Feder, ist ein lebendiges Zeugniß dafür, in welchem Sinne er das Alterthum allseitig zu erfassen bestrebt war; es ist derselbe, der aus seinem Vermächtniß an seine Schüler spricht: „Bewahret die classischen Studien! sonst bricht die Barbarei über uns herein; aber haltet auch fest am Evangelium! sonst bleibt das Alterthum unverstanden und bringt uns unheilvolles Heidenthum!“ Aus seinen Vorlesungen über Gymnasialpädagogik, obgleich sie so wenig als sein Bildniß das ihm eigene Feuer wiederzugeben vermögen, mag man das Weitere zur Ergänzung seines geistigen Bildes hinzunehmen. –
Eine von der Mutter (geb. Schäfer) ererbte Nervenschwäche hatte im Laufe der Jahre durch geistige Anstrengung zugenommen, so daß N. Jahre lang an Schlaflosigkeit litt, dann aber entwickelte sich unbemerkt bei dem so kräftig und blühend aussehenden Manne (in Folge einer Rippenfellentzündung 1856) eine Lungenkrankheit: weder Reichenhall noch die Luft Münchens (gelegentlich der philologischen Lehramtsprüfung im Herbst 1858) brachte die gehoffte Besserung; zurückgekehrt, konnte N. nur mit der äußersten Anstrengung seine Vorlesungen eben wieder aufnehmen; auf Bitten seiner Zuhörer stellte er sie mit dem 10. December ein, um nach längerem Krankenlager, auf welchem ihn die Sorge um die vaterländische und besonders philologische Jugend noch viel beschäftigt hatte, am Gründonnerstag 1859 sanft zu entschlafen. – Allgemein war der Schmerz über diesen Verlust; am tiefsten empfand ihn außer der Familie die Universität, deren Senat, weil die Beerdigung in die Ferien fiel, eine außerordentliche Gedächtnißfeier für den 21. Mai anordnete, bei welcher Doederlein [227] dem hingeschiedenen Schüler, Collegen, Freund eine meisterhafte laudatio hielt. (Vgl. dessen Oeffentl. Reden.)
Verehelicht, und zwar äußerst glücklich, war N. mit Rosalie, der trefflichen Tochter des Pfarrers Wanderer in Kreußen, aus welcher Ehe drei tüchtige Söhne in Nürnberg entsprossen: der älteste, Ludwig, war bereits Assistenzarzt am städtischen Krankenhause daselbst als ihn der Typhus dahinraffte, December 1852; der zweite, Karl, ist gegenwärtig Professor der protestantischen Religionslehre und des Hebräischen am Gymnasium Baireuth, der jüngste, Hans, Professor der Mathematik und Physik am Gymnasium Erlangen.
- Vgl. Nekrolog in der Augsb. Allg. Ztg. Nr. 190, 9. Juli 1859 von Max Lechner (später mit dem von Schneidewin, C. F. Hermann, L. Döderlein besonders hrsg. Berlin, Calvary 1864). – Thomasius’ Grabrede, Erlangen 1859. – Lübker, Lebensbilder aus dem letztverfl. Jahrh. Hamburg 1862. – Stellenweise Thomasius, Wiedererwachen d. evangelischen Lebens. – Schuberts Selbstbiographie. – Iw. Mueller, De seminarii philol. Erlang. ortu et fatis. Univ.-Schrift, Erlangen 1878. – Dagegen ist nicht als Quelle zu betrachten: Weidner, Naegelsbachi vita ac disciplina.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Gemeint ist: (Carl) August von Burger (1805–1884), Oberkonsistorialrat in München.