ADB:Neander, Michael (Pädagoge)

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Artikel „Neander, Michael (Pädagoge)“ von Gustav Baur in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 341–345, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neander,_Michael_(P%C3%A4dagoge)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 08:47 Uhr UTC)
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Neander: Michael N., ursprünglich Neumann, wurde 1525 zu Sorau in der Niederlausitz geboren als Sohn eines wohlhabenden „Krämers und Kaufhändlers aus einem alten vornehmen und tapfern Geschlecht“. Den Geist des elterlichen Hauses charakterisirt der dankbare Sohn in der Schrift, welche er unter dem Titel „Menschenspiegel“ „vor seine liebe alte Eltern, seinen lieben Vater und Mutter, liebe Brüder und Schwestern auf ihre vielfältige Bitten und Anhalten“ um 1560 geschrieben und 1587 in Druck gegeben hat: „Ich gedenck offt an unseren lieben Vetter Frantze, das fromme christliche rechtschaffene Hertze, da er sein Haus bauete und diesen Reim darein schreiben ließe, halt er stehet noch daran:

Wir bawen alle feste,
Und sind doch frembde Gäste,
Und da wir ewig sollen seyn,
Da bawen wir gar wenig ein.

Welche Wort mir als einem Knaben zur selben Zeit trefflich sehr zu Hertzen giengen und bewogen mich dermaßen, daß ich alsbald nach keiner Welt nicht mehr fragte, nach schönen Kleidern und dergleichen, daß auch der Vater Lust darob hatte und offt sagte: „Michael fraget nicht mehr nach solchen Dingen.“ Im Hinblick auf das letzte Gericht gibt er seinen Eltern das Zeugniß: „Da wird man, lieber Vater und Mutter, sehen, daß ihr fromme getrewe christliche Eheleute zusammen gewesen, wie eines mit des andern Schwachheiten Geduld gehabt, wie ihr euch sonsten gehalten im Unglück, im Leiden, im Haußhalt, auch gegen den nothdürftigen Nechsten, daß ihre ewre Kinder zur Gottesfurcht und Erbarkeit gezogen, ihnen recht vorgestanden, wie wir denn dasselbe von euch rühmen werden in jenem Leben.“ Seinen ersten Unterricht empfing er in der Schule seiner Vaterstadt, deren Rector Theodor war, und er selbst gibt über diese Schuljahre einen authentischen Bericht in der an seinen Bruder Job N. gerichteten Widmung des Buches seiner „Ethica vetus et sapiens“. Darnach ging er oft neben die Schule um seiner von dem Vater, ja vom Großvater und von Urahnen ererbten Lust am Fisch- und Vogelfang zu fröhnen. Gleichwohl verkannten die Lehrer auch die guten Eigenschaften des Schülers nicht und zeichneten ihn namentlich bei der üblichen Aufführung Terenz’scher Lustspiele dadurch aus, daß sie ihm die größten und schwersten Rollen zutheilten, die er denn auch zu großer Befriedigung der Sorauer und der aus der Nachbarschaft herbeigekommenen Gäste durchführte. Nach dem Willen des Vaters aber sollte Michael Kaufmann werden; und damit er vor allem das zu diesem Geschäfte damals unentbehrliche Reiten lerne, setzte ihn der Vater kurzer Hand auf ein sehr wildes und ungesatteltes Pferd, obwohl der Junge von einem Armbruche kaum geheilt war. Er wurde in den Weiher geworfen, in welchen er das Thier zur Schwemme reiten sollte, mit Mühe vor dem Ertrinken gerettet und wieder zu Pferd gebracht, am Stadtthore noch durch einen Steinwurf verwundet, so daß er naß und blutend zu Hause wieder ankam. Der strenge Vater aber ließ ihn an demselben Tage noch ein wilderes Pferd besteigen, welches des unsicheren Lenkers so gewaltsam sich entledigte, daß er zum zweiten Mal den linken Arm brach; und nun brach der Vater unter dem Schmerzensgeschrei des Sohnes und dem Jammern der Mutter in die zornigen Worte aus: „Nur in ein Kloster mit Dir, Du tügest nicht in die Welt!“ Auf Zureden seiner Lehrer aber wurde Michael nicht in ein Kloster, sondern nach kaum vollendetem 17. Lebensjahre auf die Universität Wittenberg geschickt. Das erste akademische Jahr ging für die wissenschaftlichen Studien ziemlich unfruchtbar vorüber, da der Lehrer, an welchen Michael empfohlen war, dessen Liebhaberei am Vogelstellen theilte und begünstigte. Dann aber gab ihm Gott, wie er dankbar anerkennt, ein neues Herz und erfüllte ihn mit einem [342] wahren Heißhunger des Lernens. Veranlaßt wurde dieser Umschwung durch die nähere persönliche Bekanntschaft mit Luther, welchen er sein Lebelang als Megalander, noch lieber als den Theander dankbar gepriesen hat, und mit Melanchthon, „dem wunderbaren Rüstzeug“. Im J. 1547 mußte er nach der Schlacht bei Mühlberg Wittenberg verlassen und wurde er auf die Empfehlung von Melanchthon und Justus Jonas an der Schule zu Nordhausen zuerst als „Schuldiener“ (Collaborator), dann als Conrector angestellt. Hier lernt er von dem Rector Basilius Faber, daß, um richtig lehren zu können, nicht genüge, daß man auf der Universität etwas gelernt habe, wie er „als ein junger Narr“ sich eingebildet hatte; und er bekennt, daß ihm alle Haare zu Berge stiegen, wenn er, um den älteren Schülern die majorem syntaxin vorzutragen, durch das Zeichen der Glocke in das Auditorium gerufen wurde, „darinnen eine große, lange Taffell voll erwachsene auch viel bärtige Gesellen saßen“. Indessen muß er diese schwere und demüthigende Prüfung doch gut bestanden haben, denn als im J. 1550 die Lehrerstelle an der Klosterschule zu Ilfeld erledigt war, wurde er von Melanchthon und dem trefflichen Bürgermeister von Nordhausen, Erasmus Schmied, dorthin empfohlen. In dem um das Jahr 1200 gegründeten dortigen Prämonstratenserkloster war von dem zum evangelischen Glauben übergetreten frommen Abt Thomas Stange eine Schule gegründet worden. Im Angesichte seines herannahenden Todes (20. April 1559) übergab dieser die ihm theure Anstalt als ein heiliges Vermächtniß dem nun schon während einer neunjährigen Wirksamkeit bewahrten treuen Gehülfen. Schon damals hatte sich durch Neander’s Geschick und Eifer die Frequenz von 12 auf 40 Zöglinge gehoben, und bereitwilligst widmete der treue Mann, unbeirrt durch wiederholte ehrenvolle Berufungen, 45 Jahre lang mit vollster Hingebung seine erstaunliche Arbeitskraft der Schule, indem er ihr nicht nur als alleiniger Verwalter, Rector und Lehrer sondern auch als der väterliche Versorger und Pfleger der ihr anvertrauten Zöglinge diente, sie nach außen gegen die oft lebensgefährlichen Anfechtungen habgieriger Feinde vertheidigte und zugleich fünfmal in mörderischen Pestzeiten mit Aufopferung den Arzt und Krankenpfleger machte. Ein altes Bild in Leuckfeld’s Antiquitates Ilfeldenses stellt ihn in ganzer Figur, nicht sitzend oder stehend sondern gehend, mit einem Buche und einem großen Schlüsselbunde dar, dem charakteristischen Zeichen seiner lehrenden und verwaltenden Thätigkeit, Daß sein Berufsgenosse Gigas, der Rector von Schulpforta, ihm einst sagte: „Ihr soltet euch lieber einmal haben lebendig schinden lassen, denn so viel lange Jahr fürnemlich mit der jetzigen teufelischen bösen Jugend umbgangen haben“, machte ihn nicht irre; und er hatte die Genugthuung, seinen Vater, welcher ihn früher in ein Kloster verwünscht hatte und nun ihn bat sich zu schonen und im Kloster nicht ganz zu versauern, auf seine erfolgreiche und ehrenvolle Thätigkeit hinweisen zu können und von ihm die Antwort zu vernehmen: „Der heilige Wille des Herrn geschehe! Gott empfehle ich Dich und alle Deine Angelegenheiten; thue was Du für richtig und für das beste, für Gott wohlgefällig und dem Nächsten heilsam hältst, denn Du bist weiser, denn ich, der ich auf die Wissenschaft nicht viel Zeit habe verwenden können.“ Auf ein segensreiches Leben zurücksehend, durfte der Greis getrost sprechen: „Mich reut mein Leben nicht, ich fürchte mich nicht, weil ich einen gnädigen Gott habe.“ Im J. 1562 hatte er sich mit Anna Winckeler aus Nordhausen vermählt. Zwei Knaben und zwei Mädchen waren aus dieser Ehe entsprossen, von welchen das jüngste, Maria, mit Mylius, Pfarrer zu Ilfeld, verheirathet war. Diesem, welcher zugleich sein Seelsorger war, sagte er kurz vor seinem Tode: „Ach, lieber Domine Pastor, ist das nicht eine große Herrlichkeit unserer Seelen, daß sie mit dem Leibe nicht stirbt, sondern lebendig bleibt? Item, daß sie bei Christo in seinem Reich und [343] bei Gott und den lieben Engeln lebt in Friede und Freude des heiligen Geistes bis an den jüngsten Tag? Das alles haben wir ja unserem lieben Herrn Christo zu danken. Ach, wie wird mir doch die Zeit so lange werden, ehe ich dahin komme, und wie werde ich beneben meinen lieben Großeltern und Eltern so manchen frommen lieben Christen und so viel guter herrlicher Freunde da finden und antreffen; Gott helfe mir dazu balde. Amen!“ In der vierten Nachmittagsstunde des 26. April 1595 starb der letzte aus dem großen Dreigestirn praktischer evangelischer Pädagogen des 16. Jahrhunderts: Valentin Trotzendorf († 1556), Johannes Sturm († 1589) und N.

Wenn man Sturm den normalen Schulorganisator, Trotzendorf den Normalrector genannt hat, so kann N. als der Normallehrer jener Zeit gelten. Für seinen Lehrerberuf war er mit einer wahrhaft staunenswerthen Gelehrsamkeit ausgestattet. Nicht allein sämmtliche griechische und lateinische Classiker hat er gelesen, sondern sich auch, soweit es die damaligen litterarischen Hülfsmittel gestatteten, eine gründliche Kenntniß des Hebräischen und der verwandten Dialekte verschafft, ja er arbeitete sich selbst durch die späteren Lateiner und durch die Scholastiker hindurch, indem er bei diesem oft sauren Geschäfte seinen Trost theils in dem Worte des Plinius fand, daß auch das schlechteste Buch doch sein Körnlein Gutes enthalte, theils in der Erwägung, wie erst aus der Bekanntschaft mit diesen abstrusen und barbarischen Schriftstellern es recht klar werde, wie groß die Gnade sei, welche Gott mit dem durch Luther und Melanchthon uns wiederaufgesteckten Lichte einer reineren Erkenntniß uns erwiesen habe. Damit verband er, den Forderungen seiner Zeit entsprechend, eine ungemeine Fertigkeit in der praktischen Handhabung nicht allein des Lateinischen, sondern auch des Griechischen in Rede und Schrift, in Prosa und Vers. Und daß seine große Belesenheit und Sprachfertigkeit auf wirklicher Gelehrsamkeit beruhte, das beweist namentlich die 340 Seiten umfassende Vorrede zu den „Erotemata linguae Graecae“, welche mit der ausgebreitetsten und gründlichsten Sachkenntniß von alten und neuen Bibliotheken und von den Handschriften und Büchern aus dem Gebiete der weltlichen und kirchlichen Litteratur handelt und nicht mit Unrecht „eine kurze und vielleicht die erste Litteraturgeschichte“ genannt worden ist. Das eigenthümliche pädagogische Verdienst Neander’s aber beruht vor allem darauf, daß er vermöge der tiefen religiösen Gründung seines ganzen Wesens, der hingebenden Liebe für die Jugend und seiner originellen und individuelles Leben weckenden Individualität eine wahrhaft pädagogische Persönlichkeit war; ferner darauf, daß er sein Lehrziel immer klar und fest vor Augen hatte und mit sicherem methodischen Bewußtsein ihm Schritt vor Schritt entgegenging; und ganz besonders darauf, daß er durch Abfassung brauchbarer Lehrbücher einem Mangel abhalf, der in jener ersten Zeit der Reform des Schulwesens, welche der mit dem Humanismus verbündete Protestantismus ins Werk gesetzt hatte, im besonderen Maße empfunden werden mußte. Nach Havemann waren bei Neander’s Tode 39 Werke von ihm gedruckt und außerdem noch 17 handschriftlich vorhanden, und es würde nicht schwer fallen, diese Zahlen noch zu erhöhen. Für das persönliche Wesen Neander’s gibt sein schon erwähnter „Menschenspiegel“ die ausgiebigste Belehrung. Die neue Methode, welche er dem herrschenden pedantischen Mechanismus entgegensetzte, lernt man am besten kennen aus seinen „Bedenken an einen guten Herrn und Freund, wie ein Knabe zu leiten und zu unterweisen, das er one gros jagen, treiben und eilen mit Lust und Liebe vom sechsten Jahre seines alters an biß auff das achtzehnde wol und fertig lernen möge Pietatem, linguam Latinam, Graecam, Hebraeam, artes und endlich universam Philosophiam“ 1580; auch abgedruckt bei Vormbaum, Die evangelischen Schulordnungen des 16. Jahrhunderts. Gütersloh 1860, S. 746 ff. Bis zum 15. Jahre soll der grammatische [344] Unterricht im Lateinischen, stufenweise vom Leichteren zum Schwereren fortschreitend, und dann auch der im Griechischen im Wesentlichen vollendet sein. Als Hülfsmittel dazu hatte N. sein „Compendium grammaticae latinae Philippi Melanchthonis et pro Incipientibus et Donatistis conscriptum olim in Schola Ilfeldensi“ verfaßt und im Anhange den „Nomenclator puerilis novus, trilinguis videlicet et rhythmicus“ und ferner die „Grammatica latina Philippi Melanchthonis ea brevitate, facilitate et perspicuitate paucis pagellis tradita, verbis tamen Philippi retentis, … ut inde cuncta Grammatices praecepta, ad discendam et intelligendam Latinam linguam ad omnem aetatem necessaria et proficua, puer intra menses paucos non magno negotio singula et universa addiscere possit“, und im Anhange die „Locutionum latinarum formulae, secundum trium causarum genera distributae“. Beide Werkchen erschienen zu Leipzig 1579. Für den ersten Unterricht im Griechischen konnten seine „Graecae linguae Tabulae“ (Basel 1564) dienen, während für den weiteren Unterricht die ausführlicheren „Graecae linguae erotemata“ (Basel 1565) bestimmt waren, welche den im Griechischen weiter Fortgeschrittenen ähnliche Dienste leisten sollten wie im Lateinischen die große Grammatik Melanchthon’s, und zu deren Exemplification die „Gnomologia graecolatina“ (Basel 1564) bestimmt war. Mit aller Entschiedenheit dringt er darauf, daß auch das Griechische durch schriftliche Arbeiten geübt werde, und selbst zur Anfertigung griechischer Verse, in welcher er selbst eine so große Leichtigkeit besaß, gibt er in seinen 6 Büchern „De re poetica Graecorum“ (Leipzig 1592) ausführliche Anleitung. Den Hauptstoff zur Lectüre für die reiferen Schüler sollte das „Opus aureum et scholasticum“ bilden, „in quo continentur Pythagorae carmina aurea, Phocylidis, Theognidis et aliorum poëmata“ (Leipzig 1574); diese „alii“ sind Nilus, Coluthus, Tryphiodorus, Cointus (Quintus Smyrnäus) und Lucian, welchen noch die 2 Bücher des Gnomologikons und 2 Bücher Apophthegmata eingereiht sind, alles mit lateinischen Uebersetzungen und Erklärungen versehen. Mit dem 16. Jahre kommt der Unterricht im Hebräischen hinzu, für welchen N. wiederum durch „Tabulae grammaticae Hebraeae linguae“ und durch die „Sancta linguae Hebraeae erotemata“ (Basel 1567) gesorgt hat, welchen auch, ähnlich wie seinen lateinischen und griechischen grammatischen Schriften, Testimonia veterum Hebraeorum Rabinorum, Thalmudistarum ac Cabalistarum de Christo und Apophthegmata, oracula, proverbia ac sententiae Hebraeolatinae beigefügt sind. Das 17. und 18. Jahr endlich sollte den Schüler noch in die Dialektik, Rhetorik, Physik, Chronologie, Ethik und Geographie einführen, um ihn dann, wohlvorbereitet, zu den akademischen Studien zu entlassen; und auch über jene Disciplinen waren Neander’s eigene Compendien zur Hand: eine Dialektik und Rhetorik (Eisleben 1581), eine Physik („Compendium rerum physicarum“, Wittenberg 1587 und „Physice“, Leipzig 1585 und 1591), ferner das „Chronicon“ (s. l. 1583) und das „Compendium Chronicorum“ (Leipzig s. a. [1586]), die „Ethice vetus et sapiens“ (Leipzig 1581) und die „Orbis terrae divisio“ (Leipzig 1586) und „Orbis terrae partium succincta explicatio, seu simplex enumeratio“ (Leipzig 1589). Behufs der Darstellung der eigenthümlich christlichen Lehren fügte er den aus den classischen Schriftstellern entlehnten ethischen Vorschriften sein „Παναρετών, s. Theologia scripturae sanctae, sententiae ac doctrinae coelestes cet.“ (Eisleben 1580, später unter dem Hauptitel „Parva biblia Latino-germanica“ noch öfter erschienen) bei, und daran schloß sich die aus Luther’s Schriften excerpirte „Theologia Theandri Lutheri“ (Eisleben 1581). Auch den kleinen Katechismus Luther’s hatte N. ins Griechische übersetzt (Basel 1558), „unde et pietatem et linguam Graecam adolescentes discere possunt“.

Obwohl N. die Grundansicht seiner pädagogischen Zeitgenossen theilt, es [345] sei „alles daran gelegen, das man Grammaticam, Latinam linguam und Pietatem auffs vleissigste studiere“, so geht doch durch alle seine Schriften, mit seiner gesunden und kernhaften Individualität zusammenhängend, ein realistischer Zug hindurch; und obwohl man aus ihnen zahlreiche erläuternde Beispiele für das entnehmen kann, was R. v. Raumer so treffend als verbalen Realismus bezeichnet hat, weil die behandelten Realien immer an das Wort der classischen Ueberlieferung gebunden erscheinen, so verräth N. doch auch häufig seine frische Empfänglichkeit für das eigenthümliche Leben der Gegenwart. Die stete Rücksicht auf das im praktischen Leben Verwendbare läßt ihn den Ciceronianus so sehr verleugnen, daß er den beiden Büchern griechischer und lateinischer Weisheitssprüche in einem dritten Buche gegen 1600 „Versus veteres proverbiales Leonini,“ mit seiner bewunderungswürdigen Belesenheit aus mittelalterlichen Schriftstellern gesammelt, anhängt. Ja er wagt es, diesen in den späteren Ausgaben (seit 1585) unter dem Titel „Veterum sapientum Germanorum sapientia“ über 600 deutsche Sprüchwörter beizufügen, deren derbe Volksweisheit der wißbegierigen Jugend mit einer für uns höchst auffallenden Unbefangenheit dargeboten wird (Ladendorf, Neander’s Deutsche Sprüchwörter, Schwerin 1884). Auf ganz besonders ergötzliche Weise aber wird in seinen geographischen Compendien der Schematismus des Lehrbuchs von den Aeußerungen des lebendigen Interesses durchbrochen, welches der Verfasser bedeutenden Ereignissen und Persönlichkeiten seiner Zeit und Umgebung zuwendet. Sobald er auf eine Stadt kommt, in welcher eine tüchtige Schule blüht, oder ein ausgezeichneter Gelehrter oder Lehrer, vielleicht gar einer seiner früheren Schüler, wirkt, so bringt er in lebhafter und instructiver Redseligkeit die concretesten Dinge zur lebendigsten Anschauung.

N. hatte die Genugthuung, den ausgezeichneten Erfolg seiner pädagogischen Thätigkeit schon von der ruhmvollsten Anerkennung sachverständiger Zeitgenossen begleitet zu sehen. Melanchthon erklärte die Schule zu Ilfeld, „um der treuen Arbeit Neander’s willen“ für das beste Seminar im Lande. Lorenz Rhodomann, sein berühmtester Schüler, rühmte ihm nach, daß mehr feine Griechen aus der Schule zu Ilfeld hervorgegangen seien als einst Helden aus dem trojanischen Pferd, und daß die Neandrici auf der Universität durch ihre tüchtige Vorbereitung vor allen sich auszeichneten. Und noch in neuester Zeit hat F. A. Wolf, der große Nachfolger Neander’s im Lehramte zu Ilfeld, über seinen Vorgänger geurtheilt, daß er zwar kein singulärer Kopf als Schriftsteller gewesen sei, aber als Sprachkenner sich sehr verdient gemacht habe, und daß sein Charakter sehr bieder gewesen sein müsse; ja er hatte Lust, nach dem Vorbilde von Neander’s „Bedenken“ ein dem Bedürfniß der neueren Zeit angemessenes ähnliches Schriftchen zu verfassen, indem jenes Büchlein sehr artige Dinge enthalte, überall den alten echtdeutschen Sinn bezeuge, der auf Realität geht, und nicht von der Erziehung spreche, denn die gehöre den Eltern, sondern von der ratio instituendi und nichts wisse von der schädlichen Methode, alle Sachen zu erleichtern.

Vergl. meinen ausführlicheren Artikel über N. in Schmid’s Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens. 2. Aufl. V. Leipzig 1883, S. 200–213. – Leuckfeld, Antiquitates Ilfeldenses. Quedlinburg 1709. – Vollborth, Lobschrift auf N. Göttingen 1717. – Havemann, Mittheilungen aus dem Leben M. Neander’s. Ein Beitrag zur Reformations- und Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts. Göttingen 1841. – Meister’s Aufsatz über N. bei Fleckeisen und Masius, neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik. Abth. II, 1881 und 1882. – Klemm, Michael N. und seine Stellung im Unterrichtswesen des 16. Jahrhunderts (Inauguraldissertation). Großenhain 1884. – Ein Verzeichniß der Schriften Neander’s findet sich bei Leuckfeld, vollständiger bei Meister a. a. O.