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ADB:Neilreich, August

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Artikel „Neilreich, August“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 405–407, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neilreich,_August&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Neilreich: August N., geb. am 12. December 1803 in Wien, † ebendaselbst als Oberlandesgerichtsrath am 1. Juni 1871, hat sich um die floristische Erforschung seiner Heimath namhafte Verdienste erworben. Nachdem er seine Ausbildung am Gymnasium des Schottencollegiums in Wien erhalten und das Studium der Jurisprudenz auf der Universität seiner Vaterstadt absolvirt hatte, kam er 1828 als Auscultant an das Civilgericht der Stadt Wien, wurde 1847 [406] Civilgerichtsrath und 1850, nachdem er als Mitglied der niederösterreichischen Gerichtseinführungscommission in hervorragender Weise bei den legislativen Arbeiten dieser Körperschaft mitgewirkt hatte, Oberlandesgerichtsrath. Leider hatten die Anstrengungen des Berufs Neilreich’s Gesundheit frühzeitig untergraben. Die ersten Anfälle einer Brustkrankheit zwangen ihn, in einem Alter von 53 Jahren um seine Pensionirung nachzusuchen und nach 15jährigem, mit großem Mannesmuthe ertragenen Leiden raffte ihn im J. 1871 der Tod hinweg.

Neilreich’s Beschäftigung mit der Botanik, zu der ihn eine schon früh erwachte Neigung hingezogen, erhielt ihre wissenschaftliche Richtung durch die Bekanntschaft, die er im J. 1830 mit dem damaligen Hofsecretär Karl v. Enderes und den österreichischen Botanikern v. Köchel (s. A. D. B. XVI, 405), Welwitsch u. a. machte. Sein richterliches Amt gestattete ihm keine längere Abwesenheit von dem Orte seines Berufs und so nutzte er denn seine freie Zeit um so ergiebiger aus zu einer gründlichen floristischen Erforschung der Umgebungen seiner Vaterstadt. In einem Umfange von drei Meilen in der Runde lernte er das Wiener Gebiet aufs genaueste kennen durch mehr als 800 Ausflüge, welche er in 15 Jahren theils allein, theils in Begleitung botanischer Freunde ausführte. Das Resultat dieser Forschungen war eine im J. 1846 erschienene „Flora von Wien. – Eine Aufzählung der in den Umgebungen Wiens wildwachsenden oder im Großen gebauten Gefäßpflanzen, nebst einer pflanzengeographischen Uebersicht“, wozu schon im J. 1851 Nachträge, meist Ergebnisse weiterer Excursionen, hinzukamen. Die inzwischen eröffneten Schienenwege hatten Wien mit den Alpen in nähere Verbindung gebracht, auch war N. durch seine Ernennung zum Civilgerichtsrath in den Stand gesetzt worden, über seine Zeit mit größerer Freiheit zu verfügen und so benutzte er diese Umstände, um seine Excursionen bis zum Leithagebirge und den Flächen des Neusiedler See’s auszudehnen. Die hierbei gemachten Beobachtungen legte er in den erwähnten Nachträgen nieder. Durch den 1851 in Wien ins Leben getretenen zoologisch-botanischen Verein wurde eine erhöhte wissenschaftliche Thätigkeit unter den Naturforschern Oesterreichs im Interesse der Erforschung der heimathlichen Fauna und Flora angeregt. Auch N. betheiligte sich lebhaft an den Arbeiten des Vereines und legte in dessen Schriften in den Jahren 1852–55 eine Reihe werthvoller größerer und kleinerer Abhandlungen nieder. Sie beziehen sich theils auf zweifelhafte oder verkannte Arten der Wiener Flora, theils auf pflanzengeographische Schilderungen („Das Marchfeld, eine botanische Skizze“), theils auf historische Untersuchungen („Geschichte der Botanik in Niederösterreich“). Neben dieser litterarischen Thätigkeit suchte N. auch seine floristischen Forschungen auf weitere Kreise auszudehnen, namentlich die zur Zeit minder bekannten Gebiete von Niederösterreich wissenschaftlich zu erschließen, und selbst als ihn das Mißgeschick seiner Krankheit traf, hielt es ihn nicht ab, seine botanischen Reisen fortzusetzen, welche den Wiener Wald, das Donau- und Marchthal zu Zielpunkten hatten. Außerdem bereiste er das westliche Deutschland, die Schweiz, Tirol, Böhmen und Oberösterreich, nahm auch einen halbjährigen Aufenthalt in Venedig, wodurch er in den Stand gesetzt wurde die Vegetationsverhältnisse dieser Länder mit denen seines engeren vaterländischen Kreises zu vergleichen. Das Resultat dieser unter den schwierigsten Verhältnissen mit eiserner Consequenz durchgeführten Studien war die classische „Flora von Niederösterreich“, welche lieferungsweise in den Jahren 1858 und 1859 erschien und 1866 und 1869 noch zwei Nachträge erhielt. Als der zunehmende Verfall der Gesundheit Forschungen im Freien nicht mehr zuließ, wandte sich N. der kritischen Sichtung und Registrirung der botanischen Litteratur zu, soweit sie sich auf die Floren der Länder des österreichischen Kaiserstaates, Siebenbürgen ausgenommen, bezieht. So entstanden in [407] rascher Folge 1861 „Nachträge zu Maly’s Enumeratio plant. imper. austr.“; 1866 „Aufzählung der in Ungarn und Slavonien bisher beobachteten Gefäßpflanzen“ (Nachträge dazu 1870); 1867 „Diagnosen der in Ungarn und Slavonien bisher beobachteten Gefäßpflanzen, welche in Koch’s Synopsis nicht enthalten sind“; 1868 „Ueber Schott’s Analecta botanica“ (Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften); „Vegetationsverhältnisse von Kroatien“ (Abhandlungen der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien) und endlich 1869 noch ein Nachtrag zu letzterer Arbeit. Die fast fieberhafte Thätigkeit, welche N. bei der Herausgabe der genannten Publicationen entfaltete, entsprang seinem körperlichen Zustande, den er für gefahrdrohender hielt, als er wirklich war, weshalb er auch stets zu einem Abschlusse seiner Arbeiten drängte und das ihm später noch zugeflossene Material in verschiedenen Nachträgen verwerthete.

Ohne Zweifel gehört N. zu den bedeutendsten Floristen Oesterreichs in neuester Zeit. Die Vorzüge seiner Werke liegen außer in einer auf Grund scharfer Beobachtungsgabe treffend gegebenen Charakteristik der behandelten Pflanzenspecies, ganz besonders in der außerordentlichen Gründlichkeit, welche Plan und Ausführung aller seiner Arbeiten zeigen, sowie in der gewissenhaftesten Benutzung der litterarischen Quellen. In letzterer Beziehung steht er geradezu unübertroffen da und was er auf dem Felde der Nomenclatur und Synonymie durch Klärung und Berichtigung unsicherer oder unrichtiger Angaben geleistet, sind historisch werthvolle Documente geworden, unschätzbar für jeden künftigen Bearbeiter der österreichischen Florengebiete. Man kann in diesem, sämmtlichen Arbeiten gemeinsamen Charakter vielleicht eine geistige Einwirkung seines juristischen Berufes erkennen. Sie scheint besonders scharf in seiner Erstlingsarbeit „Flora von Wien“ hervorzutreten in der Art und Weise, wie er bei Feststellung der Speciescharaktere die Constanz der Merkmale mit juristischer Strenge beurtheilt, so daß er vielfach auch Artenreductionen gab, die den Widerspruch der Botaniker erregten. In seinen späteren Arbeiten hat er indessen den entgegenstehenden Ansichten namhafte Concessionen gemacht und doch läßt sich nicht bestreiten, daß Neilreich’s Wirken gerade nach dieser Richtung hin besonders segensreich für die botanische Wissenschaft gewesen ist, da es der in der Behandlung des Speciesbegriffs eingerissenen Principlosigkeit wirksam gesteuert hat. In der Beurtheilung der Verdienste Anderer hat N. stets volle Objectivität sich zu bewahren gewußt, so daß auch seine Polemik stets sachlich blieb. Diesem Umstande, neben seinem gründlichen Wissen und der Liebenswürdigkeit im persönlichen Umgange verdankte es N., daß ein großer Kreis junger, strebsamer Botaniker sich um ihn schaarte, unter denen manche, wie Celakovsky, Kanitz u. a. sich später einen wohlbegründeten Ruf in der botanischen Litteratur erwarben.

Es hat dem rastlos thätigen und dabei doch anspruchslosen Manne nicht an äußerer Anerkennung gefehlt, wenngleich sie ihm auch erst im vorgerückteren Lebensalter zu Theil wurde. Von der Wiener philosophischen Facultät wurde er zum Doctor honoris causa creirt, von den Akademieen zu Wien und Pest zum correspondirenden, von vielen anderen gelehrten Gesellschaften zum Ehrenmitgliede ernannt. Für die Wissenschaft aber bleibt sein Name erhalten in der Compositengattung Neilreichia, die ihm Fenzl gewidmet und in einigen Pflanzenarten aus anderen Geschlechtern.

Skofitz, Oesterr.-bot. Zeitung 1859. – Bot. Zeitung 1871.