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ADB:Passavant, Jakob Ludwig

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Artikel „Passavant, Jakob Ludwig“ von Hermann Dechent in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 196–198, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Passavant,_Jakob_Ludwig&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 00:06 Uhr UTC)
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Passavant: Jakob Ludwig P., Dr. theol., reformirter Geistlicher, als Freund Goethe’s und Lavater’s in weiteren Kreisen bekannt geworden, war einem angesehenen Geschlecht entsprossen, aus dem manche tüchtige Männer (siehe Johann Karl und Johann David P.) hervorgegangen sind.

Am Ende des 16. Jahrhunderts war Nikolaus de Passavant, der Stammvater des Baseler, wie des Frankfurter Zweiges, aus Frankreich nach Basel gekommen und hatte daselbst ein Geschäft gegründet. Er legte damals den Adel ab und trat zur reformirten Confession über, der seine Nachkommen mit großer Treue anhingen. Dessen Enkel Rudolph Emanuel kam 1667 nach Frankfurt am Main, wo die Familie bald zu Reichthum und Ehre gelangte. Er war der Urgroßvater von Goethe’s Jugendfreund. Jakob Ludwig P. wurde geboren zu Frankfurt am 6. März 1751. Im Hause seine Vaters, des Kaufmanns Johann Ludwig P., herrschte ein schlichter frommer Sinn, dabei aber jene feineren Formen des Umgangs, wie sie in vielen französischen Emigrantenfamilien sich finden, bei denen die Vorzüge beider Nationen sich harmonisch verschmelzen. Die Erziehung des Knaben war vortrefflich; die durch Anmuth ausgezeichnete Mutter, Maria Jakoba geb. Koch, lehrte ihren Liebling selbst in der Familienbibel lesen. Jakob Ludwig war schon als Kind durch Aufrichtigkeit und Gewissenhaftigkeit ausgezeichnet. Aus Herzensneigung widmete der früh in sich gekehrte Jüngling sich dem geistlichen Berufe, während bis dahin fast alle Glieder der Familie sich dem Handelsstande zugewendet hatten. Schon in der Gymnasialzeit war er wohl zu dem zwei Jahre älteren Goethe in vertrauliche Beziehungen getreten, welche während der Studienjahre und noch etwas über diese Zeit hinaus sich fortsetzten. P. liebte den Dichter mit der ganzen Zärtlichkeit und Hingebung, deren seine weiche Seele fähig war, während dieser dem schlichten Freunde etwas rückhaltender gegenüber stand. Doch findet sich Passavant’s Name mehrfach in „Dichtung und Wahrheit“ erwähnt. Im Frühjahr 1768 bezog er die Universität Marburg, wo er bis zum Herbst 1771 verblieb, um dann nach Göttingen sich zu wenden. An beiden Orten gehörte er dem auf deutschen Hochschulen damals verbreiteten studentischen Orden Concordia an, in dem der Freundschaftscultus in überschwänglichster Weise gepflegt wurde, wie ein noch erhaltenes Stammbuch beweist. In Göttingen lernte er auch manche Glieder des Hainbundes (Leisewitz und wahrscheinlich die Grafen Stolberg) kennen. In dieser Zeit hatte er Gelegenheit das Manuscript von „Werther“ kennen zu lernen, und war einer der Ersten, die vom „Wertherfieber“ ergriffen wurden. Im Herbst 1773 verließ er Göttingen und hielt sich im Winter, wie es scheint, theils in Marburg, theils in Frankfurt auf. Im Sommer 1774 erbat er sich von Goethe zur Vermählung seines Bruders Jakob mit Susanne Friederike Philippine Schübeler, welche mit der Schönemann’schen Familie verwandt war, ein Hochzeitsgedicht, das jedoch verspätet eintraf und erst 50 Jahre nachher, bei der goldenen Hochzeit, dem Paare vom Pfarrer überreicht wurde. Die Candidatenzeit verbrachte P. in Zürich, wo er sich von Frühjahr 1774 bis October 1775 aufhielt. Vor allem zog ihn Lavater auf, zu dem in der Sturm- [197] und Drangperiode alles pilgerte, was irgendwie von Begeisterung für die neuen Ideale erfüllt war. P. wurde Amanuensis des merkwürdigen Mannes, der den bescheidenen, aufrichtig nach Wahrheit suchenden Jüngling sehr liebgewann und zu dem „kleinen Cirkel seiner edlen Freundschaft“ rechnete. Mit Pfenninger, Heß, Häfeli und andern Gliedern der Lavater’schen Gemeinde, auch den edlen Frauen dieses Kreises, ward er sehr vertraut. Auch zu Bodmer, Breitinger und Geßner trat er in Beziehung und nahm an dem genialen Treiben, das in diesen Kreisen herrschte, lebhaften Antheil. Im April 1775 ward P. ordinirt, blieb aber dennoch ein halbes Jahr noch bei dem väterlichen Freund. In den Sommer dieses Jahres (1775) fällt die „Geniereise“ mit Goethe. Dieser war mit den beiden Stolberg’s nach Zürich gekommen und machte dann am 15. Juni (nicht am 15. Juli wie Goethe angibt) mit dem Frankfurter Freunde einen Ausflug in die Urkantone, wo P. die Führung übernehmen konnte, da er dieselbe Reise bereits einmal gemacht hatte. Der Dichter war damals im Begriff das Verhältniß mit Lilli Schönemann zu lösen, verlebte aber doch mit P., der auf der Reise sich ungewöhnlich heiter zeigte, eine Reihe fröhlicher Tage. Vermuthlich hat Goethe ihn geschildert in dem „Ferdinand“, der in Werthers Reisen als Begleiter des jungen Werther erwähnt ist. P. betheiligte sich damals an dem fröhlichen Treiben der deutschen Kraftjünglinge in Zürich, wie es besonders von den Stolberg’s angeregt worden war. Im October kehrte P. nach seiner Vaterstadt zurück, wo ihn der Dichter zu einem wunderlichen Rendezvous vor seiner plötzlichen Reise nach dem Odenwald bestellte. Indessen hatte er einen Ruf als Pfarrverwalter an der reformirten holländischen Gemeinde in Hamburg angenommen, und siedelte im November 1775 dahin über. Im J. 1776 war er mit Goethe, der mit ihm im Briefwechsel geblieben war, mit Herder, Lavater, den Stolberg’s und einer Anzahl anderer Freunde zu Straßburg, wo sein Name heute noch, auf der Plattform des Münsters, neben dem jener Dichter eingetragen ist. Seit dieser Zeit hatte er wenig Berührung mehr mit dem gefeierten Jugendfreunde; dagegen blieb er mit Lavater im Briefwechsel, der auch in seiner letzten Krankheit eine Reihe von Blättern mit einzelnen für ihn bestimmten Sinnsprüchen beschrieben hat. Im J. 1777 wurde P. Geistlicher in Hannöverisch-Münden, von wo aus er regen Verkehr mit dem benachbarten Göttingen pflog und besonders mit dem Schweizer Johann Georg Müller, dem Bruder des Geschichtschreibers, vertraut wurde. Im folgenden Jahre verheirathete er sich mit Johanna Elisabeth Waitz. In dieser seiner ersten Ehe wurden ihm vier Kinder geboren, darunter ein Sohn Karl Wilhelm, der nachmals Prediger in Bremen wurde († 1846). Im J. 1787 wurde er zweiter Prediger zu Detmold, wo er für die mancherlei milden Anstalten großes Interesse zeigte und die Bestrebungen v. Coelln’s und Ewald’s unterstützte. Er war am Hofe sehr beliebt und trat noch nach seinem Weggang zu der geistreichen, für das kleine Land treu besorgten Fürstin Pauline (s. u.) in Beziehungen. Im J. 1794 vermählte er sich nach dem frühen Tode der ersten Gattin zum zweiten Male, mit Auguste Rotberg aus Detmold. In dieser Ehe wurden ihm noch 6 Kinder geboren, darunter ein Sohn, Friedrich, der 1862 als bairischer General verstorben ist. Bald darauf wurde er zum Superintendenten in Detmold ernannt, nahm aber schon im Herbst 1795 einen Ruf als zweiter Prediger bei der deutsch-reformirten Gemeinde der Vaterstadt an, zur innigen Freude der alten Mutter. Er erlebte noch die völlige Gleichstellung beider evangelischen Confessionen in Frankfurt unter dem Fürstprimas von Dalberg, der ihn 1812 zum Schul- und Studienrath ernannte. In dieser Zeit hatte er wieder manche Berührung mit Goethe, indem er viel mit Johann Jakob Willemer, dem Gatten der Marianne, verkehrte. Andere litterarisch bedeutende Männer, wie Jung-Stilling, besuchten häufig sein gastliches [198] Haus. Auch mit den Züricher Familien Lavater, Geßner u. a. blieb er bis zu seinem Ende in brieflichem und persönlichem Verkehr. Im J. 1813 wurde P. erster Prediger und Consistorialrath. 1817 erhielt er von der theologischen Facultät zu Jena das Doctordiplom. Das 25jährige Jubiläum des „Vielliebenden und Vielgeliebten“, zu welchem u. a. Friedrich Wilhelm Krummacher, damals Hülfsprediger der deutsch-reformirten Gemeinde, ein Gedicht verfaßt, legte Zeugniß ab für die Verehrung, die er in der Gemeinde genoß. Nachdem er lange Jahre hindurch infolge eines Nervenleidens nur mit großer Anstrengung seinen Pflichten nachgekommen war, starb er am 8. Januar 1827. P. hat sich nicht durch hervorragende Leistungen bekannt gemacht; doch ist seine edle, harmonische Persönlichkeit vielen, u. a. auch den beiden Neffen, dem Kunsthistoriker, sowie dem Arzte, zum Segen geworden. Seine theologische Richtung war durchaus die seines Freundes Lavater; die persönliche Gemeinschaft mit dem Erlöser war ihm Stern und Kern des Christenthums, während jede confessionelle Engherzigkeit ihm fremd war. Auf der Kanzel predigte seine johanneische Erscheinung beredter noch als die Lippen von der Liebe Gottes in Christo. Veröffentlicht hat P. nur einige Aufsätze in Pfenninger’s Christl. Magazin, sowie etliche Predigten. – Ein Lebensbild Passavant’s hat bis jetzt gefehlt. Die hier gebotene Skizze beruht theils auf unveröffentlichten Aufzeichnungen, theils auf hier und da zerstreuten Angaben; eine weitere Ausführung wird der Verf. im Archiv des Frankfurter Alterthumsvereins für 1887 liefern. Den Briefwechsel mit Goethe und Lavater hat P. leider selbst vernichtet, und andere Briefe von Werth sind gelegentlich eines Brandes zerstört worden, so daß viel wichtiges Material zu Grunde gegangen ist.