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ADB:Leisewitz, Johann Anton

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Artikel „Leisewitz, Johann Anton“ von Max Koch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 223–225, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Leisewitz,_Johann_Anton&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 07:05 Uhr UTC)
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Leisewitz: Johann Anton L., dramatischer Dichter, geb. zu Hannover den 9. Mai 1752 als der Sohn des reichen Weinhändlers Joh. Ewald L. in Celle, † zu Braunschweig den 10. September 1806. Als Gymnasiast zu Hannover schloß er einen das ganze Leben ausdauernden Freundschaftsbund mit Christian Ph. Iffland, dem Bruder des großen Schauspielers. Am 16. October 1770 wurde er als stud. juris in Göttingen eingeschrieben. Außer seinem Fachstudium beschäftigte ihn hauptsächlich Philosophie und Geschichte. Hume und Locke waren seine Lieblingsschriftsteller, neben ihnen besonders noch Bayle, Montaigne und Voltaire. Er faßte schon jetzt den Plan zu einem großen Geschichtswerke über den 30jährigen Krieg. Das Studium für dasselbe und die Ausarbeitung einzelner Abschnitte blieb bis zu seinem Tode eine seiner wichtigsten Beschäftigungen. In Freundeskreisen wurden schon frühe die größten Hoffnungen auf dieses Werk gesetzt, von dem aber nie etwas zum Druck gelangte. Unter den Göttinger Professoren, die anregend auf den jungen Studenten wirkten, waren es besonders Schlözer, Pütter, Lichtenberg und Feder, denen er sich näher anschloß. Mit dem gleichaltrigen Albrecht Thaer, dem Begründer rationeller Landwirthschaft in Deutschland, verknüpfte L. innige anhaltende Freundschaft. Dem Dichterbunde, welcher durch Stolberg, Voß und andere junge Klopstockianer 1772 unter dem Namen „Der Hain“ in Göttingen gegründet worden war, trat L. erst am 2. Juli 1774 bei. Von den dichterischen Versuchen, zu denen er in diesem Kreise angeregt wurde, sind uns nur die zwei Gespräche „Die Pfändung“ und „Der Besuch um Mitternacht“ als sicher von L. herrührend bekannt. Beide erschienen unter der Chiffre W. im Göttingischen Musenalmanach für 1775 und brachten L. eine schmeichelhafte Anerkennung von Seiten Herder’s ein. Beide Gespräche sind in so hohem Grade dramatisch, daß sie von Zeitgenossen geradezu als Dramen bezeichnet wurden. Das erste ist gegen die Verschwendung der Fürsten gerichtet; das zweite berührt sich mit dem Thema der Emilia Galotti, mit Schärfe die Unsittlichkeit der Regenten geißelnd. Hermanns Geist erscheint und prophezeiht „Despotismus ist der Vater der Freiheit“. In dem Traume Franz Moor’s und in „Kabale und Liebe“ sind Motive aus diesen beiden Dichtungen verwerthet. Leisewitz’ dramatische Begabung aber empfing wahrscheinlich neue Anregung in dem von Bürger gestifteten Shakespeare-Klub. Als er im October 1774 Göttingen verließ, nahm er das Manuscript des Trauerspiels „Julius von Tarent“ fertig mit sich. Nachdem er in Celle sein Examen bestanden hatte, ließ er sich noch im Herbste 1774 in Hannover als Adjunct nieder, ohne Geschmack an seiner Amtsthätigkeit zu finden. Er arbeitete lieber an neuen dramatischen Plänen. Im deutschen Museum erschienen 1776 eine Scene aus dem Trauerspiele „Konradin“ und eine aus dem Trauerspiele „Alexander Hephästion“ (Juliheft). In den Jahren 1779 und 1780 arbeitete er an einem Lustspiele „Der Sylvesterabend“, das ebensowenig wie die beiden Tragödien je zur Vollendung gedieh. Nachdem L. schon früher mit Klopstock zusammengekommen war, lernte er nun auf verschiedenen Reisen 1776 Lessing in Braunschweig, Mendelssohn, Nicolai, Engel in Berlin, Schröder in Hamburg kennen. 1780 wurde er in Weimar von Goethe ehrenvoll aufgenommen, ebenso von Herder und Wieland, welch letzterer ihm aber, wie Briefe und Tagebuch [224] bezeugen, einen unangenehmen Eindruck machte. In Hamburg hatte er 1777 Sophie Marie Katharina Seyler, die Tochter des Theaterunternehmers Abel Seyler, kennen gelernt. Vier Jahre lang führte er in einem geheim gehaltenen Brautstande mit ihr einen Briefwechsel, der nicht nur die glühende Leidenschaft, sondern auch den trefflichen Charakter Leisewitz’ in anziehendster Weise darstellt. Erst 1781 konnte er die Geliebte als Gattin nach Braunschweig führen. Seine Hoffnungen, einen akademischen Lehrstuhl für Geschichte zu erhalten, hatten sich nicht erfüllt. Da seine Vermögensumstände sich verschlechterten, übersetzte er des Erwerbes wegen auf Schlözer’s Wunsch und Empfehlung aus dem Englischen Gg. Glas’ „Geschichte der Entdeckung und Eroberung der Kanarischen Inseln“ (1777). Zu Anfang des Jahres 1778 erhielt er in Braunschweig die Stelle eines Landschaftssecretärs. 1786 wurde ihm die Erziehung des Erbprinzen Karl Georg August übertragen. 1790 ward er zum Secretär in der geheimen Kanzlei, 1791 zum Canonicus am St. Blasiusdome ernannt; 1801 zum geheimen Justizrath befördert. Während er seine historischen Studien mit ungeschwächtem Eifer fortsetzte, wandte er seine praktische Thätigkeit dem Armenwesen zu. Nachdem er bereits 1779 für Hannover einen Organisationsentwurf ausgearbeitet und mit Goethe, der lebhafte Theilnahme dafür zeigte, den Plan berathen hatte, gelang es ihm nach manchen Mühen am 13. Februar das braunschweigische Armeninstitut zu gründen, das noch gegenwärtig alljährlich am Stiftungstage L. als seinen Gründer dankend ehrt. In der Geschichte der deutschen Litteratur wird Leisewitz’s Name und Ruhm nur durch ein einziges Werk vertreten, durch seinen „Julius von Tarent“, der allein aber auch genügt ihm einen ehrenvollen Platz zu sichern. Am 28. Februar 1775 erließen Sophie Charlotte Ackermann und Fr. L. Schröder den Aufruf zu einer Preisconcurrenz für das Hamburger Theater. Ohne zu große Kosten aufführbar und in Prosa – doch sollten Stücke in Versen nicht völlig ausgeschlossen werden –, so lautete die an die Dichter gestellte Forderung. Goethe’s Jugendfreund, Maximilian Klinger, wurde für seine „Zwillinge“ der erste Preis zuerkannt. Als zweitbestes Stück wurde der „Julius von Tarent“ bezeichnet. „Handlungsvoll“, so lautete das Urtheil der Preisrichter über Leisewitz’ Stück, „schön dialogirt, voll Nerv und Geist; alles entdeckt den Kenner der Leidenschaften, den denkenden Kopf, den Sprecher des menschlichen Herzens und kurz den Dichter von Talenten.“ Im Publikum hielt man das Stück vielfach für eine Arbeit Goethe’s; Lessing und viele mit ihm waren über das zu Gunsten Klinger’s gefällte Urtheil entrüstet. Klinger’s Stück aber repräsentirte eine fortgeschrittenere Richtung der Litteratur. Es ist in jeder Hinsicht ein Werk der Sturm- und Drangperiode, wie sie Goethe’s Götz im Drama eröffnet hatte. L. dagegen steht wie Gerstenberg auf der Uebergangsstufe von Lessing’s dramatischer Richtung zu jener der jüngeren Generation. Einheit von Zeit und Handlung ist bei L. noch streng, die Einheit des Ortes wenigstens annähernd gewahrt. Lessing’s Sprache und dramatische Technik ist als Vorbild festgehalten, aber ein neuer revolutionärer Geist dieser Form eingegossen. Einerseits der Einfluß Rousseau’s, des Lieblingsschriftstellers Leisewitz’, in Julius und Aspermonte, andererseits das fieberhafte Streben nach Thaten im Leben und Verachtung der trockenen Buchweisheit in Guido. Die beschauliche Sentimentalität Werther’s und die überschäumende Kraft Berlichingen’s, die großen Richtungen der Zeit treffen sich hier innerhalb des Rahmens eines Stückes. Lessing’s berechnende Kunst und die Leidenschaft der jüngeren Dichterschule wirken im Julius zusammen. Leisewitz’ Tragödie wurde zuerst in Berlin 1776 gegeben und im selben Jahre zu Leipzig gedruckt; französische und dänische Uebersetzungen erschienen, und noch in dem dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war der Julius auf mehreren deutschen Bühnen heimisch. Der junge Schiller wußte das [225] Stück auswendig, als er den Bruderzwist in den Räubern darstellte und hat die Fabel mit Beibehaltung mancher Motive benützt, als er in der Braut von Messina „die feindlichen Brüder“ darstellte. So ist L. mit seinem einzigen vollendeten Drama ein wichtiger Vermittler, nicht nur zwischen Lessing’s Tragödie und dem Drama der Sturm- und Drangperiode, sondern auch zwischen dieser selbst und unserem klassischen Theater geworden. Er selbst betrachtete Lessing als sein Vorbild und sprach in der satirischen „Rede eines Gelehrten an eine Gesellschaft Gelehrter“ (Deutsches Museum, Decemberheft) sich in dessen Sinn gegen die tumultuarischen „Genies“ aus.

Sämmtliche Schriften von J. A. Leisewitz mit Biographie von Schweiger, Braunschweig 1838. – C. G. W. Schiller, Braunschweigs schöne Literatur, Wolfenbüttel 1845. – Gregor Kutschera, Joh. A. Leisewitz, ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Litteratur im 18. Jahrhundert, Wien 1876. Hierzu Hermann Uhde, Zur Erinnerung an J. A. Leisewitz.