ADB:Philippi, Johann Ernst

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Artikel „Philippi, Johann Ernst“ von Berthold Litzmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 76–78, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Philippi,_Johann_Ernst&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 17:54 Uhr UTC)
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Philippi: Johann Ernst P. verdient weniger um seiner selbst als um seines Gegners und Zuchtmeisters Liscow (s. A. D. B. XVIII, 755) willen Erwähnung. Sein ganzes Leben ist eine Kette von unbesonnenen Streichen, welche gegen das Ende zu deutliche Spuren des Wahnsinns zeigen. Es ist aber sehr schwer bei ihm nachzuweisen, wie stark von Anfang an eine durch sinnliche Ausschweifungen hervorgerufene Zerrüttung seines Nervensystems auf alle die Seltsamkeiten eingewirkt hat, durch welche er Jahre hindurch in gelehrten Kreisen Heiterkeit und Aerger, je nachdem, erregte. Als er Liscow’s Aufmerksamkeit zu seinem Verhängniß auf sich zog, hatte er bereits eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich. Sohn des nachmaligen (seit 1714) Hofpredigers zu Merseburg Ernst Christian P., geboren um 1700 (das Geburtsjahr steht nicht fest), hatte er seine Jugendjahre in Dresden, Halle und Merseburg verlebt; schon auf der Schule galt er für einen unruhigen Kopf und mußte wegen Widersetzlichkeit [77] entfernt werden. Nachdem er in Leipzig Jurisprudenz und Philosophie studirt hatte und 1723 zum Magister promovirt worden, schien er sich der akademischen Laufbahn zuwenden zu wollen. Eine Schrift gegen das Lotteriewesen in Sachsen brachte ihn jedoch in Gefangenschaft und verschloß ihm zugleich die Aussichten auf ein Fortkommen in Leipzig. Er gab demzufolge die akademische Carriere auf, promovirte in Halle zum Dr. jur. und begann in Merseburg als Advocat zu prakticiren, erregte jedoch in der Hofgesellschaft unliebsames Aufsehen durch tactlose Gelegenheitsgedichte. 1729 zwang ihn eine Verletzung des Duellmandats zu flüchten, er wandte sich nach Halle und hier fiel ihm im Sommer 1731 – nicht zu seinem Glück – die neuerrichtete Professur der deutschen Beredsamkeit in den Schoß. Damit hatte er den Gipfelpunkt seines Glücks erreicht, von nun an ging es unaufhaltsam abwärts mit ihm. Seine wissenschaftliche Charlatanerie in Verbindung mit seiner Gabe, es mit allen Leuten zu verderben, verwickelte ihn kurz hintereinander in eine Polemik mit Gottsched und dessen Kreise und vor allen Dingen mit Liscow. Mit ersterem verdarb er es durch seine Angriffe auf Wolff („Unpartheyischer Versuch von der Unmöglichkeit einer ewigen Welt“ etc. Leipzig 1733), welche ihm nicht nur in den acta eruditorum (vol. 175) eine derbe Abfertigung eintrugen, sondern auch eine gegen ihn gerichtete Pamphletlitteratur veranlaßten, die durch Philippi’s Erwiderungen immer wieder neu belebt wurde. Viel gefährlicher und verhängnißvoller aber wurden für ihn die von Liscow gegen ihn geführten Streiche, die schon im J. 1732 ihren Anfang nahmen. Liscow, der eben mit dem Lübecker Sivers ein Aufsehen erregendes litterarisches Duell bestanden, ward namentlich auf Anstiften von Philippi’s Hallenser Collegen Friedrich Wiedeburg auf diesen und sein wissenschaftliches Unwesen aufmerksam gemacht. Zwei im J. 1732 erschienene Schriften Philippi’s „Sechs deutsche Reden über allerhand auserlesene Fälle nach den Regeln einer natürlichen, männlichen und heroischen Beredsamkeit“, und sein „Heldengedicht auf den König von Polen“ gaben den äußeren Anlaß für Liscow in seiner Satire „Briontes der Jüngere“ (October 1732) in grotesker Weise die bodenlose Geschmacklosigkeit und Albernheit Philippi’s zu parodiren. 1733 (Juni) folgte „Die unpartheyische Untersuchung der Frage, ob die bekannte Satyre Briontes der Jüngere … mit entsetzlichen Religionsspöttereien angefüllet und eine strafbare Schrift sey“, und im selben Jahre (October) die „Stand- oder Antrittsrede, welche Herr Dr. Joh. E. Ph. … in der Gesellschaft der kleinen Geister gehalten“. Diese drei Satiren erfüllten ihren Zweck vollkommen, P. als den Vertreter einer hohlen Scheingelehrsamkeit und zugleich als einen litterarischen Klopffechter niederster Sorte an den Pranger zu stellen und ihn in Halle und überhaupt in der wissenschaftlichen Welt unmöglich zu[WS 1] machen. Was etwa noch fehlte, besorgte P. selbst durch seine in wildem Zorn gegen den anonymen Gegner gerichteten Erwiderungen, die nur zeigten, wie berechtigt Liscow’s Charakteristik gewesen. In Halle, wo ihn bisher immer noch das Ansehen des Kanzlers v. Ludewig geschützt hatte, war seines Bleibens nicht mehr: die Studenten brachten den Briontes mit ins Colleg und lasen sich in seiner Gegenwart daraus vor. Eine Anfrage an Mosheim, ob er in Göttingen ankommen könne, beantwortete dieser, wie es scheint, ausweichend. P. nahm das für eine Zusage und wandte sich, nachdem er noch bei dem Versuch, dem König Friedrich Wilhelm I. eine Huldigung darzubringen, Prügel erhalten, nach Göttingen (Ende August 1734). Allein weder glückte es ihm an der Universität, noch hatte eine Wochenschrift „Der Freydenker“, die er seit Januar 1735 dort herausgab, Erfolg. Die letzten Angriffe Liscow’s gegen ihn, die in diese Zeit fallen, trafen schon einen moralisch todten Mann.

[78] Aus Göttingen ausgewiesen (Frühjahr 1735) wandte er sich nach Halberstadt, versuchte von dort – vergeblich – Aufnahme in Helmstedt. Halle und Jena, wo er weiter sein Heil versuchte, ertheilten ihm das consilium abeundi. Ostern 1739 machte er in Erfurt aufs neue einen Versuch, Vorlesungen über römisches Recht und „praktische Uebungen in gebundener und ungebundener Rede“ zu halten. Auch dies mißglückte. Im October desselben Jahres tauchte er wieder in Leipzig auf „mit einer großen Last von Schmieralien“. Anfang Februar 1740 ward er endlich auf eine Weile unschädlich gemacht: man brachte ihn „auf hohen Befehl“ nach Waldheim, „nicht als einen Uebelthäter, sondern als einen Narren, das Gnadenbrot zu genießen“. 1742 von dort entlassen, erschien er in Dresden „in Gestalt eines halben Bettlers“, aber obwohl er inzwischen zu der Einsicht gekommen, daß er „bisher nicht viel Gutes geschrieben“, war er von seiner Schreibwuth noch keineswegs curirt. Die „Regeln und Maximen der edlen Reimschmiedekunst“ (Altenburg 1743, Vorrede Dresden 29. December 1742 datirt) und mehr noch ein confuses, Manuscript gebliebenes Opus „L’art de bons mots“ etc. (Vorrede Altenburg 21. December 1743 datirt. Das Manuscript befindet sich auf der königl. Bibliothek zu Dresden sign. P. 265) sind Ausgeburten eines völlig zerrütteten Geistes. Ueber seinen weiteren Schicksalen schwebt Dunkel. Nach einer handschriftlichen Notiz des Hallenser Diakonus Kirchner in einem Exemplar von J. Chr. Dreyhaupts ausführlicher Beschreibung des … Saalkreises 1750 p. 689 zum Artikel Philippi ist er „anno 1757 wegen seines verfänglichen Verhaltens in Leipzig nach Halle ins Zuchthaus gebracht worden und daselbst anno 1758 im Monat October verstorben“. Sein Porträt (Sysang sc. 1748) vor der „Reimschmiedekunst“.

Keine seiner zahllosen Schriften konnte je, geschweige kann heute, Anspruch auf ernsthafte Würdigung machen. Von Hause nicht ohne gute Begabung, auch rührig und emsig, wie wenige, ward ihm der Mangel jeglichen Urtheils und Taktgefühls verhängnißvoll, der entschieden pathologische Zug in seinem Wesen, der ja schließlich in offenem Wahnsinn zu Tage trat, muß bei der Beurtheilung seiner Persönlichkeit ins Gewicht fallen. Des Nachruhms ist er sicher durch Liscow, welcher ihn als „das natürliche Oberhaupt der Gesellschaft der kleinen Geister“, als „Zierde und Krone der elenden Scribenten“ verherrlicht und verewigt hat.

Hirsching, Historisch-litterar. Handbuch VII, S. 204–421. – K. G. Helbig, Chr. L. Liscow. 1844. S. 14 ff. – B. Litzmann, Chr. L. Liscow. 1883. S. 47–97.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zn