ADB:Liscow, Christian Ludwig

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Artikel „Liscow, Christian Ludwig“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 755–757, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Liscow,_Christian_Ludwig&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 05:21 Uhr UTC)
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Band 18 (1883), S. 755–757 (Quelle).
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Liscow: Christian Ludwig L., Satiriker. geb. am 29. April 1701 zu Wittenburg in Mecklenburg-Schwerin. Sohn eines Pastors. Für seine Jugend liegen wenig sichere Data vor. Vielleicht besuchte er das lübische Gymnasium. Der Theologie nicht fremd, hat er auf den Universitäten Rostock (1718) und Jena (1721) Jura studirt, ging 1728/29 als Hofmeister nach Lübeck, nachdem er [756] 1726 Schwerin besucht und als Reisebegleiter England und Frankreich kennen gelernt hatte. Er genoß später regen Verkehr mit Hamburger Kreisen, besonders dem seinem Bruder befreundeten Hagedorn. Er war journalistisch thätig. Zahlreiche satirische Fehden gehören dieser Zeit an. 1734 rechtskundiger Güterverwalter des Matthias von Clausenheim, 1735 Legationssecretär in Wismar, 1736 von Herzog Karl Leopold in diplomatischer Sendung nach Paris geschickt und wegen unverschuldeten Mißerfolgs fallen gelassen, lebte er von Ende 1736 bis 1738/39 in Hamburg, 1738 Secretär des Preetzer Klosterpropsts von Blome, trat 1740 in preußische, 1741 durch Heineken’s[WS 1] Vermittelung als Sekretär Brühls in sächsische Dienste und half wacker gegen Gottsched intriguiren, der 1733 um die Gunst beider Liscow geworben; 1745 Kriegsrath, heirathete die Kammerräthin Buch, geborene Mylius, wurde wegen unvorsichtiger Aeußerungen über sächsische Mißwirthschaft am 30. Decbr. 1749 gefänglich eingezogen (Helbig S. 64 ff.), im April 1750 entlassen, abgesetzt, aus Dresden verwiesen, zog auf das Familiengut Berg bei Eilenburg und starb daselbst am 30. Octbr. 1760. Seine Ehe war mit zwei Töchtern und drei Söhnen gesegnet.

Die Schriftstellerei dieses ironisch verneinenden Kritikers geht fast gänzlich in litterarischen Händeln gegen abgelebte Mittelmäßigkeiten und „Zwerge“ des Tages auf. Doch trifft er in den einzelnen elenden Scribenten zugleich Richtungen und verscheucht Schwärme von Ungeziefer. Habichte wie Bodmer sagt, hat er nicht verfolgt, auch nicht mit offenem Visir gekämpft („ich mag“ meinen Namen „nicht gerne gedruckt sehen“) und lavirend den Muth der freien Rede oft vermissen lassen. So trieb er während der Fehden zwischen Leipzig und Zürich lange eine zweideutige Schaukelpolitik und wurde noch von den Hällischen Bemühungen anfangs für unbetheiligt an der antigottschedischen Vorrede zur 2. Ausgabe von Heineken’s Longin (1742) gehalten. Die Opfer, die er spielend würgte, waren: der junge lübische Candidat H. J. Sivers, ein bornirter reclamesüchtiger Sudler, dessen klägliche Schrift über die Zerstörung Jerusalems leicht ins Lächerliche zu ziehen war. Keiner führte edle Waffen: Sivers fluchte auf der Kanzel, L. nahm die Maske des schüchternen Candidaten Bacmeister vor. Ferner der Professor extraord. für Eloquenz Philippi in Halle, ein jämmerlicher Gegner Wolff’s, ein Typus verlogener akademischer Lobhudelei. Philippi antwortete: „Gleiche Brüder, gleiche Kappen“, L. bewies mit vernichtender Persiflage, diese Schrift könne nicht von Philippi herrühren. Er läßt Philippi in die Gesellschaft der kleinen Geister eingehen, und legt ihm eine solenne dumme Antrittsrede in den Mund, aber er scheute sich auch nicht ein galantes Schäfergedicht seines Feindes auszuhängen. Es fehlt nicht an schlagenden allgemeinen Sätzen. Philippi sehe nur auf den Reim und beurtheile wie ein Ochsenhändler nach dem Hintertheil die Güte des Ganzen; Poesie lasse sich nicht lernen, sondern entspringe einem „natürlichen Trieb“, die „alte gezwungene Art zu poetisiren“ müsse der „neueren, fließenden, reinen“ weichen. Drittens geißelte er den Rostocker Professor Manzel, einen confusen Juristen vorsintfluthlichen Standpunkts, der von Pufendorf und Thomasius nichts ahnend, auf Grund der Unschuld im Paradiese, das die ganze Welt gewesen, ein Naturrecht in die Luft baute. Die Schrift gegen Manzel 1726 sammt der späteren Vorrede gegen Propst Reimbeck ist Liscow’s bedeutendste Leistung. Ein entschiedener Freidenker aus der Schule der Franzosen und Engländer, der bei Thomasius und Bayle (kaum bei Swift) gelehrig in die Schule gegangen ist, ironisirt nicht nur den albernen Manzel, sondern die ganzen orthodoxen Anschauungen von Paradies und Sündenfall und die Unklarheit, mit der der heilige Geist aus Mosis Mund spreche; so geschickt zwar, daß kein geistliches Tribunal ihn fassen könnte. Mag sich nun Manzel „unter die Kanonen der Kirche retiriren“! Hier, aber nur hier ist Lessing vor Lessing. Seine bekannteste, im Dichterkrieg oft gegen die Gottschedianer gekehrte [757] Schrift 1736 „Die Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit der elenden Scribenten gründlich erwiesen von * * *“ ermüdet rasch wie jede breitgesponnene durchgeführte Ironie. Ueberhaupt wünschte man bei L. vieles knapper, pointirter, so gute Einfälle er auch hat und so sehr er formell in mancher Hinsicht Lessing’s Vorläufer ist. Er hat Boileau studirt. Er stellt den Gegner, macht ihm ironische Complimente, verwickelt ihn spitzfindig dialogisirend in Widersprüche und hält ihm triumphirend seine Schnitzer vor. Aber der ernste Zorn im zweiten Theil des Vademecum gebricht dem fröhlichen Gesinnungsgenossen Hagedorn’s, der „alles, was in der Welt vorgehet, mit Gelassenheit und größtentheils von der lächerlichen Seite“ ansah und von seinen Scharmützeln bekannte: „Die albernen Scribenten hergegen sind dasjenige Ungeziefer, so den Helicon beunruhiget, und es ist nicht nöthig, daß man ihretwegen den Harnisch anleget, und einen ernstlichen Kampf mit ihnen antritt. Man kann sie spielend vertilgen und eine einzige Satire ist ihnen so tödtlich, als den Fliegen das Fliegenwasser“[WS 2]. Selten zeigt er eine solche Vereinigung von spielender Laune und ernster innerer Ergriffenheit wie in der Jugendschrift „Ueber die Unnöthigkeit der guten Werke“, und die Erwartung, er werde sich zum Vorkämpfer religiöser Aufklärung entwickeln, läßt er unerfüllt.

Anonym, nicht ganz vollständig „Sammlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften“, Frankfurt und Leipzig 1739 (Hamburg, Herold); zwei Drucke aus diesem Jahr. Neudruck von Müchler 1806 besorgt. – Die Arbeiten G. P. Schmidt’s über L. 1821–28 verzeichnet Classen S. 1. Helbig, C. L. Liscow. Ein Beitrag zur Litteratur- und Culturgeschichte des 18. Jahrhunderts, 1844. Lisch, C. L. Liscow’s Leben … Schwerin 1845. Classen, Ueber C. L. Liscow’s Leben und Schriften, Lübeck 1846. – Ueberschätzt von Gervinus, unterschätzt von Hettner. [Soeben erscheint die gründliche und aufschlußreiche Monographie von B. Litzmann, dem auch handschriftliches Material zugänglich war: C. L. Liscow in seiner litterarischen Laufbahn, Hamburg und Leipzig 1883.][1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 757. Z. 25 v. u.: Nachträge über den Gefangenen theilt Distel mit in der Vierteljahrsschr. f. Litt.-Gesch. VI, cit. [Bd. 36, S. 789]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Carl Heinrich von Heineken (1709-1791), Kunstschriftsteller, Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, Multitalent.
  2. Wässrige Lösung von Arsenik und Zucker zum Töten von Insekten.