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ADB:Pierius, Urban

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Artikel „Pierius, Urban“ von Gotthard Lechler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 117–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pierius,_Urban&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 23:51 Uhr UTC)
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Pierius: Urban P. (Birnbaum) war einer von denjenigen deutschen Theologen der zweiten Hälfte des 16. und des anfangenden 17. Jahrhunderts, welche einen höchst wechselvollen Lebensgang gehabt haben. Urban Birnbaum war geboren zu Schwedt in der Uckermark 1546, im Todesjahre Luthers. Er wurde erzogen auf Kosten des Grafen Martin von Hohenstein. Vom 15. Jahre an studirte er in Frankfurt a. d. Oder; hier gräcisirte er seinen guten deutschen Namen Birnbaum und nannte sich Pierius; unter diesem Namen nennt ihn die Kirchen- und Litterärgeschichte. Anfangs studirte er die Rechte und verheirathete [118] sich mit der Tochter eines reichen Advocaten in Breslau. Nachdem aber sein Schwiegervater gestorben war, wandte er sich dem Studium der Theologie zu; er wurde Professor der Philosophie, promovirte im Jahre 1577 unter dem Vorsitz des Professors Andreas Musculus zum Doctor und Professor der Theologie. Aber schon im folgenden Jahre, 1578, wurde er nach Brandenburg berufen, als Pastor primarius. Wenige Jahre später, wahrscheinlich 1581, erging an ihn der Ruf nach Küstrin, als Pastor und Generalsuperintendent. Er folgte dieser Berufung. Aber hier in Küstrin kam er in den Verdacht, von Luther’s Lehre abzuweichen, während er eine hohe Würde in der lutherischen Kirche bekleidete. Es erging an ihn der Befehl, er sollte, in Gegenwart des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, seine Lehransicht von der Person Christi und vom h. Abendmahl öffentlich bekennen. Dies geschah denn auch wirklich, etwa im Jahre 1586. Zwei Jahre später, 1588, berief ihn der Kurfürst von Sachsen, Christian I., der ihn im Brandenburgischen persönlich kennen gelernt hatte, nach Dresden als Hofprediger und Superintendent. Allein in Dresden wiederholte sich, was schon zu Küstrin sich ereignet hatte: P. kam in den Verdacht der Hinneigung zum Calvinismus. Das war die Zeit der sogenannten crypto-calvinistischen Bewegung, deren tragische Schlußkatastrophe mehrere Jahre später eben in Kursachsen gespielt hat. Wahrscheinlich gab den ersten Anlaß zu der Verdächtigung des Pierius der Umstand, daß er, in Gemeinschaft mit seinen Collegen, den Hofpredigern Salmuth und Steinbach, eine Ausgabe der lutherischen Bibelübersetzung mit calvinisch angehauchten praktischen Bemerkungen, die sogenannte Krell’sche Bibel, bearbeitete, welche jedoch nicht weiter gefördert worden ist, als bis zum zweiten Buch der Chronik. Allein dieses litterarische Unternehmen von äußerst breitspuriger Art interessirte verhältnißmäßig nur Wenige. Wohl aber wurde das Volksgemüth und das Gewissen vieler in der Gemeinde beunruhigt und erregt durch die Agitation für die Abschaffung des Exorcismus bei der h. Taufe. Sicher ist, daß P. bald darauf in Wittenberg durch seine Gegnerschaft des Exorcismus Aergerniß gab. Wahrscheinlich fing er schon in Dresden an, dieses Stück der h. Taufhandlung anzutasten. Dadurch erklärt sich dann um so leichter die Thatsache, daß er bereits in Dresden das Mißtrauen und eine gewisse Aufregung in der Gemeinde erfahren mußte.

Ohne Zweifel gab diese Wendung in der Stimmung der Gemeinde die Veranlassung dazu, daß P. von Dresden nach Wittenberg versetzt wurde. Man nahm an, diese Versetzung, welche im Jahre 1590 stattfand, sei dem Kurfürsten Christian I., der inzwischen den 1588 zum Geheimrath ernannten Dr. Nicolaus Krell zum Kanzler befördert hatte und demselben unumschränkten Einfluß auf die Regierung gestattete, angerathen worden. P. selbst hat indeß später (1603), als dieser Umstand öffentlich behauptet wurde, denselben bestritten und glaubhaft versichert, er sei nach Wittenberg von Seiten der Universität und des Magistrats der Stadt berufen worden (Examen und Erläuterung S. 232). Anfangs wurde P. nur provisorisch zum Vicepastor in Wittenberg berufen, aber gleichzeitig zum Superintendenten daselbst bestellt. Mit der Universität hatte er anfangs nichts zu thun. Aber schon am 26. April 1590 wurde er in die theologische Facultät aufgenommen, im folgenden Jahre definitiv zum Pastor und zugleich zum Generalsuperintendenten des Kurkreises ernannt. An der Universität hatte er großen Erfolg: seine Vorlesungen waren äußerst zahlreich besucht, so daß sowohl die Universität als der Magistrat, ohne sein Vorwissen, mehr als einmal dem Kurfürsten Zeugniß zu seinen Gunsten ablegten. Weil er aber je und je in Predigten von dem evangelisch-lutherischen Bekenntnisse abwich, und für Beseitigung des Exorcismus bei der Taufe arbeitete, zog er sich in Wittenberg, noch mehr als in Dresden, Unpopularität bei der Gemeinde und bei einem [119] Theil der studierenden Jugend zu. Als erstes geistliches Mitglied des Consistoriums suchte er auf dem Wege der kirchenregimentlichen Verwaltung den Exorcismus in Abgang zu bringen. P. kam im Februar 1591 von Wittenberg nach Dresden, und setzte in einer Conferenz mit sämmtlichen Geistlichen der Stadt die Erklärung durch, daß der Exorcismus nicht ein wesentliches Stück der Taufhandlung sei. Er entwarf sofort eine schriftliche Erklärung, dahin gehend, man wolle sich bemühen, diejenigen, welche den Exorcismus für unerläßlich hielten, von ihrem Irrthum abzubringen, und denselben so aus den Herzen der Zuhörer herauszupredigen, ehe man zur wirklichen Abschaffung schreite. Diese Erklärung wurde von allen Mitgliedern der Conferenz unterzeichnet. In diesem Sinne arbeitete P. nun ein ausführlicheres Gutachten aus, betitelt: „Einhellige Vergleichung“. Dieser Urkunde suchte er in dem Kurkreise Eingang und Annahme zu verschaffen. Zu diesem Behufe wurden sämmtliche Superintendenten des Kurkreises nach Wittenberg einberufen: am 2. März 1591 hatten sie sämmtlich vor dem Consistorium zu erscheinen; zwei Tage lang wurde ihnen zugesetzt, den Exorcismus bei Vollziehung der heiligen Taufe zu beseitigen. Das galt aber den treuen Lutheranern als unzulässige Connivenz gegen die reformirte Kirche, als Abfall vom lutherischen Bekenntniß, als partieller Uebertritt zum Calvinismus. Die Gründe, welche der Generalsuperintendent P. für die geforderte Concession geltend machte, waren keineswegs sachlicher Art und biblisch begründend, sondern beruhten meist auf Rücksichten, Vorgängen bei Hof (Kurfürst Christian hatte im Januar 1591 die Prinzessin Dorothea unter Weglassung des Exorcismus taufen lassen) sowie in der Nachbarschaft, z. B. in anhaltischen Gemeinden, und auf Anträgen einzelner Geistlicher des eigenen Kirchenkreises. Die Mittheilungen letzterer Art gingen den Superintendenten sehr zu Herzen, weil sie dadurch inne wurden, daß sie falsche Brüder unter ihren Geistlichen hätten. Sie baten aus der Sitzung abtreten zu dürfen. Das wurde gewährt, und sie verabredeten sich sofort, die Unterschrift zu verweigern, möge daraus werden, was da wolle; sie ersuchten namentlich den Torgauer Superintendenten, als ihren Senior, mit Unterzeichnung der fraglichen Urkunde den Anfang nicht machen zu wollen. Allein der Generalsuperintendent P. stand von seinem Verlangen nicht ab, legte ihnen im Sitzungszimmer des Consistoriums eine schriftliche Erklärung vor, die er nebst seinen Gesinnungsgenossen zuerst unterzeichnete; und nun drang er in die Superintendenten unaufhörlich, bald mit Ungestüm, bald mit einschmeichelnden Reden, indem er beifügte, es solle hiermit dem Katechismus Luthers kein Abbruch geschehen; es sei ferne von ihm, irgend etwas wider Luthers Schriften, sofern man sie nur recht verstehe, unternehmen zu wollen. Die Unterschrift solle ja weiter nichts besagen, als daß der Exorcismus unterlassen werden könne, unbeschadet des Taufsacraments. Weil er nun nicht abließ, die Unterschrift zu fordern, so vollzogen die Superintendenten endlich ihre Unterschrift, einige mit, einige ohne den obigen Vorbehalt. Es handelte sich in der That für mehrere dieser Männer um Amt und Existenz. Die so bedrängten Geistlichen waren begreiflich auf P. übel zu sprechen. Sie bezeichneten ihn als eine Kreatur des Kanzlers Krell, und waren empört über seine Gewaltthätigkeit. Vgl. Chr. Aug. Freyberg, Altes und Neues aus Sachsen u. s. w. Dresden 1727. S. 88 ff., bes. 94 ff. Gemeindeglieder in Wittenberg und Studenten der Universität belegten ihn mit den ärgsten Schimpfnamen. Fast täglich erschienen Pasquille auf ihn, man drohte, sein Haus zu stürmen, und mehrmals gerieth er in wirkliche Lebensgefahr; Erfahrungen, die er mit Standhaftigkeit und Geduld über sich ergehen ließ.

Da starb am 25. September 1591 Kurfürst Christian I., 31 Jahre alt. Da der Kurprinz minderjährig war, so übernahm der fürstliche Vormund die [120] Verwaltung des Landes; das war Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar, ein Enkel Johann Friedrichs des Großmüthigen, und Schwiegersohn Herzog Christophs von Würtemberg, ein treuer Anhänger des Lutherthums. Nun brach, da der Administrator auf die Stände, d. h. vorzugsweise auf die Ritterschaft, alle Rücksicht nehmen mußte, die Reaction mit Macht herein, am schwersten über den vorher allmächtigen Kanzler Krell, aber auch über die hervorragenden Kirchenmänner, welche ihm behülflich gewesen waren. Auch P. wurde verhaftet und, nebst anderen Wittenbergern, im Schloß daselbst eingekerkert, Jahr und Tag gefangen gehalten. Indeß fehlte es ihm nicht ganz an Freunden und Gönnern, welche für ihn in der Noth sich verwendeten. Im J. 1588, als die spanische Armada England und den Protestantismus bedrohte, aber an der englischen Küste zu Grunde ging, hatte P. dies Ereigniß durch ein Gedicht verherrlicht. Deshalb verwendete sich jetzt Königin Elisabeth für ihn bei der kursächsischen Landesregierung. Auf diese hohe Verwendung hin wurde ihm 1593 die Freiheit geschenkt. Ob bedingungslos oder gegen Ableistung eines förmlichen Widerrufs, das ist fraglich. Im Februar 1593 erschien eine Flugschrift: „Revocatio oder Widerruff (sic) Urbani Pierii sonst Bierbawm des Apostaten und Erzcalvinisten u. s. w. durch Magnum Christophorum H.“, ein Bogen kl. 4°. Das dem Unterzeichneten zu Gebot gestandene Exemplar ist allerdings ein Nachdruck des in Wittenberg erschienenen Originals, war indeß, wie sich nachweisen läßt, ein getreuer Abdruck.

Diese Flugschrift ist aber nichts anderes als eine Schmähschrift. Den ersten Theil derselben bildet der angebliche Revers, d. h. Schuldbekenntniß und Widerruf, welche P. vor Entlassung aus der Haft und Landesverweisung sich am 1. Februar 1593 habe abpressen lassen; diese angebliche Erklärung wird durch eine daran geschlossene Beeidigung bekräftigt. Darauf folgt ein in Verse gefaßter angeblicher „Sendbrief D. Beutzers (d. h. Caspar Peucer’s) an D. Krell, Gundermann, Pierius und Lic. Salmuth u. a. Endlich folgt eine „Warnung aus Gottes Wort, an die gottlosen Calvinisten“, worauf einige Psalterstellen folgen.

Diese Schmähschrift beantwortete unter dem 21. März 1593 Urban P., sobald sie ihm zu Gesichte kam, durch die Flugschrift: „Genötigte Verneinung Urbani Pierii D. Das ist, daß es nicht wahr sei, was wider ihn Magnus Christophorus H. --- in Druck ausgelassen.“ Heidelberg 1593. 4°. 8 Seiten. Mit begreiflicher Entrüstung fordert er den Anonymus auf, seinen Namen zu nennen, und die ausgesprochenen Anschuldigungen gebührend zu erweisen; das werde er aber nimmermehr können. P. seinerseits versichert auf glaubhafte Weise, er habe niemals einen Widerruf der Art, wie er ihm nachgesagt werde, geleistet, niemals eine Schwärmerei in Kursachsen eingeführt, die Universität Wittenberg zerrüttet, und sei keineswegs auf Grund eines solchen Reverses seiner Haft entlassen worden u. s. w. Angesichts dieser beiden Documente, der anonymen Schmähschrift, und der Widerlegung von Seiten des D. P. selbst, können wir nur annehmen, daß jene angebliche Revocatio nebst angehängtem Juramentum, eine bösartige Erdichtung und Fälschung sei, daß P. vielmehr, infolge der englischen Verwendung, durch die kursächsische Landesverwaltung ohne ehrenkränkenden Vorbehalt seiner Haft entlassen worden sei. Aus einer 10 Jahre später herausgegebenen Schrift des P. „Examen und Erläuterung“, Vorrede S. V., wissen wir, daß der am 1. Februar 1593 ihm im Gefängniß abgenommene Revers unter anderem folgenden Wortlaut hatte: „Daß ich die Confession dieser Lande (zweifellos die Confessio Saxonica von 1551) weder heimlich noch öffentlich mit Lehren und Predigen oder Schreiben anfechten, noch andere, [121] solchs zu thun, Anleitung geben solle.“ Ein Gelöbniß, welches treulich gehalten zu haben er sich bewußt war.

Nachdem er seine Freiheit wieder erlangt hatte, begab er sich zuerst ins anhaltische Gebiet nach Zerbst; dann fand er wieder eine Anstellung als Pfarrer in Amberg. Im J. 1599 erging an ihn der ehrenvolle Ruf nach Bremen als Pastor an der Anschariikirche und Superintendent. Diesem folgte er und verwaltete die genannten Aemter von da an bis an seinen Tod, der am 12. Mai 1616 in einem Alter von 70 Jahren eintrat.

Am 9. October 1601 war der ehemalige Kanzler Nicolaus Krell, nach 10jähriger Festungshaft, endlich gerichtet und in Dresden enthauptet worden. Den Tag darauf hielt der zu seiner Vorbereitung für die Hinrichtung bestellt gewesene Pfarrer Nicolaus Blum von Dohna in der Frauenkirche zu Dresden eine „Leichpredigt“, welche sofort, von drei Predigern, außer Blum, von zwei Dresdener Diakonen, Tobias Rudolff und Adam Moller, unterzeichnet, durch den Druck veröffentlicht wurde. Durch diese Leichenpredigt sah sich D. P. genöthigt, eine Gegenschrift herauszugeben: „Examen und Erläuterung der in der Leichpredigt über den enthaupteten D. Nicolaum Krell gehalten, fürgebrachten neuen Religionsstreiten“ u. s. w. Bremen 1603. kl. 8°, 262 S. De Widmung an Bürgermeister und Rath zu Bremen ist unterzeichnet Bremen den 25. Juli 1602. Die „Prüfung und Erläuterung“ ist so gehalten, daß der Schriftsteller sich regelmäßig an die drei kursächsischen Geistlichen wendet, welche jene Leichenpredigt unterzeichnet haben. Das Buch zerfällt in drei Theile. Im I. Theil prüft Verfasser die positiven Aufstellungen der Gegner, und sucht dieselben aus Gottes Wort zu widerlegen, S. 1–149; der II. Theil, S. 149–227 ist defensiver Art: P. lehnt 7 verschiedene Beschuldigungen ab, welche von den Unterzeichnern der Leichenpredigt der reformirten Kirchenlehre gemacht worden waren; dieselben betrafen theils die calvinische Lehre von der unbedingten Gnadenwahl, theils die reformirte Ansicht von der Person Christi, theils die calvinistische Abendmahlslehre. Während die beiden ersten Theile sachlich gehalten sind, ist der III. Theil persönlicher Art: der Verfasser widerlegt mehrere Beschuldigungen, welche gegen ihn selbst oder gegen D. Krell, beziehentlich gegen andere Geistliche in jener Predigt ausgesprochen worden waren. Dieser Theil enthält nicht wenige Beiträge zu der Lebensgeschichte des P. selbst. Damit war jedoch die Sache keinswegs abgethan. D. Philipp Nicolai, Pastor der Katharinenkirche zu Hamburg, ein eifrig lutherischer Geistlicher, ließ im J. 1603 ein Examen Examinis Pieriani, nicht weniger als 600 Seiten umfassend, erscheinen. Auf diesen Angriff erwiderte P. sofort in einer kurzen, nur 45 Seiten umfassenden „Abfertigung des Ubiquistischen Predigers D. Phil. Nicolai“ u. s. w. Er ließ aber noch im gleichen Jahre eine weit ausführlichere, nicht weniger als 598 S. umfassende Entgegnung folgen, unter dem Titel: „Apologia und abgenöthigte Verantwortung des über der D. Nicolao Krellio nachgehaltenen Leichpredigt angestelleten Examinis“ u. s. w. Die Erörterung in dieser, laut Vorrede, an die Gemeinde zu Hamburg gerichteten Streitschrift folgt genau dem Gang der Schrift „Examen und Erläuterung“, nur daß der dritte rein persönliche Theil der eben genannten Schrift hier wegfällt. Die drei Prediger, welche zur seelsorgerlichen Berathung Krell’s bestellt gewesen waren und die oben erwähnte Leichenpredigt über D. Krell unterzeichnet hatten, Blum, Rudolff und Moller, sahen sich genöthigt, auch ihrerseits eine Rechtfertigung, P. gegenüber, herauszugeben, welche sie als eine Fortsetzung der Kritik von Seiten Nicolai’s ankündigten, mit dem Titel: „Examen examinis Pieriani continuatum“ 1603, 231 S. in 8°. Auf letztere Schrift zu antworten hielt P. nicht für nöthig, wenigstens ist keine Entgegnung direct gegen diese [122] litterarisch bekannt. – So hat denn der spät nachwirkende Wellenschlag jener Bewegung, in welche P. während seiner Amtsführung in Kursachsen, von 1588 bis 1592, verflochten gewesen, noch ein Jahrzehnt später in Bremen ihm Beunruhigung und Kämpfe gebracht. Er war anfänglich evangelisch-lutherischer Theologe, aber, wie es scheint, von Anfang an durch die Melanchthonische Richtung beeinflußt, und niemals der von Amsdorf, Flacius und anderen vertretenen exclusiv lutherischen Geistesart zugehörig. Schon während seiner geistlichen Aemter in Kurbrandenburg, noch mehr aber in Kursachsen, trat bei ihm eine Hinneigung zu reformirter Lehrweise hervor, die schließlich Absetzung und Haft zur Folge hatte. Nach seiner Freilassung aber gelangte er in wenigen Jahren zu einer ehrenvollen Stellung innerhalb der reformirten Gemeinde in Bremen.

Abgesehen von den eigenen Schriften des Mannes, die oben genannt und als Quellen benützt sind, werde hier nochmals erwähnt (Freyberg) Altes und Neues von Sachsen 1727. Von Neueren vorzüglich das gediegene Schriftchen von Henke, Caspar Peucer und Nicolaus Krell. Marburg 1865, bes. S. 62 f., 66 ff. und Anmerkungen S. 88 ff.