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ADB:Radbertus

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Artikel „Radbertus, (Paschasius)“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 108–110, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Radbertus&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Radbertus: (Paschasius) R., Abt von Corbie. R. wurde, wir wissen nicht in welchem Jahre, etwa gegen Ende des 8. Jahrhunderts geboren. Unbekannt ist auch der Ort seiner Geburt, die seiner Mutter das Leben kostete. Von den Benedictinerinnen bei der Kirche der hl. Maria zu Soissons, wo wir also vielleicht seine Heimath zu suchen haben, wurde der verwaiste Knabe aufgezogen und dem Mönchsstande früh geweiht. In das Kloster Corbie unter dem Abte Adalhard, dem Vetter Karl’s des Großen, trat er ein und erwarb unter diesem, einem Freunde Alkuin’s als seinem Lehrer eine sehr ausgedehnte classische Bildung. Mit Cicero, Horaz, Terenz, Vergil und den christlichen Dichtern wurde er wohlvertraut, aber die edle Einfalt der Alten blieb ihm fremd, wenn er auch viel Werth auf die Form legte, er liebte einen dunkeln, weitschweifigen und überladenen Stil. Als Adalhard, der zuerst die Ungnade Ludwig’s des Frommen auf sich gezogen, nach langer Verbannung 822 in sein Kloster zurückgekehrt war und sich in diesem Jahre nach Sachsen begab, um die neue Corbeja (Korvei) fester zu begründen, begleitet ihn auch R. und besuchte mit ihm das anmutige Thal an der Weser, in welchem bald der Grund zu einer neuen Stiftung gelegt wurde. R. wirkte übrigens als Klosterlehrer, zu seinen Schülern zählten der jüngere Adalhard, Anskar, die späteren Bischöfe Hildemann und Odo von Beauvais und Warin, Abt von Korvei. Das Vertrauen der Brüder wie des Kaisers beauftragte ihn öfters mit wichtigen Sendungen und nach dem Tode des Abtes Isaak wurde er (nach 842) selbst zum Abte von Corbie gewählt, indem er jedoch nur, wie einst Alkuin, die Weihe zum Diakonus empfangen [109] hatte. Als Abt nahm er an Synoden der Jahre 847 und 849 theil, legte aber sein Amt, dessen praktische Geschäfte ihn ausschließlich in Anspruch nahmen, nach kaum zehnjähriger Führung freiwillig nieder, da die Strenge, mit welcher er die Ordensregel durchsetzen wollte, Unzufriedenheit und Spaltung hervorrief. Der Rest seines Lebens war litterarischen Arbeiten gewidmet, sein Todesjahr wird nicht überliefert, doch scheint es nach 856 gefallen zu sein, er starb am 26. April. In Folge der Wunder, die an seinem Grabe geschehen sein sollen, wurden seine Reste 1070 feierlich beigesetzt und er selbst unter die Heiligen erhoben. R. legte sich in seinen Schriften auch den Namen Paschasius zu, wahrscheinlich im Anschluß an die von Alkuin herrührende Sitte der beliebig gewählten Beinamen, nach welcher z. B. Adalhard Antonius genannt wurde. Radbert’s Vorliebe für dieselbe ergibt sich auch daraus, daß er seinen Schüler Warin Placidius nennt. Von den Werken Radbert’s sind für die Nachwelt die geschichtlichen am wichtigsten und anziehendsten. Außer der schwülstigen Leidensgeschichte der Märtyrer Rufinus und Valerius, die im J. 287 im Gau von Soissons hingerichtet wurden, gehört hieher namentlich das Leben des Abtes Adalhard von Corbie († 826), welches R. nach dem Muster des hl. Ambrosius in den ersten Monaten des Jahres 826, kurz nach dem Tode jenes verfaßte. Die politische Thätigkeit Adalhard’s tritt in dieser durchaus lobrednerisch gehaltenen Biographie, die vor allem die Tugenden des Mönches verherrlichen will, mehr als billig zurück. An das Leben Adalhard’s schließt sich eine Todtenklage als Ergänzung an, nach dem Muster der fünften Ekloge Vergil’s verfaßt, in welcher Fillis und Galatea als Vertreterinnen der alten und neuen Corbeja im Wechselgesange ihrem Schmerze Ausdruck geben.

Viel inhaltreicher und wichtiger als das Leben Adalhard’s ist das von R. verfaßte Leben seines jüngern im J. 836 verstorbenen Bruders und Nachfolgers Wala oder, wie er ihn nennt, Arsenius, für welches er sich nach dem Vorbilde des hl. Hieronymus richtete. Das Werk zerfällt in zwei zu verschiedenen Zeiten verfaßte Bücher, die nicht aus einer fortlaufenden Erzählung bestehen, sondern nach dem Vorgange Cicero’s die Form eines Gespräches zwischen R. und einigen Klosterbrüdern von Corbie haben. Wala, ursprünglich Krieger dann Mönch und Abt, eines der Häupter, ja vielleicht das geistig hervorragendste Haupt der Partei, welche im Anschluß an die Thronfolgeordnung von 817 unter der Leitung Lothar’s die Einheit des Reiches erhalten wollte, wird in allen seinen Handlungen von R. als seinem treuen Verehrer und Begleiter gerechtfertigt und verherrlicht, die Gegenpartei, also namentlich die Kaiserin Judith und Graf Bernhard geschmäht und herabgesetzt. Aus Vorsicht wegen etwaiger übler Folgen nennt R. keine seiner Personen mit ihrem wirklichen, sondern alle mit erdichteten Namen, er gefällt sich in vielfachen Abschweifungen, weitläufigen Betrachtungen über die Leiden seiner Zeit, die er als Wirkung der früheren Ereignisse auffaßt. Seiner Glaubwürdigkeit steht im Wege, daß er in den Wirren des Reiches durch und durch Parteimann war und daß er, wenn auch sehr wohl unterrichtet und oft Augenzeuge, der tieferen politischen Einsicht in den Zusammenhang der Begebenheiten öfter entbehrte, wie er denn stets eine erbauliche Absicht verfolgte. Dennoch verdanken wir ihm eine Fülle der werthvollsten Belehrungen und Einblicke in die bewegenden Ideen der Zeit.

Aelter ihrer Entstehung nach als diese historischen Arbeiten Radbert’s sind die ersten 4 Bücher seines Commentars zum Evangelium des Mathäus, die er noch als Mönch dem Mönche Guntland von St. Riquier widmet, das fünfte bis zwölfte dagegen fallen (nach 856) in die Zeit nach Niederlegung der Abtswürde. Wie Raban gibt er großentheils eine Blumenlese aus den Vätern, denen er aber auch vieles Eigene, namentlich Anspielungen auf [110] die Leiden und Drangsale seiner Zeit beimischt. Die Erklärung ist mehr eine sachliche und praktische als allegorische. Noch als Abt und zwar kurz nach der normannischen Plünderung von Paris im J. 845 schrieb er für den Greis Odilmann seine Auslegung zu den Klageliedern Jeremiä in 5 Büchern, die ihm gleichfalls Gelegenheit zu manchen Herzensergießungen bot. In diesem Werke ebenso wie in dem ausführlichen Commentare zum 44. Psalm, den er der Aebtissin Imma von Soissons zueignete, herrschte wieder mehr die Allegorie. In die Zeit der Verbannung Wala’s, d. h. zwischen 831 und 833, fällt die auf Wunsch des Abtes Warin von Korvei entstandene, dogmatisch sehr wichtige Schrift über das Fleisch und Blut des Herrn, die als die erste zusammenfassende Abhandlung über diesen Gegenstand den ersten Streit über das Abendmahl veranlassen sollte. Die Verwandlungslehre, die in der katholischen Kirche immer mehr die Herrschaft gewann, wird von ihm umfassender als ein unsichtbares Wunder begründet und mit Vorstellungen Augustin’s verbunden, die davon grundverschieden waren. Zu den dogmatischen Gegnern dieser Auffassung gehörte Ratramnus, selbst ein Mönch von Corbie. Nachdem das Werk Radbert’s schon eine größere Verbreitung gefunden, überreichte er es, wahrscheinlich zu Weihnachten 844, dem Könige Karl dem Kahlen auf dessen Wunsch, da dieser an allen theologischen Fragen einen lebhaften Antheil nahm. Eine Ergänzung zu der eben erwähnten Schrift bildet das Schreiben Radbert’s an den Mönch Frudegard, in dem er Zweifel an seiner Lehre zu widerlegen sucht. In diesen Kreis gehört auch die Schrift über die übernatürliche Geburt Christi.

Ebenfalls bevor R. Abt wurde, schrieb er auf Aufforderung Warin’s die drei Bücher über den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, die man vorzugsweise als eine Verarbeitung Augustinischer Lehrsätze bezeichnen kann. In seinen theologischen Arbeiten zeigte R. durchweg eine sehr anerkennenswerte Gelehrsamkeit auf dem Gebiete der Patristik, wie ihm denn selbst Tertullian bekannt ist und seine, wenn auch wesentlich auf älteren Gewährsmännern beruhenden Schriften haben speculativ anregend und befruchtend gewirkt. Als Dichter ist R. unbedeutend, außer der Ekloge verfaßte er nur einige poetische Widmungen, wie sie damals gebräuchlich waren. In einem schwungvollen Gedichte pries sein Freund Engelmodus, der spätere Bischof von Soissons (862–864), die Beredtsamkeit, die Hilfsbereitschaft, den hohen Sinn Radbert’s. Werthlos ist eine kurze Biographie desselben, die dem Kloster Corbie und dem 12. Jahrhundert angehört (M. G. SS. XV, 452–454). Die Werke Radbert’s gab, jedoch nicht vollständig, Sirmond heraus, Paris 1618, wiederholt bei Migne, Patrol. 120, die Gedichte neuerdings Traube (Poetae latini aevi Carolini III, 38–53) mit beachtenswerther Einleitung. „Die Vita Walae als historische Quelle“ behandelte in seiner Dissertation Rodenberg, Göttingen 1877, doch wird damit wol noch nicht das letzte Wort gesprochen worden sein.

Vgl. ferner Sardemann, der theologische Lehrgehalt der Schriften des Pasch. Radb., Marburg 1877; den Artikel Radbertus in Herzog’s Real-Encyklopädie XII, 474–483. – Ebert, in der Geschichte der Litteratur des Mittelalters II, 230–244. – Wattenbach, in den Geschichtsquellen Deutschlands I, 236.