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ADB:Raiser, Johann Nepomuck Anton von

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Artikel „Raiser, Johann von“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 188–190, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Raiser,_Johann_Nepomuck_Anton_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:46 Uhr UTC)
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Raiser: Johann Nepomuck Franz Anton v. R., tüchtiger Geschichts- und Alterthumsforscher, geboren aus einem alten schwäbischen Geschlechte, am 25. September 1768 zu Freiburg i. B., woselbst er an der dortigen Hochschule Rechtswissenschaft studierte und doctorirte, † am 14. Mai 1853 in Augsburg, im Jahre 1795 k. k. Oberamtsrath von Stockach in der damaligen vorderösterreichischen Landgrafschaft Nellenburg, in gleicher Eigenschaft 1802, 1804–1805 zugleich Appellationsrath, zu Günzburg, 1797–1799 durch Ernennung des Erzherzogs Karl Sperrcommissär gegen die Schweiz, 1806 bei der Einverleibung eines Theiles von Vorderösterreich in die Krone Baiern in deren Staatsdienst als Oberjustizrath für die Provinzen Schwaben und Tirol übergetreten und in demselben Jahre noch Rath der staatsrechtlichen Deputation der bairischen Landesdirection in Ulm, 1808 Kreiskanzleidirector daselbst, 1810 nach dem Uebergange Ulms an Württemberg in gleicher Stellung zu Eichstädt, 1817 Regierungsdirector in Augsburg, woselbst er auch acht Jahre als stellvertretender Generalcommissär und Regierungspräsident der Provinz Schwaben und Neuburg fungirte und wo er sich im Jahre 1838 nach vieljährigem Wirken in ehrenvollster Weise zur Ruhe setzen ließ. R. war nicht blos ein trefflicher, geschäftsgewandter und gewissenhafter Staatsbeamter, sondern auch ein Geschichtsforscher von bleibendem Ruf. Bei seiner Geburt stand das hl. römische Reich deutscher Nation wenigstens äußerlich noch vollständig da; zu dessen zerstückeltsten Kreisen zählte neben seiner vorderösterreichischen Heimath wohl der schwäbische. In den überaus verwickelten Territorialverhältnissen jener österreichischen Vorlande, bei den beständigen Reibungen und Verhandlungen mit den zahlreichen mehr oder weniger kleinen Nachbarn, sowie bei den unaufhörlichen Besitzveränderungen, welche Schwaben vom Ablaufe des 18. Jahrhunderts an bewegten, bedurfte Oesterreich Beamte, welche in alle Details jener Verhältnisse Einsicht hatten – eine Einsicht, welche sich nur durch die ausgedehntesten, mühevollsten und sorgfältigsten urkundlichen Studien erwerben ließ. Hier war nun ein Mann wie R. ganz und gar an seinem Platze; zur eindringlichsten gründlichsten kritischen Einzelforschung trieb und reizte ihn seine Natur; bei den so verwickelten Streitigkeiten mit den Nachbarn mußte immer und immer wieder auf die urkundlichen Belege zurückgegangen werden. So führte ihn sein amtlicher Beruf [189] von selbst zur historischen Forschung, welche ihn dann, je mehr er in dieselbe eindrang, immer tiefer in ihren Bann zog. Nicht aber, daß etwa sein Amt unter diesen wissenschaftlichen Studien Noth gelitten hätte; vielmehr kam das, was er mit Talent und Ernst und mit unermüdlich geduldiger Arbeitsamkeit, unter äußerster Ausnutzung der Zeit erforschte, seiner Amtsthätigkeit, seinem Lande und weiten Kreisen zum Nutzen, und ergänzten und förderten sich sein berufliches Wirken und seine wissenschaftliche Neigung gegenseitig in der wohlthuendsten Weise. Ein solcher in allen und jeden Localverhältnissen so wohlbewanderter, unermüdlicher kritischer Forscher und Sammler von Urkunden, Urbarien, allen möglichen Codices, von Stammbäumen, Geschlechternachrichten, Rent- und Zehntbüchern, kurz von historisch-topographisch-publicistischem Material aller Art wie R., in der That selbst ein „wahres Lagerbuch“, war selbstredend von höchstem Werth und beinahe unersetzlich, zumal er sich darauf verstand, seine überreiche, gelehrte Rüstkammer fortwährend weiterzuführen und, sowohl zum Schutz als Angriff, im besten Stand zu erhalten. Zu diesem Behufe stand R. allezeit in lebhafter Verbindung mit anderen Gelehrten, Historikern, Archivaren, so frühzeitig schon mit dem bekannten Polyhistor Jos. Freiherrn v. Hormayr, dem Baron v. Daiser-Sillbach, dem Staatsrath v. Fertig, dem Regierungsrath Jos. Innoc. v. Steinherr, dem Präsidenten v. Stichaner, dem Archivdirector Mone, dem württembergischen Oberfinanzrath Memminger, dem Rottenburger Domherrn v. Vanotti und vielen Anderen. Die Früchte all dieser Forschungen kamen nun, als durch den Preßburger Frieden ein Theil jenes Vorderösterreichs, dessen Verhältnissen R. so unendlich viele mühselige Studien gewidmet hatte, an Baiern fiel und R. trotz eines von Oesterreich (und auch von Württemberg) an ihn ergangeuen ehrenvollen Rufes zum Verbleiben in dessen Diensten, seiner alemannisch-schwäbischen Heimath mit ihrem Kernvolke treu bleibend, in bairische Staatsdienste trat, Baiern, aber auch den Nachbarstaaten Württemberg, zu dessen Beschreibung der oberschwäbischen Oberämter Biberach, Blaubeuren, Ehingen, Riedlingen, Wangen, Waldsee, Tettnang etc. R. u. A. reiche werthvolle Beiträge lieferte, und Baden zu Gute. In seinem neuen Wirkungskreise zu Augsburg, der alten Augusta Vindelicorum, wo schon Dr. Peutinger und M. Welser die vielen römischen Denkmäler ins Auge gefaßt hatten (welche Stadt ihm fortan zur zweiten Heimath wurde), nahm er seine geschichtlichen Studien eifrig wieder auf und es erschien daselbst alsbald nach und nach eine ganze in Hormayr’s „Taschenbuch für vaterländische Geschichte“, (29. Jahrgang, 1840, S. 238–241) verzeichnete Reihe seiner gelehrten Arbeiten im Druck, welche alle von einem ernsten, auf Quellenkunde gegründeten Betriebe der Geschichtswissenschaft zeugen und welche er namentlich auch auf die Römerzeit ausdehnte und unter welchen wir seine „Guntia“ (1823, 4°), „Das römische Antiquarium zu Augsburg“, „Der Oberdonaukreis des Königreichs Baiern unter den Römern“, 3 Abtheilungen (Augsburg 1830–1832, 4°) hervorgehoben haben möchten. Ebendaselbst (S. 241–282) findet sich auch eine Uebersicht über Raiser’s zahlreiche handschriftliche, noch in Augsburg aufbewahrte Sammlungen aus Staats-, Kloster- und Privatarchiven Südschwabens, der Nordschweiz, des gesammten ehemaligen Vorderösterreich etc., eine wahre Riesenmasse von Collectaneen mit allerhand gelehrtem Apparat für ihr Verständniß, ihre Erklärung und Anwendung, welche, wenn sie auch infolge der inzwischen mächtig fortgeschrittenen historischen Forschung in manchem überholt sein mögen, immer noch eine Fundgrube für die schwäbische Localgeschichte, insbesondere zur Geschichte des Hauses Habsburg in Schwaben, der Markgrafschaft Burgau, der Landschaft Nellenburg, des Breisgaus und Vorarlbergs und der gesammten österreichischen Vorlande bilden. Auch hatte sich R., welcher als Numismatiker ebenfalls seinen Mann stellte, eine ansehnliche [190] Münzsammlung angelegt. So wurde R., der für das bairische Schwaben ungefähr das war, was Memminger (s. A. d. B. XXI, 309) für Württemberg, in gewissem Sinne der Vorläufer der von den 1830er Jahren an nach und nach zahlreich in Süddeutschland entstandenen Geschichts- und Alterthumsvereine, auf deren Entstehung und Entwicklung er jedenfalls mächtig anregend eingewirkt hat. Dieselben beeiferten sich denn auch, ihren Vormann und Veteranen in sich aufzunehmen, wie (1821) die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde zu Frankfurt a. M., die Akademie der Wissenschaften von München (1823), die Gesellschaft zur Beförderung der Geschichtskunde in Freiburg i. B. (1826), das archäologische Institut zu Rom. Der rühmlichst bekannte, im Jahre 1834 gegründete historische Verein im Oberdonaukreise, bezw. im Regierungsbezirk von Schwaben und Neuburg ist hauptsächlich sein Werk, sofern R., durch dessen Bemühungen auch schon frühzeitig bei der Kreisregierung von Augsburg ein eigenes „Historisches und Alterthums-Büreau“ eingerichtet worden war, gleich daselbst im Jahre 1817 u. a. mit dem Philologen Beyschlag, Hofrath Dr. v. Ahorner, dem Historiker Placid. Braun etc. eine antiquarische Gesellschaft gebildet hatte, aus welcher dann später genannter Verein hervorging. Diesem stand er als Mitvorstand von der Gründung bis zu seinem Lebensende mit unermüdeter Thätigkeit zur Seite; nicht nur redigirte er selbst die sämmtlichen Jahresberichte bis zum Jahre 1848 einschließlich, sondern er stattete dieselben auch noch nach dieser Zeit mit vielen gehaltvollen Aufsätzen aus. Die Fülle sonstiger ihm von Regierungen und Regenten zu Theil gewordener Auszeichnungen, vor Allem seine Nobilitirung im Jahre 1821 durch König Max Joseph, geben den Beweis, daß er auch als Geschäftsmann in erster Reihe stand. Dabei war R. ein Biedermann von echtem Schrot und Korn, ein „guter alter Deutscher“, welchen die historische Forschung und sein Amt nicht etwa zum Sonderling oder Griesgram gemacht, welchem vielmehr das Herz stets auf dem rechten Fleck geblieben und welcher mit warmem Herzen an allem Menschlichen regsten Antheil nahm. In seinen freilich spärlich bemessenen Mußestunden pflegte er auch die edle Musica; noch erinnert man sich in Augsburg, wie er mehrere Jahre hindurch an der Kirchenmusik zu St. Moritz als Violincellist activ theilnahm. In der wissenschaftlichen Welt aber ist ihm als Einzelforscher für deutsche Geschichte ein Ehrenplatz gesichert.

Außer den bereits genannten Quellen: Allg. Zeitung, Beil. zu Nr. 183 vom 2. Juli 1853, S. 2921 und handschriftliche Mittheilungen. – Nekrolog, von dem Augsburger Domherrn Franz Baader verfaßt, im 19. Jahresbericht des hist. Vereins von Schwaben und Neuburg für das Jahr 1853, p. I–XXIV. Ein lithogr. Bildniß von R. soll existiren, hat sich aber bis jetzt nicht feststellen lassen.