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ADB:Richmann, Georg Wilhelm

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Artikel „Richmann, Georg Wilhelm“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 442–444, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Richmann,_Georg_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 04:08 Uhr UTC)
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Richmann: Georg Wilhelm R., namhafter Physiker, wurde in Pernau (Livland) am 11./23. Juli 1711 geboren; sein Vater Wilhelm R. lebte als schwedischer Rentmeister in Dorpat, war dann wegen der Kriegsumstände nach Pernau geflohen, woselbst er schon Ende 1710 an der Pest starb, so daß der Sohn erst nach dem Tode des Vaters das Licht der Welt erblickte. R. erhielt seine Erziehung zuerst in Reval, studirte in Halle und in Jena Mathematik und Naturkunde, und kam darauf nach St. Petersburg in das Haus des Grafen Ostermann, um dessen Söhne zu erziehen. Schon 1735 wurde er Adjunct der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, 1741 außerordentlicher Akademiker (Professor) für Physik und nach dem Fortgang Krafft’s 1747 ordentliches Mitglied der Akademie. Bei Gelegenheit eines Experiments kam er am 26. Juli (6. August) 1753 ums Leben. R. war außerordentlich fleißig – er hat auf verschiedenen Gebieten der Physik mit großem Verständniß gearbeitet, insbesondere [443] auf dem Gebiet der Wärmelehre und der Electricität; sein früher Tod war für die Wissenschaft entschieden ein Verlust. R. prüfte das Newton’sche Gesetz des Erkaltens der Körper (für die in arithmetischer Reihe zunehmende Zeit nehmen die Temperaturunterschiede zwischen der erkaltenden Masse und der Umgebung in einer geometrischen Reihe ab) und fand, daß das Gesetz mindestens annährend richtig sei, wenn der Ueberschuß der Wärme des erkaltenden Körpers über die der Umgebung nicht mehr als etwa 22–27° C. betrage, daß das Gesetz für höhere Temperaturen aber nicht ausreiche. Ferner lenkte R. die Aufmerksamkeit auf eine Eigenthümlichkeit der Wärmeleitung: Wasser in Gefäßen, welche in siedendem Wasser sich befinden, kann nicht zum Sieden gebracht werden. Ein Thermometer, welches in ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß getaucht ist, das in einem andern mit derselben Flüssigkeit gefüllten steht, zeigt nie dieselbe Temperatur, wie ein in der äußern Flüssigkeit befindlicher Thermometer. Bekannt ist das nach R. benannte Gesetz der Temperatur der Mischungen – die Richmannsche Regel . R. wies den Irrthum der Boerhave-Fahrenheitschen Versuche nach und gelangte dabei zur Aufstellung seiner Regel, welche freilich nur dann gilt, wenn beide Körper gleich, z. B. Wasser sind. Die Regel gibt an, wie man – falls zwei Maße eines und desselben Stoffes sich ins thermometrische Gleichgewicht setzen, – die Temperatur dieses Gleichgewichts berechnet. Die Regel ist sehr wichtig, weil sie zur Berechnung sehr verschiedenen Verhältnisse benutzt werden kann. – Richmann’s Arbeiten über die Verdunstung im Freien, über das Mariotte’sche[WS 1] Gesetz, über ein manometrisches Barometer (wol auch fälschlich Meerbaromter genannt), über die Wärme im Lichtkegel einer Brennlinse seien nur erwähnt. Bemerkenswerth sind die Versuche über die Electricität der Wolken während des Gewitters – sie führten den frühen Tod des Forschers herbei. Franklin hatte die Behauptung aufgestellt, daß der Blitz und der electrische Funke gleich seien, er hatte seinen Blitzableiter erfunden; R. wie viele andere Gelehrten, beschäftige sich eingehend mit der Beobachtung der electrischen Erscheinungen des Gewitters; er hatte sich zu diesem Zweck einen besonderen Apparat hergestellt (Index s. Gnomon electricitatis). Er hatte aus dem Dach seines Hauses einen Dachziegel herausgehoben und auf die daneben liegenden Ziegel gläserne Flaschen befestigt; durch die so gebildete Oeffnung führte er eine eiserne Stange hindurch, welche eingekittet wurde. Das obere Ende der Stange ragte 4–5 Fuß über das Dach hervor, am unteren Ende hing eine Kette, welche keinerlei Leiter berührend in ein Zimmer geführt wurde und hier an der Decke eine Strecke hinlief. An der Kette war ein Metalldraht befestigt und dieser war mit einer kleiner Metallstange verbunden, welche in einem mit Kupferseile gefüllten Glase auf einem 4 Fuß hohen Schrank stand. An der Metallstange hing am obern Ende ein leinener Faden herab, der, wenn Electricität sich zeigte, von der Stange abgestoßen wurde. Ein daneben stehender eingeteilter Quadrant gab den Winkel an, den der abgestoßene Faden mit der Stange bildete. Gewitter-Electricität hob den Faden nur über 30, künstliche aber über 55. Bisweilen setzte R. eine isolirte Leidener Flasche daneben, deren innere Fläche mit dem herabhängenden Draht verbunden war; er fand, daß dadurch die Electricität noch mehr verstärkt wurde. – Als es am 26. Juli (6. August) 1753 in der Ferne donnerte, eilte R. zu seinem Electricitätsanzeiger und bückte sich gegen denselben, dort wo das Metall aufhört – da fuhr aus dem Draht durch einen Fuß Zwischenraum ein weißblauer Feuerball nach Richmann’s Kopf: R. sank todt darnieder, an seiner Stirn war ein mit Blut unterlaufener Fleck; auch am Körper fanden sich einige Brandflecke; der im Zimmer befindliche Kupferstecher der Akademie Sokolow fiel betäubt zu Boden; der gläserne Becher und der [444] Draht waren zerschmettert. – Daß der unglückliche Fall durch Unvorsichtigkeit und Sorglosigkeit des Beobachters herbeigeführt wurde, unterliegt keinem Zweifel – es war alles geschehen, um die Electricität anzuhäufen, aber auf die nothwendige Ableitung war man nicht bedacht gewesen. Der Zusammenhang zwischen Blitz und Electricität war sicher dargethan. – Richmann selbst fiel als Opfer seines Beweises.

Die Abhandlungen Richmann’s sind in lateinischer Sprache in den Commentarien der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften (Bd. XIII u. XIV u. Nov. Comm. Tom. I–IV) veröffentlicht; das Verzeichniß füllt bei Recke-Napiersky zwei Seiten (IV, 532–533); hier kann folglich von einer Wiederholung abgesehen werden. – Ueber die Lebensumstände R.’s ist zu vergleichen Gadebusch, Liv. Bibl. 3. Th. S. 22–29; der tragische Tod ist mehrfach beschrieben worden; die Litteraturnachweise sind gleichfalls bei Recke-Napiersky einzusehn. – Ueber die Verdienste R.’s auf dem Felde der Physik findet sich viel in J. S. T. Gehler’s physikalischem Wörterbuch, neu bearbeitet von Brandes, Gmelin, Horner, Muncke, Pfaff (vgl. Bd. I, III, IV und X an verschiedenen Stellen).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Edme Mariotte (um 1620–1684); französischer Physiker