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ADB:Rusch, Adolph

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Artikel „Rusch von Ingweiler, Adolf“ von Karl Schorbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 646–650, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rusch,_Adolph&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:29 Uhr UTC)
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Rusch: Adolf R. von Ingweiler, geboren vermuthlich um 1435, † zu Straßburg am 26. Mai 1489, war einer der bedeutendsten Straßburger Druckerherrn und Verleger des 15. Jahrhunderts, dessen vielseitige Thätigkeit (1463–1489) noch nicht die verdiente Würdigung gefunden hat. Erst neuerdings brachte ein glücklicher Fund die Bestätigung der mehrfach ausgesprochenen Vermuthung, daß R. identisch sei mit dem räthselhaften „Drucker mit dem bizarren R“, dem die Bibliographen seit dem 18. Jh. so eifrig nachspürten. Die rühmliche Anerkennung, welche R. bei seinen Zeitgenossen fand, muß heute als vollberechtigt gelten. – Ueber seine Abstammung, seinen Bildungsgang und die Anfänge seiner Wirksamkeit haben sich bisher urkundliche Nachrichten nicht auffinden lassen; erst für seine spätere Lebenszeit fließen die Quellen reichlicher.

Als Rusch’s Heimath gilt das unterelsässische Städtchen Ingweiler. Wo er seine tüchtigen Kenntnisse erwarb, läßt sich nicht nachweisen, jedoch ist die Annahme berechtigt, daß er eine Zeit lang eine Universität (vielleicht Paris) besuchte. Ob der am 18. October 1457 in Heidelberg inscribirte Adolfus Piscatoris de Inguiler (Toepke[WS 1], Die Matrikel der Univ. Heidelberg I, 290) mit unserem A. R. zu identificiren ist, muß fraglich bleiben. Als humanistisch gebildeter Mann bewahrte R. stets eine besondere Vorliebe für die römischen Classiker und bediente sich im brieflichen Verkehr mit Freunden und Geschäftsgenossen der lateinischen Sprache. Seit wann er in Straßburg ansässig war, steht nicht fest, aber wahrscheinlich hatte er seit dem Jahre 1460 dort seinen ständigen Wohnsitz. Daß er schon 1451 im Haus zum Bild in der Oberstraße gewohnt habe, wie Charles Schmidt[WS 2] (Straßb. Gassen- und Häuser-Namen, 2. Aufl., S. 131) und Seyboth (Strasbourg historique, S. 443) angeben, ist unrichtig. Erst ungefähr 20 Jahre später hat R. als verheiratheter Mann dies Haus besessen; jedenfalls fehlt noch im Almendbuch von 1466 [647] sein Name. Auffälligerweise findet sich im alten Bürgerbuch der Stadt Straßburg kein Eintrag, wann R. als Bürger aufgenommen wurde. Allerdings kaufte im Januar 1479 ein Adolf Rusch von Ingewiler das Bürgerrecht. Dieser wird aber als ein früherer Schreiber der Herren von Lichtenberg bezeichnet und ist vermuthlich ein Anverwandter des Buchdruckers gewesen. Unser Meister war zweifellos schon längere Zeit vorher durch seine Heirath mit der Straßburgerin Salome Mentelin Bürger geworden. In einer Urkunde vom Mai 1483 (Stadt-Archiv IV. Urkunde 100) erscheint er als deren Gatte und wird darin „civis Argentinensis“ genannt.

Die Kunst des Druckens kann R. nur in Mainz oder in Straßburg erlernt haben. Am meisten Wahrscheinlichkeit bietet jedoch die gewöhnliche Annahme, daß er seine technische Schulung in der seit 1459 in Straßburg bestehenden Officin des Johann Mentelin, seines späteren Schwiegervaters, erhielt, bei welchem er vielleicht zunächst als Corrector beschäftigt war.

Das erste sichere Zeugniß, welches wir über Rusch’s Druckerthätigkeit besitzen, stammt aus dem Jahre 1470. In ein Exemplar der undatirten Mentelin’schen Terenzausgabe (jetzt in der Rylands Library zu Manchester; vgl. Dibdin, Bibl. Spenceriana II, 407) machte der erste Besitzer, der bekannte Geschichtsschreiber Sigmund Meisterlin, den eigenhändigen Eintrag, daß er das Buch 1470 auf der Nördlinger Messe gekauft habe. Meisterlin fügte dann hinzu, den (beigebundenen) Valerius Maximus hätte er „a famoso ejusdem impressore, domino Adolpho de Ingwiler“ (d. i. Adolf Rusch) als Geschenk erhalten. R. war also schon damals ein bekannter Typograph und Buchhändler. Nun ist aber der Valerius Maximus gar nicht von R. gedruckt, sondern vielmehr ein sicheres Preßerzeugniß Mentelin’s, der es auch in seiner zweiten ca. 1471 veröffentlichten Bücheranzeige aufführte. Der Umstand aber, daß R. im J. 1470 ein Mentelin’sches Verlagswerk verschenken konnte, berechtigt zu dem Schluß, daß er schon damals in nahe Geschäftsverbindung mit Mentelin getreten und bereits mit dessen Tochter Salome verheirathet war.

Eine werthvolle Bereicherung unserer Kenntnisse über Rusch’s Druckerwerkstatt verdanken wir einem archivalischen Fund, den vor kurzem Professor P. Hasse im Staatsarchiv zu Lübeck machte. Er entdeckte das Concept eines Schreibens, welches der Lübecker Rath am 11. Februar 1478 an die Stadt Straßburg richtete. In diesem Briefe erging die Bitte, eine dem Lübecker Dominicaner-Kloster gehörige Handschrift des Speculum doctrinale (von Vincentius Bellovacensis), die einst von dem Buchbinder † Hans Byß an die Straßburger Drucker Adolf Rusch und Johann Mentel geliehen worden sei, dem rechtmäßigen Besitzer wieder zurückzuverschaffen. Außerdem sollten die beiden Buchdrucker, wie es üblich wäre, ein Freiexemplar des von ihnen hergestellten Buches beifügen. Ueber den Ausgang dieser Sache ist nichts bekannt; weder das Original des Lübecker Schreibens noch die Rathsprotokolle des Jahres 1478, in denen die Verhandlungen über jene Angelegenheit aufgezeichnet waren, haben sich im Straßburger Stadtarchiv erhalten. Unbestreitbar bildete die reclamirte Lübecker Handschrift die Vorlage für die Editio princeps des Speculum doctrinale, welche (in 2 Varianten vorliegend) bekanntlich aus der Presse des sogenannten „Druckers mit dem bizarren R“ hervorgegangen ist. Die Officin dieses hervorragenden Meisters, der keinem seiner zahlreichen Druckwerke die Angabe von Ort, Firma und Jahr hinzufügte, suchte man vormals wegen der sehr frühen Verwendung der Antiqua in Italien. Zumeist verlegte man aber die Thätigkeit des „R-Druckers“ nach Köln, eine Hypothese, die besonders von Madden (Lettres d’un bibliographe, 4. Série 1875) verfochten wurde. Der Wahrheit sehr nahe kamen [648] diejenigen, welche (wie schon Panzer) durch Typenvergleichungen zu dem Schlusse gelangten, daß Straßburg die Heimath des R-Druckers sei. Der erste, welcher auf R. hinwies, war H. Helbig (Messager des sciences historiques, 1865, S. 367 ff.). G. Reichhart’s und meine eigenen Untersuchungen bestätigten die Richtigkeit dieser Vermuthung. Durch das neuentdeckte Lübecker Actenstück ist aber nunmehr der volle Beweis erbracht, daß der R-Drucker niemand anders ist, als A. Rusch.

Rusch’s Thätigkeit kann man in 3 Abschnitte eintheilen. Die erste Gruppe seiner Druckwerke (ca. 1463–70) ist mit Antiqua-Lettern gedruckt. Diese Typenart wurde von dem humanistisch gebildeten R. zuerst in Deutschland verwendet. Außer der Wahl der römischen Schrift ist die Richtung des Verlags charakteristisch, in der eine Bevorzugung der lateinischen Classiker hervortritt. Es erscheinen bei ihm Ausgaben des Plutarch und Seneca’s Commentare zu Terenz, Valerius Maximus und Virgil, daneben aber auch Schriften des Aeneas Sylvius und Petrarca. Diese Reihe von Drucken lieferte R. allein und auf eigene Rechnung. Eine zweite Gruppe von Preßerzeugnissen (ca. 1470–78) scheint in theilweiser Geschäftsgemeinschaft mit Joh. Mentelin, Rusch’s Schwiegervater, entstanden zu sein. Für diese Drucke ist eine semigothische Schrift gebraucht, die aus Mentelin’s Lettern-Vorrath stammt. Eingemischt finden sich aber Majuskeln aus Rusch’s reiner R-Type. Die Verlagsrichtung ist eine andere; es fehlt die humanistische Litteratur. Dickleibige Folianten theologischen und medicinischen Inhalts verlassen die Pressen. In gemeinsamer Arbeit entstanden die 3 Riesen-Specula des Vincentius mit Ausnahme des Speculum morale, das Mentelin erst im November 1476 ausgegeben hatte.

Rusch’s letzte Schaffensperiode (1479–1489) hat ihren Höhepunkt in einem monumentalen Bibelwerk, welches im J. 1480 vollendet vorlag. Dies war bisher der einzige Druck, dessen Herstellung die Bibliographen der Officin Rusch’s zuerkannten. Es ist die Biblia latina cum glossa ordinaria Walafridi Strabonis et interlineari Anselmi Laudunensis. Der Humanist Rudolf v. Langen bezeugt in einem überschwänglichen Gedicht (Carmina, 1486, Bl. 14), daß dies „immensum opus“ von R. gedruckt sei, und R. selbst erwähnt es während der Arbeit in seinen Briefen an Joh. Amerbach. Mit diesem Riesenwerk in 4 Folianten hat R. in der That eine typographische Meisterleistung geliefert, welche noch heute Bewunderung erregt. Vier verschiedene ganz neue Typenarten sind für den Druck verwendet, die sich später in Amerbach’s Besitz befinden. Den Bibeltext umschließt in kleinerer Schrift die glossa ordinaria und zwischen den Textzeilen steht in zierlicher Type die Interlinearglosse des Anselm von Laon. Der complicirte Satz, der auf jeder Seite ein wechselndes Bild darbietet, erforderte viel zeitraubende Arbeit von Setzern und Correctoren, daneben aber auch ganz erhebliche Kosten. Anton Koberger in Nürnberg hatte als Verleger den Vertrieb dieses Werkes übernommen, konnte das theuere Buch aber nicht nach Wunsch absetzen.

Für seine eigenen Verlagsunternehmen hatte R. eine neue Gesellschaft gegründet, an der vermuthlich sein Schwager Martin Schott und der seit 1472 in Straßburg ansässige Typograph Martin Flach d. Ae. betheiligt waren. Aus Rusch’s Briefen geht hervor, daß er neben eingesessenen Druckern (z. B. Peter Attendorn) auch Baseler Firmen beschäftigte, außer Joh. Amerbach noch Jakob von Pfortzheim und Nikolaus Keßler. Als Buchhändler scheint R. mit seinen Geschäftsfreunden am liebsten in Tauschhandel getreten zu sein, doch kaufte er auch Bücher gegen baares Geld. Außerdem bemächtigte sich sein Unternehmungsgeist noch eines andern lohnenden Großbetriebs; er [649] wurde einer der bedeutendsten Papierhändler der damaligen Zeit. Er lieferte nach Nürnberg und Basel, bezog aber oft selbst wieder Papier von schweizerischen Handelsfirmen, vor allem von Gallicion in Basel. Den Straßburger Druckereien war er gewohnt, für einen Ballen Druckbogen zwei Ballen unbedrucktes Papier zu geben, ein Abkommen, auf welches seine Baseler Geschäftsfreunde nicht eingehen wollten. Mit Basel stand R. in besonders regem Verkehr und scheint sich dort gern aufgehalten zu haben. Der dortigen Karthause machte er Geschenke, darunter auch eine Anzahl Bücher, die aber nicht aus seiner eigenen Druckerei herstammten. In Basel lebte damals auch ein Cleriker Adolf Rusch, welcher 1483 in Freiburg studirte, und ferner der Chronist und spätere Zunftmeister Nicolaus Rusch, beide vielleicht Anverwandte unseres Meisters. Sehr nahe stand R. Joh. Amerbach in Basel. Rusch’s Briefe an ihn sind zum Theil erhalten (Univ.-Bibl. Basel), aus denen man ersieht, daß R. sich als entgegenkommender Berather erwies. Er verschaffte dem Geschäftsgenossen Handschriften zur Herausgabe, empfahl ihm gangbare Werke und rieth ihm von nicht rentirenden Verlagsartikeln ab. Der Buchhandel führte R. in viele Städte, wo er geschäftliche Verbindungen anknüpfen konnte. Daß er zu Nördlingen und Lübeck Beziehungen hatte, wurde bereits erwähnt. Seinen Handelsverkehr mit Augsburg erweist eine Streitsache, die er mit dem dortigen Buchdrucker Joh. Wiener 1483 hatte (Augsburger Stadtarchiv, Rathsbuch Bd. IX). Auf den Messen, die R. besuchte, konnte er sich seinen gelehrten Freunden gefällig erweisen. Der Humanist Rud. Agricola, mit dem er in Briefwechsel stand, bat ihn im J. 1485, ihm auf der Frankfurter Messe einige Classiker zu kaufen. Mit den damaligen elsässischen Gelehrten war R. sicher bekannt, so mit Geiler v. Kaisersberg und Jak. Wimpfeling, der ihn in seinen Schriften lobend erwähnt. Seb. Brant wird er zweifellos in Basel kennen gelernt haben. Innige Freundschaft verband ihn mit dem Straßburger Humanisten Peter Schott, aus dessen Lucubratiunculae (Arg. 1498) wir manche Nachrichten über R. erhalten. Durch ihn wissen wir auch, daß R. kurz vor seinem Tode eine Virgilausgabe mit Holzschnitten plante, die aber nicht mehr zu Stande kam. Im Frühjahr 1489 begab sich R. in das benachbarte Baden zur Cur. P. Schott übersandte ihm dorthin einige lateinische Räthsel zu seiner Erheiterung. Heftig erkrankt mußte R. bald darauf nach Straßburg zurückkehren, wo er, nach Angabe Schott’s, am 26. Mai 1489 starb. Im liber vitae capituli S. Thomae (Straßb. S. Thomas-Archiv) findet sich unter dem S. Urbanstag (25. Mai) folgender Eintrag: „Anniversarium Adelphi Rusch et Salome eius uxoris, qui certos libros ad librariam nostram donaverunt.“ Rusch’s Wittwe heirathete später den Ritter Philipp Sturm v. Sturmeck und starb erst im J. 1518.

R. hatte durch seine ausgebreitete Geschäftsthätigkeit großen Reichthum erworben. Der Verkauf seines Geschäftshauses (im J. 1481) und eines Grundstücks in der Vorstadt Krutenau (1483) hängt vielleicht mit dem Bau des schloßartigen Landhauses zusammen, das R. sich damals bei Ingweiler errichten ließ und welches den Namen Rauschenburg führte. Es bestand bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts; heute haftet der Name Rauschenburg noch an einem Hof und Forsthaus in der Nähe von Ingweiler. Nach Franz Irenicus (Exegesis Germaniae 1518. lib. II, cap. 47) ging zu seiner Zeit das Gerücht, daß in der Rauschenburg die Buchdruckerkunst erfunden worden sei. Diese Erfindersage stammte offenbar aus der gleichen Quelle wie der Straßburger Mentelin-Mythus, welcher sich um dieselbe Zeit verbreitete.

Vgl. C. Schmidt, Zur Gesch. d. ält. Bibliotheken u. d. ersten Buchdrucker zu Straßburg, S. 100–104 und S. 152–162. – Dziatzko, Sammlung [650] bibliothekswiss. Arbeiten, Heft 17, S. 13–24, wo weitere Litteratur verzeichnet ist. – J. Collijn, bokhistoriska uppsatser II. 1905. – Rusch’s Drucke sind aufgeführt bei Proctor, Index to the early printed books, no.) 230-255 (R printer) und no. 299.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rudolf Heinrich Gustav Toepke (1841-1899), Jurist und Historiker.
  2. Charles Guillaume Adolphe Schmidt (1812-1895), elsässischer Theologe und Historiker.