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ADB:Sawitsch, Alexei

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Artikel „Sawitsch, Alexei“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 455–457, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sawitsch,_Alexei&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 06:15 Uhr UTC)
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Sawitsch: Alexei S., geboren am 9. März/25. Februar 1810 auf dem Gute Bjelowodsk im Gouvernement Charkow, † am 27./15. August 1884 auf dem Gute Blagodat im Gouvernement Tula, welches ihm eigen gehörte. Obwol der Sohn russischer Eltern hat sich S. doch als Dorpater Lehrer und als Verfasser vieler deutsch geschriebener Schriften dem deutschen Volke viel zu sehr genähert, als daß an dieser Stelle sein Name und seine Lebensgeschichte fehlen dürften. S. war der Sohn eines Cavallerieofficiers, die Erziehung im Elternhause ließ manches zu wünschen übrig, und auch die Schule in Sudscha, welche der Knabe zunächst besuchte, bot ihm nur wenig, so daß erst der Aufenthalt auf der Charkower Mittel- und Hochschule, welch letztere S. in dem jugendlichen Alter von 16 Jahren bezog, seine schlummernden Talente zu wecken im Stande war. Bald jedoch vertauschte er Charkow mit Moskau, das Studium der Rechte mit dem der Mathematik, und schon nach drei Jahren bestand er dortselbst seine erste Prüfung. Mangel an Mitteln bewog ihn zur Annahme einer Hauslehrerstelle, doch fand er glücklicherweise in der neuen Stellung Zeit genug, um weiter arbeiten zu können, und so sehen wir denn den erst Dreiundzwanzigjährigen mit solchem Erfolge dem Magisterexamen sich unterziehen, daß [456] die Moskauer Universitätsbehörden den jungen Mann der Regierung zu besonderer Berücksichtigung anempfehlen durften. Dies hatte zur Folge, daß S. mit einem Staatsstipendium nach Dorpat gesandt wurde und zugleich als Mitglied des „Professoreninstituts“ die Anwartschaft auf eine entsprechende Anstellung in der Heimath erhielt. Auf der baltischen Universität wurden seine Lehrer W. Struve und der Mathematiker Bartels, Gauß’ einstiger Lehrer und Freund; S. bildete sich rasch genug aus, um 1836–37 an größeren geodaetischen Operationen theil nehmen und 1839 glänzend in Dorpat promoviren zu können. Da Struve damals gerade zur Uebernahme der Directorstelle nach Pulkowa, der Observator Preuß (s. A. D. B. XXVI, 580) mit Tod abgegangen war, so hielt man unseren S. gleich in Dorpat fest und übertrug ihm als nominellem Nachfolger von Preuß die zeitweilige Leitung der Sternwarte. Im J. 1840 aber wurde er nach St. Petersburg berufen und wirkte daselbst bis 1846 als außerordentlicher, bis 1879 als ordentlicher Professor der Astronomie, nur zweimal seine Thätigkeit durch kürzere Reisen in das Ausland unterbrechend. Weniger durch glänzenden Vortrag, als durch hinreißende Begeisterung für sein Fach wirkte er auf seine Zuhörer an den verschiedenen Anstalten, deren Lehrercollegium er zeitweise angehörte: neben der Universität waren dies die Generalstabsschule, die Marineakademie und noch andere Institute. 1862 wurde S. Mitglied der kaiserlich russischen Akademie der Wissenschaften. Stets körperlich rüstig, durfte er seine unausgesetzten Studien niemals durch Gesundheitsrücksichten gestört sehen, und auch seinem Tode war keine eigentliche Unpäßlichkeit vorangegangen, vielmehr fand man ihn am obengenannten Tage sanft eingeschlafen auf einer Gartenbank in seinem Landgute, auf welchem er einen Theil des Jahres zuzubringen pflegte. Verheirathet war S. seit 1844 mit einer Kurländerin, welche ihm bei ihrem nach dreißigjähriger Ehe erfolgten Tode zwei Söhne hinterließ.

Die wissenschaftliche Thätigkeit des bis zu seinem Ende unermüdet thätigen Mannes war vorwiegend eine didaktische. Schon seine russisch abgefaßte Magisterdissertation suchte mit großem Geschick eine Uebersicht über die besten Methoden zur Lösung des Ortsbestimmungsproblems zu geben, und demselben Zwecke diente sein 1845 mit dem Demidow’schen Preise gekröntes Werk, welches ebenfalls russisch erschien, bald aber von Götze in deutscher Bearbeitung unter dem Titel „Abriß der praktischen Astronomie, vorzüglich in ihrer Anwendung auf geographische Ortsbestimmung“ (zwei Bände, Hamburg 1850) herausgegeben wurde. In deutscher Sprache behandelte S. selbst eine hierher gehörige Specialausgabe (Astron. Nachr., 1843), deutsch war auch die Sprache seines Lehrbuches „Anfangsgründe der Kosmographie und mathematischen Geographie“ (St. Petersburg 1851) und gleichermaßen der Doctordissertation „Ueber die Höhe des kaspischen Meeres und der Hauptspitzen des kaukasischen Gebirges“. Letztere Arbeit führt uns auf ein anderes Feld von Sawitsch’s Thätigkeit, auf das geodaetische. Unter W. Struve’s Oberleitung führte derselbe nämlich, in Gemeinschaft mit Fuß und Sabler, während der Jahre 1836 und 1837 das großartige Nivellement aus, welches den Höhenunterschied zwischen dem kaspischen und asowschen Meere festzustellen bestimmt war und nicht allein diesen Zweck vollständig erreichte, sondern auch eine Reihe wichtiger und neuer Gesichtspunkte für die Theorie der terrestrischen Refraction lieferte. Letzterem Gegenstande ist auch eine größere Abhandlung von S. in dem Jahrgange 1855 der von der kaiserl. Akademie herausgegebenen „Mémoiren“ gewidmet. Nicht minder nahm S. an dem großen, von seinem Lehrer Struve begonnenen Gradmessungswerke theil, zu dessen Unterstützung er von 1864 ab mit einem Repsold’schen Apparate an den Hauptstationen die Länge des Secundenpendels bestimmte. Andere Untersuchungen von ihm bezogen sich auf die Zeitbestimmung, auf die Berechnung [457] von Satelliten und Cometenbahnen (besonders des Cometen von 1585) und auf Wahrscheinlichkeitsrechnung, doch mußte er sich wesentlich auf theoretische Studien beschränken, da das ihm unterstellte Observatorium zunächst nur Lehrzwecken zu dienen hatte und nicht für Beobachtungen größeren Stiles eingerichtet war. Noch in höherem Alter redigirte er von einem umfassenden „Handbuche der Sternkunde“ persönlich den ersten Band, die sphärische Astronomie enthaltend, während allerdings der zweite Theil, die theoretische Astronomie, erst nach seinem Abscheiden von Dubjago herausgegeben werden konnte.

O. Struve’s Nekrolog im 19. Jahrgange der „Vierteljahrsschrift der astronomischen Gesellschaft“ (S. 105 ff.) – Poggendorff, Biographisch-litterarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exakten Wissenschaften, 2. Band, Leipzig 1863, Sp. 763.