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ADB:Schäfer, Arnold Dietrich

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Artikel „Schaefer, Arnold Dietrich“ von Julius Asbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 521–524, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sch%C3%A4fer,_Arnold_Dietrich&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 12:13 Uhr UTC)
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Schaefer: Arnold Dietrich S., geboren am 16. October 1819 in Seehausen bei Bremen, † am 19. November 1883 in Bonn, einer der hervorragendsten Forscher, Geschichtschreiber und Lehrer unserer Zeit. S. besuchte seit 1833 die Gelehrtenschule in Bremen, die er Herbst 1838 verließ, um sich in Leipzig dem Studium der Philologie und Geschichte zu widmen. Von den Lehrern der Hochschule gewannen Gottfried Hermann und Moritz Haupt einen entscheidenden Einfluß auf den jungen Mann. Eben wollte er seine Absicht sich für das Althochdeutsche zu habilitiren ausführen, als ihn ein günstiges Anerbieten des Geh. Schulrath Blochmann veranlaßte, nach Dresden überzusiedeln, um an dem mit dem Vitzthum’schen Gymnasium vereinigten Erziehungshause als Lehrer der Geschichte, Litteratur und alten Sprachen seine praktische Thätigkeit als Schulmann zu beginnen. Aus der Dresdener Zeit stammen die Abhandlung „de libro vitarum X oratorum“ (1844), eine Reihe populärer Aufsätze in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und die Geschichtstabellen zum Auswendiglernen. Letzteres Büchlein, das beweist, wie S. die praktische Verwerthung seines reichen Wissens verstanden hat, ist zuerst 1847 und [522] in 17. Auflage 1888 von dem Herausgeber herabgeführt bis auf die Gegenwart erschienen.

Am 15. October 1851 wurde S. an die königlich sächsische Landesschule in Grimma berufen; in dem freundlichen Orte fand er Zeit zu umfassender wissenschaftlicher Thätigkeit. Hier wurden die beiden ersten Bände des Werkes „Demosthenes und seine Zeit“ 1856 abgeschlossen. Sie waren die Frucht einer zehnjährigen Arbeit. Die gewaltige Persönlichkeit des attischen Redners hatte schon den Primaner gefesselt. Bei seinem Abgang von der Schule sprach er über die Rede „De corona“ und auf der Universität waren die attischen Redner seine Lieblingsautoren. In diesem Werke hat sich S. ein glänzendes Denkmal ausgebreiteter Gelehrsamkeit, eindringender Gründlichkeit, seltenen Scharfsinnes gesetzt. Mit der vollkommensten Beherrschung des urkundlichen und schriftstellerischen Materials, mit umfassendem Verständniß des griechischen Staatslebens verbindet sich eine warme Begeisterung für die sittliche und geistige Größe des Demosthenes. S. hatte die Freude, eine zweite Auflage des großen Werkes vorzubereiten, bei der er aber fast nur an denjenigen Stellen, wo neues Material vorlag, zu ändern brauchte. Nach seinem Tode hat Professor M. Hoffmann mit einer der schwierigen Aufgabe entsprechenden Sorgfalt und Sachkenntniß die Revision zum Abschluß gebracht.

Am 30. November 1857 wurde S. als ordentlicher Professor der Geschichte an die Universität Greifswald berufen und damit der langgehegte Wunsch in den preußischen Staatsdienst zu treten erfüllt. In Greifswald nahm S. mit der rüstigen Kraft des blühenden Mannes sein Amt wahr und entfaltete eine vielseitige Thätigkeit. Seine Vorlesungen umfaßten das ganze Gebiet der Geschichte, wie sich auch die Uebungen des historischen Seminars, dem er 1863 eine festere Gestaltung gab, theils an die alte, theils an die mittelalterliche Geschichte anschlossen. Von dem Ernste und der Gewissenhaftigkeit, mit der er an die Prüfung der Quellen herantrat, legen die Abhandlung „De ephoris Lacedaemoniis“ (1863) und die „Disputatio de rerum post bellum Persicum usque ad tricennale foedus in Graecia gestarum temporibus“ (1865) und die Studie „Ueber den Fürstentag zu Tribur“ im 8. Bande der Historischen Zeitschrift beredtes Zeugniß ab.

Als Giesebrecht 1863 nach München übersiedelte, erging an S. der Ruf, diesen in Königsberg zu ersetzen. Aber freundschaftliche Beziehungen zu älteren und jüngeren Collegen, namentlich zu E. Baumstark, A. Michaelis, M. Hertz, G. Schoemann und H. Usener hatten ihm den Aufenthalt in Greifswald so werth gemacht, daß er die Uebernahme der Königsberger Professur ablehnte.

Nur widerstrebend folgte er dem Rufe, der ihn zwei Jahre später nach Bonn führte, wo er fortan bis zu seinem Tode das Lehramt der Geschichte wahrnahm. Wenn er auch nicht ausdrücklich als Professor für die alte Geschichte berufen war, so wurde er doch durch die Verhältnisse gezwungen, seine Thätigkeit in erster Linie der alten Geschichte bis zum Untergange des weströmischen Reiches zu widmen. Die Bedeutung des Studiums der alten Geschichte für die Gegenwart war das Thema der Rede, mit welcher er am 18. October 1871 die Verwaltung des Rectorats der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität antrat. Zu den Vorlesungen, die wie in Greifswald so in Bonn mit Vorliebe gehört wurden, zählte die Quellenkunde der griechischen und römischen Geschichte. „Diesen Vorlesungen zur Unterlage zu dienen und den Zuhörern die wichtigsten Nachweisungen an die Hand zu geben“ ist der Abriß der Quellenkunde (1867 erschien der 1. Theil, 1881 der 2. Theil) bestimmt. Trotz seiner anspruchslosen Form ist das Buch besonders geeignet, den Studenten in das Studium der alten Geschichte einzuführen. Der Citatenschatz ist mit Absicht beschränkt, [523] weil S. kein bibliographisches Handbuch schreiben wollte; aber Schriften, welche einschlagende Fragen wirklich gefördert haben, dürften nicht leicht übergangen sein. Auch die Testimonia machen keinen Anspruch auf unbedingte Vollständigkeit, geben aber von dem noch Vorhandenen das Bedeutendste. Mit seinem Urtheil ist der Verfasser sehr sparsam, nur hier und da läßt er zur Klärung einer Controverse bestimmte Bemerkungen einfließen. Die nach seinem Tode von Heinrich Nissen besorgten Ausgaben haben nach den Notizen im Handexemplare des Verfassers nicht unwesentliche Erweiterungen erfahren.

Schon in Greifswald hatte S. eingehende Studien auf dem Gebiete der preußischen Geschichte gemacht und von dort aus in den Universitätsferien wiederholt Berlin und London besucht, um im preußischen Staatsarchiv und im britischen Museum archivalische Forschungen anzustellen. Die Frucht dieser anstrengenden Studien ist die „Geschichte des siebenjährigen Krieges“. Der erste bis auf die Schlacht bei Leuthen reichende Band ist 1867 bei W. Hertz erschienen, der Schlußband 1874. Darin werden eine Reihe neuer Thatsachen und auf Grund der thatsächlichen Vorgänge mit strengster Objectivität die Motive der handelnden Personen festgestellt. „Die Darstellung“, so äußerte sich ein berufener Recensent, „ist so knapp und gedrängt, daß man nur in wenig Büchern gleichen Umfangs soviel neue Belehrung finden dürfte. Man kann wohl sagen, die spätere Forschung werde zwar die Details vermehren und näher begründen aber die gewonnenen Hauptresultate niemals umstoßen können. Der Beweis, daß der siebenjährige Krieg ein Act der Nothwehr des bedrängten Preußen gegen eine machtvolle Coalition war, braucht nach diesem Buche fürder nicht mehr erbracht zu werden.“ Auch Geoffroy in der „académie des sciences morales et politiques“ spendet wie der Geschichte des Demosthenes so dem zweiten Hauptwerke Schaefer’s das höchste Lob. „M. Schaefer n'a jamais été mêlé, que nous sachions, aux querelles politiques; ces deux ouvrages d'une science grave et sincère temoignent d'une vie toute devouée à l'étude“.

Nach Vollendung des Schlußbandes des siebenjähriges Krieges trat S. eine größere Reise an, die ihn auf den Schauplatz der alten Geschichte nach Griechenland, Kleinasien, Syrien führte; im Frühling 1875 weilte er in Rom und kehrte voll großer Eindrücke nach Bonn zurück, um mit frischem Eifer seine Lehrthätigkeit wiederaufzunehmen. Dieser Thätigkeit zu Liebe lehnte er im April desselben Jahres den Antrag, an die Spitze der preußischen Staatsarchive zu treten, ab. Es war für den selbstlosen Mann eben ein Bedürfniß, zu lehren und in lebendigem Verkehre mit der Jugend zu stehen. Die Ferien der folgenden Jahre wurden zu kleineren und größeren Reisen benutzt. Im Frühjahre 1879 wohnte er dem fünfzigsten Stiftungsfeste des archäologischen Instituts in Rom bei, 1880 besuchte er Olympia und den übrigen Peloponnes. In Athen, wo er mehrere Wochen weilte, beutete er die neuen inschriftlichen Funde für die neue Ausgabe des Demosthenes aus. Die Entwicklung des griechischen Volkes verfolgte S. mit gespannter Aufmerksamkeit und aus eigener Anschauung brachte er die Ueberzeugung heim, daß das Land eine große Zukunft habe. Im folgenden Jahre durchreiste er Spanien bis nach Carthagena, von wo er einen Abstecher nach Algier machte, überall auf den Spuren großer Ereignisse der Geschichte, immer bemüht, seine Anschauung von dem staatlichen Leben der Culturvölker lebendiger zu gestalten. Auf der Heimfahrt wurde er infolge ungünstiger Witterung von einem starken Anfall von Gelenkrheumatismus heimgesucht, von dessen Nachwehen er in Gastein, Baden-Baden und auf der Insel Wight Heilung suchte und anscheinend fand. Trotz seiner erschütterten Gesundheit war er rastlos mit der Lösung wissenschaftlicher Aufgaben beschäftigt: die Revision der neuen Auflagen der Quellenkunde, die Neubearbeitung des „Demosthenes“, die [524] Leitung der Publicationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, die ihn zum Vorsitzenden des Gelehrtenausschusses gewählt hatte, nahmen den unermüdlichen Forscher neben seinen amtlichen Obliegenheiten in Anspruch. Mit welcher Gewissenhaftigkeit er diesen lebte, bekundet die Thatsache, daß er seine Collegienhefte alle paar Jahre nach dem Stande der Forschung sorgfältig umarbeitete und sich für jede Stunde Vorlesung oder Seminar Stunden lang vorbereitete.

Wie schon bemerkt, hatte S. das Bedürfniß zu lehren, und er verstand diese Kunst wie wenige. Ja, all sein Streben und Forschen hatte in erster Linie den Zweck Schätze zu finden, die er für die studirende Jugend fruchtbar machen könnte. Dabei verlor er niemals aus den Augen, daß die Mehrzahl seiner Zuhörer im Colleg und Seminar praktische Schulmänner zu werden berufen waren und dementsprechend verirrte sich seine Untersuchung nie auf abgelegene Gebiete, sondern faßte stets die kritische Erforschung von ganzen Perioden epochemachender Bedeutung ins Auge. In seinem Vortrag suchte er mit der Darstellung des Verlaufs der entscheidenden Ereignisse eine lehrreiche Erörterung der wichtigsten Controversen zu verbinden. Peinliche Sorgfalt und erschöpfende Vollständigkeit in der Sammlung des Materials, kritische Prüfung und Sichtung der Quellen, strenge Gerechtigkeit und Objectivität des Urtheils waren Forderungen, die S. als Postulate der historischen Forschung auch seinen Schülern zur zweiten Natur zu machen suchte. Daß seine Bemühungen vom schönsten Erfolge gekrönt waren und er das Glück genoß, das nur wenigen akademischen Lehrern beschieden ist, eine Schule herangebildet zu haben, mit vielen ehemaligen Schülern dauernd in Verkehr zu stehen und ihnen ein treuer Berather und väterlicher Freund zu sein, das zeigte sich bei seinem 60. Geburtstage, an dem ihm etwa 50 Schüler, Professoren und Gymnasiallehrer, in prächtigem Album ihre Photographien verehrten. Es zeigte sich bei Gelegenheit des 25jährigen Jubiläums (1882) seiner akademischen Wirksamkeit, bei dem ihm als Ausdruck der dankbaren Gesinnung aller Schüler eine umfangreiche Festschrift „Historische Untersuchungen“ überreicht wurde, zu welcher 19 frühere Mitglieder der Seminarien von Greifswald und Bonn philologische, staatsrechtliche und historische Beiträge geliefert hatten.

Einem so erfolgreichen Wirken fehlte es auch nicht an äußerer Anerkennung; längst correspondirendes Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und der Göttinger Societät, der archäologischen Institute in Athen und Rom wurde er 1881 zum Geheimen Regierungsrath ernannt. Nach einer Reise, die ihn mit seiner Gemahlin, Eugenie geb. Großmann, von Baden–Baden und Gastein über Biarritz nach San Sebastian führte, sichtlich erfrischt, nahm er seine gewohnten Arbeiten im Herbst 1883 wieder auf. Mitten aus seinen Arbeiten – er hatte sich den Tag über mit Demosthenes beschäftigt – wurde er durch einen schmerzlosen, infolge Schlagflusses eingetretenen Tod am 19. November seiner Gemahlin, seinen Freunden und Schülern entrissen.