ADB:Hertz, Martin

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Artikel „Hertz, Martin“ von Franz Skutsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 259–261, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hertz,_Martin&oldid=- (Version vom 24. April 2024, 08:11 Uhr UTC)
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Band 50 (1905), S. 259–261 (Quelle).
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Hertz: Martin (Julius) H., namhafter classischer Philologe, ist geboren am 7. April 1818 in Hamburg als Sohn des Apothekers Johann Jakob H. aus dessen Ehe mit einer geborenen v. Halle. 1828 siedelte die Familie nach Berlin über und drei Jahre später bezog Martin H. das Gymnasium zum grauen Kloster, dessen Lehrer (Bellermann, Bonnell, Pape, Alschefski[WS 1]) in ihm die Liebe zum classischen Alterthum weckten. So hat er denn in seiner (durch eine hartnäckige Augenkrankheit auf sieben Jahre verlängerten) Studienzeit in Bonn Welcker, in Berlin Lachmann und Böckh, daneben auch Droysen, Panofka, Schöll, Trendelenburg u. A. mit Fleiß und Eifer gehört, nachhaltige Anregungen besonders von Lachmann empfangen. Zwar die Doctordissertation „De L. Cinciis“ (1842) geht, obwol Lachmann gewidmet, von Niebuhr aus, aber wenn von da ab die Grammatiker unter Hertz’ wissenschaftlichen Interessen in erster Reihe stehen, so hat sie nach Hertz’ eigenen Aeußerungen Lachmann dahin gerückt. Material für kritische Ausgaben des Gellius, Priscian und der Germanicusscholien zu gewinnen war der Zweck der großen Studienreise, die H. im Herbst 1845 unmittelbar nach seiner Habilitation an der Berliner Universität antrat. Diese Reise führte durch Süddeutschland, Holland, Belgien, Frankreich, Italien und Oesterreich; die Verwerthung ihres wissenschaftlichen Ertrages hat H., obwol er die Ausgabe der Germanicusscholien anderen Händen überließ, sein ganzes Leben beschäftigt.

Die nach der Rückkehr von der erfolgreichen Fahrt einsetzende Lehrthätigkeit in Berlin hat bis in den Sommer 1855 gedauert. Eine Ablenkung brachte anfangs die 48er Bewegung, bei der der jugendlich temperamentvolle [260] H. als Mitglied des Studentencorps, Wahlmann der Nationalversammlung und energischer Vertreter der Rechte der Privatdocenten gegenüber den Ordinarien eine gewisse Rolle spielte. Danach aber bethätigte er sich umso unablässiger als Lehrer und Forscher. In beiden Eigenschaften prägt er jetzt seine Eigenart aus, indem er sich ganz vorzugsweise der römischen Litteratur widmet. Nach Lachmann’s Tode übertrug ihm Böckh bis zur Berufung Haupt’s die Mitdirection des philologischen Seminars; als Haupt selbst sie im J. 1853 übernahm, gründete H. eine lateinische Gesellschaft, aus der eine Anzahl tüchtiger Arbeiten über lateinische Autoren hervorgegangen sind. Auch Hertz’ Vorlesungen befaßten sich ausschließlich mit römischen Schriftstellern, römischer Litteratur und römischen Alterthümern. Nicht anders seine litterarische Thätigkeit. Außer einer Reihe durchweg in der angegebenen Richtung sich bewegender kleinerer kritischer und litterarhistorischer Schriften ließ H. als Vorläufer einer großen kritischen Edition 1853 eine Textausgabe des Gellius, sodann 1855 den ersten Band seiner grundlegenden Ausgabe des Priscian erscheinen. Daneben fand er noch Zeit 1851 seinem verehrten Meister Lachmann ein größeres biographisches Denkmal zu setzen.

Der Lohn dieser reichen Thätigkeit war seine Berufung als Ordinarius nach Greifswald im J. 1855. Hier hat H. sieben Jahre gewirkt, den Priscian mit dem zweiten Band abgeschlossen, von seiner Textausgabe des Livius drei Bände fertig gestellt (der vierte und letzte erschien erst während der Breslauer Zeit) und mit mehreren umfänglicheren Arbeiten dem großen Gellius präludirt. Der Lehrer aber schritt über die in Berlin inne gehaltenen Schranken hinaus: neben den in Berlin gelesenen Collegien trägt er über Sophokles’ Antigone und die Encyklopädie der Philologie vor, ja, da ihm vom Rector und Senat die Leitung des akademischen Kunstmuseums und der Alterthümersammlung übertragen wird, hält er mit frischem Muthe auch eine vierstündige Vorlesung über griechische Kunstgeschichte. Auch hier trägt seine Lehrthätigkeit erfreuliche Früchte in werthvollen Arbeiten seiner Schüler.

Der Sommer 1862 brachte H. den Ruf an die Universität Breslau, der er dann, trotz eines verlockenden Anerbietens von Tübingen, trotz eines Vorschlags in Heidelberg treu geblieben ist bis an sein Lebensende. Hier sind die wissenschaftlichen Arbeiten, die Berlin und Greifswald entstehen sahen, zum Abschluß gekommen. Von Livius war schon die Rede; 1883 und 1885 folgten die zwei Bände der großen kritischen Ausgabe des Gellius, begleitet von einer Reihe litterarhistorischer, erläuternder, kritischer Arbeiten, die zum größeren Theil 1886 in den „Opuscula Gelliana“ zusammengefaßt wurden, ein unverrückbares Fundament für alle weitere Thätigkeit an diesem Autor. Aber auch neue wissenschaftliche Pläne wurden ausgeführt, Cicero mit kritischen Beiträgen bedacht, die Geschichte der Gedichte des Horaz an der Hand der Nachahmungen bis ins Mittelalter verfolgt; ja diesem seinem Lieblingsdichter widmete H. 1892 eine besondere Ausgabe mit ausgewähltem kritischem Apparat. Was an kleineren Arbeiten in der Breslauer Zeit erschien, kann hier nicht aufgezählt werden; aber Hervorhebung verdienen die Reden, Programme und Aufsätze, mit denen H. für das Zustandekommen des „Thesaurus linguae Latinae“ gewirkt hat; wenn wir heute das große Werk kräftig heranwachsen sehen, dürfen wir uns wol fragen, ob wir ohne Hertz’ beständig wiederholte energische Mahnrufe so weit wären.

Seine Vorlesungen hat H. in Breslau eingeschränkt durch die Aufgabe des archäologischen Collegs, erweitert durch ein Colleg über Platon. Auch hier hat er einen großen und die Anregungen des Lehrers in eigene litterarische Thätigkeit umsetzenden Schülerkreis gefunden, der dankbar an ihm hing: höher [261] als Orden, Titel u. dgl., woran es nicht fehlte, hat H. die Gaben geschätzt, die ihm an seinem 70. Geburtstag und bei seinem 50jährigen Doctorjubiläum die Treue und Liebe seiner einstigen Hörer darbrachte, die Festschrift des Jahres 1888 und den Fonds, aus dem tüchtige junge Philologen unterstützt werden sollen. Des Lehramts hat er treu gewaltet bis Ostern 1893, wo die Beschwerden des Alters übermächtig wurden; seine Feder hat auch dann noch nicht geruht und am Arbeitstisch ist er am 22. September 1895 sanft entschlafen. Er wurde hinweggenommen aus der Mitte einer liebenden Familie, aus der ihm, wie jedem deutschen Gelehrten, die schönsten Freuden neben den wissenschaftlichen sproßten, hinweggenommen aus einem Kreis ihn mit Verehrung umgebender Collegen und Schüler.

Wer H. als Philologen würdigen will, muß das nicht vom heutigen Standpunkt der Wissenschaft versuchen. Anders sind unsere Probleme geworden, anders auch vielfach die Mittel, mit denen wir sie zu lösen streben. Wir versuchen die großen Zusammenhänge im Werden und Vergehen antiker Cultur, Litteratur und Sprache zu erkennen, und eng gesteckt erscheinen uns die Ziele einer Zeit, die in Text- und Wortkritik allermeist ihr Genüge fand. Es wäre wol gut, sich hin und wieder klar zu machen, daß unsere Arbeit nicht gethan werden könnte ohne jene Vorgänger mit ihrer oft rührenden Bescheidung: der Grammatiker, der Antiquar, der Litterarhistoriker verdankt der strengen Akribie, die Hertz’ Gellius und Priscian auszeichnet, mehr als Vielen noch so geistreichen modernen Hypothesen und Combinationen. Beim Thesaurus linguae latinae aber hat ihm selbst schon das Ideal vorgeschwebt, die antike Entwicklung der Worte zu zeichnen vom Anfang bis zum Ende.

Den Philologen Hertz schätzt gerecht nur wer ihn aus seiner Zeit heraus beurtheilt; den Menschen Hertz würdigt jeder, der ihn kannte, rückhaltlos. Die unbedingte Lauterkeit seines Charakters, seine sich nie genug thuende Gewissenhaftigkeit, seine freudige Anerkennung für die Leistungen Anderer, sein unermüdliches Wohlwollen für Freunde und Schüler, seine Milde, die über eine gewisse ohnehin im Verlauf seines langen Lebens mehr und mehr sich verlierende Schärfe schließlich immer den Sieg davontrug – sie sichern ihm ein unverlöschliches Andenken bei Allen, die ihm jemals nähergetreten sind.

R. Förster in der Chronik d. königl. Universität Breslau X, 1896, S. 118 ff. – F. Skutsch im Jahresbericht über die Fortschritte d. klass. Alterthumswiss. Bd. 107 (Biogr. Jahrbuch, 23. Jahrg. Lpz. 1901), S. 42 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Friedrich Siegmund Alschefski (1805–1852), Philologe und Gymnasialprofessor.