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ADB:Schmelzkopf, Eduard

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Artikel „Schmelzkopf, Eduard“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 54–56, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmelzkopf,_Eduard&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 11:50 Uhr UTC)
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Schmelzkopf: Heinrich Robert Eduard Sch., Schriftsteller, † 1896, wurde zu Saalsdorf im Herzogthum Braunschweig am 23. Juni 1814 als ältester Sohn des Pastors Ferdinand Schmelzkopf geboren, der, um Anfang 1850 emeritirt, am 9. Februar 1869 zu Bevern im 88. Lebensjahre gestorben ist; seine Mutter Dorothee geb. Fricke, an der der Sohn liebevoll hing, starb in Saalsdorf am 11. Februar 1845. Von 1826 bis Ostern 1834 besuchte Sch. das Gymnasium zu Helmstedt, das er mit einem glänzenden Zeugnisse verlies. Wenn er sich in Göttingen am 28. April 1834 auch als Student der Theologie und Philologie einschreiben ließ, so hat er doch eigentlich theologische Vorlesungen niemals gehört, sondern er trieb auf breitester Grundlage sprachliche, sowie litterarische, geschichtliche und philosophische Studien bei Ewald, Karl Otfried Müller, v. Leutsch, Jac. Grimm, Gervinus, Dahlmann, Herbart und Anderen. Von Anfang an nahm er an den Uebungen im philologischen Seminar theil, von Michaelis 1834 bis Ostern 1836 auch an der griechischen Societät des Professors v. Leutsch. Ganz besonders schloß er sich an K. O. Müller an, dessen Lieblingsschüler er wurde, sodaß er ihn gern die akademische Laufbahn hätte einschlagen sehen. Da das eifrige anhaltende Studium Schmelzkopf’s von Natur schwächlichen Körper sehr geschädigt hatte, so sah er sich genöthigt, den Sommer 1836 zu seiner Erholung im Elternhause zu verbringen. Als er dann im Herbst 1836 wieder nach Göttingen zurückkehrte, ließ er sich nur noch als stud. phil. immatriculiren. Nach einem Jahre siedelte er für ein Semester nach Leipzig über, wo er außer bei Moritz Haupt und W. Wachsmuth namentlich bei Gottfried Hermann hörte; der großen Verehrung für Letzteren gab er in lateinischen und griechischen Versen beredten Ausdruck. Nachdem er darauf in der Familie des Amtsassessors Lueder in Mohringen als Hauslehrer gewirkt hatte, reichte er Ende Juli 1839 in Braunschweig seine schriftlichen Arbeiten zum Staatsexamen ein; aber vor der mündlichen Prüfung erkrankte er und, obwohl jene Arbeiten sehr gut beurtheilt waren und er von [55] Michaelis bis Weihnachten 1839 am Obergymnasium in Braunschweig mit gutem Erfolge unterrichtet hatte, so hat er sich zu einer Vollendung der Prüfung in der Folge niemals entschließen können Er verzichtete auf jede Anstellung und führte seitdem „das unstäte Leben eines fahrenden Scholaren, eines mittelalterlichen Vaganten“. Ihn beseelte ein unbändiges Freiheitsgefühl, das keinerlei Zwang sich unterwerfen wollte, selbst nicht im Hinblick auf die Eltern, denen es schwer fiel, neben den jüngeren Brüdern auch ihn noch zu unterstützen, das ihn aber andererseits nicht abhielt, von alten und neuen Freunden und Bekannten allerlei Wohlthaten in Empfang zu nehmen. Erleichtert hat ihm diese völlige Ungebundenheit des Lebens seine erstaunliche Bedürfnißlosigkeit, besonders nachdem er mit bewundernswerther Willenskraft seiner körperlichen Gebrechen, wie der Gicht, gegen die er 1842 Elgersburg besuchte, Herr geworden war. Er trieb in Leipzig und Berlin medicinische Studien, beschäftigte sich auf das eifrigste mit Hygiene und Diätetik, ward so zunächst sein eigener Arzt und suchte dann die Erfahrungen, die er an seinem schwächlichen, aber durch planmäßige Uebungen und feste Lebensweise gekräftigten Körper gemacht hatte, auch für Andere nutzbar zu machen. In dieser Absicht schrieb er das Volksbuch: „Ower de kunst, jesunt te sin“, das 1846 bereits in zweiter Auflage erschien. In diesem Jahre, wo er wieder in Braunschweig als Privatlehrer weilte, entfaltete er überhaupt eine rege litterarische Thätigkeit; er ließ zwei plattdeutsche Gedichtsammlungen: „Scheppenstiddische Streiche“ und „Immen“ erscheinen, daneben in vollendeter Form griechische und lateinische Oden und Epigramme („Nuces amarae quas collegit E. Texicephalus“), eine Schrift über die „Jesuitengräuel in der Schweiz“ u. a. Auch für Zeitschriften und Zeitungen war er thätig, vorzüglich in den folgenden Jahren, wo ihn hauptsächlich die politischen Ereignisse und Bestrebungen in Anspruch nahmen. 1847 ließ er einen „Cypressenkranz auf das Grab Dr. Steinacker’s“ erscheinen. In dem wilden Jahre 1848 hat er dann als volksthümlicher Redner und Schriftsteller in Braunschweig eine große Rolle gespielt. Die Erfolglosigkeit der damaligen Versuche machte auf ihn, der seiner Sache in ehrlicher Begeisterung ergeben war, einen erschütternden Eindruck; dennoch hat er den Standpunkt von 1848 als großdeutscher Idealist sein Leben hindurch unentwegt festgehalten. Er begann nun wieder sein ruheloses Wandern. In den Jahren 1851 und 1852 hielt er sich in Vorsfelde auf, wo er die Kinder seines Freundes Grete erzog. Ebenso wirkte er 1853–1855 in Gerdeshagen bei Güstrow als Erzieher mit gutem Erfolge. Ganz besonders waren es schwach begabte und auch körperlich zurückgebliebene Kinder, die er mit liebevoller Sorgfalt zu fördern verstand, und die mit inniger Dankbarkeit an ihm hingen. Auch manche Eltern hat er sich dadurch verpflichtet, was ihm auf seinen ausgedehnten Reisen vielfach zu Gute kam. Im J. 1856 gedachte er im Lübeckschen, wo er den zweiten Fischerbuden gepachtet hatte und am 21. Oktober 1856 Bürger geworden war, eine Erziehungsanstalt zu begründen; aber der Plan kam nicht zur Ausführung. Um den Anfang des Jahres 1857 schloß er mit Auguste Müller, der Tochter des Gutsbesitzers Rudolf Müller in Brandenbaum bei Lübeck, eine unglückliche Ehe, die nach etwas über Jahresfrist wieder getrennt wurde. Auch mit seinem landwirthschaftlichen Unternehmen hatte er kein Glück, und er zog nun wieder unstät von Ort zu Ort, 1859 nach Hildburghausen, 1860 nach Coburg, 1862 nach Gotha, dann nach Keilhau bei Rudolstadt, wo er an der Fröbel’schen Erziehungsanstalt, 1864 nach Meersburg, wo er an der Seemannsschule unterrichtete, 1865 nach Leipzig. Nirgends litt es ihn lange. Eine glückliche Zeit verlebte Sch. in Zürich (1867–1874), auch in Rom, wo er viel in Künstlerkreisen verkehrte. Italien hat er wiederholt, zuletzt [56] wohl 1880, aufgesucht; in ausgedehnten Wanderungen hat er das Land wie auch Skandinavien und Großbritannien durchstreift. Vorübergehend hielt er sich zwischendurch wieder in Braunschweig auf, bis das Alter ihn überwand und er die letzten Jahre still und zurückgezogen bei Verwandten in Bevern verbrachte, wo er nach langem, schmerzvollem Krankenlager am 18. Mai 1896 einem Schlagflusse erlag.

Sch. war ein Mann von ungewöhnlichen Anlagen, der als Philologe gewiß Hervorragendes hätte leisten können, wenn er sich selbst zu sammeln und seine Kräfte und Neigungen zu zügeln und zusammen zu halten verstanden hätte. Er besaß ein umfassendes Wissen und eine gute Darstellungskunst; aber es fehlte ihm die Ausdauer, seine Gaben für eine Aufgabe zu concentriren und in einem ausgereiften Werke voll zum Ausdrucke zu bringen. Er beschäftigte sich unablässig mit Plänen und Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft, Kunst, Technik und Gewerbe, stets originell und geistvoll, aber fast niemals mit einem wirklichen, bleibenden Ergebnis. Am meisten werden sein Gedächtniß seine plattdeutschen Gedichte erhalten, denen ein berufener Kenner, wie Klaus Groth, volle Anerkennung zollte, die aber dennoch eine größere Verbreitung niemals fanden.

Aus seinem litterarischen Nachlasse, der dem herzoglichen Landeshauptarchive zu Wolfenbüttel übergeben worden ist, hat einer Bestimmung des Verstorbenen gemäß Prof. Friedr. Cunze in Braunschweig in pietätvoller Freundschaft eine Auswahl getroffen und unter dem von Sch. selbst noch gewählten Titel „Kinder des Herzens“ eine Sammlung plattdeutscher und eine solche hochdeutscher Gedichte (Helmstedt 1897 und 1898) veröffentlicht, die das Fühlen und Denken, Wollen und Streben des eigenartigen, gutherzigen Mannes getreu wiederspiegeln. Als Sonderling erschien er später allen, die ihm begegneten, schon durch seine auffallende Kleidung und Haltung, in der er nicht ohne den Anschein von Eitelkeit durch die Vernachlässigung des Aeußeren an die cynischen Philosophen des Alterthums erinnerte. So hat denn dieses Leben, dessen Anfänge zu den schönsten Hoffnungen berechtigten, längst nicht die Früchte zur Reife gebracht, die man von ihm erwartet hatte.

Vgl. Friedr. Cunze im Braunschw. Magazin 1896, S. 109 ff. und in den Nachworten zu beiden Theilen von Schmelzkopf’s „Kinder des Herzens“. – Biographisches Jahrbuch I, 405 f.