ADB:Schnabel, Tilemann
Luther’s in Hessen. Ueber seine Herkunft und Jugendzeit haben wir keinerlei Nachricht. Nur soviel ist bekannt, daß er bereits 1512 Augustinermönch war: als solcher wurde er in diesem Jahre in Wittenberg immatriculirt; doch ist das Kloster, dem er zugehörte, im Album der Universität nicht verzeichnet. In Wittenberg erlangte er (11. September 1515) die theologische Doctorwürde und machte wohl auch die Bekanntschaft Luther’s, zu welchem er später in enge Beziehungen treten sollte. Nach beendigtem Studium begab er sich wahrscheinlich nach Rom. Näheres über diese Reise wissen wir nicht, doch spricht manches dafür, daß er enttäuscht zurückkehrte. Im Anfang der zwanziger Jahre finden wir ihn als Mitglied des Augustinerconvents zu Alsfeld in Hessen, wo er die Würde eines Ordens-Provinzials bekleidet haben soll. Hier predigte er öffentlich und mit so großem Erfolge gegen die Mißbräuche der Kirche, daß bereits 1522 die ganze Stadt für die neue Lehre gewonnen war; allein Landgraf Philipp, der, wie erzählt wird, während seines Aufenthaltes in dem benachbarten Romrod Kunde hiervon erhielt, untersagte ihm das Predigen (vermuthlich 1523). S. fügte sich zwar, legte aber die Kutte ab und begab sich nach Wittenberg zu Luther, bei dem er einige Zeit verweilte, bis er eine Predigerstelle zu Leisnig a. d. Mulde annahm. Hier fand er sehr ungünstige Verhältnisse vor, da seine kärgliche Besoldung nicht einmal zur Befriedigung der nöthigsten Bedürfnisse ausreichte. Seine lebhaften Klagen veranlaßten Luther, sich bei Spalatin für S. zu verwenden; jedoch läßt sich nicht ermitteln, ob diese Bemühungen Erfolg hatten. Inzwischen war in Hessen die Reformation eingeführt worden, und als Philipp die Bewohner von Alsfeld zur Belohnung für ihre im Bauernkriege bewiesene Treue aufforderte, sich eine Gnade auszubitten, äußerten diese den Wunsch, S. möge bei ihnen zum Pfarrer bestellt werden. S., der anfangs nicht sehr geneigt war, dem an ihn ergangenen Rufe zu folgen, ließ sich jedoch durch Luther bestimmen, nach Alsfeld zurückzukehren. In Hessen förderte er dann im Verein mit Männern wie Adam Kraft, Johannes a Kampis, Erhard Snepf u. a. die neue Lehre und war durch Theilnahme an den Synoden u. s. w. für die Organisation der hessischen Kirche in hervorragender Weise thätig. Dabei blieb er in enger Verbindung mit Luther. Als im J. 1531 Superintendenten eingesetzt wurden, bekam S. die Diöcese Alsfeld, die er bis 1541 verwaltete. Krankheit [82] hinderte ihn dann, das beschwerliche Amt weiterzuführen, und Johannes Pistorius, Pfarrer zu Nidda, wurde in diesem Jahre sein Nachfolger; das Pfarramt behielt S. bis zu seinem am 27. September 1559 erfolgten Tode, mußte jedoch, da er immer schwächer wurde und schließlich die Sprache verlor, in Justus Vietor einen Gehülfen annehmen. – S. war eine tüchtige, praktische Natur voll Willenskraft und stand bei seinem Landesherrn und seinen Amtsgenossen in hoher Achtung. Auch seine Gelehrsamkeit wird von den Zeitgenossen gerühmt, doch ist nichts davon bekannt, daß er irgendwie schriftstellerisch thätig gewesen sei: sein mit anstrengenden Reisen verbundenes Amt mag ihm wohl wenig Muße für litterarische Beschäftigung gelassen haben. Von seinem Briefwechsel hat sich so gut wie nichts erhalten. Schnabel’s eifrige Thätigkeit für die kirchliche Organisation des Landes bezeugt unter anderm der Umstand, daß er auch dann noch, als er das Amt eines Superintendenten bereits niedergelegt hatte, an den Synoden theilnahm. Insbesondere ist er Mitverfasser eines Gutachtens, das im J. 1530 hessische Theologen dem Landgrafen über das Recht der Gegenwehr gegen den Kaiser ausstellten; 1537 nahm er an den Verhandlungen des Schmalkalder Conventes theil; zwei Jahre später verfaßte er im Auftrage Philipp’s mit andern bedeutenden Theologen eine Ordnung der Kirchenzucht für Hessen und gehörte zu den muthigen Geistlichen, die 1549 in Kassel zusammentraten und sich dem ausdrücklichen Befehle des damals in kaiserlicher Haft befindlichen Landgrafen entgegen der Einführung des Interims in Hessen energisch widersetzten. Dieses scheint die letzte Synode gewesen zu sein, die er besuchte; dann mag wohl zunehmende Schwäche seiner Wirksamkeit nach dieser Seite hin ein Ziel gesetzt haben.
Schnabel: Tilemann S., einer der ersten und eifrigsten Anhänger- Die genaueste Auskunft über Schnabel’s Lebensverhältnisse gibt W. G. Soldan, Zur Geschichte der Stadt Alsfeld (Progr. d. Gymnasiums zu Gießen 1862, S. 25 ff.), über seine Bedeutung für die hessische Kirche F. W. Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte im Zeitalter der Reformation I u. II. – Vgl. auch H. Heppe, Kirchengeschichte beider Hessen I, 119 f. u. 136, wo wie bei Soldan und Hassencamp die ältere Litteratur zu finden ist.