ADB:Pistorius, Johannes (evangelischer Theologe)

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Artikel „Pistorius, Johann der Aeltere“ von Johann Saß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 197–198, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pistorius,_Johannes_(evangelischer_Theologe)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 22:16 Uhr UTC)
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Pistorius: Johann P., der Aeltere. Der Name Pistorius (eigentlich Bäcker) ist ein theologischer und begegnet uns im Laufe des XVI. und XVII. Jahrhunderts an mehreren Stellen. Wir lesen von einem Theophilus, Theodorich, Konrad P.; sie wirkten als Prediger oder Superintendenten in verschiedenen Gegenden von Norddeutschland, der Letztgenannte in Mecklenburg, dann nach mancherlei Schicksalen in Braunschweig, wo er gestorben ist (abgesehen von zwei anderen etwas jüngeren Männern dieses Namens, welche der politischen Geschichte angehören). Bekannter als sie sind Vater und Sohn Johann P.; Beide waren begabte Männer und eifrige Theilnehmer an dem Kirchenstreit ihrer Zeit, beide viel gerühmt von ihrer Umgebung und Partei, aber von ungleicher Denkart; der Aeltere gemäßigt, friedliebend und darauf bedacht, selbst in verschiedenen Stellungen sich selber treu zu bleiben, der Andere unruhig, vielseitig, streitsüchtig und ehrgeizig; er verließ seine Heimath und bald auch seine Confession, das Andenken seines Vaters kann er nicht gesegnet haben.

Der ältere Johann, ein Hesse, dessen Geburtsort und Jugend wir nicht kennen, hat sich frühzeitig der protestantischen Richtung angeschlossen; er wurde Altarist zu Nidda im Hessischen, dann Prediger daselbst und Superintendent zu Alsfeld; daß er Maltheserritter gewesen, wird gesagt, aber auch bestritten. Als Theologe konnte er sich den durch Philipp den Großmüthigen vertretenen weitherzigen Gesinnungen vollständig anschließen. Der Landgraf schätzte ihn, er befreundete sich mit Melanchthon, der ihn mehrfach in seinen Briefen rühmend erwähnt, und mit Butzer, er verdient also den Namen eines Lutheraners im älteren Sinne und eines aufrichtigen Philippisten. Als solcher hat er sich an einer ganzen Reihe kirchlicher Convente thätig betheiligt; er war zugegen in Hagenau und Worms (1540–1541), wirkte neben Melanchthon und Butzer [198] und in Begleitung des Landgrafen auf dem Reichstage zu Regensburg (1541) und begab sich als Abgeordneter 1543 nach Köln, um das Unternehmen des dortigen Kurfürsten, das bekanntlich fehlschlug, zu unterstützen. Seine Bestrebungen blieben dieselben, als er 1557 dem Fürstentag zu Frankfurt und dem Religionsgespräch zu Worms beiwohnte. Der Einführung des Interims hatte er inzwischen einen, obwohl sehr maßvollen Widerstand entgegengesetzt. Da er außerdem mit Glück predigte und in Sachen der Verfassung, der Disciplin und des Cultus eifrig und geschickt mitarbeitete, so darf er für diese erste Epoche der hessischen Kirche als der bedeutendste Theologe gelten. Die älteren Bekenntnisse, verbunden mit der Wittenberger Concordie, genügten ihm, und in der Ueberarbeitung der Augsburgischen Confession von 1540 wollte er eine sachliche Abweichung von der ursprünglichen nicht anerkennen; damit stimmen die von ihm 1558 zu Ziegenhein und auf dem Naumburger Fürstentage von 1561 abgegebenen Erklärungen, welche sogar ein rühmendes Zeugniß für die reformirte Tetrapolitana enthalten, überein. In Straßburg war inzwischen die lutherische Lehre eingedrungen; Marbach und Pappus eiferten für sie, der Angefochtene war der gelehrte Zanchius. Ueber ihn und seine Prädestinationslehte lieferten die Marburger im August 1561 ein günstiges Votum; auch P. befand sich unter ihnen, obgleich er in einem folgenden Schreiben sich nur dahin ausdrückte, daß die Ansicht des Genannten „der heiligen Schrift nicht allerdings ungemäß sei“. Wenn ferner P. behauptete, daß im Abendmahl nicht bloße Zeichen, sondern Leib und Blut des Herrn dargeboten werden, so war das noch kein Abfall von Melanchthon, der ja ebenfalls die nur symbolische Deutung sich nicht angeeignet hatte. Dagegen verletzte ihn die entschiedene Sprache des Heidelberger Katechismus, er verwarf ihn, stellte sich also nach dieser Seite eine Grenze, welche auch in der vielleicht von ihm abgefaßten „letzten Antwort“ der Württemberger Theologen von 1566 aufgerichtet wird. Im folgenden Jahre starb Philipp der Großmüthige, die beiden ältesten Söhne theilten sich in die kirchliche Verwaltung und gelobten gegenseitige Duldung; dennoch erstarkten in Oberhessen und unter Landgraf Ludwig die streng lutherischen Begriffe immer mehr, bis dann durch Aegidius Hunnius eine Reaction herbeigeführt wurde, welche jedes friedliche Zusammenbestehen zweier ungleicher Meinungen ausschloß. Auch P. mußte von dieser Veränderung betroffen werden; er war und blieb ein Hasser der dogmatischen Subtilität und Disputation und der exclusiven Satzung, aber der Sache, sagte er, dürfe nichts vergeben werden. Und so entschloß er sich denn, 1576 die Lehrsätze des Torgischen Buchs, die Ubiquität mit einbegriffen, gut zu heißen, obgleich er die Gefahren einer solchen Normirung selbst anerkannte; erst das Bergische Buch hat er wieder abgelehnt. Was in ihm, dem redlichen Manne, vereinbar sein mochte, ließ sich darum nicht auf die Lage der Dinge übertragen; der Vorwurf der Inconsequenz konnte nicht ausbleiben. Auch das historische Urtheil über ihn ist dadurch unsicher geworden. Neuere Lutheraner wollen ihn natürlich nicht fallen lassen, von Vilmar ist er sogar zu den treusten und „festesten“(?) Bekennern der evangelischen d. h. der lutherischen Lehre in Hessen gezählt worden. – Er starb erst 1583, nachdem er schon drei Jahre früher von seinem Amte geschieden war. Freunde sagten von ihm, daß er mit hohen Geistesgaben seine kleine Leibesstatur überragt habe.

Melanchthons Aeußerungen über P. finden sich Corp. Ref. IV, pag. 289. V pag. 106. 112. IX, pag. 375. Uebrigens vergl. den Artikel von Tzschirner in der theol. Encyklopädie, 2. Aufl., woselbst auf Hassencamp, hessische Geschichte und Heppe, Geschichte der hessischen Generalsynoden verwiesen wird.