ADB:Zanchi, Hieronymus

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Artikel „Zanchius, Hieronymus“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 679–683, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zanchi,_Hieronymus&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 06:33 Uhr UTC)
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Zanchius: Hieronymus Z. (eigentlich Zanchi), reformirter Theologe, ausgezeichneter Dogmatiker, geboren am 2. Februar 1516 zu Alzano b. Bergamo in der Lombardei, † am 19. November 1590 in Heidelberg. Seinen Vater Francesco Terenzio Z., Lic. jur. zu Alzano verlor er schon in seinem zwölften Jahre durch den Tod. Derselbe hatte sich als Dichter und Geschichtsschreiber in seinem Vaterlande hervorgethan. Den ersten Unterricht hatte Z. bei seinem Vater genossen, hierauf bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahre die Schule seines Wohnortes besucht. Auf den Rath seines Oheims Eugenio Mozzi Morlotti, sowie dreier Vettern, welche alle der Congregation der regulirten Augustiner-Chorherrn angehörten, trat er nun in dieselbe zu Bergamo ein und betrieb mit großem Eifer das Studium der classischen Sprachen, des Aristoteles und der Scholastiker. Wenige Jahre später wurde er Chorherr zu Lucca, wo er durch Peter Martyr Vermigli, welcher im J. 1541 Prior des Klosters San-Frediano geworden, für die Idee der Reformation gewonnen wurde. Der Inquisition verdächtig floh er 1550 nach Graubünden, wo er sich acht Monate aufhielt, und dann nach Genf, wo er mit größtem Eifer die Vorlesungen und Predigten des großen Reformators Calvin hörte. Auf Betreiben Vermigli’s, der inzwischen nach Oxford gezogen, hatte Z. einen Ruf nach England erhalten. Im Begriffe, dahin zu reisen, kam ein anderer von Straßburg an ihn, als er sich eben bei [680] seinem Landsmanne und zukünftigen Schwiegervater Celio Secondo Curione zu Basel aufhielt. Im März 1553 trat er in Straßburg die Professur des Alten Testamentes mit einer Rede über den Beruf eines Lehrers der Theologie an. Weil er aber behauptete, derselbe bestehe darin, Gottes Wort rein, gewissenhaft und frei d. h. unabhängig von menschlicher Autorität auszulegen, so zog er sich gleich anfangs das Mißfallen des Präsidenten des Kirchenconvents, des Dr. Johann Marbach, der zugleich als Professor der College des Z. war, zu. Dieser, an der Spitze einer strenglutherischen Strömung stehend, welche das alte reformirte Bekenntniß Straßburgs, die Tetrapolitana, zu verdrängen suchte, entdeckte bald den Gegensatz, in dem sich Z. zu ihm befand. Zu offener Feindseligkeit zwischen beiden kam es jedoch erst, als Marbach gelegentlich der zu Ehren des am 19. April 1560 verschiedenen Melanchthon von dem Rector Johann Sturm veranstalteten Feierlichkeit die vor kurzem erschienene Schrift seines Freundes Tilemann Heßhus: Responsio ad praejudicium Malanchthonis de controversia Coena Domini in Straßburg mit falscher Angabe des Druckortes Magdeburg nachdrucken lassen wollte und Z. dafür Sorge trug, daß dieses Pamphlet voll Schmähungen auf den Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz, auf dessen Theologen und auf Melanchthon unterdrückt wurde. Von nun an suchte Marbach Z. überall zu verdächtigen und brachte es dahin, daß die weitere Ausgabe eines Werkes von Z. „de perseverantia“ ebenfalls verboten wurde. Bis dahin bestand in der Lehre der Praedestination in Deutschland wie in der Schweiz eine völlige Einhelligkeit. Jetzt trat Marbach als offener Gegner gegen dieselbe auf und suchte Z. als Irrlehrer bei seinen Zuhörern zu verdächtigen. Diesem, seit 1555 Kanonikus des Thomascapitels, stand treu sein Freund Sturm, der Propst des genannten Capitels war, zur Seite; er erlangte vom Magistrat die Bewilligung einer Disputation, in welcher Z. sich rechtfertigen könnte. Z. hatte die von den Gegnern angefochtenen Lehrpunkte, worunter auch seine Meinung, daß der Papst nicht der Antichrist sei, in vierzehn Thesen zusammengefaßt, welche er persönlich der theologischen Facultät zu Heidelberg und zu Marburg zur Begutachtung vorlegte. Beide billigten dieselbe. In Tübingen stimmte man allen zu bis auf die Unverlierbarkeit der Gnade. In der Schweiz fand er in Genf, Zürich und Schaffhausen volle Zustimmung, während Basel eine zweideutige Stellung einnahm. Die Sache von Z. ging nunmehr vom Capitel an den Magistrat über, der sie zu schlichten suchte. Zu Anfang des Jahres 1563 wandte man sich an Württemberg, Pfalzzweibrücken und Basel um Schiedsrichter. Leider berücksichtigte man nicht den Wunsch Sturm’s und Zanchius’, auch die reformirten Fürsten von Kurpfalz und Hessen-Kassel anzugehen. Von Tübingen kam Jacob Andreä; von Zweibrücken wurden die Räthe Wolf v. Kötteritz, Heinrich Schwebel und der Superintendent Cunmann Flinsbach geschickt; von Basel Simon Sulzer, Ulrich Köchlin (Coccius). Außerdem hatten sich noch der württembergische Rath Kilian Bertz und Daniel v. Renchen, Vogt von Neuenburg, eingefunden. Diese Commission verhörte nun mehrere Wochen hindurch beide Parteien, aber stets getrennt, so daß Z. verborgen blieb, was mit der Gegenpartei verhandelt wurde. Nach der Meinung der Schiedsrichter wäre eine Uebereinkunft in den strittigen Punkten mit Ausnahme des Artikels vom Abendmahl, wo es sich um die leibliche Gegenwart Christi handle, leicht zu treffen. Zuletzt legte man Z. einige Artikel über die Prädestination und das Abendmahl vor, und drängte ihn zur Unterschrift. In seiner Friedensliebe unterschrieb er dieselben nach längeren Erwägungen mit dem schriftlichen Zusatze: Hanc formulam ut piam agnosco, ita etiam recipio. So war ein äußerlicher Friede zu Stande gekommen. Als aber mehrere Monate später Z. beim kanonischen Examen zweier neuer Mitglieder des Capitels von St. Thomas [681] den Ausdruck „unsere Confession“ auf die Tetrapolitana bezog, brach der alte Streit von neuem los. Da kam eine Berufung nach Chiavenna im Veltlin, der Z. im November 1563 folgte.

Auch hier hatte Z. mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Sein College Simon Fiorillo neigte zu den antitrinitarischen Grundsätzen des Sicilianers Camillo, der wenige Jahre vorher in Chiavenna viele Verwirrung angerichtet hatte. Z. stieß auf großen Widerstand, als er strenge Kirchenzucht einführen wollte. Zu Anfang des Jahres 1564 brach die Pest dahier aus. Der Gottesdienst wurde, der Ansteckung zu entgehen, im Freien gehalten. Bei der Feier des Abendmahles brachte Jeder seinen eigenen Becher mit. Da die Seuche weiter um sich griff, ersuchten die Gemeindeglieder ihre beiden Pastoren, sich zurückzuziehen, um sich ihnen zu erhalten. Z. zog zu seinem Schwager Lorenzo a Lumaga in Piuri, dessen Schwester seit 1557 seine zweite Gattin war. Daselbst auf einem Berge wohnend, sammelte er das Material zu einer Geschichte seiner Streitigkeiten mit Marbach in Straßburg. Dieselbe wollte er in der Form eines Sendschreibens an den Landgrafen Philipp von Hessen darlegen und die wichtigsten Actenstücke in einem Anhange folgen lassen. Nach seiner Rückkehr nach Chiavenna vollendete er seine Schrift und gab sie an Oporin in Basel zum Drucke ab. Aus besonderen Gründen unterbrach er diesen Druck und ließ ihn nachher bei Crespin in Genf vollenden. Das Werk erschien 1566, als bereits der genannte Landgraf gestorben war, unter der Aufschrift: „Miscellanea theologica“.

Inzwischen war die Stellung seines Collegen Fiorillo in Chiavenna zu ihm immer feindseliger geworden. Derselbe verlangte jetzt Zanchius’ Absetzung. Vergebens suchte die rhätische Synode beide zu versöhnen. Z. wurde von seiner Gemeinde verabschiedet und begab sich im Juli 1567 nach Piuri, wo er zwei Monate später einen Ruf nach Heidelberg erhielt, um „die Summe der Theologie nach der heil. Schrift und den Kirchenvätern per locos communes“ zu lehren. Seine Antrittsrede hielt er daselbst am 12. Februar 1568 über die Nothwendigkeit, das Wort Gottes in seiner Reinheit zu bewahren. Am 21. Juni erwarb er sich, den Statuten der Universität zu genügen, die Doctorwürde in der Theologie, wobei er einige Thesen über die Nothwendigkeit der Kirchenzucht und der Excommunication vertheidigte. Dieselben fanden heftige Opposition bei dem theologisch gebildeten Arzte Erastus und den beiden Predigern Neuser und Sylvanus, welche in der Folge als Antitrinitarier sich bekannt machten. Neuser wurde in der Türkei Mohamedaner, Sylvanus wurde zu Heidelberg enthauptet im December 1573, nachdem er durch Z. im Gefängnisse zur Erkenntniß seiner Irrlehren gebracht worden war. Im letztgenannten Jahre hatte Z. auch ein Werk wider den Antitrinitarismus: „De tribus Elohim sive de uno vero Deo aeterno, patre, filio et spiritu sancto“ erscheinen lassen.

Der Tod des Kurfürsten Friedrich III. am 26. October 1576 und die durch dessen Nachfolger, den eifrigen Lutheraner Ludwig VI. inscenirte lutherische Reaction in der Kurpfalz nöthigte Z. mit den übrigen Koryphäen der reformirten Theologie der Universität, einem Boquinus, Tremellius, Olevianus, Ursinus, Tossans u. A. Heidelberg zu verlassen und im Gebiete des reformirten Pfalzgrafen Johann Kasimir, auf dem linken Rheinufer gelegen, eine Zuflucht zu suchen. Noch vor seinem Abschiede von der Neckarstadt nahm er aber Theil an dem Convente, der von genanntem Pfalzgrafen auf Veranlassung der die Reformirten aus der brüderlichen Gemeinschaft ausschließenden lutherischen Concordienformel auf den 26. September 1577 nach Frankfurt am Main berufen worden war. Mit Ursinus wurde Z. auf demselben ausersehen eine Harmonie der hauptsächlichsten Bekenntnißschriften beider evangelischen Kirchen aufzustellen. [682] Da Ursinus wegen seiner Kränklichkeit ablehnte, so verblieb Z. diese allein. Weil er aber darin die Behauptung aufstellte, daß die wahre Lehre, die reine Gottesverehrung und Verwaltung der Sacramente verloren gehe, wo man, wie in England, die ununterbrochene Succession der Bischöfe als wesentliches Merkmal der Kirche ansehe, so wurde seine Arbeit nicht angenommen. Pastor Salvard aus Castres führte nun solche aus. Z. gab später, 1586, seine Schrift als sein eigenes Glaubensbekenntniß unter dem Titel: „De religione christiana fides“ heraus.

Im Frühjahr 1578 wurde Z. an die eben gegründete Hochschule zu Neustadt an der Haardt berufen. Am 20. Mai begann er seine Vorlesungen an derselben als Professor der neutestamentlichen Exegese mit einer classischen Rede über die Nothwendigkeit, gelehrte Schulen zu eröffnen, als Schutz vor Barbarei und als das kräftigste Mittel, dem Staate und der Kirche zu dienen. Mehrere Berufungen kamen hier an Z., aber er lehnte sie alle ab. Immer mehr machten sich die Beschwerden des Alters bei ihm fühlbar. Als daher nach dem Tode des Kurfürsten Ludwig VI. die Neustadter Hochschule nach Heidelberg verlegt wurde, kam er um seine Emeritirung ein und blieb in Neustadt wohnen. Doch ließ er sich zu der im April 1584 zu Heidelberg zwischen lutherischen und reformirten Theologen stattgefundenen öffentlichen Disputation bewegen. So lange als möglich war er mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt. In den drei letzten Lebensjahren war er fast ganz erblindet und beinahe stets krank. So oft es seine leiblichen Umstände erlaubten, reiste er nach Heidelberg, um seine lieben Freunde zu begrüßen. Auf einer dieser Besuchsreisen überraschte ihn daselbst der Tod.

Das Symbolum Zanchius’ war: sustine et abstine. Sein Ansehen war unter seinen Zeitgenossen so groß, daß man ihn sowol in Gewissens- als Streitfragen theologischer Natur als Autorität ansah und sein Gutachten verlangte. Manche derselben treffen wir in seinen 1609 zu Hanau erschienenen „Epistolae“ an. Seine zahlreichen Schriften bilden noch heute eine Schatzkammer gründlicher theologischer Wissenschaft. Exegese und namentlich Dogmatik hat er mit philosophischem Talente bearbeitet. In der Philosophie folgte er Aristoteles. Wenn er auch der Theologie keine neuen Bahnen gewiesen, so hat er sich doch in dem Dogma der Prädestination, welche er mit seltener Gründlichkeit behandelte, als einen Meister bewiesen, worüber ihn die lutherischen Theologen seiner Zeit hart angegriffen haben. Seine Grabschrift in der Heidelberger Universitätskirche nennt ihn einen großen Theologen und Philosophen. Bayle nennt ihn einen der berühmtesten Theologen der Protestanten, Dr. A. Kuyper zu Amsterdam den größten Dogmatiker des 16. Jahrhunderts. Die Schriften Zanchius’ gaben nach seinem Ableben seine Söhne und Schwiegersöhne im Jahre 1605 bei Matth. Berjon zu Genf in 8 Theilen in Folio (2 Bde.) heraus. Eine vollständigere Ausgabe, mit Einschluß der orationes und epistolae des Z. erschien 1619 ebenfalls in 8 Theilen, aber in 3 Bänden bei Samuel Crespin in Genf. C. Schmidt hat ein Verzeichniß der Schriften desselben aufgeführt. Ein solches findet sich auch in unserer ausführlichen Lebensbeschreibung des Z. Lange noch nach dem Tode Zanchius’ fand man seine Schriften in den meisten reformirten Classicalbibliotheken in Deutschland vor.

Bayle, Diction. histor. et critiq. III. – J. Verheiden, Imag. et elogia praestant. theolog. Hagae Com. 1725. – Melch. Adam, Decades duae cont. vitas Theol. exteror. Francof. 1653. – Gir. Tiraboschi, Storia della Letteratura Italiana VII. Milano 1824. – P. Dom. Rosii Hist. Reformationis Eccl. Raeticar. I. Lindav. 1772. – Jo. Fechtius, Hist. eccl. Seculi XVI. Supplem. Durlaci 1684. – Corpus Reformatorum: Calvini [683] opera. Tom. XV, XVI, XVII, XVIII. – The Zurich Lettres II. Cambr. 1845. – J. Ph. Kuchenbecker, Analecta Hassiaca. Coll. VIII. Marb. 1732. – Alex. Schweizer, Die Centraldogmen der reform. Kirche I. Zürich 1854. – Memorie istoriche e letterarie della vita e delle opere di Girol. Zanchi dal conte e cavaliere Giambattista Gallizioli. Bergamo 1785. – C. Schmidt, Girolamo Zanchi in den Theolog. Studien u. Kritiken v. 1859. – Hieron. Zanchius von Fr. W. Cuno im Evangel. Sonntagsboten aus Oesterreich v. 1866 u. 1867, sowie im Amsterdamsch Zondagsblad v. 1889. – Derselbe, Zur Erinnerung an Dr. Casp. Olevianus. Barmen 1887. – Derselbe, Daniel Tossanus der Aeltere. Amsterdam 1898.