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ADB:Erast, Thomas

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Artikel „Erastus, Thomas“ von Wilhelm Gaß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 180–182, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Erast,_Thomas&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 13:18 Uhr UTC)
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Erastus: Thomas E. (Liebler), ein der Erinnerung würdiger Mann, war zu Auggen in der Grafschaft Badenweiler[1] drei Meilen von Basel im Jahr 1523 oder 24 von armen Eltern geboren. Sein Körper war gebrechlich, die rechte Hand namentlich zum Schreiben untauglich, aber Willenskraft und Ehrgeiz ließen ihn dieses Hinderniß wie das andere der äußeren Mittellosigkeit überwinden. Er begann seine anfänglich philosophischen und theologischen, dann medicinischen Studien in Basel, welche er hierauf, als die Pest daselbst ausgebrochen war, in Italien zu Bologna und Padua mit großer Ausdauer fortsetzte. Nach neun Jahren zurückgekehrt, finden wir ihn zuerst als Arzt am Hofe der Grafen von Henneberg, bald aber (1558) wurde er von dem Kurfürsten Otto Heinrich von der Pfalz als Professor der Medicin und kurfürstlicher Leibarzt nach Heidelberg berufen. Summa doctrina et peracri judicio medicum [181] nennt ihn Thuanus lib. XXXVI. Da er fortfuhr, sich mit Theologie und Schriftforschung zu beschäftigen und an den kirchlichen Zeitfragen Theil zu nehmen, so waren seine Interessen getheilt, aber sie blieben eifrig; was wir von ihm wissen, verräth einen selbständigen und streitlustigen Geist und starken Erkenntnißtrieb. Als Mediciner und Naturforscher vertheidigte er zwar die Hexenprocesse, bekämpfte aber die Astrologie und trat der damals aufkommenden Heilkunde des Paracelsus muthig entgegen; auch soll er in der ärztlichen Praxis tüchtig und glücklich gewesen sein. Als Theologe und Kirchenmann blieb er der in Basel empfangenen Richtung treu, er widerstand also der lutherischen Reaction und wirkte selber dazu mit, daß unter Friedrich III. der reformirte Charakter der Landeskirche zur Entscheidung kam. Diese Festigkeit erwarb ihm das Vertrauen des genannten Fürsten, von ihm wurde er daher 1564 als weltlicher Beirath oder Kirchenrath zu dem Colloquium nach Maulbronn abgeordnet. Auch hier hat er bei den Verhandlungen zwischen Pfälzern und Würtembergern über das Abendmahl durchaus den ersteren zur Seite gestanden, aber als Zwinglianer, nicht als Calvinist, so wie er auch in der anonymen Schrift „De coena Domini“ und in einer anderen gegen Marbach in Straßburg gerichteten: „Bestendige Ablehnung“, 1565, sich für den tropischen Sinn der Einsetzungsworte aussprach. Gleichzeitig gab ein Tübinger, Jakob Schegk, ebenfalls Philosoph und Mediciner, im Auftrage des Herzogs Christoph von Würtemberg 1565 eine Abhandlung heraus: „De una persona et duabus naturis Christi“, in welcher die lutherische Lehre von der Ubiquität der menschlichen Natur Christi im Sinne der Tübinger vertheidigt wurde. Dagegen trat E. in zwei Gegenschriften: „Declaratio Jac. Schegkii“, Gen. 1566 (anonym) und „Responsio ad libellum Schegkii.“, Gen. 1567. nicht ohne Erfolg auf, auch ein Genfer Theologe, Simon Simonius, mischte sich ein; Schegk sah sich zu einigen Zugeständnissen genöthigt, die er aber später zu Gunsten der lutherischen Erklärungsweise zurückgenommen hat. Wichtiger war eine andere praktische Controverse. Die Fragen über den Werth der Presbyterialverfassung und über Mittel und Grade der Kirchenzucht beschäftigten um 1568 lebhaft die schweizerische wie die pfälzische Kirche; auch die letztere war noch uneinig. Die strengere calvinisch gesinnte Partei, Olevian u. A. forderten Presbyterien mit ausgedehnten kirchlichen Vollmachten, die laxere, Zwingli zugeneigte, zu welcher E. gehörte, widersprach. Er verwarf den Kirchenbann und erklärte namentlich die Ausschließung vom Abendmahl für einen willkürlichen, von der alten Kirche aufgebrachten, aber weder aus der hl. Schrift noch aus dem Wesen der Handlung zu rechtfertigenden Mißbrauch; seine Gründe entwickelte er ausführlich und mit Scharfsinn in einer nach seinem Tode publicirten Schrift: „Explicatio gravissima quaestionis, utrum excommunicatio etc.“, 1589. Er geht darin von dem Gedanken aus, daß alle christliche Gemeinschaft auf Glauben und Liebe beruhe, auf Kräften, die menschlich weder entzogen noch gegeben werden; da nun auch der Gebrauch der Sacramente innerlich durch Glaube und Liebe bedingt wird, da er beide voraussetzt, aber auch beide erhalten und vermehren soll: so ist Niemand berechtigt, einen Andern und sei er auch ein Schuldiger und Strafwürdiger, vom Genusse derselben zurückzuhalten. Was Versöhnung mit Gott schafft, also den Zugang zum Heil zusichert und verbürgt, darf Keinem versagt werden. Diese Ansicht erregte Aufsehen und Widerspruch, doch blieb E. damit nicht allein; Bullinger und andere Schweizer äußerten ihren Beifall mit dem Bemerken, daß zwar die Disciplin nicht fehlen dürfe, aber jene Art des Bannes keinen nothwendigen Bestandtheil derselben bilde, noch die Wahrheit der Kirche von der Anwendung eines solchen Strafmittels abhängig sei. Dagegen schrieb Beza zu Gunsten der Excommunication: „De vera excommunicatione et christiano presbyterio“. Merkwürdig aber, daß E. von [182] derselben Strafe, gegen die er Andere sicherstellen wollte, nachher selbst getroffen wurde. Nach längerem Zögern wurde nämlich 1570 das Presbyterium und die Kirchenzucht dennoch, obwol mit gemilderten Formen, in die pfälzische Kirche eingeführt; als nun bei Gelegenheit der Untersuchungen gegen Neuser und Sylvanus der Verdacht socinianischer Meinungen auch auf E. fiel, wurde diesem für mehrere Jahre der Genuß des Abendmahls aberkannt, bis man ihn, nachdem er befriedigende Erklärungen gegeben, 1575 wieder zuließ. Uebrigens verließ E. 1580 Heidelberg, seine letzte Wirksamkeit fällt nach Basel, wo er seinen medicinischen und theologischen Unterricht fortsetzte und besonders auf Disputationen großen Werth gelegt haben soll. Er starb am 1. Jan. 1583 zu Basel, wo ihm auch ein ehrendes Denkmal gesetzt wurde. Arme Heidelberger Studirende, wenn sie in der reinen reformirten Lehre unterwiesen würden, hatte er mit einem Stipendium bedacht. Seine medicinischen Opuscula („De nova medicina“, „De lamiis“, „De putredine“, „De astrologia“, „De auro potabili“ etc.) erschienen gesammelt Francof. 1590. Die von ihm eingenommene kirchliche Parteistellung sicherte sein Andenken, in England nannte man ihn als den Repräsentanten derer, welche aller Hierarchie und kirchlichen Strafdisciplin abhold die Kirche durchaus der Staatsregierung unterwerfen wollten, als Vertreter des Territorialismus. Eine gleichgesinnte englische und schottische Kirchenpartei des folgenden Jahrhunderts hat sich den Namen Erastianer beigelegt.

Vgl. Adami Vitae Germanorum medicorum, p. 107. G. Schenk, Bibliotheca medicorum. Kestner, Medicinisches Gelehrtenlexikon. Walch, Einleitung in die relig. Streitigk. außerhalb der luther. K. III. S. 314. IV. S. 314. Schönmetzel, Th. E. in Wundt, Magazin f. d. K. G. der Pfalz, II. S. 210. Vierordt, Geschichte der Reform. in Baden, 1847, S. 456. 474 ff.; endlich den Artikel von Lechler in Herzog’s Encyklopädie.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 180. Z. 11 v. u.: Nicht „Auggen in der Grafschaft Badenweiler“, sondern Baden im Aargau ist der unzweifelhafte Geburtsort Erast’s. Schon J. W. Herzog’s Athenae Rauricae (Basel 1778, S. 427) geben letzteres als solchen an und zwar mit Berufung auf die Baseler Universitätsmatrikel und auf die Grabschrift Erast’s. Den Wortlaut beider habe ich in der „Argovia“ (XII. Bd., Aarau 1881, S. 69 f.) mitgetheilt. Die Matrikel, in die er am 10. October 1542 eingetragen wurde, nennt ihn „Thomas Lüberus, Badensis“; in der Grabschrift bei J. Tonjola (Basilea Sepulta retecta continuata, Basel 1661, S. 133) heißt er: „Helvetus Aquensis Thomas Erastus“. Zu diesen Zeugnissen kommt noch dasjenige des Bonifacius Amerbach, der an seinen Sohn Basilius nach Bologna schreibt: „Qui has (sc. litteras) tibi reddit, Thomas Luberus est Badae Helvetiorum natus“ (A. Teichmann, Bonifacii et Basilii Amerbachiorum epistolae mutuae, Basel 1888, S. 29). – Auch hinsichtlich des Geburtsdatums sollte man an der Angabe der sonst zuverlässigen Athenae Rauricae – 7. September 1524 – festhalten. (Rud. Thommen, Gesch. der Universität Basel 1532–1632, Basel 1889, S. 280, Anm. 1.) [Bd. 29, S. 774]