ADB:Spalatin, Georg
Friedrich des Weisen vermittelte er dessen Verkehr mit den bedeutendsten Humanisten und Gelehrten der Zeit, namentlich mit Luther; in seiner kirchlichen Thätigkeit als Visitator und Superintendent war er um die Ausbildung der Verfassung und Verwaltung der jungen sächsischen Landeskirche erfolgreich bemüht, wie er als Geschichtschreiber seiner Zeit uns werthvolles, aus eigener Anschauung und sicheren Quellen geschöpftes Material hinterlassen hat, das erst zum Theil von der Forschung verwerthet worden ist.
Spalatin: Georg S. (Burkhard), sächsischer Humanist, Geistlicher und Geschichtschreiber der Reformationszeit, gehört zu den Männern, die, obwohl selbst nicht geistig hervorragend, durch die Förderung, die sie den führenden Geistern ihrer Zeit zu theil werden ließen, sich ein Anrecht auf den Dank der Nachwelt erworben haben. Als Vertrauter KurfürstIm J. 1482 (1484?) wurde Georg S. zu Spalt in der Nähe von Nürnberg geboren. Der Vater war Rothgerber und führte den Namen Burkhard. Wiewohl die Familie nicht unvermögend gewesen zu sein scheint, so hielt es der Sohn in seiner Gutmüthigkeit für seine Pflicht, sie, namentlich seinen Bruder Stephan, über seine Kräfte hinaus in einer Zeit zu unterstützen, wo er, erst an den kurfürstlichen Hof gekommen, mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Dieser opferwillige Familiensinn fand um so weniger die Billigung der Freunde, als ihre eigenen Forderungen trotz alles Mahnens lange nicht befriedigt wurden. Von seinem Heimathsorte nahm S. den Namen Spalatinus (ursprünglich Spaltinus, Sphaltinus) an, wie er in Humanistenkreisen wohl auch Noricus genannt wurde. Denn nachdem der Knabe die Stiftsschule seiner Vaterstadt besucht hatte, kam er 1497 auf die St. Sebaldusschule in Nürnberg. Die freie Reichsstadt, die ein Mittelpunkt deutschen, ja europäischen Handels geworden war, mit starkem städtischen Selbstbewußtsein nationalen Stolz vereinigte, bei streng kirchlicher Frömmigkeit sich einen freieren Sinn wahrte und zahlreiche Vertreter der verschiedenen Wissenschaften und Künste in ihren Mauern vereinigte, scheint auf den Knaben einen großen Einfluß ausgeübt zu haben. Die St. Sebaldusschule, in die er eintrat, hatte kurz zuvor in dem Münchener, an italienischen Mustern geschulten Humanisten Heinrich Grininger „einen Poeten zu Lehre, Zucht und Unterweisung“ erhalten. Wiewohl S. nur kurze Zeit seinen Unterricht genoß, hat er ihm eine dankbare Erinnerung bewahrt. Noch ein Jahrzehnt nach seinem Nürnberger Aufenthalte empfahl er seinen Lehrer zu einer Pfründe.
[2] Im Sommersemester 1498 bezog S. die Universität Erfurt und wurde als „Georius Borgardi de Spaltz“ von dem Rector Johannes Fabri de Bercka in die Matrikel eingetragen. Er bezahlte „Totum“, die volle Aufnahmegebühr, kam also nicht mittellos. Dem gewöhnlichen Studiengange gemäß beschäftigte er sich zunächst mit der Philosophie und erwarb sich 1499 [WS 1] die Würde eines Baccalaureus. (Ueber die Lehrer Schlegel S. 7. Köstlin, M. Luther I², 41.) Als aber im J. 1502 die Universität Wittenberg gegründet wurde, wandte sich der wanderlustige Humanistenschüler mit dem verdienten Vertreter griechischer und geschichtlicher Studien, Nicolaus Marschalk, mit dem er als Amanuensis in persönlichem Verkehr gestanden, auch eine Schrift herausgegeben hatte, nach der neuerrichteten kurfürstlichen Hochschule und erwarb sich bei der ersten Promotion den Magistertitel. Jedoch verließ er, wie sein Lehrer, Wittenberg bald wieder. Während jener sich dem Norden zuwandte, und erst später als mecklenburgischer Gesandter am kurfürstlichen Hof seinen Schüler wiedertraf, kehrte dieser nach Erfurt zurück und nahm hier nach Vollendung seiner Studien eine Stellung als Erzieher in einer angesehenen Familie an. Mit Vorliebe scheint sich der Student humanistischen Studien zugewendet zu haben. Er ist eng mit jenem jugendlichen Kreise befreundet, der die Verbreitung der classischen Wissenschaften auf seine Fahnen geschrieben hatte, namentlich besaß er in Conrad Mutianus Rufus einen väterlichen Freund und Gönner. Bereits 1502 hatte ihn Nicolaus Marschalk an den Patron der Poetenschaar empfohlen. Erst im December 1504 erwähnt Mutian in einem Briefe an den Straßburger Rechtslehrer Thomas Wolf einen Besuch des jungen Magisters. Aber bereits im folgenden Jahre trat der Jüngling in den Freundschaftsbund ein, der, wie es scheint, erst vor kurzem zwischen dem Hausverwalter des Klosters Georgenthal, Heinrich (Fastnacht) Urbanus und Mutian geschlossen worden war. Namentlich rühmt letzterer den Schützling in einem Tone, der selbst bei der Humanisten und besonders Mutian’s mit dem Lobe nicht kargender Weise auf ein vertrautes Verhältniß und hohe Werthschätzung schließen läßt, als es sich darum handelte, dem Freunde zu einer gesicherten Lebensstellung zu verhelfen.
Bereits im Frühling des Jahres 1505 (Krause, Der Briefwechsel des Mutianus Rufus, S. 6 ff.) hatte Mutian im Hinblick auf die herrschende Verachtung der humanistischen Wissenschaften S. gerathen, sich der juristischen Laufbahn zuzuwenden oder Geistlicher zu werden. Als sich nun im Sommer die Aussicht auf eine Präceptorstelle im benachbarten Kloster Georgenthal eröffnete, da war der Gönner unermüdlich in Empfehlungen, „im Bitten, Flehen, Drängen“. Er hebt seines Schülers Gewandtheit in der Handhabung der lateinischen Sprache hervor, die für jegliche Art der Studien überaus nöthig sei. Er rühmt ihn als deutschen Stilisten; habe dieser doch seine Bildung in der Stadt Nürnberg erhalten, deren Sprache „unter den deutschen Stämmen als die eleganteste gelte“. Beide Sprachen beherrsche S. mit einer Sicherheit, daß er sich unter den Zeitgenossen auszeichne. Dazu schreibe er eine zierliche Handschrift; kurz in jeder Beziehung könne er es mit Wimpheling aufnehmen, nur im Alter nicht. Auch die Sittenreinheit, Charakterfestigkeit und Bescheidenheit wird hervorgehoben. Freilich mancherlei Schwierigkeiten waren zu überwinden. Namentlich scheint ein älterer Lehrer heftigen Widerstand entgegengesetzt zu haben, zu dessen Ueberwindung Mutian seinem Freunde Urban nähere Anweisungen gab. Endlich war die Wahl zu Spalatin’s Gunsten entschieden und dieser dadurch in den Stand gesetzt, einen Ruf als Stadtschreiber nach Zwickau abzulehnen. Im Juli 1505 war die Angelegenheit geordnet; aber noch vergingen mehrere Monate, ehe der junge Lehrer sein Amt antrat. Mutian beglückwünschte die Novizen, denen es vergönnt sei, den Unterricht eines solchen Präceptors zu genießen. Mit prophetischem [3] Blicke schaute er in eine Zeit, wo Georgenthal wegen der Pflege der Wissenschaften unter die berühmtesten Klöster Deutschlands gezählt werden würde.
Mutian hatte gewünscht, den Schützling möglichst in der Nähe zu behalten, um mit ihm recht häufig verkehren zu können. So sehen wir denn beide häufig in trauter Gemeinschaft in der „Beata Tranquillitas“ zu Gotha, die mit ihrem Spruche: „Bonis cuncta pateant“ das gastliche Heim aller Jünger des Humanismus war. Als in Georgenthal die Pest ausbrach, lud Mutian seinen Günstling nach Gotha ein, um ihn außer Gefahr zu wissen. Ein andermal bedauert er, ihn nur so kurze Zeit bei sich behalten zu dürfen; er würde ihn nicht fortgelassen haben, wenn er nicht den Zorn des Abtes Duronius gefürchtet hätte. Natürlich verweilten die beiden viel in der im oberen Stockwerke gelegenen Bibliothek. Hier legte S. den Grund zu der Bücherkenntniß, die ihm später zu statten kommen sollte. Für die Zeit der Trennung verband die Freunde ein reger Briefwechsel, der um so häufiger wurde, als S. mit dem dritten Genossen im Bunde, Urban, „unter einem Dache“ wohnte, ja mit ihm auch gemeinsame Studien trieb. Letztere wandten sich der amtlichen Beschäftigung gemäß der Theologie zu. Die Kirchenväter spielten eine große Rolle. Mutian empfahl dem jungen Novizenlehrer, den Schülern die Regel des heiligen Benedict, „cucullati Pythagore“, zu erklären, was mit Genehmigung des Abtes auch geschah (Gillert I, 53). Auch zu selbständigen Arbeiten suchte er die Freunde anzuregen. Freilich scheint wenigstens Urban das Verständniß für schwierigere philosophische und theologische Fragen gefehlt zu haben, wie er selbst später S. gesteht (Gillert, Mutian II, 300. Kawerau in der Theol. Lit-Zeitung 1891, Nr. 25, Sp. 625). Die humanistische Bücherliebhaberei bildete natürlich den Gegenstand eifriger Unterhaltung. Die Klosterbibliothek enthielt manches Gute, Mutian bat sich aus ihr Handschriften aus. Vorwiegend kamen die Büchersendungen aus Gotha. Wir sehen Mutian Freudenthränen wegen eines Büchergeschenkes vergießen.
Daneben finden wir die persönlichen Erlebnisse und Stimmungen, rührende Freundschaftsversicherungen und kräftige Verwünschungen der Gegner in den Briefen. Hatte doch auch S. als „Poet“ von solchen zu leiden. Da tröstet ihn Mutian und richtet ihn auf; er verweist den Schüler auf die Anerkennung, deren sich dieser erfreuen durfte. Vor kurzem hatte das Kloster Georgenthal das Patronat über die Pfarrei Hohenkirchen erlangt. Im Februar 1507 bittet Mutian seinen Freund Urban, „den Ulysses in der Kapuze“, S. diese Pfründe zu verschaffen und kurze Zeit darauf kann er ihn nicht nur wegen seines Briefstils, sondern wegen dieses neuen Beweises praktischer Freundschaft rühmen. S. ließ die Pfarrei durch einen Vicar verwalten, mit dessen Verhalten freilich die humanistischen Freunde nicht immer zufrieden waren.
Drei Jahre blieb S. in Georgenthal. Da wurde er kurz vor Michaelis 1508 an den kurfürstlichen Hof als Prinzenerzieher berufen, in eine Stellung, die ihn und seine Freunde mit hoher Befriedigung erfüllte. Hatten doch die Humanisten die Fürstenerziehung besonders im Auge, da sie ihnen persönliche Vortheile und ihrer Wissenschaft die Anerkennung der maßgebenden Kreise sicherte. So preist Crotus Rubianus Spalatin’s seltenes Glück, „am Hofe weilen, die Hochachtung der fürstlichen Personen genießen, eine angesehene Stellung unter den Trägern des Purpurs haben zu dürfen“ und Mutian sagt ihm großes Glück voraus, wenn er den drei höfischen Gefahren, „dem Schmeichler, Neider und Verleumder“, entgehen könne. Man rühmt ihn als „praefectus thesauro ducali, haeredi et successori principalis fortunae“.
Als S., dessen Unersetzbarkeit Mutian mehrfach hervorhob, sich mit einer [4] Messe in der St. Gangolfscapelle, deren Pfründe er besaß, von dem stillen Georgenthal verabschiedet und den Unterricht bei dem Sohn des Kurprinzen, Herzog Johann Friedrich, und seinen sechs Mitschülern in Torgau übernommen hatte, stellten sich seiner Anerkennung verschiedene Hindernisse in den Weg. Lag doch in Spalatin’s Persönlichkeit mancher Zug, der der höfischen Umgebung auffiel. Bereits bei Gelegenheit seines Vorschlages für Georgenthal hatte Mutian alle Mühe gehabt, das unscheinbare Aeußere zu entschuldigen. Später stellte sich, was dem Gönner bisher unbekannt geblieben war, der Makel unehelicher Geburt heraus, der durch ein päpstliches, lange Zeit mit ängstlicher Unruhe aus Rom erwartetes Diplom gut gemacht wurde. Dazu bestand eine Spannung zwischen S. und dem Gouverneur, der in höherem Alter stand, den Wissenschaften wenig günstig und für andere Anschauungen unzugänglich war. Vielleicht bestand auch schon damals am Hofe eine Partei, die mit Geringschützung auf die „Schreiber“ herabsah und den neuen Vertreter des „Lathins“ wenig entgegenkommend behandelte. Außerdem hatte der neue Lehrer in seiner Begeisterung und Gewissenhaftigkeit sich und dem fürstlichen Schüler zu viel zugemuthet, sich dadurch eine Krankheit und die Verstimmung des Hofes zugezogen. In einem ausführlichen Schreiben tadelt infolge dessen der unermüdliche Mutian Spalatin’s Methode, der den ganzen Tag unter den Knaben zubringe und keine Erholung gestatte. „Fürstensöhne müßten in ganz anderer Weise erzogen werden.“
S. scheint dieser Kritik gegenüber nicht ohne Empfindlichkeit gewesen zu sein. Als er immer wieder jammerte, tadelte ihn Mutian. verspottet ihn auch in einem Gedichte und tröstete ihn damit, daß er am Hofe ja auch Gönner gefunden habe, ja von seinem Kurfürsten „wie ein Sohn“ geliebt werde. Wie Friedrich „den Magister“ schätzte, so stand dieser auch in späteren Jahren immer in freundlichen Beziehungen zu den einzelnen Hofbeamten. Von Degenhard Pfeffinger, der im übrigen als Vertreter mittelalterlicher Frömmigkeit erscheint, wurde er zuerst gelobt, Bernhard v. Hirschfeld nannte er seinen „besonders geliebten Freund“, den Hofmarschall Hans v. Dolzig rühmte er bei Gelegenheit der Widmung einer Schrift („Seer trostliche christliche Sprüche“) „als Gedenckzeichen empfangener Wohlthat“, daß dieser ihm während der Regierung dreier Fürsten „viel ehrlichen, freundlichen und günstigen Willens erzeigt und noch“, mit Johann v. Minckwitz führte er namentlich später in Bibliotheksangelegenheiten einen eingehenden Briefwechsel, zu dem Kanzler Christian Bayer stand er freundschaftlich. Namentlich mußte er auch D. Gregor Brück bei Verfolgung der zielbewußten, vorsichtigen und überzeugungstreuen Politik mit seinem theologischen, juristischen und namentlich geschichtlichen Wissen, wie seiner vielverzweigten Personalkenntniß ein geschätzter Helfer werden. (Ueber andere Hofleute vgl. Wagner, S. 68.)
So durfte sich der „paedagogus“ nicht nur bald in seinem Amte des Vertrauens erfreuen, sondern trat infolge seiner Vielseitigkeit sehr bald zu dem Fürsten in mannichfache persönliche Beziehung. Er wurde zu Uebersetzungen herangezogen, die der Kurfürst zum Theil immer bei sich führte. Er bekam von diesem bereits 1513 den Auftrag, sächsische Annalen zu schreiben, bezüglich deren freilich ein neidischer Hersfelder Schulmeister, Schallus, die Anregung für sich in Anspruch nahm (Krause, Mutians Briefwechsel, S. 363 ff., 426). Er ist auch als Geistlicher thätig, so bei Gelegenheit der Feier einer Hochzeit am Hofe. Wie er schließlich das überall brauchbare Factotum wurde, geht aus den zahlreichen Titeln hervor, die wir auf den Aufschriften der an ihn gerichteten Briefe finden. Neben den geistlichen Amtsgeschäften war er als Geheimsecretär, Geschichtschreiber, Bibliothekar und Archivar thätig. Einen Beweis für das [5] Vertrauen, das er genoß, dürfen wir u. a. auch darin erblicken, daß ihm die Ausarbeitung der Vorschläge für die Verleihung der kurfürstlichen „Primariae Preces“ übertragen wurde. Am 4. November 1521 hatte Karl V. dem Kurfürsten 12 Stellen bestätigt und ihm die Vergebung anheimgestellt. Ein im Dresdner Hauptstaatsarchiv erhaltenes Actenstück (Loc. 8917. Schrifften und Verzeichnus betr. die Primariae Preces) gestattet uns einen Einblick in die Entstehung der Vorschläge und in die überaus sorgsame und peinliche Art und Weise der Arbeitsweise ihres Verfassers. Immer von neuem besserte er an der Zusammenstellung der Namen. In immer neuer Fassung, in deutscher und lateinischer Sprache, auf Bogen großen und kleinen Formats werden sie abgeschrieben. Aus den an S. gerichteten Bittgesuchen geht hervor, daß man von ihm die Entscheidung über die Personen erwartete. Unter den Vorgeschlagenen finden sich Geistliche und Gelehrte, die zu dem kurfürstlichen Hofe Beziehungen hatten, natürlich auch Humanisten, wie Konrad Mutianus und Johannes Aesticampianus; auch Spalatin’s Diener, Heinrich Cusfeld, wird nicht vergessen.
Vor allem war der Geheimsecretär der Vermittler zwischen Wittenberg und dem Hofe. Je verwickelter die Frage bezüglich der Behandlung der Luther’schen Angelegenheit war, um so schwerer mußte der Rath des kurfürstlichen Rathgebers wiegen, der als Theologe, Humanist und Jurist (vgl. über seine jurist. Studien z. B. Gillert, Mutian. I, 227) auf den verschiedenen wissenschaftlichen, in betracht kommenden Gebieten völlig zu Hause war und gleichzeitig über eine sehr gewandte Feder verfügte. Es würde über den dieser Skizze zugemessenen Raum weit hinausgehen, sollten die überaus verwickelten Verhandlungen hier Schritt für Schritt auch nur in großen Zügen behandelt werden. Verwiesen sei auf die neueren Darstellungen von Luther’s Leben. Völlige Klarheit wird freilich erst eine auf gründlicher Benutzung des Briefwechsels und Actenmaterials aufgebaute Lebensbeschreibung des um das Verständniß und den Schutz der reformatorischen Bewegung hochverdienten Mannes schaffen. Mochte S. auf dem abgelegenen Jagdschlosse Lochau als Prediger und Rathgeber des Kurfürsten einen großen Einfluß besitzen, so kam hinzu, daß er den entscheidenden Reichstagen und Fürstenzusammenkünften der Zeit beiwohnte und mit den einflußreichsten Personen verkehrte. Zu Augsburg, wo er übrigens Melanchthon kennen lernte, war er jedenfalls bei den Verhandlungen mit Cardinal Cajetan betheiligt. Auf seinen Standpunkt können wir schon daraus schließen, daß er hier eine Luther’sche Schrift zum Druck beförderte. Bei der Unterredung Luther’s mit Karl v. Miltitz zu Altenburg hatte er seine Hand im Spiele. In seinem Hause fand die scheinbar so erfolgreiche Verhandlung statt. Auch regte er hier seinen Freund zu einer erweiterten Fassung seiner Schrift über die Beichte an, die ja mit den hier zur Verhandlung stehenden Fragen im engsten Zusammenhange stand. Der Leipziger Disputation wohnte er nicht bei. Dagegen hatte er dem Altenburger Kanoniker, Veit Warbeck, Auftrag gegeben, möglichst schnell genauen Bericht zu erstatten. Als dieser säumig gewesen war, erinnerte er ihn an sein Versprechen, umsomehr da der Kurfürst mit großer Ungeduld die Nachrichten erwarte. (Ueber Aurifaber’s angeblichen Bericht an S. vgl. Seelheim S. 35.)
Im J. 1519 begleitete S. seinen Kurfürsten zur Kaiserwahl nach Frankfurt, im folgenden zur Krönung nach Köln. Einen Bericht über die Reise erstattete er noch während derselben an Mutian, dessen Heimath Homberg in Hessen er besuchte. Mit freudigem Stolze erzählte er von der Verehrung, die seinem Kurfürsten überall bewiesen würde, wie von der Hochachtung, mit der man von Luther sprach. Ebenso finden wir ihn 1521 in der Umgebung Friedrich’s des Weisen auf der Reise zu dem Wormser Reichstage, auf der er [6] ihm aus Luther’s Schriften vorlas. In der Reichsstadt war er Augenzeuge des bewegten Treibens der Reichsritterschaft, deren Vertreter Ulrich v. Hutten er kennen lernte. Hier nahm er auch an den Verhandlungen theil, die Luther’s wegen geführt wurden. Hier glaubte er auch (wohl durch Glapion) manches über die tieferen Gründe des Vorgehens Karl’s V. gehört zu haben. Der angeblich von ihm herrührende Bericht stammt nach Geß (Johannes Cochläus der Gegner Luthers, S. 13) aus einer Relation v. Watzdorf’s. Auch am Nürnberger Reichstage nahm S. theil. Der Kurfürst ließ es nicht an äußeren Gunstbezeigungen fehlen. So beschenkte er seinen Caplan alljährlich an seinem Geburtstage mit so viel rheinischen Goldgulden, als er Jahre erreicht hatte. Bezog dieser als „Edituus Sancti Gangolvi“ in Georgenthal noch eine gewisse Rente, so erhielt er, nachdem sich bereits 1509 eine Aussicht zerschlagen hatte, 1511 ein Kanonikat am St. Georgenstifte in Altenburg. Im J. 1523 kamen dazu die Einkünfte eines geistlichen Lehens zu Torgau zugleich mit einem Hause, dessen Besitz ihm bei der Visitation 1529 von Justus Jonas bestätigt wurde. Er veräußerte es 1533. In seinem Testamente bedachte ihn der Kurfürst mit einer Jahresrente von 160 Gulden, die Johann Friedrich mit einem Capital von 1600 Gulden ablöste.
Trotz dieser Anerkennung von seiten seines Kurfürsten fühlte sich S. von seiner Thätigkeit am Hofe nicht befriedigt. Namentlich klagte er, daß man an seiner Predigtweise vielerlei auszusetzen habe. Aber Luther, dem er sein sorgenvolles Herz ausgeschüttet hatte, beruhigte ihn, indem er ihn veranlaßte, wenigstens während der Lebensdauer des Fürsten in seiner Umgebung zu bleiben und die Sache des Evangeliums zu vertreten. Und daß er daraufhin nicht nur gezwungen blieb, sondern sich der ihm gestellten Aufgabe völlig bewußt war, geht aus dem wichtigen Antrage bezüglich der Gestaltung des kirchlichen Wesens hervor, den er dem Kurfürsten am 1. Mai 1525 überreichte.
Eine Entscheidung darüber konnte dieser nicht mehr treffen. Am 4. Mai Abends hatte sich sein schon seit längerer Zeit bedenklicher Zustand so verschlimmert, daß die Umgebung das Ende des geliebten Fürsten herannahen sah. S. bereitete den Kranken auf den Tod vor und stellte ihm eine Reihe von Sprüchen zusammen, die Friedrich zunächst noch selbst zu lesen versuchte, war auch am Nachmittage des 5. Mai bei dem Tode des fürstlichen Gönners zugegen. Mit Wehmuth gedachte er später am Sterbetage des Kurfürsten. Sein Briefwechsel bezeugt, wie er Freunden gegenüber sich gern über den edlen Charakter des verblichenen Gönners aussprach. Verwiesen sei u. a. auf den Brief an Justus Jonas (Kawerau, Jonas II, 95).
Jetzt sollte auch Spalatin’s lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehen, den Hof zu verlassen, indem ihm auf Luther’s, Melanchthon’s, Jonas’ und Agricola’s Vorschlag das angesehene Pfarramt zu Altenburg übertragen wurde. Nachdem sein Vorgänger, Wenzel Link, dem er drei Jahre früher zur Annahme der Stelle zugeredet hatte (Verpoorten, Sacra analecta p. 59), am 6. August 1525 „abgesegnet“ hatte, um in seine Vaterstadt Nürnberg zurückzukehren, traf S. am 25. August hier ein, vom Rathe mit der üblichen Spende an Bier und Wein begrüßt, und hielt am folgenden Tage, dem 9. Sonntage nach Trinitatis, seine Antrittspredigt. Eine vielseitige Aufgabe, deren Schwierigkeit er sich wohl bewußt war, wartete seiner. Galt es doch die Aufregung zu stillen, die infolge der Bauernunruhen auch das altenburger Ländchen ergriffen und bis in die Hauptstadt ihre Wellen geworfen hatte. Adel und Kirche waren schwer betroffen. Im Westkreise war durch Karlstadt’s Wirksamkeit in Orlamünde die Gährung schon seit längerer Zeit mehr und mehr gewachsen und Luther selbst hatte sich vergeblich bemüht durch persönliches Eingreifen die Aufregung zu beschwichtigen. [7] Im Ostkreise aber, in dem die Hauptstadt lag, waren drei förmliche Kriegslager errichtet worden, das stärkste zwischen Prisselberg und Mockzig, ein zweites bei Borna, ein drittes bei Frohburg. Auf dem Markttage zu Altenburg verbreitete man die Klagschrift, die auf einer stürmischen Versammlung zu Altenmörbitz beschlossen und schnell in die Dörfer verschickt worden war. Bald kam es zu Thätlichkeiten, die sich namentlich gegen den kirchlichen Besitz richteten. Im Kloster Schmölln wurden außer der baufälligen Kirche mehrere Wohngebäude zerstört, auf dem Lande mehrere Pfarrhäuser geplündert, in der Stadt Altenburg selbst die Wohnungen der Domherren des Georgenstifts und das Bergerkloster bedroht. Anfang Juli hielt Kurfürst Johann in seiner Residenz über die Aufständischen Gericht, wobei vier Rädelsführer enthauptet, vierzig Aufrührer des Landes verwiesen, die Uebrigen mit der Verwarnung, fernerhin nicht mehr die Waffen zu führen, entlassen wurden.
Die Thätigkeit des neuen Pfarrers wandte sich zunächst der Ausgestaltung der Gottesdienste im evangelischen Sinne zu. Bereits früher, am 11. Februar 1525, hatte S. als Kanonikus des reichen Georgenstifts auf dem Altenburger Schlosse die demselben angehörenden Domherren aufgefordert, den bisherigen Gottesdienst mit seinen Messen, Vigilien u. s. w. fallen zu lassen und dafür die christliche Messe nach Christi Einsetzung einzuführen. Sein Antrag war ebenso wie ein Gesuch des Rathes erfolglos geblieben. Dagegen wurde er, wie zwei seiner Amtsgenossen, vom Kurfürsten um seinen Rath angegangen, als sich die Domherren an diesen mit einer Beschwerde gewandt hatten. Die endgültige Entscheidung wurde später in der Kirchenvisitation getroffen. Je mehr Schwierigkeiten sich hier Spalatin’s Thätigkeit entgegenstellten, um so aufmerksamer verfolgte er die Wittenberger gottesdienstlichen Reformen, über die ihm Justus Jonas Bericht erstattete (Kawerau, J. Jonas’ Briefwechsel, S. 94 f. Vgl. auch den Wittenberger Druck: Weller, Rep. typ. I. Suppl. 45 a Nr. 371). Eine andere Veranlassung persönlicher Art führte zu scharfen Auseinandersetzungen mit dem Stifte. Am 19. November 1525 hatte sich S. mit Katharina Heidenreich oder Streubel, der einzigen Tochter eines Choralisten an der Kirche des St. Georgenstifts verheirathet. Zum Hochzeitsschmause hatte er nur drei Tafeln Gäste geladen, „weil ihm als einem armen Diener des Gottesworts gebühren wolle, dem Schlampam Abbruch zu thun“. Die Kanoniker erklärten jetzt ihrem Mitdomherrn, er habe sich des Bruches des Cölibatsgelübdes schuldig gemacht und bedrohten ihn mit dem Verluste seiner Stiftspfründe, wenn er seine Ehe nicht wieder löse. Infolge kurfürstlicher Vermittlung blieb die Drohung erfolglos. Seine Ehe war ihm eine Quelle schönster Freude, namentlich rühmt er seine Frau, daß sie wie für ihn geschaffen sei. Sein Haus wurde die Stätte einer ausgebreiteten Gastfreundschaft. Luther, Melanchthon und andere Freunde weilten gern „beim alten Pylades“. Sein Bedenken, daß er durch seine Ehe mit seinen Freunden, wie z. B. Pirkheimer, zerfallen könnte, erwies sich als gegenstandslos. Wenn der Kurfürst sich nach dem Befinden seiner Frau erkundigt hat, verzeichnet er diese Auszeichnung in seinem Tagebuche. Freilich war S. nur zu oft durch seine Reisen der Familie auf längere Zeit entzogen. Kein Wunder, wenn die Frau ihn nur ungern ziehen ließ und ihm das Versprechen abnahm, möglichst bald zurückzukehren. War ihm auch ein Pfarramt übertragen, so stand er doch zu dem kurfürstlichen Hofe nach wie vor in enger Beziehung. Hatte man ihn doch gerade für Altenburg, eine der vier kurfürstlichen, mit einem alten, geräumigen, schön gelegenen Schlosse ausgestatteten Residenzen ausersehen, weil sich so der Verkehr der Räthe und des Fürsten selbst mit dem auf kirchlichem, rechtlichen, humanistischen und geschichtlichen Gebiete gleich bewanderten [8] Vertrauten Friedrich’s des Weisen, dessen Anschauungen auch fortan maßgebend bleiben sollten, leicht aufrecht erhalten ließ.
Bereits im Jahre 1526 machte das Vertrauen des Kurfürsten S. zum Augenzeugen des Reichstages zu Speyer, über den er mit Genugthuung urtheilt: „Dafür hält mans, daß niemals vorher auf irgend einem Reichstage mit der Geistlichkeit, sammt Papst und Bischöfen, so frei, so unerschrocken und so keck disputirt und wider dieselben geredet worden ist.“ Und von seinem Kurfürsten berichtet er stolz, er habe den Evangelischen „wahrlich überschwenklich gutlich gethan“ (vgl. zu Friedensburg, Speyer S. 307 die Bemerkung von Ney in Brieger’s Zeitschrift für Kirchengeschichte IX, 595). Am 20. Juli zog er im kurfürstlichen Gefolge als fürstlicher Hofprediger neben Johann Agricola ein und die Predigten beider erfreuten sich eines starken Zulaufs auch aus der Umgebung. War man auch unzufrieden damit, daß der Wunsch, eine eigene Kirche eingeräumt zu erhalten, nicht in Erfüllung ging, so hatte doch „der evangelische Kultus zum ersten Male seinen Sitz auf einem deutschen Reichstage aufgeschlagen“. Hier machte S. wieder eine Reihe von Bekanntschaften. Der vertriebene König Christian von Dänemark ließ ihn zu sich rufen; Hermann von dem Busche stellte ihm seine Epigramme gegen Faber zu. Bugenhagen sandte ihm seine Protestschrift gegen die Butzer’sche Uebersetzung seines 110. Psalms. Als Bücherfreund wird er an der starken Nachfrage nach Luther’s Schrift „Von der Zerstörung Jerusalems“ seine Freude gehabt haben. S. wurde hier auch zur Vorbereitung des Entwurfs des fürstlichen Ausschusses herangezogen, wie er gerade hier als Vertrauter seines Kurfürsten eine große Rolle spielte. Namentlich war von Einfluß auf die Haltung Johann’s das eingehende Gutachten über die Instruction an den Kaiser, das in scharfer Weise den evangelischen Standpunkt vertrat und für die Kenntniß der Spalatin’schen Anschauungen von Wichtigkeit ist. Die ersten Ausstellungen betreffen Aeußerlichkeiten, so, daß dem Papste der Titel Heiligkeit beigelegt, der Kaiser als Haupt der Christenheit bezeichnet wird, das nur Jesus Christus sei; auch die Bezeichnung der römischen Kirche als „heiligen christlichen Kirche“ fand er anstößig. Dann aber spricht er sich sehr deutlich über eine Reihe sachlicher Punkte aus. Er findet den Hinweis auf erneuten Aufruhr auch seitens der Obrigkeiten bedenklich, wünscht daher kräftig hervorgehoben zu wissen, daß „fast alle aufrur zwispald und beschwerung von wegen der cerimonien hergewachsen und sich nimmermer zu verhoffen einig bestendig frid und einickeit aufzurichten, wo man nicht vom ersten artickel als von dem brunnen und quell aller beschwerung und aufrur nach aller notturft handelt und versehung thut, davon der gemeine man mit schlechten bloßen geboten, sonst zu nichts zu vermugen“. Dazu scheint ihm die beantragte zeitweilige Aufhebung des Wormser Edicts nicht genügend. Er verlangt die völlige Beseitigung, und bezeichnet es als unchristlich, mit der heiligen Schrift und den Kirchenvätern nicht vereinbar. Mit Berufung auf Jesaja, Augustin und die arianischen Streitigkeiten führt er aus, „das auch kai. Mat. nicht sollen noch mugen richten in sachen gottes wort und den heiligen christlichen Glauben belangend … denn got wil das wort allein richten, darumb er seinen einigen son hat sterben lassen.“ Diese Ausführungen scheinen auf den Kurfürsten einen großen Eindruck gemacht zu haben; er bat sich in der Kurfürstensitzung vom 14. August eine zweitägige Bedenkzeit aus. Stimmte doch S. in wichtigen Punkten mit einem früheren sächsischen Instructionsentwurfe überein. Schließlich siegte aber die Anschauung eines anderen Gutachtens (vielleicht von Brück), welches mit Rücksicht auf die vorliegenden Verhältnisse das, „was augenblicklich erreichbar“ war, zum Maßstabe nahm.
Als jetzt die kursächsische Regierung die Einrichtung der Landeskirche thatkräftig [9] in die Hand nahm, fiel S. eine Verwaltungsthätigkeit größter Bedeutung bei den Kirchenvisitationen zu. Konnte doch zu diesem in Anbetracht der Zeitumstände, der persönlichen Fragen, der Sonderrechte z. B. des Adels und der vielseitigen Aufgaben überaus schwierigen Geschäfte Niemand geeigneter erscheinen als er, der zur Entscheidung kirchlicher Fragen theologische Schulung und genaue Bibelkenntniß, dazu für die verwickelten und mannichfaltigen rechtlichen und wirtschaftlichen Erörterungen praktische Geschäftsgewandtheit und Erfahrung in der Verwaltung besaß. Wie aus den z. B. in Weimar erhaltenen Entwürfen hervorgeht, hat er besonders häufig die Protokolle geführt. Daneben hatte er bei den Verhandlungen eine gewichtige Stimme. Hervorgehoben sei, daß er ein Herz für den geistlichen Stand hatte und für dessen sociale Hebung und finanzielle Dotirung mit großem Eifer eintrat. Dies war besonders wichtig, weil die Stürme des Bauernkrieges für die Pfarreien große Schäden im Gefolge gehabt und die Auffassung über die Verpflichtung zur Bezahlung der überlieferten Leistungen verwirrt hatten. Infolge seiner langjährigen Beziehungen zum Hofe konnte er für bedrängte Personen manches gute Wort einlegen. Dazu verschaffte ihm die Bekanntschaft mit den fürstlichen Personen und den leitenden Staatsmännern die Möglichkeit, seinen Auffassungen und Grundsätzen allgemeine Geltung in der Gesetzgebung zu verschaffen. So erscheint er nicht nur bei den Visitationen, denen er selbst beiwohnte, als wichtigste Person, sondern hat auch auf die Praxis der nebenhergehenden und folgenden einen maßgebenden Einfluß erlangt.
Die erste, der er beiwohnte, war die zu Borna im Januar 1526. Schon hier lenkte er die Aufmerksamkeit der kurfürstlichen Regierung auf die Armuth der Geistlichen. In einem Berichte führte er aus, wie den Pfarrern das Einkommen verweigert werde. Er machte hier mit praktischem Blicke auf einen wunden Punkt aufmerksam, der späterhin immer wieder Gegenstand der Klage und Verhandlung wurde. Um nun ein einheitliches Verfahren und übereinstimmende Entscheidungen herbeizuführen, wurde S. mit der Durchsicht der Acten auch anderer Visitationen, z. B. der thüringer, behufs Berichterstattung an den Kurfürsten beauftragt. Außerdem sollte er, da sich eine Reihe von Uebelständen herausgestellt hatte, die Visitationsordnung einer Umarbeitung unterziehen.
In einer Reihe von „Artikeln, so durch die Rete zur Visitation verordenth und andere unterteniglich bedacht“, faßte S. zunächst die rechtlichen und finanziellen Einwendungen zusammen, die gegen die Maßregeln der Commissare von Seiten des Adels erhoben und nun der kurfürstlichen Entscheidung anheimgestellt wurden. Es handelte sich namentlich um die Klagen des Adels gegen Pfarrauflagen, um Beschwerden wegen Beschränkung des Patronatsrechts, weiter um Sicherung gegen Hinterziehung von Stiftungen, um den Schutz der Geistlichen gegen willkürliches Verstoßen von ihren Pfründen. Weitere Punkte hatten die Feststellung und Erhöhung des Pfarreinkommens im Auge. So sollten die Stiftungen auf kurfürstlichen Schlössern zur Besserung der dürftigen Pfarrstellen verwendet, Mittel zur Unterstützung der Geistlichen ausfindig gemacht, die Versorgung alter Priester und junger den erhöhten Anforderungen nicht genügender Geistlichen ins Auge gefaßt werden. Wir sehen bereits hier eine lange Reihe schwerwiegender Fragen berührt, die nun Jahrzehnte lang die kirchenpolitische Thätigkeit der sächsischen Regierung in Anspruch nehmen sollten. Auch gottesdienstliche Fragen sind in dem Entwurfe berührt. Bezeichnend für Spalatin’s Charakter ist die Schlußbemerkung, daß das Begonnene nun auch zur Ausführung gebracht werden müsse; sonst wäre es besser gewesen, die Visitation hätte nie begonnen.
Jetzt sollte S. in seinem eigenen Sprengel die Visitation durchführen helfen. Bereits am 12. September 1527 befahl der Kurfürst deren Beginn im altenburgischen [10] Gebiete, für die an Schurf’s Stelle der Pfarrer des Hauptortes den Commissaren zugesellt wurde. Leider ist uns über diesen ersten Versuch kein einziges Protokoll erhalten. Wahrscheinlich ist man über die Stadt nicht hinausgekommen. Wurde doch S. bereits für den 26. September nach Torgau zu Verhandlungen befohlen, welche den Abschluß der Visitationsordnung zum Gegenstande hatten. Schließlich schrieb er den Entwurf behufs Uebersendung an Luther ab.
Auf Grund der neuen Instructionen begannen nun die bedeutungsvollen Visitationen von 1528 und 1529, die auch S. in hohem Grade in Anspruch nahmen, zunächst in den ihm unterstellten Gemeinden. Am 29. November 1528 trafen die Visitatoren in Altenburg ein; am 1. December begannen die Verhandlungen mit den geistlichen Orden. Es zeigte sich eine starke Anhänglichkeit an die alte Kirche, deren Hauptvertreter die Stifter und die adligen Familien waren. Hatte man für die Stadt ursprünglich zwei Parochien in Aussicht genommen, so vereinigte man sie schließlich mit Rücksicht auf die vom Rathe bezüglich des Geldpunktes erhobenen Einwendungen zu einer. Als Pfarrer wurde S. am Dienstag nach Bartholomäi bestätigt, auch sein Einkommen festgesetzt. Hierauf folgte die Visitation des Ost- und Westkreises. Alsdann wandten sich die Commissare nach Meißen und dem Voigtlande, wo die Zustände sehr eingehende Verhandlungen nöthig machten. Den Umfang der Arbeit kann man daraus erschließen, daß über 87 Pfarreien mit 96 Geistlichen, 109 Kirchen und 238 Ortschaften verhandelt werden mußte. Und gerade diese Protokolle zeigen, wie man bis ins einzelste ging und genaue Beobachtungen anstellte (z. B. in Zwickau, vgl. G. Müller, P. Lindenau S. 32–35). Auch hier betonte S. wieder, daß eine rückläufige Bewegung verhütet werden müsse, wenn nicht öffentlicher Spott und Vernichtung der neuen Lehre folgen solle. Er wußte sich in dieser Beziehung mit seinem Kurfürsten im Einverständniß. Immerhin verging noch längere Zeit, ehe die Visitation fortgesetzt wurde. War doch die kurfürstliche Regierung gerade in dieser Zeit durch anderweitige politische Verhandlungen stark in Anspruch genommen. Daß man aber die Angelegenheit scharf im Auge behielt, geht aus dem letzten Ausschreiben Kurfürst Johann’s vom 12. August 1532 hervor. Als aber Spalatin’s Schüler, Johann Friedrich, die Regierung übernahm und der Landesausschuß im Herbste 1532 für die Ausarbeitung einer neuen Visitationsordnung eintrat, wurde neben Brück und Beyer auch S. herangezogen. Letzterer stellte 21 Punkte auf, von denen die meisten in die Instruction aufgenommen wurden. Unberücksichtigt blieb von seinen Vorschlägen die wöchentliche Erklärung des Katechismus, die Befreiung der Geistlichen von Steuern, die Abschaffung des Spoliengeldes auf den Pfarreien des Adels, der Druck eines Verzeichnisses über erlaubte Heirathen unter Blutsverwandten und die sorgfältigere Ausführung der Visitationsbeschlüsse.
Wenn die folgende, über mehrere Jahre ausgedehnte Visitation für die praktische Ausgestaltung der sächsischen Landeskirche besonders wichtig wurde, so verdankte sie dies nicht zum geringsten dem Einflusse und den Anweisungen Spalatin’s. Er nahm selbst an den Verhandlungen theil. Ursprünglich für das Voigtland und den Saalgrund bestimmt, wurde er von letzterem entbunden und dafür auch in das Meißner Land entsandt, nachdem persönliche Verhältnisse und die Rücksicht auf den Landtagsausschuß einige Aenderungen nöthig gemacht hatten. In den einzelnen Rathsarchiven befinden sich genaue Visitationsrecesse, die uns einen genauen Einblick in die Beschlüsse gestatten. Sie ergänzen die in den zusammenhängenden Visitationsprotokollen befindlichen allgemeinen Nachrichten. Auch in dem Reußschen Ländchen hatte S. jetzt (1533) zu visitiren, wozu ihm und seinen Genossen das Recht früher verweigert worden war. Am 3. September [11] begann er in Gera sein Werk, das schließlich viel glücklicher von statten ging, als man hatte erwarten dürfen. Am Ende des Monats September fand die Visitation in Ronneburg, Ende November zu Remse statt, schließlich folgte im Anfange des Jahres 1534 eine zweite in dem Reußschen Gebiete.
Ungleich wichtiger wurden die Visitationen, die mit dem allmählichen Uebergange des albertinischen Sachsens zu den Grundsätzen der Reformation nöthig wurden. Auch hier war S. der Vertrauensmann, der mit Rath und That zu Hülfe kam. 1537 wurde er nach Freiberg berufen. Diese Visitation ist insofern wichtig, als für sie eine neue Instruction ausgearbeitet wurde, die bei Herzog Heinrich’s Uebersiedelung nach Dresden auch in dessen neuem, größerem Gebiete maßgebend wurde. Hier nahm S. an der Visitation im Jahre 1539 infolge kurfürstlichen Befehls vom 20. Juni Theil. Er verfaßte selbst das Ausschreiben zu der von Brück’s Gutachten begleiteten Instruction, das unter dem 21. Juli durch Herzog Heinrich veröffentlicht wurde. Die Visitation, die als eine „eylende“ bezeichnet wurde, ging von Dresden elbaufwärts nach Pirna, von da über Freiberg nach dem Erzgebirge, nach Leipzig und Großenhain. Am 26. August langten die Commissare wieder in Dresden an, am 1. September meldeten sie die Entlassung mit einem Gnadengeschenke. Auch die Kirchenordnung, deren Vorrede vom 19. September 1539 datirt ist, wurde von S. unterschrieben. (Ueber die folgende Visitation und Verstimmung vgl. Kawerau, Jonas XLII.) Auch bei der einige Jahre später gehaltenen Visitation zu Wurzen finden wir S. betheiligt. Ebenso war er bei den unterdessen gepflogenen kirchlichen und diplomatischen Verhandlungen im Auftrage Kursachsens zugegen gewesen. So entfaltete S. auf dem Reichstage zu Augsburg 1530 eine weitverzweigte Thätigkeit. Auf Befehl des Kurfürsten befand er sich neben Luther, Melanchthon und Jonas in dessen Gefolge, während Agricola den Grafen Albrecht von Mansfeld begleitete. Nach der Koburg, wo man längere Zeit blieb, hatte Helius Eobanus Hessus auch an S. einen Gruß gesandt. (Ueber die Daten der Reise vgl. Brieger, die Torgauer Artikel S. 271.) Als Hofprediger war S. in Augsburg nicht in Anspruch genommen, da der Kaiser das Predigen, auch in den Wohnungen, verbot. Dagegen war er bei den Verhandlungen über das Bekenntniß und die Apologie betheiligt, wie die von ihm gefertigten Abschriften beweisen. Ein Actenstück des Dresdener Hauptstaatsarchivs (Loc. 10182 Augsb. Handlung) enthält von seiner Hand geschrieben die Confession (Bl. 60–88), die apologia Confessionis durch den Herrn Philippum an ettlichen ortten corrigirt (Bl. 146–185), Responsio ad certa postulata quarta post divisionis Apostolorum exhibita (Bl. 198–265) u. a. m. Andere Abschriften verzeichnet die gedruckte Litteratur.
Zu den Verhandlungen des Ausschusses war S. ebenfalls herangezogen worden. Bei der Wahl mochte bestimmend gewesen sein, daß er nicht nur die Rechte eines Notars besaß, sondern auch wegen seiner Vertrautheit mit den theologischen Fragen und der vielseitigen praktischen Gewandtheit als besonders geeignet erscheinen mußte. Schließlich wurde er bei Seite geschoben. Er erzählt selbst: „Also bin ich davon gangen in Gottes Namen. Gott gebe, daß sonst in der Handlung etwas fruchtbares ausgerichtet werde. Amen.“ In einem längeren Bedenken vom 14. September führte er aus, wie längere Verhandlungen keinen Erfolg haben würden. Da er als Augenzeuge in die einzelnen Stadien gründlich eingeweiht war, haben seine Berichte über den Reichstag große Wichtigkeit. Eine Reihe von Bekanntschaften hat S. hier gemacht. Urban Rhegius und Andreas Osiander freuten sich mit ihm verkehren zu dürfen. Vergeblich lud er Helius Eobanus Hessus ein, nach Augsburg zu kommen. Der „arme Wandervogel“ wollte nicht vor dem Kaiser singen. Mit Luther stand S. auch hier im [12] Briefwechsel, so erhielt er von ihm den Rathschlag de privata missa (Brieger, die Torgauer Artikel S. 283 f.). Am 23. September brach der Kurfürst von Augsburg auf, am 4. October langte man auf der Koburg, am 8. in Altenburg an. Luther verweilte in dem gastlichen Hause seines Freundes und schrieb hier die bekannten Verse.
Im December 1530 begab sich S. mit dem Herzog Johann Friedrich zur Wahl König Ferdinand’s nach Köln. Der Kurprinz nahm nur an den Vorverhandlungen Theil und reiste noch vor der auf den 5. Januar anberaumten Wahl zu seinem Schwiegervater, dem Herzog von Jülich, Cleve und Berg. Auf dem Rückwege besuchte er den Convent zu Schmalkalden, wo S. in Gemeinschaft mit anderen Theologen ein Bedenken (vom 31. Januar 1531) über die Frage abfaßte, ob die protestantischen Stände, wenn sie mit bewaffneter Hand angegriffen würden, Gewalt mit Gewalt vertreiben dürften (Kawerau, J. Jonas 1, 179. Burkhardt, Luthers Briefwechsel. 188 f. De Wette-Seidemann, Luthers Briefwechsel 6, 225).
Im Frühling des Jahres 1532 besuchte S. im Gefolge des Kurprinzen den Fürstentag zu Schweinfurt, wo die vom Kaiser bevollmächtigten Vermittler eine Einigung mit den Schmalkaldener Verbündeten versuchten. Hier hatte S. als Prediger großen Erfolg. Am ersten Osterfeiertage z. B. war der von ihm geleitete Gottesdienst so überfüllt, daß er am zweiten unter freiem Himmel gehalten werden mußte. Auch an den Nürnberger Verhandlungen, die mit dem Abschlusse des Religionsfriedens für Sachsen und seine Mitverwandten endeten, nahm S. Theil. Hatte dieser zu Johann Friedrich schon längere Zeit in Beziehung gestanden, so genoß er dessen besonderes Vertrauen, als nach Kurfürst Johann’s Tode (am 16. August 1532) der Kurprinz die Regierung übernahm. Zu allen wichtigen Verhandlungen wurde er herangezogen. Er wurde 1533 nach Weimar berufen, als im Juni der päpstliche Nuntius, Ugo Rangom von Rezzio und der kaiserliche Gesandte, Lambert de Briarde, auf ihrem Zuge durch Deutschland auch mit dem Haupte des Schmalkaldischen Bundes des Concils wegen unterhandelten. Ebenso nahm er zu Kaden, einem kleinen böhmischen Städtchen, in der Nähe von Annaberg, an den namentlich Württemberg betreffenden Besprechungen Theil, die zu dem bekannten Frieden führten. Bei Gelegenheit eines Besuches zu Cleve wurde er bei der Durchführung der Reformation zu Rathe gezogen (vgl. über den Charakter der Reformation in Jülich Maurenbrecher, Gesch. d. kath. Ref. 354 ff., die Litteratur S. 415). 1535 begleitete er mit Agricola den Kurfürsten nach Wien zur Belehnung, für die er mehrfach schriftstellerisch thätig gewesen war. Er hat die Reise selbst beschrieben (anhangsweise gedruckt bei Chr. G. Buder, Nachricht von der Belehnung Churfürst Johann Friedrichs. Jena 1755. Kawerau, Agricola. XII. 103). In Prag verhandelte S. noch mit Vergerius, als dieser nach der Begegnung mit Luther in Wittenberg nach Prag gekommen war, um den Kurfürsten für das Concil zu gewinnen. Ebenso wohnte er im December der Bundesversammlung zu Schmalkalden bei.
Im Jahre 1536 war S. behufs Erledigung von Universitätsangelegenheiten in Wittenberg, als hier die Verhandlungen zum Zwecke der Einigung mit den Oberdeutschen stattfanden. Er hat zwar an den eigentlichen Besprechungen nicht Theil genommen, doch unterschrieb er in der Frühe des 29. Mai mit anderen die Konkordie, die nach manchen Besorgnissen und Befürchtungen, wie Auseinandersetzungen schließlich zu Stande gekommen war. Kurz darauf, im Anfang Juni, finden wir ihn in Naumburg a. S., von wo aus durch Vermittlung Landgraf Philipp’s von Hessen eine Versöhnung mit Herzog Georg versucht wurde, der dicht dabei in Weißenfels sein Hoflager hielt (Kawerau, Jonas I, 237). Am Schlusse des Jahres nahm er an einer Zusammenkunft in Luther’s Hause Theil. [13] (Kawerau, Briefe zum antinomistischen Streit in Brieger’s Zeitschrift für Kirchengeschichte, IV (1880.) Die Berathung betraf die Feststellung der Grundlage für die Schmalkaldischen Artikel. S. beantragte hier die Hinzufügung von drei Sätzen, die aber Luther’s Billigung nicht fanden. Er überbrachte dies Schriftstück dem Kurfürsten. Ueber Altenburg ging die Reise nach Schmalkalden, wo man am 7. Februar 1537 anlangte. S. gehörte dann zu denen, die Luther in Folge seiner Krankheit vor Abschluß der Verhandlungen nach Wittenberg geleiteten. Mit Bugenhagen und Myconius sandte er über Luther’s Befinden Berichte an den Kurfürsten (O. Vogt, Bugenhagen’s Briefwechsel. S. 144).
1538 wurde S. zu den Verhandlungen mit Cardinal Albrecht, Erzbischof von Mainz, über das Burggrafthum Magdeburg herangezogen, für die er bereits 1535 die geschichtlichen Unterlagen gesammelt hatte. Nachdem ihn dann noch Visitationen (s. o) in Anspruch genommen hatten, wohnte er 1541 der Ordination des auf das Betreiben des Kurfürsten zum Bischof gewählten Nicolaus von Amsdorf in Naumburg bei. An den Regensburger Verhandlungen war er wenigstens schriftlich betheiligt, wie sich aus einem Actenstücke des Dresdener Hauptstaatsarchivs ergibt. Seine genaue Kenntniß der Vorgänge sehen wir u. a. aus seinem Berichte an den Herzog Albrecht von Preußen.
Eine besondere Aufgabe war für S. die Sorge für die Universität Wittenberg. Bei der Besetzung der Professorenstellen wurde er zu Rathe gezogen. Näher sind wir darüber unterrichtet bei Melanchthon’s Berufung im Jahre 1518. Zwei Jahre früher hatte sich Petrus Mosellanus, der, ohne eine feste Stelle zu haben, damals in Leipzig lehrte und mit Mutian im Briefwechsel stand, an S. mit einer Anfrage über etwaige Aussicht, nach Wittenberg zu kommen, gewandt. Dieser konnte ihm zwar keine große Hoffnung machen, bezeichnete jedoch die Sache nicht als aussichtslos (Gillert, Mutians Briefwechsel II, 223). Wohl im Zusammenhange mit diesem Briefwechsel empfahl S. im Jahre 1518 Mosellan dem Kurfürsten als „fromm, still, züchtig und so gelehrt und verständig in der lateinischen und griechischen Sprache, daß er sehr wohl aus der griechischen Sprache in die lateinische transferirt, welches der Universität zu großem Nutzen und Gedeihen gereichen würde“, während er bezüglich Melanchthon’s, den Reuchlin empfohlen hatte, Bedenken äußerte. Da aber letzterer seinen Neffen auf des Kurfürsten und Spalatin’s Anfrage hin genannt hatte, so überließ dieser die Wahl der kurfürstlichen Entscheidung, die zu Gunsten Melanchthon’s ausfiel, namentlich um Reuchlin nicht zu verletzen. Einige Jahre später suchte S. auch seinen Lehrer Mutian für die Universität Wittenberg zu gewinnen. Dieser sollte die juristische Professur Henning Göde’s übernehmen. In einem uns erhaltenen Briefe versichert S. seinem Gönner, welche Freude dessen Eintritt in sächsische Dienste dem Kurfürsten wie dem Schreiber selbst bereiten würde. (Gillert, Mutian’s Briefwechsel II, 272, 276.) Und über den Aerger der Erfurter, daß Wittenberg mit erfolgreichem Wetteifer die besten Kräfte an sich ziehe, berichtet Eobanus Hessus in einem kürzlich gedruckten Schreiben (Gillert II, 372).
Weiter sehen wir S. unermüdlich thätig im Interesse armer Studenten. Zahlreiche Briefe behandeln diesen Gegenstand. Als Johann Rotstock, der ein kurfürstliches Stipendium auf drei Jahre erhalten hat, die fällige Rate nicht ausbezahlt erhält, verwendet sich bei S. Luther und Justus Jonas und letzterer erklärt ausdrücklich: tua diligentia (sat scio) nisi re perfecta non consquiescet. Der Sorge für die „armen fremden Studenten“ entspringen auch die regelmäßigen Unterstützungen, um deren Aussetzung er sich bei dem Vorstande der kurfürstlichen Rentkammer, Hans von Dolzig, bemüht (Grohmann, Annalen I, 94). Namentlich war S. betheiligt an der Organisation der Universität Wittenberg, die [14] Jahrzehnte lang die beteiligten Kreise, vor allen Luther und Melanchthon, in Anspruch nahm und die Aufgabe hatte, die nach mittelalterlichem Muster errichtete Hochschule im humanistischen Sinne umzugestalten. Der Briefwechsel zeigt, wie eingehend S. bei den einzelnen Maßregeln zu Rathe gezogen wurde. Der Reformplan Melanchthon’s vom Jahre 1520 wurde von ihm unterstützt, ebenso der vom folgenden Jahre. Als aber trotz dieser Bemühungen die Universität mit immer neuen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, war S. im letzten Regierungsjahre Friedrich’s des Weisen mit den Besserungsvorschlägen eifrig in Anspruch genommen. In Fluß kam die Angelegenheit beim Regierungsantritt Kurfürst Johann’s. Wie sehr sie Luther am Herzen lag, sehen wir aus dessen ungestümem Drängen, das eine Verstimmung des Kurfürsten zur Folge gehabt zu haben scheint. S. hatte einen Entwurf gemacht, den Luther seinen Vorschlägen zu Grunde legte. Angelegentlichst bat dieser den Kurfürsten um Beschleunigung der Entscheidung und ersuchte den Kurprinzen, sein Gesuch bei seinem Vater zu unterstützen. Es ging dahin, die Zahl der Professoren zu vermehren und die Besoldungen zu erhöhen. Als aber trotz mehrfacher Zusagen, vielleicht weil die ganze Aufmerksamkeit des Hofes auf die Bekämpfung der Bauernaufstände gerichtet war, nichts geschah, und die Verhältnisse der jungen Hochschule sich immer ungünstiger gestalteten, bat Luther um Absendung eines kurfürstlichen Rathes zur Untersuchung der Angelegenheit. Infolge dessen wurde am 17. September S. nach Wittenberg gesandt, um der Universität die Fortdauer der kurfürstlichen Gunst zu melden, den einzelnen Professoren die ansehnlichen Gehaltserhöhungen zu verkündigen, aber auch zu fleißigem Halten der Vorlesungen z. B. die Juristen zu ermahnen. Eine völlige Umgestaltung der Universität fand endlich im Jahre 1536 ihren Abschluß. Und wenn auch Melanchthon hin und wieder über den Hof klagte, gerade in diesem Jahre feierte Justus Jonas S. in überaus anerkennenden Worten: „Et hic Wittenbergae, aureo illo domini Friderici electoris S. saeculo semper te cognovi huius Wittebergensis scholae summum in aula apud principes et fidelissimum ac omni genere studii, diligentiae et laboris indefessum patronum et communem quasi studiosorum, immo studiorum et literarum parentem“ (Kawerau I, 234).
Auch mit der Universitätsbibliothek ist Spalatin’s Namen verknüpft. Sie ging aus der kurfürstlichen Bücherei hervor, deren Verwaltung ihm als librarius et bibliothecarius ducalis oder bibliophylax übertragen war. Bei seinem regen Interesse für die verschiedenen wissenschaftlichen Gebiete, seinen eingehenden bibliographischen Kenntnissen, seinen Beziehungen zu den Bücherfreunden der verschiedensten Theile Deutschlands, ja darüber hinaus, mußte seine Thätigkeit besonders ersprießlich sein, um so mehr, als das Vertrauen, das er am kurfürstlichen Hofe genoß, seinen Vorschlägen den nöthigen Nachdruck verschaffte.
Bei der Begründung der Bibliothek war auch Mutian zu Rathe gezogen worden und hatte Ankäufe bei Aldus Manutius in Venedig in Vorschlag gebracht, über deren Ausführung er 1513 seinem Freunde Urban berichtete. Im August desselben Jahres ist von einem Kataloge die Rede (Gillert I, 374, 398). Im Sommer 1514 hatte ihm S. das Bücherverzeichniß zugeschickt, das seinen Beifall fand, nur vermißte er die Handschriften (Gillert I, 374). Auch Beatus Rhenanus rühmte die Auswahl. Als S. nach Altenburg übergesiedelt war, behielt er die Oberaufsicht, wiederholt fuhr er nach Wittenberg, schrieb sogar noch 1536 Bücherverzeichnisse. Er machte Vorschläge für die Neuanschaffungen, gab die Bezugsquellen an und reiste 1539 selbst nach Venedig, um den Ankauf griechischer und hebräischer Werke zu betreiben, an denen die Bibliothek Mangel hatte.
[15] Die gewöhnlichen Geschäfte besorgte ein „Diener“, der jährlich ein „Hofcleydt“ bekam. Als solcher wird z. B. Christophorus Nicolaus genannt, der im Winter 1536/37 immatriculirt wurde (Förstemann, Album S. 164). Er berichtet an Hans von Dolzig unter andern von der Arbeit, die er „mit den vier Registern zur Librey gen Wittenberg gehörig, gehabt und noch alle Jahr umbschreiben und dieselben Register halden muß“. 1536 bestimmte Kurfürst Johann Friedrich zur Vermehrung jährlich 1000 Gulden; für den Beamten, der ein Magister sein sollte, wurden 40 Gulden ausgeworfen. 1548 kam die Bibliothek nach Jena, wo sich noch Spalatin’s Briefe an den Kurfürsten und die kurfürstlichen Räthe, Johann von Minckwitz, wie Johann von Dolzig, auch Rechnungen befinden (J. Chr. Mylius, Memorabilia bibl. Acad. Jenensis. Jenae 1736. p. 3 ff. Grohmann, Annalen. S. 90 ff.).
Ebenso ist S. für die Einrichtung des Wittenberger Archivs thätig gewesen. In seinem handschriftlichen Nachlasse befindet sich ein Gutachten über eine Archivordnung des Secretärs Hans Feil (Kapp, Kleine Nachlese I, 747). Er erklärt sich im ganzen mit den Vorschlägen einverstanden, doch giebt er noch genauere Anweisungen über die Eintheilung im einzelnen. Er fordert bezüglich der sächsischen Fürsten- und Landesgeschichte besondere Fächer für „die Lehen-Briefe, sonderlich Begnadigungs- und Befreiungs-Briefe, desgleichen Heyrat-Briefe“. Dann verlangt er, daß „fremder nacion, konige briefe, frembder herrschaften briefe, romische und bepstische briefe, vortrege, verstentnus, verbruderung und erbeinung, erzbischoffen, bischoffen briefe, graven und herren briefe, reichstet und ander stet briefe, urfede, verschreibung, quittantzen“ gesondert werden. – Außerdem sollten Kopiale mit gebührlicher Ordnung und Abtheilung, ebenso Register zum leichteren Ueberblick angelegt werden. Namentlich erscheint ihm nöthig die Anstellung eines geschickten, treuen und fleißigen Beamten, da dieser nicht in einem Winter, auch nicht mit Zuhülfenahme des Sommers damit zu Ende kommen werde. Namentlich hält er noch eine Arbeit für nöthig, die allerdings mehr als einen Beamten länger als ein Jahr in Anspruch nehmen werde. Es ist die Ordnung der Klosterurkunden aus den eingezogenen Klöstern. „So sind aus vil Clostern, bevor im Landt zu Duringen, vil keyserliche, konigliche, fürstliche, bischoffliche u. s. w. Briefe gin hof kommen, in grosser antzal, wie ich dann fur zweien Jaren ungeferlich, als der … Churfürst zu Sachsen … aus Oestreich kommen, selbs zu Weymar gesehen“.
Neben dieser amtlichen Thätigkeit führte S. einen lebhaften, weitverzweigten Briefwechsel mit zahlreichen Gelehrten, der uns wenigstens zum Theil erhalten ist und sich in zahlreichen Bibliotheken und Archiven zerstreut findet. Von Mutian bezüglich der Briefform mit genauen Anweisungen versehen, die er, wie der Lehrer bezeugt, treulich benutzt hat, von ihm mit einem Siegel beschenkt, das einen Storch darstellt, im Begriff eine Schlange zu verzehren (Gillert, Mutianus II, 138), entwickelte er eine Schreibseligkeit, die sogar den immer briefbereiten Mutian veranlaßte, den gelehrigen Schüler mit dem Namen Pittacus und Loquax zu belegen. Freilich war der Tadel nicht so böse gemeint, wie die Unzufriedenheit und Besorgniß beweist, die der Gothaer Humanistenpatron äußert, wenn sein Schützling längere Zeit nicht mehr geschrieben hat. Rührend ist die Freude, mit der S. die Briefe der Freunde begrüßt, anerkennenswerth die Sorgfalt, mit der er die Schreiben behandelt und aufbewahrt. Auf der Adresse bemerkte er den Tag des Empfangs, den Absender, wohl auch den Gegenstand. Dieser peinlichen Genauigkeit haben wir es zu verdanken, daß die an S. gerichtetes Briefe erhalten sind, während die von ihm geschriebenen uns nur zum allergeringsten Theile – wenigstens vorläufig – vorliegen.
Die Briefe sind zunächst persönlicher Natur und enthalten formelle Begrüßungen [16] und Empfehlungen, wie sie bei den Humanisten sehr gebräuchlich und wegen ihres mangelnden Inhalts z. B. Erasmus nicht besonders angenehm waren. S., eine höfliche Natur, die auf die Formen des Verkehrs großen Werth legte, kam jeder Verpflichtung getreulich nach. Melanchthon bezeichnete ihn als den einzigen, der mit gewissenhafter Pünktlichkeit für jedes ihm zugesandte Schriftchen gedankt habe. Bei dem Einflusse, den er am kurfürstlichen Hofe hatte, wurden natürlich zahlreiche Bittgesuche an ihn gerichtet, deren Inhalt für die Gelehrtengeschichte der Reformationszeit manchen werthvollen Beitrag bietet.
Weit wichtiger aber sind die Briefe, die Berichte über die Ereignisse der Zeit auf den verschiedensten Gebieten enthalten. Von allen Seiten strömten dem kurürstlichen Geheimschreiber die Nachrichten zu, die er wieder seinen Freunden mittheilte, namentlich aber Friedrich dem Weisen unterbreitete. Häufig kam er in den Besitz von ausführlichen „Zeitungen“, die er in seinen Schriften bisweilen wörtlich verwendete. Er selbst erbot sich wohl auch zur regelmäßigen Lieferung eingehender Berichte; so sind uns seine Schreiben an Herzog Albrecht von Preußen erhalten. Was wird nicht alles in den Briefen besprochen! In Friedrich des Weisen Auftrage verhandelt S. 1518 mit dem Augsburger, auch in technischen Dingen geschickten Humanisten, Veit Bild, wegen Lieferung einer Uhr (Lier, der Augsb. Humanistenkreis i. d. Zschr. d. V. f. Schwaben und Neuburg. VII, (1880) 74). Der Briefwechsel mit Johannes Vollmer, noch in Weimar aufbewahrt, hat des Kurfürsten Liebhaberei, die Astrologie, zum Gegenstande (Kolde, Friedrich d. W. S. 19).
Im folgenden kann nicht entfernt ein vollständiges Bild des Briefwechsels geboten werden; nur der mit einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten sei kurz berührt unter Verweis auf die Aufzählung einzelner weniger bekannter Briefschreiber, z. B. bei Seelheim (S. 32). Ueber die Grenzen Deutschlands hinaus gingen Spalatin’s Briefe. Durch Mutian veranlaßt, war er mit dem Buchdrucker Aldus Manutius in Venedig in brieflichen Verkehr getreten, der freilich zunächst keinen großen Erfolg hatte, weil es S. wie seinen humanistischen Freunden immer am Besten fehlte. Von Franzosen sei der Minorit Franz Lambert von Avignon erwähnt, der während seines Aufenthaltes in Sachsen und namentlich in Wittenberg durch Spalatin’s Vermittelung um Unterstützung beim kurfürstlichen Hofe nachsuchte. – In Deutschland selbst erstreckte sich die Correspondenz über die verschiedensten Gegenden. Natürlich spielten die geistigen Mittelpunkte die Hauptrolle. Besonders lebhaft und vielseitig ist der Verkehr mit dem Erfurter Humanistenkreise und seinem Haupte, dem Gothaer „Vater Gleim.“ Von den Anfängen dieses regen Briefwechsels ist bereits oben die Rede gewesen. Auch später bezeugt S. großes Interesse an einem regen Gedankenaustausch mit Mutian. Trotzdem geräth die Correspondenz mehrfach ins Stocken, zum Theil auch deshalb, weil die Anschauungen der Freunde bezüglich der Reformation wesentlich auseinander gingen. Eine Wiederaufnahme derselben hat die Gewinnung des auch auf juristischem Gebiete erfahrenen Canonicus für die Universität Wittenberg zum Zweck. Auch mit Heinrich Urban, Crotus Rubianus, Eobanus Hessus, Johann Lange und Ebersbach stand S. in näherem Verkehre. Zu den Nürnbergern hat er von der Schülerzeit her Beziehungen. Erwähnt seien Pirkheimer und Scheurl, die ihm über die Vorgänge in der für die geistige Bewegung so wichtigen Stadt Bericht erstatten. An Antonius Tucher läßt er u. a. Mittheilung über die Verbrennung der Bannbulle gelangen und schickt ihm auch von Köln aus einen deutschen Druck. Er spricht bei dieser Gelegenheit von der Nothwendigkeit einer Reformation durch Laien und schließt mit dem Wunsche: „Wollte Gott, daß wir Deutschen wieder Deutsche würden.“ Andreas Osiander schreibt ihm z. B. in der Mosham’schen Angelegenheit. Einen Brief Dürer’s hat Hisheusler [17] veröffentlicht (Zeitschr. f. bildende Kunst 1868, Nr. 1, S. 7). Den Augsburger Humanistenkreis kannte er von den Reichstagen. Mit Peutinger verband ihn die Liebe zur Geschichte; er konnte von diesem mancherlei Unterstützung bei seinen geschichtlichen Arbeiten erhalten. Auch zum Buchhändler Wirsung hatte er Beziehungen. Nachdem eine Schrift bei ihm erschienen war, widmete er ihm eine andere (H. A. Lier, Der Augsb. Humanistenkreis. A. a. O. S. 68–108, bes. 75). Ueber ein Buch eines Augsburger Bürgers vgl. Corp Ref. I, 639. Enders, Luthers Briefwechsel 4, 221.
Auch zum deutschen Südwesten hatte S. Beziehungen. Voran steht Johann Reuchlin. Dieser hatte u. a. 1511 eine Beschreibung der Festlichkeiten geschickt, die aus Anlaß der Vermählung Ulrich’s von Württemberg mit Sabina von Baiern in Stuttgart stattfanden. Später handelte es sich namentlich um geschichtliche Fragen. In dem Reuchlin’schen Streit wurde der Kurfürst wie sein Hofpredjger gedrängt, in den Reihen der „Capnobaten“ zu fechten, für welche Mutian die Trommel rührte (Krause, Mutian S. 387). Der Briefwechsel mit Ulrich von Hutten fällt vorwiegend in die Jahre 1519 und 1521. Als der unternehmende Führer der unruhigen Ritterschaft den kursächsischen Hof für seine aufrührerischen Pläne durch Spalatin gewinnen wollte, hüllte sich dieser trotz mehrfacher Erinnerung in beredtes Schweigen. Hartmut von Kronberg meldete ihm den Auszug Sickingen’s, schrieb ihm und Hans von Dolzig auch sonst noch mehrfach. Mit Beatus Rhenanus theilte er z. B. die Freude am Aufblühen der Geschichtsforschung. Die Briefe an Erasmus von Rotterdam geben Zeugniß von Spalatin’s hoher Verehrung. Er nennt ihn „unicum totius Germaniae, communis patriae decus“ und erklärt, durch das Studium seiner Werke ganz für ihn gewonnen worden zu sein. Erasmus läßt die Lobpreisungen nicht unerwidert und rühmt namentlich die rasch aufgeblühte Universität Wittenberg, deren Koryphäe, Luther, auch Gegenstand des Briefwechsels ist. (Ueber den als gemeinsamen Freund bezeichneten Joh. Bapt. Egnantinus vgl. O. Richter, Erasmusstudien. Anhang. XV. Anm. 19. Gillert, Mutian II, 416, 418.)
Von den Wittenberger Freunden ist zunächst Justus Jonas zu nennen. Die Beziehungen gehen auf die Erfurter Zeit bis ungefähr ins Jahr 1506 zurück. Ein schönes Denkmal dankbarer Verehrung ist des Freundes Schreiben vom 15. Januar 1536. Der Briefwechsel, welcher genau 3 Jahrzehnte umspannt, enthält wichtige Nachrichten zur Kenntniß der kirchlichen Bewegung der Zeit. Andreas Karlstadt sandte dem Freunde u. a. einen Huldigungsbrief an Reuchlin zur Prüfung und Beförderung an den Adressaten. In dem Eck’schen Streit wurde er von ihm beruhigt (Enders 2, 316 f.). Der Briefwechsel mit Johann Agricola berührte persönliche, wissenschaftliche, namentlich auch Wittenberger Angelegenheiten. Mit Johannes Bugenhagen stand S. in freundschaftlichem Verkehre. Seine Hochzeit hat er „mit einem goldenen Geschenk geziert“. Der Briefwechsel beschäftigt sich viel mit Empfehlung von Geistlichen, wie denn der Pfarrer von Wittenberg und Superintendent des Kurkreises mehrfach Wünsche auf dem Herzen hatte, für deren Erfüllung er dem wohlwollenden und betriebsamen Fürsprecher mehrfach dankt. Auch nach Bugenhagen’s Uebersiedelung nach Dänemark blieb der briefliche Verkehr bestehen, und seinen Bericht über die Krönung Friedrich’s III. hat S. jedenfalls von dem Freunde erhalten. Der oft genug melancholisch gesinnte Melanchthon vertraut dem verschwiegenen Busen des Freundes seine Klagen an. Daneben finden aber in den Briefen alle Ereignisse der Zeit Erwähnung; vor allem spielt die Universität Wittenberg eine große Rolle, dann die Vorgänge auf humanistischem und kirchlichen Gebiete. Insofern sind diese Briefe eine wichtige Quelle und werden nur durch die Correspondenz [18] mit Luther übertroffen. Ueber 400 Briefe Luther’s sind uns erhalten, leider nur sehr wenig Antworten Spalatin’s. Doch können wir den Inhalt vieler aus Luther’s Briefen erschließen. Diese sind nun von größter Wichtigkeit für die Kenntniß der Lutherschen Schriften. Da Luther eingehend über seine Pläne berichtet, Entstehung, Fortschritt, Druck und Aufnahme seiner Bücher aufs genaueste beschreibt, so sind hier genaue Daten gegeben, die namentlich in neuerer Zeit verwerthet worden sind. Ferner läßt sich verfolgen, welchen Einfluß S. auf die Entstehung Lutherscher Schriften gehabt hat. Er regt ihn an, für seinen Kurfürsten in der Zeit der Krankheit eine Trostschrift zu schreiben, er wünscht gewisse Gebiete eingehender behandelt zu wissen, er ändert wohl auch an dem Texte und leitet die schriftstellerische Wirksamkeit Luther’s in praktische und nüchterne Bahnen.
Die Visitationen hatten auch mehrfach umfangreichen Briefwechsel im Gefolge, umsomehr da auch in der Zwischenzeit die Erledigung schwebender Streitfragen den kurfürstlichen Commissaren anheimfiel. Hervorgehoben seien die Schreiben an den Zwickauer Humanisten und Stadtschreiber, Stephan Roth, die zum großen Theile amtliche Angelegenheiten zum Gegenstande hatten. Sie befinden sich in der Rathsschulbibliothek zu Zwickau. Auch der Adel des Landes ist mehrfach vertreten, z. B. durch Joseph Levin von Metzsch auf Mylau, Abraham und Heinrich von Einsiedel auf Gnandstein und eine Reihe anderer Persönlichkeiten, die zu dem Hofe mehr oder weniger enge Beziehungen hatten (vgl. oben). Besonders stolz war S. auf seine Briefe von Fürsten. Außer den von Wettinern, zwei Päpsten u. s. w. seien die von Herzog Albrecht von Preußen erwähnt. In den Schreiben an diesen Gönner tritt Spalatin’s Charakter deutlich hervor. Er bittet um Ueberlassung eines Porträts für seine Bibliothek, er empfiehlt seine Familie dem Wohlwollen des Fürsten, was das Mißverständniß zur Folge hat, als ob der Bittsteller Sachsen verlassen und in herzogliche Dienste treten wolle.
Neben diesem weitverzweigten und zeitraubenden Briefwechsel war S. als Schriftsteller thätig. Bereits als Erfurter Baccalaureus beförderte er, von Nikolaus Marschalk veranlaßt, eine Sammelschrift „Laus Musarum“ zum Druck, die neben Bruchstücken classischer Schriftsteller, z. B. Hesiod’s Theogonie und Ovid’s Metamorphosen, humanistische religiöse Dichtungen u. a. von Baptista Mantuanus, auch eine Schrift seines verehrten Lehrers, außerdem einen Beitrag des Herausgebers enthält. Bis in sein hohes Alter war er mit schriftstellerischen Plänen beschäftigt.
Zunächst tritt er als Uebersetzer hervor. Er schloß sich damit an eine seit dem 15. Jahrhundert von den Humanisten eifrig gepflegte Bewegung an, die weiteren Kreisen die Schätze des Alterthums und des kirchlichen Alterthums zugänglich machte. Namentlich in dem gebildeten Bürgerstande der deutschen Reichsstädte war das Bedürfniß nach Uebersetzungen entstanden. Neben Augsburg und Straßburg war Nürnberg der Ort, wo dergleichen Veröffentlichungen gedruckt wurden. Noch bevor S. hierher kam, erschien dort 1473 bei Coburger eine Uebersetzung des Boethius, 1488 bei Schobser eine Uebertragung von Cicero’s Officien. War der junge Humanist schon dadurch und durch seine Freunde angeregt, so wurde der Wunsch des Kurfürsten ihm Veranlassung zu derartigen Uebertragungen. Wie an dem schönen kurpfälzischen Hofe Philipp’s des Aufrichtigen zu Heidelberg eine Reihe von Gelehrten, Rudolf Agricola, Dietrich von Pleningen, Johann Reuchlin, Werner von Themar, Jakob Wimpheling ihrem fürstlichen Schützer durch Uebersetzungen huldigten, so übertrug der junge Caplan für den des Lateins nur wenig kundigen Kurfürsten lateinische Schriften, die für diesen von Interesse waren. Zum ersten Male erfahren wir von der Uebersetzung des Epigramms eines gewissen Emanuel (Gillert, Mutianus I, 111, Anm. 6), [19] später werden Briefe erwähnt, schließlich werden größere Arbeiten genannt. S. ist sich wol bewußt, daß er mit seiner Uebersetzung in die schwerfällige deutsche Sprache die Schönheit der Urschrift nicht erreicht und „das nymmermer kain sprach zierlich mag auß der andern getolmetscht werden, oder aber ye ser selten, das alle art zierhait vnd lieplihait in der tolmetschung mit folge. Dannocht hab ich auß vnderthenigem bedencken vnnd schuldiger dienstwilliger pflicht dise mein arbaytt auch woellen thun, damit ich mit dem Diogenes aufs wenigst den püttig oder faß woelpert vn vmbtribe.“
Je weniger die Uebersetzungen vom sprachlichen Standpunkte den Humanisten genügten, umsomehr betonten sie den Nützlichkeitsstandpunkt (Hartfelder, Deutsche Uebersetzungen classischer Schriftsteller aus dem Heidelberger Humanistenkreise. Heidelberg 1884, S. 6, 7). Dieser tritt auch bei S. stark hervor, umsomehr, da seine Uebertragungen meist das moralische und religiöse Gebiet berühren. Auch Fürsten gegenüber hebt er offen den praktischen Zweck hervor. Seine Schrift „Eyn fast guts vn | sittlichs büchlein Plutarchi“ hat er „aus dem lateynisch in das teutsch geandert, angesehen. das es einem jeden Fürsten sehr gut zu wissen ist“. Ein ander Mal beruft er sich auf Plutarch’s Bericht über Demetrius Phalereus, der dem Ptolemäus Philadelphus gerathen habe, „er sol gern lesen vnd sich in schrifften vnd historien erkunden, dann er wurd darauß bericht werden, das seine Fraind vn Diener im nicht alleweg dürfften sagen vnd anzaygen, vnd ist aygentlich war, die bucher seind vil kuener leerer dann die lebendigen maister, vnd dürffen zueweilen ainen grossen herrn etwaß in die augen, oren vnd gemuet geben, damit wol ainer mitt seiner rede kommt in das künigreich, will schweigen ann den küniglichen Hof moecht kummen.“
Nachdem sich S. bereits mit der Uebersetzung mehrerer Werke, z. B. 1515 mit der von Justinian’s Institutionen beschäftigt hatte, die sich jetzt auf der Gothaer Bibliothek befinden, trat er gegen Ende des Jahres 1516 in einem Briefe an Luther (Enders, I, 74) mit dem Plane hervor, für größere Kreise Uebersetzungen zu veranstalten und bat um Vorschläge bezüglich der Auswahl geeigneter Schriften. Luther machte in seiner Antwort auf die Schwierigkeiten aufmerksam, da gute und nützliche Bücher in der Regel nur wenigen gefielen, ermuthigte ihn aber zu seiner Arbeit, wenn er sich mit dem Beifalle Weniger begnügen wolle. Ob S. durch diese Worte Luther’s, ob er durch sonstige Verhältnisse an der Ausführung seines Planes gehindert wurde, ist nicht klar. Jedenfalls hat er in der darauffolgenden Zeit wenig übersetzt. Dagegen entfaltete er in dem „großen Jahre“ 1520 plötzlich eine fieberhafte Uebersetzerthätigkeit. Erwähnt seien die Uebertragungen von drei Schriften des Erasmus. Die erste: ¶ Das Sprichwort, | Man muß entwer (sic) ein ko-| nig oder aber ein narr ge | born werden … | MDXX zu Lochau ist dem Fürsten Joachim zu Anhalt gewidmet und vom Mittwoch nach Reminiscere datirt. Am Sambstag nach Jubilate des genannten Jahres wurde abgeschlossen „Die vnterweysung aines frummen vnd Christ- | lichen Fürsten, vol der allerhaylwertigsten vnd | Christlichsten lere, An … Karln den Fünfften … (Gedruckt 1521 in Augsburg durch Sigismunden Grym Doctor, vnd Marxen Wirsung, deren Wappen eine Seite ausfüllt). Auch die „Friedensklage, christliche, nothwendige Klage des Friedens, der in allen nationen und Völkern verworffen … und „¶ Eyn fast guts vn | sittlichs büchlein Plutarchi | von der vnderscheyde des | freundts vn schmey | chlers, allen fürsten | herren, regirern | dienstlich | tütsch. | ❦[WS 2], dem Herzog Johann Friedrich gewidmet, gehört in dieses Jahr.
Größere Bedeutung hatten und weitere Verbreitung erlangten die gleichzeitig veröffentlichten Uebersetzungen Lutherscher Schriften. Anfang Februar 1520 erschien die bereits im Herbste vorher geschriebene deutsche Ausgabe der „Tesseradecas“, [20] die, auf Spalatin’s Veranlassung entstanden, dem Kurfürsten in seiner Krankheit Trost spenden sollte. Auch die Widmung hatte der kurfürstliche Caplan geschrieben (Weimarer Lutherausgabe VI, 100 ff.). Am 8. Mai vollendete dieser die dem Kurfürsten gewidmete Uebersetzung des aureus libellus „Confitendi ratio“. Die Schrift war eine erweiterte Ausführung eines lateinischen Beichtunterrichts, der auf Spalatin’s Drängen verfaßt, vielleicht von ihm in einem deutschen Auszuge veröffentlicht worden war (Knaake a. a. O. II, 57; VI, 154 ff.). Noch nicht zwei Wochen später schloß er ein weiteres Schriftchen „Eyn ser gute Predig … von czweyerley Gerechtigkeit“ mit einer den Reformator hoch rühmenden Widmung an Ritter Hans von Sternberg ab (Knaake a. a. O. II, 144). Bezüglich der übrigen Uebertragungen von Schriften Luther’s, Melanchthon’s, Reuchlin’s u. s. w. verweise ich auf die Angaben bei Schlegel, Engelhardt, Hartfelder, Weller (Rep. typ.) u. a. m. Die Zusammenstellung eines vollständigen Verzeichnisses ist nicht ohne Schwierigkeit, da die Kataloge der Bibliotheken die Uebersetzungen der Schriftsteller nur unter dem Stichwort der Letzteren verzeichnen.
Auch als theologischer Schriftsteller hat er sich versucht. Die Anregung dazu gab ihm bereits 1505 Mutian, der ihm als Aufgabe die These stellte: Si Christus est via, veritas et vita, quid tot seculorum homines ante nativitatem illius egerunt? Auch ein Leben Jesu sollte er auf des Gönners Wunsch mit Urban in Angriff nehmen. Ob er diesen Anregungen gefolgt ist, darüber geben wenigstens die gedruckten Quellen keinen Aufschluß. Ueberhaupt entzieht sich unserer Kenntniß, wieweit er sich bezüglich der religiösen Anschauungen im Einverständniß mit seinem Lehrer befunden habe. Entwickelt dieser doch in den Briefen oft eine freiere Auffassung, die auf die äußere, kirchliche Frömmigkeit und deren Uebung wenig Werth legte. Nicht selten finden sich in den Briefen mehr oder weniger heftige Ausfälle gegen die Werkheiligkeit, die Heiligenanbetung, das Fasten u. s. w. Dagegen wird S. als integerrimus theologus bezeichnet. Luther hatte auf ihn den größten Einfluß, durch diesen wurde er nach seinem eigenen Geständnisse zu reiner evangelischer Anschauung geführt. Namentlich hebt er hervor, daß ihm durch Luther’s Schriften die volle Erkenntniß der menschlichen Sündhaftigkeit, und der Glaube und die Hoffnung auf Christi Verdienst aufgegangen sei (Kawerau, Jonas I, 133). Sogar in lateinischen Versen besang er die sola fides. Gerade in dieser Beziehung konnte er als Verfechter streng evangelischer Anschauung gelten. Deshalb wurden seine Schriften (zu Venedig 1554, zu Rom 1559 und zu Parma 1580 u. s. w.) in den Index aufgenommen (Reusch, Index libr. proh. gedruckt zu Parma 1580. Bonn 1889, S. 16). Seine Schriften zeigen wenig theologische Selbstständigkeit und erscheinen nur als volksthümliche Ausführungen der Gedanken, die Luther, Melanchthon, Jonas und Bugenhagen bereits ausgeführt hatten. Lieblosem Eifer gegenüber vertrat er die Milde. Sie zeigt sich in der Achtung vor den abweichenden Anschauungen Andersdenkender, die nicht politischen Rücksichten, sondern der eigenen Ueberzeugung entsprang. Auch bei Gelegenheit der Beurtheilung der Schmalkaldischen Artikel zeigte er diese Nachgiebigkeit.
Seine dogmatischen Anschauungen hat er u. a. in mehreren Schriften Ausdruck gegeben, z. B. bezüglich des antinomistischen Streites. Er veröffentlichte: „Seer trostliche | Christliche sprüche, | durch die Erwirdige Hochgelar- | te Herrn, Martinum Luther | Doctor, vnd Herrn Phi- | lips Melanchthon … dispu- | tirt … Am Schlusse: Gedruckt zu Erffurdt durch Christoffel Golthammer, zum Halben Rhade inn der Mey-/mergassen. Einen andern Druck verzeichnet Hartfelder (Mel. als Praec. Germ. S. 594 Nr. 265, vgl. S. 582 Nr. 55, 58). Ueber die Bedeutung der Frage spricht sich S. in der Vorrede (v. J. 1537) aus: [21] „Angesehen, das an solchen artickeln viel gelegen, vnnd fast die meisten stuck eines rechten Christlichen wesens, fast alle auffs kürtzt verfast, darinnen stehen. Daraus auch ein jeder Christ ein kurtzen bericht, solcher grossen notwendigen sachen bekommen vnd erlernen, auch daß er das[WS 3] im gedechtnis behalten kan.“ Hatte er die Lehre von den Sacramenten 1537 in der Uebersetzung einer Bibelvorrede (s. u.) behandelt, so legte er die Hauptsätze vom h. Abendmahl nieder in der 1542 verfaßten, 1543 gedruckten, Heinrich und Abraham von Einsiedel gewidmeten Schrift „Das man das Heylige | Hochwyrdig Sacrament, des waren | Leybs vnnd Bluts Chrsti (sic), vnsers lieben | Herrn vnnd Heylandts, nicht anders, denn nach seiner einsetzung, das ist gantz vnnd gar | vnter bayder | gestalt nemen soll, auß vil Christlichen | gegrundten vrsachen.“
Einige kleinere Schriften beschäftigen sich mit praktisch-seelsorgerlichen Gegenständen, für die S. schon früh große Neigung hatte. In Gotha befindet sich (Cod. chart. Gothan. B. No. 169, Bl. 145–176) Johann Gerson’s „Eyn Innig Buchlein | Christlich zw leben | zw hayl allen stenden | der Christenhayt … newlich | verteutscht“ mit der Bemerkung: Sua manu hunc libellum scripsit Georgius Spalatinus ante | Reformationem ecclesiae. Zu rechtem Gebete geben Anleitung „Etliche christliche Gebette“ (Riederer II, 425–429). Als Friedrich der Weise auf dem Sterbebette lag, stellte S. für ihn eine Reihe von Sprüchen zusammen. Er veröffentlichte sie unter dem Titel: „Eyne troestunge an Churfürsten von Sachsen“ (Zwo predigt auff | die Epistel S. Pauli 1. Thess. 4. D. Martini Luther … 1525 ohne Druckort, mit schöner Titelbordüre. Bl. E–Eiij. Wieder abgedruckt in „Herrn Georgii Spalatini … Schrifft„mäßige Tröstungen … Dresden 1728“).
Wie in den genannten Tractaten tritt seine Bibelkenntniß in seinen Briefen, Bedenken und Schriften deutlich hervor. Als eifriger Büchersammler besaß er zahlreiche Ausgaben der Bibel. In der Leipziger Rathsbibliothek befindet sich ein „Psalterium ex ed. Justini Decadyi. Ven. Ald. 1479/8“ mit Bemerkungen von seiner Hand (Naumann, Cat. libr. manuscr., qui in Bibl. sen. Lips. asservantur. p. 39). Auch war er an der Lutherschen Bibelübersetzung betheiligt. Im December 1522 (Enders 4, 34 ff.) legte ihm Luther eine Reihe von Fragen in zwei Briefen vor, von denen die einen sich auf Gen. 1–3, die andern auf Bestimmung von Wild und anderen Thieren beziehen. Auch bezüglich der Edelsteine erbat er sich von ihm Auskunft bei Gelegenheit der Uebersetzung von Offenbarung Johannis c. 21. Wie eifrig S. auch nichtdeutsche Bibelausgaben berücksichtigte, geht daraus hervor, daß er 1537 die Vorrede einer in Paris und Antwerpen erschienenen lateinischen Bibelübersetzung ins Deutsche übersetzte und gesondert herausgab: „Ein Christlich erin- | nerung vnd Vor- | rede | vor der Lateinischen | Bibel, erstlich zu Paris inn | Frankreich, vnd folgend zu Antorff | inn Braband gedruckt, newlich | ausgangen, Darinn auffs | aller kürtzte die gantz Chri- | stlich lere vnd leben vnd | der rechte weg zur | seligkeit ver- | fasset ist. | Wittenberg. | MDXXXVII. Wie auf dem Titelblatt, so hebt er in der Widmung an Hans von Ponickau hervor, daß die Vorrede evangelische Gesinnung atme. Deshalb habe er sie übersetzt. Da darin nicht von den Sacramenten gehandelt werde, so habe er seine „meinung denen hiemit woellen fur aller welt zu einem bekentnis anzeigen“.
Je mehr S. die Bedeutung des Wortes betonte, um so mehr muß es interessiren, ihn als Prediger kennen zu lernen. Von seinem Studium der großen Vorbilder des kirchlichen Alterthums ist mehrfach in den Briefen die Rede. Seine Thätigkeit als Prediger sicherte ihm am Hofe, namentlich in dem abgelegenen Lochau großen Einfluß. Dazu verschaffte sie bei hervorragenden Gelegenheiten, z. B. während des Reichstags zu Speier 1526, ihm große Anerkennung. Merkwürdigerweise [22] ist uns wenig darüber erhalten. Am genauesten sind wir über seine Schweinfurter Predigten (s. o.) unterrichtet aus einer Schrift, die er der Gemeinde widmete unter ausdrücklicher Hervorhebung, daß der Inhalt derselbe sei, wie der der Predigten. Er behandelt in 17 Punkten Sünde, Gesetz und Gnade, Bethätigung des Glaubens, Leiden, Ehestand, weltliche Obrigkeit, Sorge für die Verstorbenen, Secten, Sacrament und Beichte, Gebet, Fasten, Heiligenanrufung und Diener am Wort. – In Altenburg war er von der regelmäßigen Predigt entbunden. In einem Berichte begründete er ausdrücklich die Nothwendigkeit dieser Maßregel; er bat um die Unterstützung durch einen tüchtigen Prediger, da ein Caplan ihn nicht genügend vertreten könne. War er doch in seinem großen Amte mit Geschäften überhäuft.
In seine pastoralen Wirksamkeit gestattet uns einen Einblick sein Bedenken von der Ohrenbeichte (Kapp, Nachlese I. 296 ff.). Elf Gründe führt er dafür an, daß sie nicht nothwendig sei. In der Bibel werde sie weder erwähnt, noch befohlen, noch angerathen (1–3); auch in der alten Kirche sei sie nicht üblich gewesen, wie Hieronymus und Ambrosius bezeugen; in der morgenländischen Kirche sei sie eine Zeit lang abgethan worden, wie ein Beispiel aus Konstantinopel zeigt (4, 5, 8, 9); dazu erkenne der sündige Mensch seine Mängel nur unvollkommen, auch hätten wir ohne das hoher Gebote nur genug, daß wir wahrlich nicht nach mehr geboten „ginen und gaffen“ dürften (6, 7); deshalb solle man nicht nach „neuen sundtlen“ suchen und sich mit solchen ungebotenen stücken verwirren und bekümmern (10, 11). Kurz vor seinem Tode im J. 1544 war S. noch mit Sammlung von Urkunden zur Reformationsgeschichte beschäftigt im Interesse der lateinischen Ausgabe von Luther’s Werken, die namentlich von Kurfürst Johann Friedrich veranlaßt, Georg Rörer in die Hand genommen hatte. Wir sehen aus Spalatin’s Briefen, wie selten gewisse Schriftstücke und Drucke aus der ältesten Zeit der Reformation bereits damals geworden waren und welche Mühe der mit der Vergangenheit so vertraute und durch zahlreiche Beziehungen unterstützte Geschichtsschreiber hatte, sie sich zu verschaffen. Er legte auf den Wiederabdruck besonderen Werth, weil er fürchtete, daß die Gegner später die Existenz gewisser Schriftstücke in Abrede stellen könnten. Am 2. März schrieb S. an den Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth, er möge ihm die Tetzelschen Thesen über den Ablaß, den Briefwechfel Kurfürst Friedrich’s mit Papst Leo X., Luther’s Brief an den Bischof von Brandenburg, sowie Cajetan’s Brief an den Kurfürsten mittheilen (Kolde, Analekta, S. 397 ff.). Kurz darauf wendete er sich an Wenzel Link mit einer ähnlichen Bitte. Aber mehrfach mußte er sie wiederholen (Verpoorten, Sacra analecta 146–148, 150 bis 152. J. Köstlin in den Studd. und Kritt. 1882, 554. J. Köstlin, Martin Luther II. 2. Aufl. S. 686. Bem. zu 605). S. hat übrigens das Erscheinen des ersten Bandes nicht mehr erlebt. Luther’s Vorrede dazu ist am 5. März 1545 geschrieben.
Während diese Arbeiten großentheils nur vorübergehende Bedeutung besaßen, hat sich S. als Geschichtsschreiber ein bleibendes Verdienst erworben. Wenn der Humanismus für die Geschichte, auch die nationale reiche Anregung gab, so war S. durch seinen Lehrer Marschalk auf dieses Gebiet geführt worden; auch in dem Briefwechsel Mutian’s mit seinem Schützlinge spielt die Geschichte eine große Rolle; vielleicht mit Rücksicht auf das historische Interesse konnte er den Jüngling Wimpheling an die Seite stellen. Besonders wurde S. in dieser Neigung durch seinen kurfürstlichen Gönner bestärkt, der jedenfalls schon während seines Aufenthaltes am Hofe Maximilian’s mit Interesse für die Geschichtsforschung erfüllt worden war. In seinem Auftrage trat er zu D. Albert Krantz in Beziehung, der dem Kurfürsten die ungedruckte dänische Chronik des Saxo Grammaticus [23] zuschickte; ferner zu Beatus Rhenanus, der dem hohen Gönner der Humanisten seine Ausgabe des Vellejus Paterculus widmete; namentlich auch mit Johann Reuchlin, der auf eine Anfrage hin die Abstammung des sächsischen Fürstenstammes und Volkes bis ins graue Alterthum verfolgen zu können erklärte. Mochte diese Auskunft bei den Humanisten ein spöttisches Lächeln hervorrufen, Friedrich wurde durch diese Antwort mit stolzer Genugthuung erfüllt. Er ließ den Gelehrten um weitere Auskunft durch seinen Geheimschreiber ersuchen.
Schon früh erfahren wir von selbständigen Arbeiten des Letzteren. Bereits im August 1513 berichtet Mutian, S. habe vom Kurfürsten den Befehl bekommen, sächsische Annalen zu schreiben. Diese Arbeit ist, wie viele andere des vielbeschäftigten Mannes nicht zum Abschlusse gekommen. Seine Vorarbeiten aber sind handschriftlich in dem Archiv zu Weimar und der Rathsbibliothek zu Leipzig erhalten und führen den Titel „De Marchionibus Misniae e stirpe Wittekindi a Tymone ad mortem Wilhelm Coclitis seu ad A. MCCCCXXXV“ (Naumann, Cat. libr. Manuscr., qui in Bibl. sen. Civ. Lips. asservantur p. 139). Hatte ferner Pirkheimer an den deutschen Gelehrten getadelt, daß bisher niemand eine Zeitgeschichte in Angriff genommen habe, so erwachte jetzt das Interesse für die Gegenwart. Auch S. wandte sich ihr zu in der Schrift „Chronicon et Annales ab A. MDXIII ad finem fere anni MDXXV.“ Sie ist auf Grund einer im Besitze des Bürgermeisters Raymund Krafft von Dellmensingen von J. B. Mencke in seinen „Scriptores rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum“ (tom. II, p. 589–664), teilweise auch von Schelhorn (Amoenitates IV, 389–432), deutsch von Struve (Archiv II) veröffentlicht worden. Das Archiv zu Weimar besitzt einen Auszug. Die ganze Reformationsgeschichte behandelt ein Werk „Von christlichen Religionshändeln“. E. S. Cyprian hat einzelne Teile daraus zum Abdruck gebracht unter dem Titel: „Annales Reformationis oder Jahr-Bücher von der Reformation Lutheri“ (Leipzig 1718). Der Herausgeber rechtfertigt den selbstgewählten Titel damit, daß der ursprüngliche verloren gegangen sei. Die Handschrift befindet sich in Gotha; der Text ist von S. selbst geschrieben, die Urkunden von seinem Amanuensis. Bereits der Herausgeber hat die Bedeutung des Werkes, „darinnen die hergestellte, evangelische Kirche gleichsam nach ihrer Kindheit beschrieben wird“, hervorgehoben und betont, daß es „von einem „hochbetrauten Man herkömbt, dem es weder an Redligkeit noch Erkäntniß gemangelt, daneben aber schlecht und recht, wie es im Herzen der ersten Reformatoren gewesen, erzehlet“, der „bey Hof in sonderbahrem Ansehen gewesen und die größten negotia durch seine Hand mit gegangen, wie er denn auch bey auswärtigen besondere consideration erworben“.
Am deutlichsten zeigt sich Spalatin’s Charakter in „Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte“. Die Schrift zerfällt in zwei Theile, von denen der erste das Leben des Fürsten behandelt. Hier werden die einzelnen Erlebnisse, Thaten und Charakterzüge in einzelnen Abschnitten aneinander gereiht. Gerade in dieser schmucklosen Form wird die Darstellung immer eine besonders wichtige Quelle für die Kenntniß Friedrich des Weisen bilden. Weniger wichtig ist der zweite Theil, der von 1463 bis 1525 Jahr für Jahr in Form abgerissener Notizen, die nicht immer auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen können, die wichtigsten Ereignisse aus der Lebens- und namentlich Regierungszeit des Kurfürsten zusammenstellt. Dagegen sind überaus werthvoll die Beilagen und Urkunden, namentlich für die Kenntniß der Regierung Maximilian’s, sowie der Wahl und Herrschaft Karl V. Was die Form und Darstellung anbelangt, so macht die Zweitheilung manche Wiederholung nöthig. Dazu reißt die annalistische, mittelalterliche Anordnung den Stoff sehr auseinander. Die Bearbeitung ist jedenfalls erst nach dem Tode des Fürsten begonnen, als S. und Johann Friedrich [24] das Bedürfniß empfanden, der Nachwelt einen zeitgenössischen, quellenmäßigen Bericht von dem „aureo illo domini Frid. elect. S. saeculo“ zu hinterlassen.
In zwei ziemlich abweichenden Gestalten ist das Werk erhalten, die sich am besten als zwei Bearbeitungen (Seelheim S. 56) erklären lassen. Die erste liegt in der „Sammlung vermischter Nachrichten zur Sächsischen Geschichte“ (V, S. 1–194) vor; die zweite haben Neudecker und Preller in dem ersten Hefte der geplanten, aber leider nicht fortgesetzten Ausgabe von Spalatin’s Werken (Jena 1851) zum Abdruck gebracht. Hier sind auch die Aenderungen verzeichnet, die Kurfürst Johann Friedrich am Texte vorgenommen hat. Sie sind zum Theil formeller Natur; so streicht der fürstliche Kritiker bei Ferdinand (S. 39) das „römisch“ am Titel „römischer König“, weil der Kurfürst Ferdinand als solchen noch nicht anerkannt hat; sie geben auch Winke zu ausführlicher Gestaltung, z. B. bezüglich der Verhandlungen mit Luther zu Augsburg (S. 160); sie haben den Zweck, gewisse Züge römisch-katholischer Frömmigkeit aus dem Charakter des Fürsten zu streichen (S. 31); sie sollen wol auch politische Ziele verfolgen, z. B. die eingehende Erwähnung von Einsetzung der Halleschen Salzgreven durch den Kurfürsten (S. 54).
„Aus dieser Schrift spricht eine so innige und liebevolle Verehrung vor dem jüngst verstorbenen Kurfürsten und eine so herzliche, warme und fromme Gesinnung ihres Verfassers, daß sie sich jedem unbefangenen Leser von selbst empfehlen wird und für ein würdiges Denkmal sowohl des geschilderten Fürsten, dem seine Zeitgenossen mit bestem Rechte den Namen des Weisen verliehen, als seines treuen, von ihm durch so großes und so dauerndes Vertrauen ausgezeichneten Dieners gelten darf. Auch ist diese Schrift durch die Art und den besonderen Ton ihrer Abfassung vor allen übrigen Stücken des Nachlasses ausgezeichnet“ (Neudecker-Preller a. a. O., S. 20). Auch eine Lebensbeschreibung Kurfürst Johann des Beständigen hat S. verfaßt. Während sich dieses Werk noch erhalten hat, scheint ein anderes dem Untergange anheimgefallen zu sein, die Biographie Johann Friedrich’s, an der der Verfasser, vom Kurfürsten unterstützt, bis zu seinem Tode gearbeitet hatte. In die Wettiner Fürstengeschichte gehören auch noch kleinere Arbeiten über einzelne Glieder des Hauses von Kurfürst Ernst bis herab zu Herzog Georg und Moritz. Diese Skizze hat J. B. Mencke in einer lateinischen Uebersetzung von C. G. H. als Vitae aliquot electorum et ducum Saxoniae inde a Friderico I. usque ad Jo. Fridericum A. MDXXXII veröffentlicht (Scriptores II, 1067–1150).
War diese Beschäftigung mit der sächsischen Geschichte zunächst einem rein theoretischen Interesse entsprungen, so wurde sie auch praktischen Zielen dienstbar gemacht, wenn es galt, die Wettiner gegenüber unberechtigten Anschuldigungen in Schutz zu nehmen oder die von ihnen geltend gemachten Ansprüche durch Hinweis auf die Geschichte zu unterstützen. Dazu gab es mannigfache Gelegenheit in einer Zeit, in der das Fürstenhaus verschiedenartigen Verdächtigungen und Mißverständnissen, ja Gefahren ausgesetzt war. Für Friedrich den Weisen trat S. ein, als gegen den Fürsten die Beschuldigung erhoben wurde, er habe sich in der Lutherschen Angelegenheit einem dem Cardinal Cajetan gegebenen Versprechen gegenüber einen Bruch seines Wortes zu schulden kommen lassen (Kolde, Friedrich der Weise S. 18; Kolde, Das zweite Breve Adrians an Fr. d. W. in den Kirchengeschichtlichen Studien. Hermann Reuter … gewidmet. Leipzig 1888. S. 209 f.). Er hat dann in der Belehnungsfrage, überhaupt kaiserlicher Willkür gegenüber mit großer Entschiedenheit und Wärme sein Fürstenhaus verfochten und dies in freimüthiger Weise Karl V. gegenüber als eine Dankesschuld bezeichnet. (Chr. G. Buder, Nachricht von der Belehnung Churfürst Johann Friedrich’s. [25] Jena 1755.) Namentlich von Kurfürst Johann Friedrich wurde S. vielfach in Anspruch genommen.
Als Beispiel sei seine Thätigkeit bei Gelegenheit des Streites der Wettiner mit dem Erzbisthum Mainz bezüglich des Burggrafthums Magdeburg erwähnt. Bereits 1535 hatte er ein Gutachten abgefaßt über die 4 Fragen: 1) Wer doch die Burggrafen zu Magdeburg anfänglich und was Geschlechts und Herkommens sie gewest sind? 2) Was die Burggrafen zu Magdeburg für Gerechtigkeit zu Magdeburg und sonst vom Burggrafenthum zu Halle gehabt? 3) Ob die Burggrafen eher als der erzbischöfliche Stuhl zu Magdeburg gewesen sind? 4) Wie ist das Burggrafthum an die Herzöge von Sachsen gekommen und dann von den Herzögen zu Sachsen das Graueding zu dem Burggrafthum gehörig an die von Magdeburg oder den Erzbischof daselbst? Zwei Jahre später schickte er Dienstag nach Visitationis Mariä an den Kurfürsten dem kürzlich gegebenen Versprechen gemäß „26 Copeyen und Verzeichniß in 4 Büchern, bei 6 römischer Kaiser und Könige Regierung.“ Es ist eine Reihe Urkunden von Otto II. an. Für den Kanzler Brück legte er noch „des heiligen römischen Reichs Glieder in Wappen ausgetheilt“ bei. Bereits zwei Tage später dankte ihm der Kurfürst von Torgau aus und versichert ihn seiner Gnade und Gewogenheit (Hauptstaatsarchiv in Dresden. Loc. 9649. Das Burggrafthum Magdeburg. Ao. 1273. 1473. 1522–1535). Der Streit wurde auf der Zerbster Zusammenkunft von 1538, der auch S. beiwohnte, nicht entschieden, sondern spielte eine Rolle in dem grimmigen Federkriege zwischen dem Kurfürsten und Herzog Heinrich von Braunschweig, der schließlich auf einen Feldzug hinauslief. Auch hier trat der kurfürstliche Geschichtsschreiber mit einer Schrift hervor, die zwar in ihrer geschichtlichen Beweisführung völlig mißlungen ist, aber bei ihrem Erscheinen großen Eindruck machte, „Chronica vnd Herkommen der Churfuerst, vnd Fuersten des löblichen Haus zu Sachsen, Jegen Herzog Heinrichs zu Braunschweig, welcher sich den Jüngern nennet, herkommen.“ Sie erschien 1541 in Wittenberg. In demselben Jahre wurde noch ein Abdruck veranstaltet. Später gab sie Melanchthon heraus (Wittenberg 1553). Auch Hortleder hat sie aufgenommen (Von den Ursachen deß Deutschen Kriegs I, 1479 ff. 4. Buch, 23. Capitel).
In der „Vorrhede“ erklärt S., er habe in Heinrich’s Schmach- und Lästerbuch „befunden, das gedachter Hertzog von Braunschweig, seine Vorfaren vnd sich, so hoch vnd gros thut rhuemen, Aber den Churfuersten zu Sachsen, ein einsetzling, wiewol mit keinem grund vnd bestand, nennen thut. Zu dem, das der Hertzog von Braunschweig auch thar furgeben, das der Churfuerst zu Sachsen, nicht beweisen koenne oder werde, das seine Vorfaren, Fuersten, odder auch geringers stands, der zeit, do seine Vorfaren auff Braunschweig vnd Lueneburg gehertzoget worden, gewesen, zu dem, als solten inn des Churfuersten zu Sachsen Geschlecht, nicht Fuersten gewesen sein, so menschliche Thaten begangen.“ Als ein alter Diener des kur- und fürstlichen Hauses, der dreien Kurfürsten gedient hat, will der Verfasser dieser Unterstellung entgegentreten und den Vorzug der Wettiner damit begründen, daß sie 1) von Widukind abstammen und 2) mit den sächsischen Kaisern verwandt sind. Er stützt sich auf urkundliches Material, führt auch getreulich seine Quellen an. Namentlich geht er mit Vorliebe auf solche zurück, die dem Welfenhause freundlich gesinnt sind, also auch für den Gegner unbedingte Beweiskraft haben müssen. Ueber die Methode, die Waffen ungleich zu vertheilen, hat Seelheim (z. B. S. 80) eingehend gehandelt. Doch hebt er hervor, wie S. trotz seiner Polemik dem Gegner gerecht wird. Freilich ist dem ursprünglich rein objectiven Titelblatt in dem mir vorliegenden Drucke eine schärfere Erklärung hinzugefügt: „daraus ein jeglicher Leser befinden wird, mit was offentlich vngrund vnd vnwahrheit derselbe von Braunschweig, [26] sich elders herkommens gerhümbt … inn seinem nehern schandschreiben (zu Seelheim S. 42).
Außerdem ist handschriftlich erhalten eine Geschichte der Juden, der Griechen, der Römer, der Türken, der deutschen Kaiser bis auf König Ferdinand, der Päpste u. s. w. Ein Schriftchen sei noch erwähnt, das des Verfassers Begeisterung für das deutsche Alterthum seine Entstehung verdankt: „Von dem thewern Deudschen Fuersten Arminio: Ein kurtzer auszug aus glaubwirdigen lateinischen Historien“, 1535 in Wittenberg veröffentlicht und dem Kurfürsten Johann Friedrich gewidmet. (Eine lateinische Uebersetzung findet sich bei Schardius, Historicum opus. I, 259–298.) Die Anregung hatte S. bei Gelegenheit einer Reise erhalten, auf der er den Teutoburger Wald berührte. Wenn die Schrift auch nur ein Beweis seines vaterländischen Stolzes ist und wenig wissenschaftlichen Werth besitzt, so hat sie dies mit vielen ähnlichen humanistischen Arbeiten, die der Freude über die Schriften des Tacitus ihren Ursprung verdanken, gemein.
Auch bezüglich der Form steht S. im Banne der Auffassung seiner Zeit. Wohl hatte er eine Reihe classischer Vorbilder gelesen, aber trotzdem erhob er sich nicht über die Weise der mittelalterlichen annalistischen Geschichtschreibung. Wir vermissen die Schilderung von Höhepunkten geschichtlicher Entwickelung, wie S. sie z. B. auf den Reichstagen zu Worms und Augsburg erlebt hatte. Nur in kurzen Bemerkungen läßt er seinen Antheil erkennen. Ebensowenig erfahren wir etwas von dem inneren Zusammenhange der einzelnen Handlungen; nur selten wird durch den Hinweis auf frühere Berichte eine Anknüpfung versucht. Namentlich fehlt gänzlich die Zeichnung der zahlreichen hervorragenden Persönlichkeiten, die S. infolge seiner amtlichen Verbindungen bei den verschiedensten Gelegenheiten kennen lernte. Nur bisweilen gibt er in kurzen Einschaltungen persönliche Eindrücke und Urtheile wieder. Aber vermissen wir auch die schöne Einheitlichkeit der Darstellung, so werden wir durch den Reichthum und die Zuverlässigkeit der berichteten Thatsachen entschädigt. Standen S. doch die besten Quellen zur Verfügung. Erstens war es ihm vergönnt, an einem Hofe zu leben, an dem die Fäden der reformatorischen Bewegung zusammenliefen. Dazu zog ihn Friedrich der Weise, wie auch die Nachfolger, bei den wichtigsten Angelegenheiten ins Vertrauen. Die wichtigsten Fürstenzusammenkünfte des Reiches hat er besucht und sich eine seltene Kenntniß von Personen und Verhältnissen erworben. Mit Vorliebe hebt er ausdrücklich hervor, daß er dies oder jenes selbst gesehen oder gehört habe. Zweitens war ihm der umfassende Briefwechsel eine reiche Quelle mannigfacher Belehrung. Was in Dänemark oder Tunis, in Ostpreußen oder England und Frankreich vorging, wurde ihm in ausführlichen Berichten eingehend geschildert. Die politischen und militärischen, religiösen und litterarischen, die persönlichen und nationalen Fragen wurden gleichmäßig erwähnt. Ueber die Stimmungen in den einzelnen Städten, über die Aussichten der oder jener Unternehmungen war er auf das genaueste unterrichtet. Nicht ungern erwähnt er solche Zeitungen, fügt sie wol auch ganz bei. Drittens hatte er unbeschränkten Zutritt zu dem kurfürstlichen Archive. Zu den verschiedensten Arbeiten wurde es ihm ausdrücklich zur Verfügung gestellt und große Sammlungen hatte er angelegt. Durch die Visitationen machte er genaue Bekanntschaft mit den urkundlichen Schätzen der Kirchen und Klöster. Werden archivalische Beweismittel vermißt, so gibt er Anweisung, wo sie sich finden konnten. Er macht darauf aufmerksam, daß in der Magdeburger Angelegenheit wichtige Urkunden in der kaiserlichen Kanzlei, oder in den Lehnbriefen oder in den Todtenbüchern gesucht werden müßten. Viertens schenkte er der monumentalen Ueberlieferung große Beachtung. Bei Gelegenheit seiner Reisen und Visitationen hatte er u. a. auch die Grabdenkmäler der Kirchen und Klöster sorgfältig betrachtet. Diese waren für ihn [27] um so wichtiger, als das genealogische Interesse bei ihm stark hervortrat. Freilich erhebt er bittere Klage, daß für die Erhaltung dieser wichtigen geschichtlichen Zeugen so wenig gethan worden sei. Er führt die Bedeutung einer Grabschrift des Grafen Gero im Kloster Gernrode an. Doch ist er im Zweifel, ob eine solche erhalten sei. „Denn größeren Unfleiß findet man schier von Anbeginn der Welt nicht, denn vmb dieselbe Zeit.“ Und ein anderes Mal bemerkt er: „Denn wir sind je leider Sew gewest mit solchen Sachen.“ Fünftens stand ihm eine beträchtliche Büchersammlung zur Verfügung. Er beruft sich vielfach auf die mittelalterlichen Geschichtsschreiber. Anerkennend wird z. B. Thietmar von Merseburg erwähnt „eyn fast erlicher vleissiger man vnd getrewer beschreiber der vier Romischen Kayser“. Daß er trotzdem mancherlei an ihm auszusetzen hatte, beweist sein Brief an Melanchthon, worin er ihm für die Uebersendung dankt. Er äußert hier, daß Thietmar von heiligen Gebräuchen selbst das Geringste berichte, Sachen von Wichtigkeit dagegen übergehe. Ein anderes Mal beruft er sich auf die ungedruckte dänische Chronik des Saxo Grammaticus, die „der erliche man, D. Albrecht Krantz, Dechant zu Hamburg, welcher gar in kurzen Jahren gelebt“, Friedrich dem Weisen geschenkt hatte. Ueber andere Quellen und deren Benutzung sind die Ausführungen bei Seelheim zu vergleichen (z. B. S. 57, wo die Frage aufgeworfen wird, ob S. den Monachus Pirnensis gekannt habe). Bis in sein hohes Alter beschäftigte sich S. mit geschichtlichen Arbeiten, auch dann noch, als sein körperliches Befinden ihn zwang, sich von Amtsgeschäften fernzuhalten.
Bereits 1536 hatte er die Absicht, in den Ruhestand zu treten. Wir erfahren darüber näheres aus einem Briefe des Justus Jonas. Dieser schreibt seinem Freunde, er solle, da er die höfischen Formen genau kenne, ein eingehend begründetes Gesuch an die Wittenberger Freunde schicken, die es dann mit einem unterstützenden Gutachten an den Kurfürsten gelangen lassen würden. Die Angelegenheit wurde so entschieden, daß S. eine Erleichterung in seinen Amtsgeschäften gewährt wurde. In jener Zeit verfaßte er auch sein Testament, dessen Bestätigung durch den Kurfürsten sich im Dresdener Lehnhofe befindet. Die Sorge für seine Familie beschäftigte ihn in den letzten Jahren lebhaft, wie u. a. aus einem Briefe an Herzog Albrecht von Preußen hervorgeht. Dazu hatte er in Altenburg Schwierigkeiten mit dem Schulmeister und dem Rathe; von seinen Gegnern wurde ausgesprengt, er sei bei Hofe in Ungnade gefallen; auch machte er sich wegen einer falschen Entscheidung in Bezug auf die Wiederverheirathung eines Pfarrers schwere Vorwürfe. Wohl tröstete ihn Luther durch ein längeres Schreiben (vielleicht hat er ihn sogar persönlich besucht, wenn das Datum auf einem Becher echt ist); wohl sandte der Kurfürst ihm auf die Nachricht von der Erkrankung seinen Leibarzt, Matthäus Ratzeberger, auch schickte er ihm auf des Letzteren Bericht hin noch ein gnädiges Schreiben, auch ein Faß Wein zur Stärkung, aber schnell ging es mit dem Kranken zu Ende. Er starb am 16. Januar 1545 und wurde vor dem Altar der Bartholomäikirche begraben. Sein stattlicher Zinnsarg mußte noch mehrfach den Platz wechseln. Stigelius rühmte in einem lateinischen Gedichte die Verdienste des Theologen und Geschichtschreibers. Melanchthon nahm sich der Familie treulich an. Der handschriftliche Nachlaß kam in kurfürstlichen Besitz.
Eine bereits vielfach als wünschenswerth bezeichnete wissenschaftliche Lebensbeschreibung G. Spalatin’s, deren Schwierigkeiten Th. Kolde (s. u.) S. 455 hervorgehoben hat, fehlt. Er selbst hat Grundzüge dazu hinterlassen in einer Autobiographie, die sich handschriftlich in Gotha befindet und mehrfach benutzt worden ist. Die wichtigsten Schriften über ihn sind: Chr. Schlegel, Historia [28] vitae Georgii Spalatini, wo sich p. 193–200 ein freilich unvollständiges Verzeichniß der gedruckten und ungedruckten Schriften findet. – Hortleder, Von den Ursachen deß Teutschen Krieges. Gotha 1645. I, 1479 f. – E. S. Cyprian in der 2. Vorrede zu G. Sp. Annales Reformationis. Leipzig 1718. c 4 ff. – J. Wagner, G. S. und die Reformation der Kirchen und Schulen in Altenburg. 1830. – E. Engelhardt, G. Spalatin’s Leben in Meurer’s Leben der Altväter der lutherischen Kirche. 3. Band. Leipzig und Dresden 1863. – Chr. H. Sixt, G. S. in Piper’s evangelischem Kalender. Jahrbuch für 1864. XV, 180–188. – A. Seelheim, G. S. als sächsischer Historiograph. Halle 1876. – Th. Kolde, G. S. in Herzog-Plitt-Hauck, Real-Encyklopädie für prot. Theologie und Kirche. Leipzig 1884. 14², 449–455. – J. und E. Löbe, Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogthums Sachsen-Altenburg. Altenburg 1886. I, 103–105 u. ö. II, 202. – Holtzmann und Zöpffel, Lexikon für Theologie und Kirchenwesen. 2. Aufl. Braunschweig 1888. S. 978. – V. L. von Seckendorf, Commentarius de Lutheranismo. Ed. sec. Lipsiae 1694. Index I. s. v. – F. X. Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie. München und Leipzig 1885. – Chr. S. Liebe, Lebensbeschreibungen der vornehmsten Theologorum, sowol Evangelischer als Päbstischer Seite, welche an. 1530 den Reichstag zu Augsburg besucht. Gotha 1730. Vorbericht S. 10, 22, 26 f. – S. 20–24.
- Eine Veröffentlichung von Spalatin’s Schriften und Briefen begannen Chr. G. Neudecker und L. Preller unter dem Titel: G. Spalatin’s historischer Nachlaß und Briefe. Jena 1851. Nur ein Heft ist erschienen (vgl. o.) Um so wünschenswerther erscheint eine Fortsetzung dieses Unternehmens. Eine Schwierigkeit besteht darin, daß wir zahlreiche Briefe an Sp., aber wenige von ihm besitzen. Sie finden sich in den verschiedensten Bibliotheken und Archiven. Genannt seien in erster Linie Weimar und Gotha, dann Basel, Dessau, Dresden, Erfurt, Frankfurt a. M., Jena, Marburg, Meiningen, München, Schlettstadt, Zerbst, Zürich, Zwickau u. a. m. Vieles ist gedruckt in zahlreichen neueren und älteren Briefsammlungen. Erwähnt sei Luther’s Briefwechsel, herausgegeben von de Wette, Seidemann, Burkhardt und Enders. – Kolde, Analecta Lutherana. Gotha 1883. – Corpus Reformatorum ed. Bretschneider-Bindseil. Halis Saxonum 1834 ff. – Der Briefwechsel des Justus Jonas. Ges. u. bearb. v. G. Kawerau. Halle 1884, 1885. 1. und 2. Hälfte (Geschichtsquellen d. Prov. Sachsen. 17. Band). – Der Briefwechsel des Conradus Mutianus. Ges. und bearb. v. K. Gillert. Halle 1890. 1. u. 2. Hälfte. (Geschichtsquellen d. Prov. Sachsen. 18. Bd.) – K. Krause, der Briefwechsel des Mutianus Rufus. Kassel 1885 (Zeitschr. d. V. f. hessische Geschichte. Supplement. N. F. IX. – O. Vogt, D. Johannes Bugenhagen’s Briefwechsel. Stettin 1888 (Baltische Studien. 38. Jahrgang). – J. Voigt, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten … mit Herzog Albrecht von Preußen. Königsberg 1841. S. 546–574. – Ulrich’s von Hutten Schriften, herausgegeben von E. Böcking. Band 1 und 2. Leipzig 1859. – Horawitz und Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Leipzig 1886. – Epistolae Langianae a … Knaake collectae … editae ab H. Hering. Halis 1886. – F. von Soden und J. K. F. Knaake, Christoph Scheurls Briefbuch. Potsdam 1867 und 1872. 2 Bände. – L. Geiger, Johann Reuchlin’s Briefwechsel. Tübingen 1875. (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. CXXVI.) – K. u. W. Krafft, Briefe und Documente aus der Zelt der Reformation im 16. Jahrhundert. Elberfeld 1876. – J. Köstlin, Briefe vom kursächsischen Hofe an A. Tucher. Theol. Studien und Kritiken. 55. Jahrg. [29] (1882) S. 691–702. – Außerdem die älteren Sammlungen z. B. J. Fr. Hekel, Manipulus epistolarum. Plaviae Variscorum 1695. – A. M. Verpoorten, Sacra superioris aevi analecta. Coburgi 1708. – J. Heumanni Documenta Literaria. Altorfii 1758. – Hummel, Neue Bibliothek. I. Nürnberg 1775. – Kapp, Kleine Nachlese. 3. und 4. Theil. Leipzig 1780. – Herminjard, Correspondance des reformateurs. Genève 1875 ff. 7 Bände. – J. Köstlin, Martin Luther. 2 Bände. 2. Aufl. Elberfeld 1883. – J. Köstlin, Luther’s Leben von Julius Köstlin. Theolog. Studien und Kritiken. 55. Jahrg. (1882) S. 547–557. – Th. Kolde, Martin Luther. I, II, 1. Gotha 1884 ff. – K. Schmidt, Philipp Melanchthon. Elberfeld 1861. – K. Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae. Berlin 1889 (Monumenta Germaniae Paedagogica ed. K. Kehrbach. VII.).[1] – G. Kawerau, Johann Agricola von Eisleben. Berlin 1881. – L. Geiger, Johann Reuchlin, sein Leben und sein Wirken. Leipzig 1871. – K. Krause, Helius Eobanus Hessus. Gotha 1879. 2 Bände. – W. Möller, Andreas Osiander. Elberfeld 1870. – G. Uhlhorn, Urban Rhegius. Elberfeld 1861. – J. W. Baum, Franz Lambert von Avignon. Straßburg und Paris 1840. – Weißenborn, Acten der Erfurter Universität. Halle 1884. II, 204. (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen VIII.) – Chr. Schöttgen, De vita Nicolai Marschalci Thurii, Dresdae 1733. p. 5 (Rostockii 1752 p. 7). – J. Elter, Luther und der Wormser Reichstag (1521). Bonn 1886. Bes. S. 64 f. – O. Redlich, Der Reichstag von Nürnberg 1522–23. Leipzig 1887. – W. Friedensburg, Der Reichstag zu Speier 1526. Berlin 1887. – K. E. Förstemann, Urkundenbuch z. d. Gesch. d. Reichstags zu Augsburg i. J. 1530. 2 Bände. Halle 1833–35. – F. W. Schirrmacher, Briefe und Acten z. d. Gesch. d. Religionsgespräches zu Marburg 1529 und des Reichstages zu Augsburg 1530. Gotha 1876.[2] – G. Plitt, Einleitung in die Augustana. 2 Bände. Erlangen 1867. – G. Plitt, Die Apologie der Augustana. Erlangen 1873. – Jo. Ficker, Die Konfutation des Augsb. Bekenntnisses. Leipzig 1891. – Th. Brieger’s Zeitschrift für Kirchengeschichte. I–XIII. (Gotha 1878 ff.). – J. Becker, Kurfürst Johann der Beständige. Leipzig 1890. – J. M. Sixt, Reformationsgeschichte der Stadt Schweinfurt. Schweinfurt 1794. – Th. Kolde, Der Kanzler Brück. Halle 1874. – H. Laemmer, Monumenta Vaticana. Friburgi Brisgoviae 1861, p. 129. – Außerdem findet sich sein Name in allen Schriften über das Reformationszeitalter im allgemeinen, über die Reformationsgeschichte einzelner Gebiete, namentlich Sachsens, zahlreicher Städte, wie Dresden, Leipzig, Freiberg, Meißen erwähnt.
- Spalatin’s Bild findet man bei Schlegel, Wagner, Engelhardt, Kapp, Nachlese III.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 29. Z. 12 v. o. zuzufügen: K. Hartfelder, Melanchthoniana Paedagogica. 1392. [Bd. 36, S. 792]
- ↑ S. 29. Z. 26 v. u.: W. Friedensburg, Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–59 nebst ergänzenden Actenstücken. Gotha 1892. I, 553. II, 65 und namentlich 68. [Bd. 36, S. 792]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: 1599
- ↑ Vgl. das Titelblatt dieses Werks im MDZ München (Image 5) sowie den Artikel Aldusblatt in der Wikipedia.
- ↑ Vorlage: bas