ADB:Beatus Rhenanus
Dringenberg und nach ihm Crato Hofmann aus Udenheim, „ein Freiburger Schulmeister“ bis 1501 und nach ihm Hieronymus Gebwiler im Geiste des damals aufstrebenden Humanismus leitete. Dieser ausgezeichneten Trivialschule, aus welcher, nach einem bei den Humanisten beliebten Vergleiche, eine große Anzahl ausgezeichneter Schüler hervorgingen wie die griechischen Helden „aus dem trojanischen Rosse“, verdankt auch Rh. seine tüchtige Schulbildung. Bezeichnend für die Leistungen der Schule, die früher auch Wimpfeling besuchte, sind die Namen folgender Männer: Jakob Spiegel, kaiserlicher Rath, Matthias Ringmann Philesius, der bekannte Gelehrte, Paulus Phrygio, der spätere Reformator, Jakob Villinger, kaiserlicher Schatzmeister, Martin Bucer, der Straßburger Reformator, Matthias Schürer, der bekannte Drucker und viele andere. Rh. genoß speciell den Unterricht von Hofmann und Gebwiler. Seine Studien setzte er alsdann an der Pariser Hochschule fort, wo er 1503 als Baccalar und 1504 als Licentiat eingetragen ist (Al. Budinsky, Die Universität Paris und die Fremden im Mittelalter, S. 121). Damals lehrte in Paris der Spartaner Georgios Hermonymos griechisch, bei dem auch [384] Rh. hörte, von dem er aber später sagte, er sei nicht sowohl durch seine Gelehrsamkeit als durch sein Vaterland berühmt. Am innigsten wurde des Rh. Verhältniß zu Jakob Faber Stapulensis, dem berühmten Aristoteliker, der über Physik und Dialektik las, und der seinen Schüler Rh. auch selbst liebgewann. Rh. hat später dem verehrten Lehrer den schuldigen Dank in Form der Widmung eines Buches („Divini Gregorii Nyssae Episcopi, libri octo etc.“, Argent. 1512) abgetragen. Ebenso wurde Rh. ein dankbarer Schüler des Jodocus Clichtoveus, des Doctors der Sorbonne und des Faustus Andrelinus aus Forli, der unter großem Zulaufe lehrte. Unter den befreundeten Studenten trat ihm besonders nahe Michael Hummelberg von Ravensburg, der früher in Heidelberg studirt hatte, und mit dem die Freundschaft bis zu dem frühen Tode Hummelberg’s dauerte. Mit tüchtigen sprachlichen Kentnissen ausgerüstet, kehrte der junge Elsässer, vermuthlich 1507, in seine Heimath zurück, wo er die nächsten Jahre in Schlettstadt und noch mehr in Straßburg zubrachte. Die schon in Paris begonnene Thätigkeit in den Buchdruckereien setzte er in Straßburg eifrig fort. Sein erster Straßburger Druck aus dem Jahre 1508, die Ausgabe von „Henrici quarti Romani Imperatoris bellum contra Saxones heroico carmine descriptum“, erschien bei Johannes Grüninger. Zahlreicher waren die Drucke, welche er bei Matthias Schürer in Straßburg von 1509–1511 erscheinen ließ, meist Ausgaben von Schriften italienischer oder französischer Humanisten, darunter auch die „Epistolae prouerbiales et morales longe lepidissimae nec minus sententiosae“ seines Pariser Lehrers P. Faustus Andrelinus (1508). Eine beachtenswerthe Arbeit aus dieser Zeit ist die Lebensbeschreibung des berühmten Straßburger Predigers Geiler von Kaiserberg, welche an der Spitze von dessen Narrenschiff 1510 erschien.
Rhenanus: Beatus Rh., mit eigentlichem Namen Bild heißend, geboren 1485 zu Schlettstadt, † am 19. Mai 1547 zu Straßburg i. E., Humanist, Philologe und Historiker. – Der Vater des R., der Fleischer Anton Bild, wanderte aus seinem Heimathsdorf Rheinau nach der elsässischen Reichsstadt Schlettstadt aus, weshalb er hier Rheinauer hieß (latinisirt Rhenanus). Obgleich die Stadt nicht groß war, zeichnete sie sich damals doch durch Wohlstand aus, der sich auf den ergiebigen Ackerbau in der fruchtbaren Ebene und den Handel mit elsässischen Weinen gründete. Zugleich blühte die städtische Lateinschule, welche von 1441–1477 der WestfaleSeit 1511 begegnet uns Rh. in Basel, wieder in Verbindung mit den großen Buchdruckern, welche damals in Basel, dem Leipzig des 16. Jahrhunderts, ihren Wohnsitz hatten. Hier vermuthlich wurde er auch mit dem berühmten Desiderius Erasmus bekannt. Aus der Bekanntschaft wurde bald eine innige Freundschaft, trotzdem daß Rh. beinahe zwanzig Jahre jünger war. Er gab sich große Mühe mit der Veröffentlichung Erasmischer Schriften verschiedenen Inhaltes, machte auch gelegentlich den Vermittler zwischen Erasmus und anderen Gelehrten. So konnte z. B. Zwingli Rh. bitten, Erasmus und Luther wieder mit einander auszusöhnen, was freilich nicht gelungen ist. Er lebte im Hause des bekannten Buchhändlers Johannes Amerbach und vervollkommnete sich gemeinsam mit dessen Söhnen Bruno, Bonifaz und Basilius durch den Unterricht des Nürnberger Dominicaners Johannes Conon (Kuno), der neuerdings aus Italien zurückgekehrt war, im Griechischen. Dem 1513 gestorbenen Lehrer sprach Rh. seinen Dank in einer pietätvollen Grabschrift aus. Auch im Hause des Buchhändlers Froben war Rh. ein gern gesehener Gast. Später gab er auch einigen jungen Leuten Unterricht in den alten Sprachen und nahm Albert Burer aus Brugg zum Famulus an. Im Sommer 1519 verließ er Basel wegen der Pest und begab sich nach Schlettstadt, bis er 1526 mit seinem Famulus Rudolf Berz ganz nach Schlettstadt übersiedelt und in dem stattlichen, von dem im J. 1521 gestorbenen Vater ererbten Hause ein gelehrtes Stillleben führt. Es scheinen die religiösen Wirren in Basel zu dem Entschlusse der Uebersiedelung in die katholisch bleibende Vaterstadt mitgewirkt zu haben, wie aus demselben Grunde sein hochgeschätzter Erasmus sich auf einige Jahre nach Freiburg begab. In Schlettstadt blieb er bis an das Ende seines Lebens, nur daß er ab und zu kleine Reisen unternahm, z. B. nach Straßburg oder Basel oder im J. 1530 nach Augsburg, wo er Peutinger und dessen Bibliothek kennen lernte. [385] Erst einige Jahre vor seinem Tode heirathete er die Wittwe Anna Braun, die aber nicht einmal zu ihm zog, sondern in ihrem Hause wohnen blieb. Wegen eines schweren Leidens suchte er 1547 in den Heilquellen von Baden-Baden Linderung, starb aber auf der Heimreise am 20. Juli in Straßburg. Um sein Sterbebette standen die evangelischen Prediger Straßburgs, darunter auch sein Landsmann Martin Bucer. Sein Leichnam wurde nach Schlettstadt gebracht und in der Pfarrkirche begraben. Seine Bibliothek vermachte er seiner Vaterstadt, wo sie noch jetzt aufbewahrt wird. Die in derselben befindlichen handschriftlichen Briefe sind gemeinsam mit anderen von Adalbert Horawitz und mir herausgegeben worden. Aus seinem Briefwechsel gewinnt man ein Bild des ausgedehnten Kreises, mit dem er als Freund und Gelehrter verkehrte. Kaum daß ein einziger von den glänzenden Namen des deutschen Humanismus fehlt. Spalatin vermittelt den Verkehr mit Kurfürst Friedrich von Sachsen. Mit Willibald Pirkheimer, Sebastian Münster, Johannes Huttich und Johannes Aventinus verkehrte er über Fragen der deutschen Geschichte. Mit den zahlreichen Erasmianern, wie Ulrich Zasius, Johann Botzheim, Michael Hummelberg, Hieronymus a Lasco, Paul Volz u. a. wechselt er fleißig Briefe, in denen nicht nur von dem allverehrten Humanistenfürsten Erasmus, sondern auch von allen wichtigen Zeitfragen wissenschaftlichen Charakters die Rede ist. Mit den Buchdruckern Amerbach, Froben, Schürer, Herwagen, Episcopius, Oporinus u. a. verhandelt er über Verlagswerke, aber auch über andere wichtige Dinge. In früherer Zeit, ehe er sich kühl von der Reformation zurückzog, begegnen uns unter seinen briefschreibenden Freunden auch zahlreiche reformatorische Männer, wie Martin Bucer, Johannes Oekolampad, Otto Brunfels, Ulrich Zwingli, Paulus Phrygio, Wolfgang Capito. Mit Luther und Melanchthon hat ein brieflicher Verkehr nicht stattgefunden, so sehr sich gemeinsame Freunde bemühten, wenigstens Melanchthon und Rh. einander nahe zu bringen. Seine Stellung zur Reformation ist die gleiche wie bei Erasmus. Vor dem Auftreten Luther’s klagt er über die Unwissenheit der Geistlichkeit und den sittlichen Verfall der Kirche. Die Scholastiker sind auch ihm „Sophisten“. Den Ablaßhandel fand er nicht lächerlich, sondern beweinenswerth. Aber der frühere Freund Hutten’s und Zwingli’s wurde mit den Jahren vorsichtiger. Erasmus war die Sonne, nach der er sein Gesicht wandte. Vermuthlich ging es ihm, wie dem Juristen Zasius, der schließlich den Bauernkrieg von 1525 als ein Werk Luther’s ansah und deshalb zur katholischen Kirche zurückkehrte. Ohnehin war er durch den Aufenthalt in dem streng katholischen Schlettstadt zur größten Vorsicht genöthigt. Doch kann er in seinem Herzen kein streng gläubiger Katholik gewesen sein. Nach seinem Tod schrieb sein Freund Hedio über ihn: „Die wahre Religion (womit das evangelische Bekenntniß gemeint ist) liebte er unzweifelhaft, wenngleich er sich den (katholischen) Ceremonien seiner Vaterstadt angepaßt hat, darin vielleicht der Meinung des Erasmus folgend“. Damit stimmt im wesentlichen, was sein Biograph Johannes Sturm von seiner Religion erzählt. Alle Zeitgenossen aber sind über die Reinheit seines sittlichen Charakters, seine Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit einig. Der große Gelehrte war zugleich auch ein warmer Vaterlandsfreund.
Sehr groß ist die Zahl der von ihm zum Drucke beförderten oder verfaßten Werke. Der Index bibliographicus, welcher der Ausgabe seines Briefwechsels beigegeben ist, zählt 68 Nummern, welche Gustav Knod noch um einige vermehrt hat. Aus der Zahl der Schriften, bei deren Drucklegung er betheiligt gewesen oder die er selbst herausgegeben hat, mögen folgende hervorgehoben sein: „P. Fausti Andrelini Foroliuiensis epistolae prouerbiales etc.“ (Argentor. Schürer 1508), „Lodovici Bigi Pictorii etc. [386] opuscul. Christianor. libri tres etc.“ (Argent. 1509), „P. Fausti Andrelini Foroliuiensis De virtutibus carmen“ (Argent. Schürer 1509), „M. Antonii Coccii Sabellici libri exemplorum libri X“ (Argentor. Schürer 1509), „Opera Pomponii Laeti“ (Argentor. 1510), „Pandulphi Collenucii Pisaurensis apologi quatuor“ (Argent. 1511). Zugleich besorgte er Ausgaben von Schriften seines Freundes Erasmus: Moriae Encomium cum commentariis Gerhardi Listrij (Basil. 1515), damit verbunden des Erasmus Epistola apologetica ad Martinum Dorpium theologum, die Uebersetzung von Theodorus Gaza durch Erasmus (Basil. 1516), Scarabeus cum scholiis, Silenus, Alcibiades (Basil. 1517), Enchiridion militis Christiani (Basil. 1518), Familiarium colloquiorum formulae (Basil. 1518), Auctarium selectarum aliquot epistolarum (Basil. 1519), Ratio seu compendium verae theologiae (Basil. 1519), Catalogi duo operum und dabei „Epitaphiorum ac tumulorum libellus, quibus Erasmi mors defletur“ (Basil. 1536), dann die Gesammtausgabe der Werke des Erasmus (Basel 1540).
Daneben wandte er seinen Scharfsinn und seine Arbeitskraft auch einzelnen classischen Schriftstellern zu. Seine Ausgaben, zu denen er nach Kräften sich um Handschriften bemühte, werden von den Herausgebern noch jetzt beachtet. Es sind zu erwähnen: „C. Plinii Secundi Novocomensis Epistolarum libri decem“ (Argent. 1514), „C. Plinii Secundi De viris illustribus, Suetonii Tranquilli De claris Grammaticis etc.“ (Argent. 1514), „L. Annaei Senecae De morte Claudii Caesaris“ (1515), „Quintus Curtius“ (Argent. 1518). „P. Cornelii Taciti historia augusta“ (Basil 1519), ganz besonders wichtig ist seine Ausgabe des „Velleius Paterculus“ (Basil. 1520), die editio princeps dieses Schriftstellers, die jetzt selbst dem Werth einer Handschrift gleichkommt, da der von Rh. benutzte Codex verloren gegangen ist; ferner „Opera L. Annaei Senecae“ (Basil. 1529) von Erasmus, wobei Rh. nur für eine Theil mitwirkte; „Cornelii Taciti Annales“ (Basil. 1533), „Livius“ (Basil. 1535). Auch die kirchlichen Schriftsteller erfreuten sich seiner Sorgfalt. Bekannt sind seine Ausgaben des Gregor von Nyssa (Arg. 1512), Prudentius (Selestadii 1520), Tertullian (Basil. 1521), „Autores histor. ecclesiasticae“ (Basil. 1523), Origenes (Basil. 1536). Anerkannt ist seine Begabung für die Conjectur, zu der er erst griff, wenn ihm die Handschrift unzureichend erschien. Den größten Ruhm bei seinen Zeitgenossen erntete er durch sein Geschichtswerk „Rerum Germanicarum libri tres“ (Basil. 1531), das durch seine Sorgfalt und Gelehrsamkeit allgemeine Anerkennung fand. Melanchthon bezeichnet ihn deshalb als den „hochgelehrten Herrn Rhenanus“. Den Historiker Rh. würdigt Horawitz mit folgenden Worten: „Gegenüber dem rhetorischen Wesen Bebel’s, der compilirenden Tendenzgeschichte Wimpheling’s, dem poetisirenden Celtis und dem sehr verdächtigen Trithemius ist er der einzige, der den Namen des Geschichtsforschers verdient. Denn er allein hat Methode, Unparteilichkeit und macht die schwere, aber unerläßliche Arbeit der Kritik durch. Einzelne dieser Vorzüge theilen auch andere Zeitgenossen mit ihm, doch in der philologischen Methode ist er allen überlegen.“
- Die erste Biographie des Rh. von dem berühmten Straßburger Pädagogen Johannes Sturm (Basel 1551). – Die älteren Arbeiten antiquirt Ad. Horawitz, Beatus Rhenanus (Sitzungsberichte der Wiener Akademie, philol.-histor. Classe, Bd. LXX (1872), Bd. LXXI (1872), Bd. LXXII (1872). Auch separat erschienen (Wien, Karl Gerold’s Sohn). – Ad. Horawitz, Die Bibliothek und Correspondenz des Beatus Rhenanus (Sitzungsberichte der Wiener Akademie [phil.-hist. Classe]), Bd. LXXVIII (1874). – Ad. Horawitz und Karl Hartfelder, Briefwechsel des Beatus Rhenanus, Leipzig 1886. – Gust. Knod im Centralblatt für Bibliothekswesen, 1887. S. 305–315.