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ADB:Zasius, Ulrich

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Artikel „Zasius, Ulrich“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 708–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zasius,_Ulrich&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 11:49 Uhr UTC)
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Zasius: Ulrich Z. (auch Zäsi oder Zasy), einer der namhaftesten deutschen Rechtsgelehrten und Humanisten aus dem Ende des 15. und dem Anfange des 16. Jahrhunderts; geboren 1461 zu Constanz am Bodensee, † am 24. November 1536 zu Freiburg im Breisgau, 74 Jahre alt. Des Zasius Vorfahren lebten zu Constanz; sein Großvater, Konrad Zäsi, war ein wohlhabender Bürger, welcher den Haupttheil seines Vermögens der Kirche vermachte, seinem gleichnamigen Sohne aber nur das zu einem einfachen Leben Nothwendige hinterließ, da er [709] erwartete, daß letzterer unverehelicht bleibe, weil ihm an der linken Hand die Finger fehlten. Allein Konrad jun. gab der väterlichen Erwartung zuwider, wie die Chronik kurz berichtet, „einer Constanzerin seine Rechte, ohne daß die mangelhafte Linke Einsprache erhob“. In dieser Ehe wurde 1461 Ulrich Zäsi geboren, der die deutsche Form des Namens noch längere Zeit im bürgerlichen Leben behielt, als er in der Litteratur bereits latinisirt war. Ulrich gedieh, wie uns erzählt wird, unter wohlthuenden Eindrücken im einfachen Elternhause, und besuchte dann die Constanzer Domschule, welche zu den angeseheneren Bildungsanstalten jener Zeit gehörte. Am 27. April 1481 wurde unser Z. unter dem Rectorate des Johannes Crützlinger J. U. Dr. der neugegründeten Hochschule in Tübingen, immatriculirt, wo der Italiener Laurentius Marenchus aus Novi und der Savoyarde Gabriel Chabot von Cambray neben dem vorerwähnten Crützlinger und Ulrich Krafft von Ulm die Leges lehrten. Welcher Facultät Z. eingereiht wurde, ist mit Sicherheit nicht festzustellen. Er selbst datirt seine juristische Bildung erst von Freiburg, und nach einzelnen zerstreuten Bemerkungen ist anzunehmen, daß Z. zu Tübingen in jugendlichem Leichtsinne ein ziemlich lockeres Leben geführt habe. In seine Vaterstadt zurückgekehrt, trat er, wie es scheint, in Dienst der bischöflichen Curie und bekleidete zugleich ein städtisches Verwaltungsamt.

Im Anfange der neunziger Jahre wurde er nach Fichard als Stadtschreiber nach Freiburg i. Breisgau berufen, und 1494 als solcher in das Bürgerbuch eingetragen. Im nemlichen Jahre wurde des Zasius Hülfe auch von den Eidgenossen in Anspruch genommen, welche sich an den Freiburger Stadtrath mit der Bitte wandten, ihnen Z. als Unparteiischen bei einer Verhandlung mit Zürich auf Sonntag nach der Pfingstwoche zu Einsiedeln zu überlassen.

Bei dem Umzuge nach Freiburg war die Aussicht auf regeres, geistiges Leben und weitere Ausbildung, welche die Universität bot, zweifellos von großem Einflusse. Wir finden den bereits 30jährigen Z. als eifrigen Schüler der Freiburger Docenten. Als seine Lehrer, denen er die rudimenta juris positivi verdanke, nennt er die Decretisten Joh. Knapp, Joh. Obernheim, Joh. Angelus de Besontio aus Mailand, ferner den Legisten Ulrich Krafft und namentlich dessen Nachfolger Paulus de Cittadinis. Zugleich unterhielt er mit den Humanisten seiner Zeit, mit Konrad Peutinger aus Augsburg, Konrad Celtes, Jakob Locher, genannt Philomusus. mit Jacob Wimpheling, dem Philologen Heinrich Bebel in Tübingen u. A. einen lebhaften, geistigen Verkehr.

Daß er die praktischen Ziele des Humanismus mit Ernst verfolgte, beweist sein Rücktritt vom Stadtschreiberamte im J. 1496 und die Uebernahme der Lateinschule in Freiburg. Drei Jahre später, während deren er sich „weit entfernt von der Jurisprudenz“ ausschließlich humanistischen Studien hingab, kehrte er zu ersterer zurück. Er wurde am 6. November 1499 immatriculirt, kurz darauf zum Doctor Legum promovirt, und von seinem hochverehrten Lehrer und Gönner Paulus de Cittadinis für eine ordentliche Vorlesung über den Titel „de constitutionibus institutionum“ substituirt. Bald nachher übertrug ihm die Universität die Vorlesungen über Rhetorik und Poesie, dann über Institutionen und endlich auf wiederholtes Drängen der Bürger und Studenten nach dem Rücktritte des Cittadinus am 16. Juni 1506 die Lectura ordinaria Legum mit einem Jahresgehalte von 100 fl. rheinisch und der Verpflichtung, täglich anderthalb Stunden zu lesen, als Rechtsanwalt die Universitätsgeschäfte zu besorgen und keine andere Hochschule zu beziehen. Kurze Zeit nach Eintritt in die Facultät zerwarf sich Z. im Wintersemester 1505/6 als geschäftsführender Decan mit sämmtlichen Mitgliedern wegen eines für Herzog Albert von Baiern, Pfalzgrafen bei Rhein, erstatteten Facultätsgutachtens, welchem Z. noch ein eigenes beifügte. [710] Der mit Bitterkeit geführte Streit wurde erst im März 1508 von der Universität gütlich beigelegt. Einige Jahre früher (gegen Ende des Jahres 1502) beschwerte sich die philosophische Facultät über Z. wegen Schmähungen. Dieser stellte jedoch in der Sitzung vom 2. Januar 1503 alles in Abrede, und war durch dessen Widerruf die Sache erledigt.

Ein Hauptgrund späterer Zerwürfnisse von untergeordneter Bedeutung mochte in dem bewußten Auftreten des Zasius als juristischen Reformators und in der Eifersucht der Collegen über dessen einflußreiche Doppelstellung bei der Universität und der Stadt zu finden sein.

Z. hatte als Lehrer zahlreiche, treu anhängliche Schüler; sie waren es hauptsächlich, welche seinen Ruhm verbreiteten; denn in der unmittelbaren persönlichen Wirksamkeit und in der zündenden Beredsamkeit lag des Zasius Hauptkraft. Sein Biograph Johann Fichard – zugleich sein hervorragendster Schüler – sagt von ihm: „Alles lebte, was er sprach; ich habe in Deutschland und Italien keinen Professor gehört, der ihn an Lebendigkeit der Rede übertroffen.“ Ein Anderer (Mynsinger von Frundeck), der auch in Padua studirt hatte, gesteht: Alles, was er von den Rechten wisse, Zasius allein zu verdanken, und Dr. Häß aus Antwerpen, welcher in Padua die Studien fortsetzte, schreibt an Z.: „So viele ich auch höre und kennen lerne, keiner leistet das, was mein Professor Z. geleistet, – das steht nun ein für allemal fest!“ Sein Schüler und in den letzten Jahren vertrautester Hausgenosse, Christoph v. Hohenberg, welcher die Trauerrede hielt, rühmt in dieser: „Preisen wir uns glücklich, den Lehrer gefunden zu haben, den Frankreich bewundert, Italien anstaunt, Spanien verherrlicht, den die Deutschen lieben. Wie war sein Vortrag geistvoll, wie unvermerkt führte er uns in die innersten Tiefen des Verständnisses ein; wie ein Anatom zerlegte er die Theile des Gesetzes, und zu allem floß seine Rede honigsüß von den Lippen, wie die Worte des phylischen Greises. Was die Natur nur vereinzelt den Einzelnen spendet, das besaß er in reichlichster Fülle!“ Aber auch außerhalb des Hörsaales war das Verhältniß zwischen Lehrer und Schülern ein durchaus herzliches. Er war ihnen wie ein Vater zugethan; jeder freute sich, den Lehrer zur Vorlesung oder zur Kirche abzuholen und zurückzubegleiten. War es einem vergönnt, in sein Haus oder in seine Familie aufgenommen zu werden, oder an den Disputationen im häuslichen Kreise „in contubernio litterario“ theilzunehmen, so schrieb er dies besonderem Glücksfalle zu. Aber auch Z. war dieser vertraute Verkehr mit der Jugend zur Lebensgewohnheit geworden, und er sprach in den letzten Lebensjahren mit Vorliebe und Wärme von seinem Auditorium. Neben der ausgedehnten Lehrthätigkeit erwuchs Z. bei seiner Rückkehr zur Jurisprudenz (1499) eine erhebliche Zahl praktischer Berufspflichten. Seit 1502 hatte ihn die Stadt Freiburg als Gerichtsschreiber angestellt; 1503 ward er Rechtsconsulent der Universität; daneben wurde er von Einheimischen und Fremden bald mündlich, bald schriftlich um Gutachten und Entscheidungen gebeten, so daß seine Freunde ihn mit Q. Mucius Scävola verglichen, dessen Vorhallen nach Cicero’s Angabe von Rathsuchenden stets belagert waren; ferner hatte er die Verpflichtung, eine Sammlung der stadtgerichtlichen Erkenntnisse anzulegen und außerdem eine Umarbeitung des Freiburger Stadtrechtes unter Berücksichtigung der kaiserlichen geschriebenen Rechte vorzunehmen, welche nach jahrelanger, mühsamer Arbeit, wobei ihn sein gelehrter Freund Ambrosius Kempf und der Stadtschreiber Johann Armbruster unterstützten, am Neujahrstage 1520 unter dem Titel „Newe Stattrechten und Statuten der loblichen Statt Freyburg im Pryßgau gelegen“ (1520 fol. Basel) in Kraft trat. Endlich bearbeitete er im Auftrage des Markgrafen Christoph I. das 1511 publicirte Gesetzbuch „Der Markgrafschaft Baden Statuten und Ordnungen in Testamenten, Erbfällen und Vormundschaften“ s. l. et a. fol. [711] und verfaßte nebenbei für mehrere adelige Familien Hausgesetze. Er scheint bis 1511 in seiner amtlichen Stellung zur Stadt Freiburg geblieben zu sein.

So finden wir unseren Gelehrten mitten in die volle Thätigkeit eines praktischen und theoretischen Juristen hineingestellt: zugleich durchdrungen vom Geiste des Humanismus und bald ergriffen von den Regungen der Reformation auf kirchlichem Gebiete, zu der er sich mit großem Interesse und tiefer Sympathie hingezogen fühlte. Eine durchgreifende Reinigung der kirchlichen Lehre, wie sie sich in Wittenberg Bahn brach, fand auch bei den rheinischen Humanisten und in den Kreisen des Zasius ungetheilte Zustimmung. Zugleich lag in Luther’s Wesen ein Zug, welcher Z. sympathisch berührte, und zu verwandter Geistesrichtung und Gesinnung die Zuneigung des Gemüthes führte. „Was von Luther an mich gelangt,“ schreibt er an den ihm befreundeten Amerbach 1519, „das nahm ich auf, als wenn es von einem Engel käme“. Von Luther’s Gelehrsamkeit hatte er eine hohe Meinung, und betont die acutissima commentatio des Galaterbriefes, dessen Erläuterung er gleich der Abhandlung über die Buße und die Beseitigung der kirchlichen Mißstände mit voller Befriedigung gelesen hatte. Mit größter Spannung sah man, wie in ganz Deutschland so auch in Freiburg dem Ausgange der Leipziger Disputation mit Dr. Eck entgegen. Als Z. aus den Acten ersah, welche Ansichten Luther über den Primat und die Concilien hege, zögerte er, den gefährlichen Schritt ins Extreme mitzumachen, zumal auch in den Lehren von den guten Werken, der Willensfreiheit und dem Abendmahle tiefgehende Meinungsverschiedenheit gegen die Reformatoren herrschte. Den letzten Versuch zur Verständigung that er in einem längeren Schreiben an Luther, in dem er diesen als Phönix der Theologen begrüßt, und ihn als Zierde der christlichen Welt eindringlich zur Mäßigung und zur Wahrung des Friedens ermahnt. Zwei Monate nach Abfassung dieses Briefes – etwa Anfangs October 1520 – war die Trennung eine vollständige, und die Bemühung der Freunde, einen Ausgleich herbeizuführen, vergeblich. Die überlieferten Autoritäten der Kirche und das Ansehen des kanonischen Rechtes waren in seinen vorgerückten Jahren bereits zu tief mit seinem sittlichen Bewußtsein verwachsen, als daß er sich hiervon hätte lossagen mögen. Hierzu kamen noch der gewichtige Einfluß des Erasmus, vielleicht auch der des streng katholischen, Z. besonders geneigten Erzherzogs Ferdinand und die ihn umgebenden Verhältnisse in den österreichischen Vorlanden. So entschieden Z. von nun an dem Protestantismus entgegen trat, ebenso entschieden tadelte er auch manche Zustände und Maßnahmen auf katholischer Seite. „Während man bei Euch (in Basel) in der Ketzerei verrückt worden ist, rast man hier unter der Herrschaft des Christenthums. Der Klerus ist verderbter als jemals. Euren Wahnsinn mißbraucht man hier zum Wühlen. Bei uns (fährt er in einem anderen Briefe fort) je mehr Priester, desto weniger Frömmigkeit. Auf beiden Seiten fehlt Redlichkeit, Treue und Reinheit“. Den Vorwurf, daß er die Ketzer begünstige und zu ihnen halte, mußte er in seiner Umgebung oft hören, und die Kirche hat ihm sein anfänglich skeptisches Verhalten nie verziehen. Nach seinem Tode wurde sein Name dem Ketzerverzeichnisse einverleibt, und obgleich der Universitätssenat auf Antrag der Söhne in öffentlicher Urkunde seine bis zum Tode bewahrte Rechtgläubigkeit bezeugte, wurden seine Werke doch auf den Index gesetzt.

Im J. 1525 mußte er in Freiburg die Gräuel des Bauernkrieges erleben. Am 15. Mai dieses Jahres sammelten sich im Schwarzwalde Scharen bewaffneter Bauern, die in zwölf Fähnlein etwa 12 000 Mann stark gegen die Stadt marschirten; am 20. dieses Monats nach Ueberrumpelung des Blockhauses den Schloßberg mit den umliegenden Höhen besetzten und Freiburg mit grobem Geschütz beschossen. Auch des Zasius Haus „Zum Wolfseck“ erlitt durch eine achtpfündige Eisenkugel [712] eine schwere Beschädigung. Die in unzureichendem Vertheidigungszustande befindliche Stadt war nach kurzer Gegenwehr und erfolglosem Ausfalle am nächsten Tage genöthigt, sich zu ergeben, mußte schwere Contribution leisten und dem von den Bauern gestifteten „christlich-brüderlichen Vereine“ beitreten. Gram und Bitterkeit über die schlimme Lage der Stadt und zugleich tiefe Entrüstung über Luther, „den Verderblichsten aller Zweibeinigen, der ganz Deutschland in solch’ rasende Wuth gestürzt“, bekunden des Zasius Briefe aus jener Zeit, besonders jene an seinen früheren Schüler Jacob Spiegel, den vertrauten Secretär des Erzherzogs Ferdinand.

Im J. 1519 hatte Z. seine Frau verloren, deren Tod er schmerzlich betrauerte. Leider sind über sie keine Nachrichten erhalten; allein, bei dem glücklichen Gedeihen des Hauses und der von demselben auf weitere Kreise geübten Anziehungskraft ist mit Grund auf ein harmonisches Leben der Ehegatten zu schließen. Bei dem Temperamente des Zasius und dessen Lebensgewohnheiten war diesem der Wittwerstand ein sehr drückendes Leid; er klagte, ohne Häuslichkeit an fremden Tischen umherzuirren, und so schloß er nach Ablauf des Trauerjahres einen neuen Ehebund. „Ich habe“ – schreibt er selbst seinem jugendlichen Freunde Amerbach nach Avignon – „ein Weib genommen – ein junges Mädchen, ganz arm aber rechtschaffen und folgsam; sie ist von geringer Herkunft, aber an Tugend steht sie Keiner nach! Es ist nicht zu sagen, wie verschieden diese Sache beurtheilt wird, je nach dem man mir wohl oder übel will. – – Meine Freunde ohne Unterschied loben, billigen, sagen, ich habe verständig gehandelt, und überschütten mich beinahe mit guten Verheißungen.“ Allerdings war der Unterschied nicht bloß an Jahren, sondern auch nach Stand und Bildung zwischen beiden Ehegatten ein sehr großer. Allein Frau Barbara, welche seine Magd, dann Haushälterin gewesen, lohnte ihm mit Liebe und Treue, schuf ihm ein trautes Heim und erfreute ihn noch mit reichem Kindersegen. Bis 1528 wurden dem bejahrten Manne zu seinem freudigen Stolze sieben Nachkommen, darunter drei Söhne, geboren. Auch das Schmollen der beiden verheiratheten Stieftöchter dauerte nicht lange, und so kehrte in der That unserem Gelehrten die alte Fröhlichkeit wieder; denn im Hause herrschten Friede und Frohsinn, Freiheit und Gottesfurcht; da überfiel ihn im November 1536 seine letzte Krankheit, der er am 24. desselben Monats, 74 Jahre alt, erlag. Die Leiche ward in der Universitätscapelle des Münsters beigesetzt; von allen Seiten kamen Beweise innigster Theilnahme. Unter den zahlreichen, von den Freunden gewidmeten Nänien (zusammengestellt bei Riegger, Vita S. 209 ff.) erwähnen wir besonders die von Erasmus Roterodamus, von dem berühmten italienischen Juristen Andreas Alciatus und von Joachim Mynsinger von Frundeck, dem nachmaligen Kanzler des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg und Mitbegründer der Universität Helmstedt.

Die Leichenfeierlichkeiten fanden nach Erlöschen einer verderblichen Seuche statt, welche damals in der Stadt herrschte, und hielt Christoph v. Hohenberg, in den letzten Jahren der vertrauteste Genosse des Hauses, die schwungvolle Leichenrede; die Stadt Freiburg aber errichtete dem Dahingeschiedenen ein Epitaphium, welches noch heute im Münster zu sehen, mit ehrenvoller Inschrift. Von den überlebenden vier Söhnen stand der älteste, Joachim sen. – aus erster Ehe – in savoyischen Diensten und kam als Gesandter öfter in die nördliche Schweiz; der älteste aus zweiter Ehe, Johann Ulrich, nicht ohne Grund des Vaters Stolz und Freude, wurde später kaiserlicher Reichshof-Vicekanzler, und als „Zasius von Rabenstein“ in den Adelstand erhoben; die Nachwirkungen eines unglücklichen Sprunges aus dem Wagen trugen vielleicht zu seinem frühen Tode am 27. April 1570 zu Wien bei (s. o.). Der dritte Sohn Joachim jun. wurde [713] Dr. theol. und starb als Propst des Stiftes Orlenberg im oberen Elsaß. Die Schicksale des vierten Sohnes – Hans Paul – sind unbekannt. Die Wittwe starb am 13. Juni 1566 und ist in Freiburg begraben.

Z. behauptete nicht bloß als Humanist, als Professor und praktischer Rechtsgelehrter, sondern auch als juristischer Schriftsteller eine hervorragende Stellung, obwohl er auf diesem Gebiete weniger fruchtbar war, weil er seine Thätigkeit erst in späteren Jahren begann, durch praktische Arbeiten ungewöhnlich in Anspruch genommen, und weil er sich überdies nur schwer zu Publicationen entschloß. Zu seinen Lebzeiten sind von 1508 bis 1539 neun Werke im Drucke erschienen. Die noch scholastisch gehaltene culturhistorische Monographie von 1508 behandelt die Judentaufe unter dem Titel: „Quaestiones de parvulis Judaeorum baptizandis, a communi doctorum assertione dissidentes“. (Argentinae providus vir Joannes Greminger impressit Jo. Adelpho castigatore. MDVIII, 4°). Die erste Schrift, welche seine reformatorische Thätigkeit bekundete, waren die „Lucubrationes aliquot sane quam elegantes, nec minus eruditae“, welche 1518 in Basel erschienen, und denen auch die „Antinomiarum aliquot acutissimae simul et eruditissimae dissolutiones“ beigefügt sind. Das gesammte Werk ist 1526 und dann 1532 mit den „intellectus juris civilis singulares denuo excusi et additionibus locupletati“ zu Basel beziehungsweise Freiburg neu aufgelegt. Die Antinomiarum dissolutiones enthalten gleich den intellectus singulares eine Sammlung von Interpretationen schwieriger Stellen und von Lösung dunkler Rechtsfragen; kurze exegetische oder dogmatische Abhandlungen, ähnlich den sogen. „Observationes“ späterer Zeit. Ihr Werth liegt in der Selbständigkeit, womit Z. vorgeht, und unbekümmert um traditionelle Ueberlieferungen, unmittelbar in das Verständniß der Quellen einzudringen trachtet. Seine Erklärung der l. 19 § 1 und l. 44 D. d. cond. indeb. (12, 6), welche heute noch als die richtige gilt, veranlaßte einen berühmten Federkrieg mit Petrus Stella, Professor in Orleans, Viglius van Zuichem, der damals in Frankreich studirte, berichtet von dem Aufsehen, welches jener Streit in der Juristenwelt erregte, indem die Franzosen für Stella, die Deutschen (auch Zuichem) für Z. Partei ergriffen. In Capitel 2 der intell. singul. unterzieht er die Theorie von der culpa eingehender Revision, verwirft die fünf Grade des Bartolus und begründet die nun herrschende Ansicht, daß von den Römern selbst nur zwei Grade (lata und levis) angenommen wurden. In den erwähnten Intell. (v. 1526, S. 70 ff.) tritt ferner Z. in der berühmten Streitfrage über die Erbfolge unter Geschwisterkindern der communis opinio entgegen und der Ansicht des Azo bei, daß die Theilung nach Köpfen Platz greife. Zu seiner Freude wurde diese Ansicht durch die Constitution Karl V. auf Grund des Reichsabschiedes von 1529 § 31 zur reichsrechtlich bindenden Vorschrift erhoben. Das letzte zu des Autors Lebzeiten 1535 bei Bebel in Basel fol. herausgekommene Werk führt den Titel: „In usus feudorum epitome“ und wurde von 1538–1600 an verschiedenen Orten in fol. und 8° nicht weniger als neunmal neu aufgelegt, und überdies von Georg Lauterbeck, Syndikus zu Naumburg, ins Deutsche übertragen (Basel 1553, 4° und Cölln 1576, 8°). Die Mehrzahl der Werke von Z. ist nach seinem Tode erschienen; sie sind größtentheils Vorlesungen zu Pandektentiteln, welche von seinen Schülern, besonders Thomas Freigius, nach Collegienheften publicirt wurden. Riegger gibt in seiner Vita Zasii, S. 171 ein sehr genaues Verzeichniß sämmtlicher editiones posthumae.

Unter ihnen dürfte besondere Erwähnung finden: „Responsorum juris sive consiliorum Dr. Udalrici Zasii L. L. Doct. clarissimi et in Academia Friburg. quondam ordinarii Liber I,“ 1538, II. 1539 (Basel fol.). Das Buch enthält eine Auswahl von Rechtsgutachten, welche von großem geschichtlichem Werthe, [714] weil sie ein Bild von des Gelehrten juristischer Praxis geben, zugleich ist es eine wichtige Quelle für genauere Untersuchung der Reception des römischen Rechtes. Gesammtausgaben seiner Werke besitzen wir nach Riegger drei: 1. Lugduni apud Sennetonios fratres (1548 fol.); 2. Lugduni apud Sebast. Gryphium 1550, 1551 fol. „opera et cura Joach. Mynsinger a Frundeck“ (6 Bände); 3. Francof. ad Moenum 1590/95 fol. (6 Bände; Abdruck der vorhergehenden; jetzt die häufigste).

Ueber seine Stellung zum deutschen Recht hat sich Z. in seinen Werken nie principiell ausgesprochen; man befand sich eben mitten in der Reception des römischen Rechts. Nach dem Grundsatze, das justinianische Recht sei zweifellos das jus commune, war alles andere Recht im Reiche jus particulare, welches seine Gültigkeit durch Satzung oder Gewohnheit zu beweisen habe. Daneben wird ausdrücklich anerkannt, daß es in Deutschland Sitten und Zustände gebe, welche mit den Grundsätzen des römischen Rechts incommensurabel seien oder ihm geradezu widersprechen, und daß hier die Unanwendbarkeit des römischen Rechtes keines besonderen Beweises bedürfe. Z. bezeichnet nachdrücklich als seine Aufgabe, vom römischen Rechte nur das zu lehren, was „nützlich, heilsam und den Sitten Deutschlands entsprechend sei“. Auf manche Institute des deutschen Rechtes (Erbverträge, Hörigkeit, Reallasten u. ähnl.) geht er tiefer ein, um sie juristisch zu analysiren, freilich geschieht dieses vom Standpunkte römischer Rechtwissenschaft mit Hülfe ihrer Begriffe. Doch ist er ein zu warmer und aufrichtiger Freund seines Volkes, um dem volksthümlichen Rechte wissentlich zu nahe zu treten. Diese Gesinnung hat auch Z. bei Bearbeitung des Freiburger Stadtrechtes bewährt, worin das deutsche Recht zweckmäßig mit dem römischen – ohne ungemessene Bevorzugung des Letzteren – bearbeitet ist. Mehr romanisirend ist er beim Landrecht für die Markgrafschaft Baden zu Werke gegangen und sind nur da, wo Gewohnheiten und Rechtsanschauungen fest im Volke wurzeln, dem deutschen Rechte Zugeständnisse gemacht.

Ulrich Zasius gehört zu jenen Männern, welche über ihre Zeit und Fachgenossen emporragen und der von ihnen gepflegten Wissenschaft neue oder richtige Bahnen öffnen. Indem er sich die Aufgabe stellte, die Aechtheit des von den Glossatoren entstellten Textes auf dem Wege geschichtlicher Kritik wiederherzustellen, war er der Erste in Deutschland, welcher erfolgreich die Bestrebungen des Humanismus mit der Jurisprudenz zu verbinden suchte, und wird daher mit dem französischen Philologen Budäus († Paris 1540) und dem italienischen Juristen Andreas Alciatus († 1550) als Begründer der neueren Rechtswissenschaft gefeiert.

Das große Aufsehen, welches des Zasius Wirksamkeit als Lehrer und Schriftsteller im In- und Auslande erregte, wurde zunächst durch den unbefriedigenden Zustand hervorgerufen, in welchem sich damals die Rechtswissenschaft befand. Z. gebührt das Verdienst, zuerst den Weg der wissenschaftlichen Methode und historischen Kritik angebahnt zu haben. Seine Thätigkeit ist insofern eine humanistische, daß er sich entschieden von der Herrschaft der Autoritäten und Glossatoren lossagt, unter Ablehnung der Tradition zu den Quellen selbst zurückkehrt und sich ausschließlich auf das eigene Urtheil und seine eigene Quellenforschung stützt. Zugleich ist er der erste Deutsche, welcher eigener Kraft vertraut und sich dem überlieferten Ansehen der Italiener und Franzosen gegenüber-, nöthigenfalls auch entgegenstellt. Infolge dessen wandern auch zum ersten Male die Werke eines deutschen Rechtsgelehrten über die Alpen, und werden in der Heimstätte italienischer Jurisprudenz, in Padua, eifrig gelesen und studirt. Solche Vorgänge gaben den eigenen Landsleuten Muth und erhöhtes Selbstvertrauen, und so hat Z. durch seine Mitwirkung an der Reform der Jurisprudenz [715] mittelbar auch zur Förderung und Kräftigung des deutschen Nationalgefühls beigetragen. – Wir besitzen von Z. vier Bildnisse. Das eine (Brustbild in Amtstracht) ist dem Werke von Riegger als Titelkupfer beigegeben; das zweite ist ein Holzschnitt des Nürnberger Kleinmeisters Tobias Stimmer; das dritte, ein feiner Kupferstich von Theodor de Bry, findet sich in Boissardi icones illustrium virorum; letzterer ist in dem Porträtwerke von Seidlitz photographisch wiedergegeben.

Die Litteratur über Ulrich Zasius ist ziemlich reichhaltig; von älteren Werken nennen wir: Riegger, U. Zasii epistolae etc. Ulm 1774. – J. Fichard, Vitarum recentiorum Jure consultorum periochae. Francofurti Kalendis Juliis 1539. – Christoph ab Hohenberg, oratio funebris (1537). Häufig den nachgelassenen Schriften des Zasius vorgedruckt. – In neuerer Zeit hat sich Stintzing mit Z. hauptsächlich als Juristen, Joseph Neff mit ihm vorwiegend als Humanisten beschäftigt. Dr. R. Stintzing, Ulrich Zasius. Basel 1857; S. 1–387. – Derselbe, Gesch. d. deutschen Rechtswissenschaft. 1. Abtheil. S. 155–172. – Joseph Neff, Udalricus Zasius. Ein Beitrag z. Gesch. d. Humanismus am Oberrhein. Als Beil. zum Progr. f. d. Schuljahr 1889/90. I. u. (90/91) II. Theil. – Derselbe, Ulrich Zasius, ein Freiburger Humanist. Zeitschr. der Gesellschaft f. Förderung der Geschichts- etc. Kunde v. Freiburg u. dem Breisgau. Bd. 9. S. 1–40. Siehe ferner: Horawitz, Briefe des Cantiuncula u. U. Zasius. Sitzungsber. d. Wiener Akademie. März 1879. – Dr. H. Schreiber, Gesch. der Alb. Ludw.-Univers. zu Freiburg im Breisgau. Freib. 1857. 1. Thl. S. 190–210. – Ranke, Deutsche Gesch. im Zeitalter der Reformation. II, 60. – O. Stobbe, Gesch. d. deutschen Rechtsquellen. Braunschw. 1864. 2. Abtheil. S. 40 ff., 61 ff., 306 ff., 390 ff.