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ADB:Locher, Jakob

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Artikel „Locher, Jakob“ von Josef Hehle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 59–63, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Locher,_Jakob&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 03:19 Uhr UTC)
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Locher: Jakob L., von seinen Zeitgenossen gewöhnlich Philomusus genannt, welchen Beinamen er allem Anschein nach aus Italien mitgebracht hat, wurde Ende (zwischen dem 23. und 31.) Juli 1471 in dem oberschwäbischen Städtchen Ehingen a. D. geboren als Sprößling einer angesehenen, aber wenig bemittelten Familie. Nach längerem Besuche der lateinischen Schule in Ulm, wo M. Hans Vetter v. Wildberg sein Lehrer war, bezog er im Frühjahr 1487 die Universität Basel und wurde hier ein Schüler des Seb. Brant, dessen Unterricht und anregender Privatumgang auf den empfänglichen Jüngling einen tiefgehenden und nachhaltigen Einfluß ausübte. Nach je einjährigem Verweilen in Basel und Freiburg i. Br. übersiedelte er im Sommer 1489 nach Ingolstadt zu längerem Aufenthalte und hörte hier, wo er anfangs keinen namhaften Vertreter des Humanismus vorfand, zunächst, wie es scheint, Vorlesungen der scholastischen Philosophen, Theologen und Juristen. Erst im Februar oder März 1492 inaugurirte Konr. Celtis in Ingolstadt die ernstliche Betreibung der humanistischen Studien und fand nun an L. einen seiner begeistertsten und dankbarsten Zuhörer, aber nur für kurze Zeit; denn schon im Juni 1492 finden wir unsern L. in Tübingen. Noch im Laufe desselben (oder allerspätestens im Anfang des folgenden) Jahres ging er nach Italien, dem Mutterlande des Humanismus, durchwanderte einen großen Theil desselben, verweilte einige Zeit in Padua, dem Lieblingsaufenthalt der nach Süden ziehenden deutschen Musenjünger, hörte hier den zweisprachigen Gelehrten Markus Musuros aus Kreta und den Joh. Calphurnius, genoß aber daneben auch die studentischen Vergnügungen in vollen Zügen. Außerdem hielt er sich vorübergehend in Pavia, Ferrara, Bologna, wahrscheinlich auch in Florenz und Rom auf und hörte an diesen Orten unter Anderem den Laurentius Rossus, Ubertinus Clericus, Philipp Beroaldus, Franciscus Niger, Baptista Pius und Matthäus Siculus. Noch vor Ende des Jahres 1493 kehrte er von Bologna aus in Gesellschaft des Markgrafen Jakob (II.) von Baden in die Heimath zurück, nahm hier zunächst seinen Aufenthalt in Ulm und publicirte bereits zu Anfang des Jahres 1494 eine Ausgabe zweier Reden Cicero’s. Schon im J. 1495 fand sein jugendlicher Feuereifer für die Verbreitung des Humanismus ein lohnendes Arbeitsfeld in Freiburg i. Br. Hier ließ er sich unter der Protection des angesehenen Canonisten Sigismund Kreutzer zunächst, wie es scheint, als unbesoldeter Privatdocent nieder und erhielt seinen Unterhalt von den badischen Markgrafen Karl und Christoph, welche nebst ihrem Bruder Jakob und dem bekannten Thomas Murner damals seine Schüler waren. Gleichzeitig mit seinen Vorlesungen begann er auch eine sehr fruchtbare litterarische Thätigkeit auf humanistischem Gebiete, die er fast 30 Jahre lang fortsetzte. Hierdurch gelangte er rasch zu großem Ansehen, so daß bereits im Frühjahr 1497 Kaiser Maximilian dem noch nicht 26jährigen Jüngling die Würde eines poëta laureatus verlieh. Kurz darauf (spätestens zu Anfang des J. 1498) erhielt er einen ehrenvollen Ruf nach Ingolstadt als lector in poësi und wurde hier mit der gleichen Besoldung (80 fl.) wie sein Vorgänger Celtis angestellt. Alsbald bewährte er sich als Geistesverwandten und würdigen Nachfolger des Celtis, indem er durch seine Vorträge über antike Poesie und Rhetorik, durch anregende Interpretation classischer und theilweise auch patristischer Schriften, sowie durch seine eigenen Productionen in Poesie und Prosa, das von seinem Vorgänger [60] wachgerufene Interesse für die classische Bildung in immer weiteren Kreisen zu verbreiten und zahlreiche Schüler an seinen Lehrstuhl zu fesseln wußte. Natürlich blieb die Reaction der scholastischen Theologen gegen diese reißenden Fortschritte des Humanismus in Ingolstadt nicht aus. Ihren Umtrieben gelang es schließlich, seine Stellung so sehr zu erschüttern, daß er im Sommer 1503 nach Freiburg zurückkehrte, wo er eine temporäre Anstellung als Nachfolger des Ulrich Zasius (mit bedeutend geringerem Gehalte) fand. Sein Hauptgegner in Ingolstadt war der bereits über 70 Jahre alte Theologe Georg Zingel gewesen, der sowol wegen seiner scholastischen Gelehrsamkeit, als wegen seiner beruflichen Pflichttreue und priesterlichen Sittenstrenge hochangesehen war und deshalb die höchsten akademischen Ehrenämter (z. B. das eines ständigen Vicekanzlers) bekleidete, aber von intolerantem Rigorismus nicht frei war und namentlich gegenüber den humanistischen Bestrebungen die engherzigen Anschauungen seiner theologischen Fachgenossen, vor allem den Abscheu gegen die von L. mit Vorliebe tractirten heidnischen Dichter, diese „lasciven und obscönen Sittenverderber“, vollständig theilte und offen vertrat. Auch das ausschweifende Privatleben Locher’s bot dem strengen Sittenrichter vielfachen Anstoß und die feindseligen Ausfälle Locher’s gegen die scholastische Lehrweise mußten seine höchste Erbitterung erregen. Gegen diesen, als den Haupturheber seiner Verdrängung von Ingolstadt, publicirte nun L. von Freiburg aus, und zwar alsbald nach seiner Habilitation daselbst (Ende Juli 1503) unter dem harmlosen Titel einer Apologia ein von Wuthausbrüchen, Injurien und Invectiven strotzendes Pamphlet, worin Zingel als ein infernales Scheusal dargestellt und mit den formidabelsten Anklagen überschüttet wurde. Dieser blieb anfangs ruhig, brachte aber nachträglich im Winter 1505, und zwar nach einer Andeutung Locher’s erst in Folge der Aufstachelung durch den Freiburger Humanisten und Theologen Jacob Wimpheling, eine Beschwerde gegen L. beim akademischen Senat in Ingolstadt vor. Letzterer ließ nun (trotz des Widerspruchs der Juristen und Mediciner) eine officielle Rechtfertigungsschrift für Zingel publiciren, worin Locher’s Anklagen mit Ruhe und Würde zurückgewiesen wurden. L. replicirte gegen Ende des J. 1505 durch eine geharnischte Gegenerklärung, in welcher er seine früheren Klagen zuversichtlich aufrecht erhielt. Damit endigte vorläufig dieser Streit, in welchem L. unerquickliche Proben seines heißblütigen und ungebändigten Temperaments abgelegt hatte. Gleichzeitig war er aber auch in Freiburg selbst mit seinen früheren guten Freunden Wimpheling und Zasius in widerwärtige Händel verwickelt. Die Veranlassung derselben ist nicht mehr zu ermitteln, der tiefere Grund liegt aber ohne Zweifel auch hier einerseits in Locher’s freieren und gesunderen Anschauungen bezüglich der altclassischen Dichter, während diese von Zasius und Wimpheling fast nicht minder als von Zingel perhorrescirt wurden, andererseits in seinen sittlichen Schwächen, die ihm scharfe Zurechtweisungen von Seite Wimpheling’s zuzogen. Der von L. mit äußerster Erbitterung geführte Streit wurde endlich durch die Intervention des akademischen Senates, wie es scheint, im Spätherbst 1505 beendigt. Aber Locher’s krankhafte Gereiztheit dauerte fort und äußerte sich sogar durch Thätlichkeiten (z. B. gegen den elsässischen Humanisten Matth. Ringmann, Philesius Vosagigena), sowie durch kühnen Trotz gegen die akademische Behörde, bis endlich dieser die Geduld ausging und L. im Frühjahr 1506 seiner Stelle enthoben wurde. Dafür erhielt derselbe gleichzeitig vom Herzog Albrecht von Baiern wieder einen Ruf nach Ingolstadt „zu der lectur der poetrey“ und folgte demselben. Als er hier wieder festsaß, unternahm er gegen Ende dieses Jahres einen Hauptschlag gegen die scholastische Theologie durch Publicirung einer dreitheiligen Schrift, für welche gewöhnlich der Specialtitel des ersten Theiles „Vitiosa sterilis Mulae ad Musam roscida lepiditate praeditam comparatio“ als Gesammtbezeichnung angewendet wird. [61] Dieselbe ist, wie sich aus verschiedenen Anhaltspunkten mit Sicherheit ergibt, in erster Linie gegen den alten Zingel gerichtet, obwol dessen Name nirgends genannt ist. L. fühlte sich nämlich von diesem provocirt durch spöttische Aeußerungen über die Musen und Dichter, die Zingel als „Maulesel“ bezeichnet hatte, um die angebliche Unfruchtbarkeit und Nutzlosigkeit der Poesie zu brandmarken. L. begnügte sich diesmal nicht mit einer Retorsion dieser Invectiven (z. B. durch Ausdrücke wie „Mauleseltheologen“ etc.), auch nicht mit einer Vertheidigung und Verherrlichung der Poesie, ihrer großen Leistungen und segensreichen Wirkungen, sondern schritt weiter zu einer allgemein gehaltenen Darlegung seiner Anschauungen über wahre und falsche Theologie. Zunächst persiflirt er in drastischer Weise die thörichte Zeitvergeudung der Scholastiker durch ihre spitzfindigen und haarspaltenden Quästionen. Dabei gibt er aber ausdrücklich (sogar durch Nennung von Namen) zu verstehen, daß er nicht die ganze Scholastik gleichmäßig treffen wolle, sondern vor allem die durch Occam begründete formalistische und sophistische Schule der sogen. Nominalisten oder Terministen (welche nebenbei auch meistentheils heftige Gegner des Humanismus waren), sowie die Richtung der terministischen Scotisten, welche mit den vorigen wenigstens die einseitige Bevorzugung der Logik und Syllogistik, die Disputirwuth und sophistische Disputirkunst gemein hatten. Sodann stellt er dieser unfruchtbaren Pseudospeculation die positive, biblisch-patristische Theologie als die allein wahre gegenüber, zu deren Vertretern er auch sich selbst rechnet, indem er sich gegen jede Gemeinschaft und Zusammenwerfung mit gewissen skeptisch-frivolen und ungläubigen Dichtern verwahrt, seine Orthodoxie und theologische Korrektheit betheuert. Indem er aber die Rückkehr zu dem lange vernachlässigten Studium der hl. Schriften und der alten Väter als der reinen Quelle der theologischen Wissenschaft energisch fordert, betont er dabei auch, daß die Väter Freunde der Dichtkunst gewesen und ihre Schriften von einem poetischen Hauch durchweht seien, woraus sich ergebe, daß die wahre Theologie und die Poesie keineswegs, wie man behaupte, mit einander unverträglich seien, sondern daß sie mit einander verbunden sein müssen und erst hierdurch ein harmonisches Ganze, eine vollkommene und wirklich genießbare Wissenschaft hergestellt werde. – Man ersieht hieraus, daß L. eine bemerkenswerthe Mittelstellung einnimmt zwischen der hyperconservativen Richtung der älteren und dem keck frivolen Geist der jüngeren Humanisten, deren Anschauungen bald darauf im Reuchlin’schen Streit zu Tage traten, indem er weder, wie jene, starr am Hergebrachten festhalten noch, wie diese, mit der Vergangenheit völlig brechen will. Aber gerade hierdurch gerieth er in eine gewisse Isolirtheit, indem er einerseits nach seinen kirchlichen Grundsätzen an dem Kampf gegen die Dunkelmänner, zu welchem sein Streit mit Zingel immerhin eine Art Vorspiel bildete, nicht wohl theilnehmen konnte, andererseits durch sein kühnes und freisinniges Auftreten sich doch auch von den engherzigen Ansichten der älteren Humanisten, besonders des oberrheinisch-elsässischen Gelehrtenkreises, dem er durch seine Jugenderziehung angehörte, losgesagt und dadurch die früheren Sympathien dieser Männer verscherzt hatte. Sie gaben fast alle ihren Unwillen über Locher’s Auftreten gegen die Scholastik offen zu erkennen (darunter auch Geiler von Kaisersberg, Jacob Spiegel, Pallas Spangel und sein jugendlicher Schüler Philipp Melanchthon). Nur Thomas Murner that in einer eigenen Schrift vom J. 1509 seine Zustimmung – allerdings mit starken Restrictionen – kund. An die Spitze der ganzen Reaction aber stellte sich Wimpheling, indem er nach mehreren kleineren Publicationen im J. 1510 ein im gröbsten und malitiösesten Tone gehaltenes Pamphlet gegen L. (Contra turpem libellum Philomusi defensio theologiae etc.) erscheinen ließ, welches einerseits eine Verurtheilung der Dichter und ihrer Interpreten, andererseits [62] eine absurde Vertheidigung der Scholastik und ihrer Vertreter enthielt. L. selbst betheiligte sich seit dem J. 1507 nicht mehr am Kampfe, sondern entfaltete fortan eine 20jährige reichgesegnete Lehrthätigkeit, welche zugleich die humanistische Glanzperiode der Universität Ingolstadt bildete. Wenn dieselbe damals als Pflegerin der schönen Wissenschaften an der Spitze der deutschen Hochschulen stand, so hat L. jedenfalls das Hauptverdienst davon, indem seine Fachgenossen Aventin, Reuchlin, Joh. Agricola und Brassicanus je blos vorübergehend daselbst wirkten. Seine Vorträge beschränkten sich allem Anschein nach auf das lateinische Sprachgebiet, obwol er auch des Griechischen nicht unkundig war. Dieselben fanden großen Anklang bei seinen Zuhörern, unter denen sich gar manche aus fürstlichen und adelichen Familien befanden, nicht wenige auch nachmals zu den höchsten Würden gelangten. Ein Beweis seiner Popularität unter der akademischen Jugend, für deren Interessen er allseitig eintrat, war u. a. auch die glänzende Feier seiner Vermählung, welche im J. 1515 stattfand. Die Pathenschaft bei seinem Erstgeborenen übernahm der baierische Kanzler Leonhard v. Eck. Der Ausbruch der Pest im J. 1521 veranlaßte ihn zur zeitweiligen Uebersiedelung nach Ulm, wo er bei seinem früheren Schüler, dem Schulrector Joh. Gruner (Groner) wohnte und mit der geistigen Elite der Stadt verkehrte. Uebrigens plagte ihn damals bereits Kränklichkeit und diese scheint ihn auch nach der Rückkehr an die Hochschule (1522) nie mehr ganz verlassen, sondern allmählich körperlich und geistig gebrochen zu haben. Er starb in Ingolstadt am 4. December 1528. Vor seinem Tode hatte er sich den bekannten Theologen Johann Eck als Vormund seines Sohnes erbeten, was auf eine der Reformation nicht günstige Stimmung Locher’s hinweist. Daß er aber doch auch nicht feindselig dieser Bewegung gegenübertrat, beweisen seine freundschaftlichen Beziehungen mit nicht wenigen offenen Anhängern derselben. (Von seinen sonstigen gelehrten Freunden mögen noch folgende erwähnt werden: Konr. Celtis, Hieron. Gebwyler, Kilian Leib, Konr. Reutter, Thom. Rosenbusch, Georg v. Sintzenhofen, Rud. v. Tanberg, Veit Werler, Erhard Truchses, Hieron. Rott (Roth), Joh. Pinicianus, Hieron. Baumgarter.) Seine Schriften, im ganzen ca. 40, wovon freilich die größere Hälfte nur geringen Umfang hat, sind sämmtlich lateinisch abgefaßt und zerfallen in prosaische und poetische. Unter den ersteren stehen oben an seine Unterrichtsbücher, welche bei der damaligen Seltenheit brauchbarer Hülfsmittel dieser Art überaus gesucht und bei ihrem billigen Preis doppelt willkommen waren, nämlich die „Grammatica nova“ (1495), eines der ältesten von einem Humanisten ausgearbeiteten Bücher dieser Gattung, ferner zwei Compendien der Rhetorik und neun Classikerausgaben, worunter fünf mit Commentar versehene. Die bedeutendste unter den letzteren ist die große Prachtausgabe des Horaz (1498), die Editio princeps für Deutschland, deren bedeutender Werth auch noch von Bentley anerkannt worden ist. Ein ähnliches Prachtwerk ist die Ausgabe des Fulgentius (1521). Wenn auch in diesen Ausgaben die nachaugusteischen Autoren vorwiegen, so besaß L. doch schon die richtige Einsicht, daß Cicero ein Musterschriftsteller ersten Ranges sei. Zu den (12) philologischen Schriften gesellen sich zwei theologische Tractate (vorwiegend kirchengeschichtlichen Inhaltes), zwei Reden etc. Ueberaus reich ist Locher’s poetische Production, da er die Beschäftigung mit der Poesie, darunter auch die praktische Nachahmung der classischen Dichtungen, als seine Hauptaufgabe betrachtete. Seine poetischen Erzeugnisse fanden ungemein großen Beifall, so daß Kaspar Bruschius und Th. Murner ihn geradezu als den princeps der zeitgenössischen Dichter bezeichneten. In der That nimmt er unter den Dichtern der Renaissance durch Begabung und Gewandtheit einen hervorragenden Platz ein. Obenan steht hier seine „Stultifera navis“ oder „Narragonia“ (1497), eine [63] sehr freie und selbständige, namentlich auch stark verkürzende, Bearbeitung des Narrenschiffs von Seb. Brant, welche von letzterem selbst veranlaßt wurde und seinen Beifall so sehr fand, daß er den L. als geistigen Miteigenthümer seines Werkes anerkannte und ihm auch die Holzschnitte seines Originals zur Verfügung stellte. Diese Bearbeitung fand nicht blos in den gelehrten Kreisen Deutschlands weit mehr Anklang, als das deutsche Original, sondern auch bei allen übrigen Kulturvölkern des Abendlandes eine ganz ungeheure Verbreitung. Binnen Jahresfrist wurde sie in Deutschland und Frankreich acht mal gedruckt und außerdem alsbald ins Französische und Englische übersetzt. Ebenso selbständig bearbeitete L. auch das angeblich von Phokylides, in der That von einem Alexandriner stammende Poëma nutheticon (a. 1500), wobei er neben dem griechischen Originaltext eine lateinische Prosaübersetzung von Aldus Manutius benützte. Außerdem hat er auch viele satirisch-polemische und didactisch-paränetische Originaldichtungen verfaßt, ferner patriotische Ergüsse an die deutschen Kaiser (Maximilian und Karl V.), Fürsten und Reichsstände, endlich religiöse Hymnen und Elegien. Und neben den fast zahllosen lyrischen Gedichten hat er sogar fünf Dramen hinterlassen, von denen vier durch seine Schüler öffentlich unter großem Beifall aufgeführt wurden. Drei derselben haben einen politisch-patriotischen Inhalt, indem das eine den erfolglosen Zug des französischen Königs Karl VIII. nach Italien zur Wiedereroberung von Neapel (1494 bis 1495) in tragisch-ironischer Weise behandelt, die beiden anderen in Form von Tragödien eine Aufmunterung der christlichen Fürsten und Völker zum Kriege gegen die Türken bezwecken. Das vierte („Judicum Paridis“), welches eine zweite Aufführung vor dem Polenkönige in Krakau erlebte, verfolgt in mythologisch-allegorischem Gewande eine moralische Tendenz. Das fünfte endlich ist eine kurze Nachahmung des Plautus (speciell der Asinaria) mit prosaischer Diction.

Zapf, Jakob Locher, genannt Philomusus, in biograph. und literar. Hinsicht, Nürnberg 1802; Hehle, Der schwäb. Humanist Jakob Locher Philomusus, eine kultur- und literarhistorische Skizze (Gymnasialprogramm), Ehingen 1873 u. 1874, dazu Nachträge etc., Ehingen 1875. (Zu vgl. Schreiber, Geschichte der Albert-Ludwigs Universität zu Freiburg im Br., 1857, I. 70 ff.; Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München 1872, I. 130 ff.; Wiskowatoff, Jakob Wimpheling, 1867; Stintzing, Ulrich Zasius, 1857; Zarncke, Seb. Brant’s Narrenschiff, 1854 [Einleitung] etc.)