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ADB:Fichard, Johann von

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Artikel „Fichard, Johann von“ von Roderich von Stintzing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 757–759, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fichard,_Johann_von&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 18:55 Uhr UTC)
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Fichard: Johann F., Jurist, geb. in Frankfurt a/M. am 23. Juni 1512, † daselbst am 7. Juni 1581. Ueber seine Jugend sind wir durch seine eigenen Aufzeichnungen, welche bis zum J. 1541 reichen, genauer unterrichtet. Sein Vater, Johann Richard, aus Gemünden unweit Kirn gebürtig und bei seinem mütterlichen Großvater zu Kirchberg in der Grafschaft Sponheim erzogen, hatte dessen Familiennamen „Fickart“ angenommen, war als Schullehrer nach Frankfurt gekommen und bekleidete hier das Amt eines Procurators von 1509 bis zu seinem Tode 1530. F. empfing seinen ersten Unterricht theils von seinem Vater, theils von tüchtigen Lehrern, unter denen Jakob Micyllus zu nennen ist. 1528 ging er nach Heidelberg, um Jurisprudenz zu studiren, setzte daneben seine humanistischen Studien unter Simon Grynäus und dessen Nachfolger Sinapius eifrig fort. Im April 1530 ging er nach Freiburg, um Zasius zu hören, floh aber im Herbst vor der Pest nach Basel, wo er den Winter hindurch des Grynäus philologische und des Bonifac. Amerbach juristische Vorlesungen besuchte. Den folgenden Sommer ist er wieder in Freiburg beim Zasius, dem er sich auf das innigste anschloß. Er wohnte bei Johann Sichard der dort als Privatlehrer wirkte und ward mit ihm an einem Tage (28. Nov. 1531) von dem Decan Seb. Derrer zum Doctor promovirt. Im Frühjahr 1531 kehrt er nach Frankfurt zurück, um die juristische Praxis zu betreiben, ändert aber bald seinen Entschluß, geht nach Speyer, um die Praxis des Reichskammergerichts kennen zu lernen und wird unter die Zahl der Advocaten, ein Jahr später auch unter die Procuratoren recipirt. Im Lauf des J. 1533 ernannte ihn der Rath von Frankfurt zum Assessor judicialis et Consilarius oder Advocatus rei publicae (Syndicus). Gedrückt von dem Gefühle, daß seine jugendliche Unerfahrenheit, seine Unkenntniß der großen Welt und ihrer Angelegenheiten ihn hindern, in [758] seiner Vaterstadt das erwünschte Ansehen zu erlangen, entschließt er sich, seine Stelle niederzulegen und auf Reisen zu gehen. Im April 1536 bricht er auf und begibt sich über Innsbruck in das kaiserl. Feldlager im nördlichen Italien zum Kanzler Matthias Held, in dessen Kanzlei er mehrere Monate zubringt. Dann durchreist er Italien bis Neapel, sucht in Pavia Aliciat auf und studirt vom December 1536 bis zum September 1537 in Padua. Zahlreiche Anerbietungen, welche ihm um diese Zeit von verschiedenen Seiten gemacht wurden, lehnt er ab und übernimmt 1538 wieder das frühere Amt in seiner Vaterstadt. Bald folgt seine Verheirathung mit einer Patricierstochter, seine Aufnahme ins Bürgerrecht und die adliche Zunft. 1541 ertheilt ihm Karl V. den erblichen Adel und die Pfalzgrafenwürde. Sein Amt hat er bis zu seinem Tode verwaltet, unter stetigem Wachsthum seines Wohlstandes, seines Einflusses und Ansehens, welches weit über die Grenzen seiner Vaterstadt hinausreichte: denn von nah und fern ward er als Rechtsconsulent gesucht, vielen Fürsten diente er als „Rath von Haus aus“; bei den wichtigsten Verhandlungen vertrat er Frankfurt als Gesandter. In den politischen und kirchlichen Angelegenheiten wirkte er mit kluger Mäßigung, und seinem Rathe verdankte Frankfurt zum großen Theil die günstige Stellung, welche es in den Religionskämpfen einnahm. Dem Protestantismus von Herzen zugethan, suchte er extreme Entscheidungen zu vermeiden, Conflicte auszugleichen. – Seine wissenschaftliche Entwicklung und Thätigkeit ist durch die Fülle der praktischen Aufgaben, welche das Leben ihn stellte, gehemmt und unterbrochen worden. Allein die Tüchtigkeit der frühzeitig erworbenen und in stetiger Arbeit vermehrten und gereiften Kenntnisse befähigte ihn zu litterarischen Leistungen, welche da, wo sie dem praktischen Leben zugewendet sind, zu den bedeutendsten ihrer Art gehören. Schriften: Seiner Jugendzeit gehören an: Uebersetzungen einzelner Stücke des Chrysostomus und des Galen, die er für Grynäus’ und Cratander’s Ausgaben verfertigte; von seinen „Carmina“ sind manche gedruckt, z. B. eine Ode auf Zasius. – „Exegeses summariae omnium titulorum Institutionum“ (nach den Indices von Ziletti 1566 und Freymon 1574). – „Juris consultorum vitae“, Basil. s. a. 4. (sehr selten; spätere Ausgaben Basil. 1557. Patav. 1565. Danach Hofmann hinter Panciroles 1721. 4.). F. verfaßte diese Schrift auf Oporin’s Wunsch als Fortsetzung der „Vitae veterum Juris consultorum“ wiederholt von Rutilius († 1538). Die Dedication an Peutinger ist datirt vom J. 1539. Die Schrift ist merkwürdig als erste juristische Litterärgeschichte von einem Deutschen und hat durch die in Italien gesammelten Grabschriften und die ausführliche Biographie des Zasius den Werth einer Quelle. – „Vita Sichardi“ vor Sichardi praelectiones in libros Codicis. – „Ars Notariatus“ (nach Petrejus und Fichard’s eigener Angabe anonym). – Das Sammelwerk „Receptarum sententiarum sive ut nunc loquuntur opinionum communium etc.“, Francof. 1568 fol., unterstützte er durch Beiträge und begleitete es mit einer Dedication. – Der Sammlung „Tractatus cautelarum“, Francof. 1575, fol., welche sein Sohn Raymundus Pius herausgab, ist eine Vorrede von ihm „De recto atque vero usu cautelarum“ vorausgeschickt. – Fichard’s bedeutendste Leistungen liegen auf dem legislatorischen Gebiet. Für die Grafen von Solms verfaßte er eine Reformation des Landrechts („Deren Gravenschafften Solms und Herrschaft Mintzenberg Gerichts-Ordnung und Landrecht“, 1571. Vgl. darüber namentlich Fuchs, Zeitschr. f. deutsches Recht, 17, 292 ff. Zeitschr. f. Rechtsgesch. 8, 270 ff.); im Auftrage des Frankfurter Raths: „Der Stadt Frankfurt am Main erneuwerte Reformation“, 1578. Ueber Bedeutung und Werth beider vgl. Stobbe, Gesch. der deutschen Rechtsquellen, Bd. II. S. 379 ff. 318 ff. – Nach Fichard’s Tode sind seine „Consilia“ auf Betreiben und unter Mitwirkung des H. Petrejus Herdesianus gesammelt und [759] herausgegeben, Frankf. 1590, 2 Bde. Fol. Spätere Ausgabe mit vielen fremden Zuthaten Darmst. et Gissae 1677, 3 vol. fol. – Mit Unrecht sind ihm lange Zeit zugeschrieben worden eine Uebersetzung der „Daemonomania“ von Bodinus 1561 und eine Ausgabe des Malleus maleficarum 1582. Beide hat sein Zeitgenosse D. Johann Fischart, Amtmann zu Forbach, besorgt. Aus Fichard’s „Consilia“ geht hervor, daß er sich dem Hexenglauben gegenüber skeptisch und der Hexenverfolgung gegenüber mit gerechter Mäßigung verhielt.

Vgl. Petrejus, Vita Fichardi: vor den Consilia. Senkenberg, Selecta I. 586 f. J. K. v. Fichard gen. Baur v. Eyseneck, Frankfurter Archiv, Bd. I. II. III., worin Fichard’s Annales, seine Autobiographie und die Beschreibung Italiens (Italia) abgedruckt ist. Von demselben Verfasser befindet sich ein handschriftliches Convolut („Fichard“) auf der Frankfurter Stadtbibliothek, welches werthvolle Notizen über die Fichard’sche Familie enthält. Vgl. den folgenden Artikel.