ADB:Micyllus, Jacob
περὶ τοῦ ἐνυπνίου, wurde am 6. April 1503 in Straßburg im Elsaß geboren, studirte 1518–22 in Erfurt, wo er in dem geistreichen und mannichfach angeregten Kreise jüngerer Humanisten, welche sich um Eobanus Hesse schaarten, Aufnahme und vielseitige Förderung fand. M. widmete sich hauptsächlich den classischen Studien, nicht ohne jedoch gleichzeitig nach dem Beispiele seines Lehress und mit gleichem Eifer wie [705] sein für das Leben ihm in treuer Freundschaft verbundener Studiengenosse Camerarius, in lateinischen Dichtungen sich zu versuchen und mit historischen Studien zu beschäftigen. Die geistige Verwandtschaft beider offenbarte sich schon damals und bewährte sich im späteren Leben immer deutlicher. Beide Jünglinge wurden durch die großen historischen Begebenheiten dieser Jahre und die eigenen Erlebnisse in Erfurt, wie die Durchreise Luthers zum Reichstage von Worms und den sich daran knüpfenden großen Studententumult gegen die Mönche ganz natürlich auf geschichtliche Betrachtungen hingewiesen. Es entsprach ihrer gesammten geistigen Richtung, daß sie sich dabei den Bestrebungen Luthers und Melanchthons anschlossen und in denselben mit Männern wie Joh. Lange, Kohlsheimer und Anton Musa innig verbunden fühlten. Ende 1522 oder Anfang 1523 ging M., um seine Studien zu vollenden und Melanchthon zu hören, nach Wittenberg, wo er wiederum mit Camerarius, der etwas früher dorthin sich gewendet hatte, zusammentraf und mit diesem und dem aus seinem Schulamte in Frankfurt a/M. (April 1523) zurückgekehrten Wilhelm Nesen den Kreis der jüngeren Verehrer und Freunde Melanchthons bildete. Jedoch bald löste derselbe sich auf. Nesen ertrank am 6. Juli 1524 in der Elbe, M. wurde als Lehrer resp. Rector einer Schule (in derselben wurden nach Nesen’s und Micyllus’ Vocation „ire“, d. i. der Rathsherren, „und gemeyner burgerschaft kyndere“ unterrichtet) nach Frankfurt a/M. berufen (Oct. 1524), wo vor ihm Nesen und Carinus gewirkt hatten. Melanchthon hatte ihn empfohlen und Justinian v. Holtzhausen, der Sohn des einflußreichen Rathsherrn Hamann v. Holtzhausen aus Frankfurt, damals Student in Wittenberg, scheint die weitere Vermittelung der Angelegenheit betrieben zu haben. Die erste Zeit im Amte brachte er, unterstützt durch das Wohlwollen der einflußreichen Patricierfamilien der Holtzhausen, Glauburg und Fürstenberg und in gutem Einvernehmen mit den beiden evangelischen Prädicanten Bernhard v. Alersheim und Dionysius Melander in glücklicher Zufriedenheit zu. Mit Erfurt und Wittenberg unterhielt er gute Verbindung, die durch Johann Agricola, den Luther zur Neuordnung der Frankfurter kirchlichen Verhältnisse abgeordnet hatte (1525), nur befestigt wurde. Mehrere Briefe Micyllus’ zeugen von der innigen Freundschaft, die Beide auch später noch verband. So tief innerlich er indeß mit den Wittenbergern verbunden war, so bestimmt lehnte er einen Ruf an die dortige Universität ab. Der Grund war wol, daß er eben im Begriff stand, sich zu verheirathen. Seine Gattin war, wie wir aus dem Briefe an Agricola vom 16. September 1526 (Z. f. h. Theol. 1872, S. 395) ersehen, Gertrud Meyerin, Tochter des Bürgermeisters (consul) in Seeligenstadt, Mainzer Diöcese. Er hatte in der Folge nicht wenig zu leiden unter den Schwierigkeiten, die ihm der Kurfürst Albrecht von Mainz wegen der Ausfolgung der Erbschaft seiner Frau bereitete. Erst 1528 scheint er durch Vermittlung des Rathes von Frankfurt und des Grafen Albrecht von Mansfeld das Seinige erhalten zu haben. – Es ist anzunehmen, daß M. schon damals den Entwurf eines Unterrichtsplanes ins Auge gefaßt habe, nach welchem er seine Schule zu gestalten bemüht war, wenn auch der Lehrplan, den wir noch jetzt von ihm besitzen, aus viel späterer Zeit herrührt, und ihm zur Durchführung desselben in mehreren Classen nur eine Lehrkraft außer der seinigen zur Verfügung stand. – Außerdem hatte er sich zur Abhaltung von öffentlichen Vorlesungen, täglich eine Stunde, verpflichtet, an welchen die bedeutenderen Männer der Stadt, welche der reformatorischen Richtung huldigten, theilgenommen zu haben scheinen. – So glücklich sich M. im Anfange seiner Thätigkeit in Frankfurt gefühlt hatte, so schwierig wurde seine Stellung daselbst in den späteren Jahren. Einmal machte ihm die Schule Sorge; sie ging aus unbekannten Ursachen allmählich zurück; sodann verfolgten ihn feindlich gesinnte [706] Männer, die ihm früher nahe gestanden hatten. Wir denken dabei zunächst an Dionysius Melander, den Prädicanten, der mit volksmäßiger Derbheit und rohem Ungestüm den Anhängern des alten Glaubens, aber auch der zierlichen Anmuth der neuen Poeten und der Beschäftigung mit den classischen Studien entgegentrat; sodann an seinen Gehilfen im Schulamt, Moser, den er selbst besoldete, und der das mannichfache Gute, das ihm M. erwiesen, durch Hinterlist und Bosheit vergolten zu haben scheint (quaeque meo dudum latuit gremio abdita serpens efflaret virus, jam manifesta nocens). Alles dies führte ihn dazu, sich nach einer anderen Stellung umzusehen. Sein wissenschaftlicher Ruf und vor Allem sein dichterischer Ruhm, den er sich durch zahlreiche poetische Arbeiten – auch das lateinische Begrüßungsgedicht, welches der Rath von Frankfurt dem Kaiser Karl V. bei seiner Durchreise 1530 überreichen ließ, war sein Werk – erworben hatte, unterstützten seine Bemühungen. – Unter dem 18. Januar 1533 wurde er als Lehrer der griechischen Sprache an Stelle des Symon Grynaeus an die Universität Heidelberg mit einem Jahrgehalt von 60 Gulden berufen. Bis zum Sommer 1537 hat er dort gewirkt. Mit seinen Vorlesungen über Gegenstände der griechischen Litteratur verband er eine äußerst angestrengte wissenschaftliche Thätigkeit, die selbst juristische Studien in ihren Kreis zog. Im März 1535 erschien seine Ausgabe der Fabeln des Hyginus in Basel bei Herwagen und seine deutsche Uebersetzung der Annalen und Historien des Tacitus, sowie des „büchlein von der alten Teutschen brauch unnd leben auch durch denselben Cornelium Tacitum beschrieben“ in Mainz bei Ivo Schöffer. Gleichzeitig verfaßte er mehrere lateinische Gedichte, unter denen das Festgedicht auf die Vermählung des nachmaligen Kurfürsten Friedrichs II. von der Pfalz mit der dänischen Prinzessin Dorothea, Tochter des unglücklichen Christian II. (Septbr. 1535) und die Schilderung des Brandes des Heidelberger Schlosses (April 1537) nicht ohne historischen und poetischen Werth sind. – Unterdessen war in Frankfurt das Bedürfniß erwacht, die Schule, der einst M. vorgestanden und die nun unter Moser ihrem gänzlichen Verfall entgegenging, neu zu organisiren. Die Stadt hatte das evangelische Bekenntniß angenommen und sich dem Schmalkaldischen Bunde angeschlossen (1536). Es kam darauf an, die Jugend in der neuen Lehre zu befestigen und aus ihr die künftigen Stützen der Stadt heranzubilden. Niemand schien dazu nach seiner ganzen Art geeigneter als M. In dankbarer Erinnerung seiner früheren guten Dienste berief man ihn 1537 mit einem Jahrgehalt von 150 Gulden. Mit erhöhtem Eifer griff er seine Aufgabe an. Die von ihm verfaßte, noch erhaltene „descriptio scholae instituendae“ gibt Kunde von dem Ziele, welches er sich gesteckt hatte. Er forderte, daß die formale Seite des Unterrichts, die Erwerbung grammatischer Kenntnisse, in gleicher Weise wie die reale, die Berücksichtigung der Bedürfnisse des praktischen Lebens, durch Einführung in eine angemessene und belehrende Lectüre und durch den sich daran schließenden Unterricht in der Dialektik und Rhetorik erstrebt würden. Er war der erste der deutschen Schulmänner, der das wichtige Princip, daß auf allen Stufen die zur grammatischen Uebung nöthigen Beispiele und die entsprechende Lectüre nach dem Maße ihres lehrreichen Inhaltes ausgewählt werden müssen, aufstellte und in der Praxis in seinen Schullehrbüchern durchführte. So sollten die gelesenen classischen Schriftsteller in gleicher Weise zur Erwerbung historisch-geographischer Kenntnisse mitwirken, wie ihr Verständniß nur mit Hilfe dieser Kenntnisse erschlossen werden könnte. Auch arithmetischer Unterricht wurde wenigstens in den obersten Classen ertheilt, wobei die Theilung der Schule in 4–5 Classen vorausgesetzt wurde. Sonst erstreckte sich der Unterricht auf Religion, Griechisch (in den beiden obersten Classen), Latein (mit wöchentlichen Exercitien zur Uebung des Uebersetzens in die Muttersprache) und metrische Uebungen. – [707] Wie weit dieser Unterrichtsplan damals zur Durchführung gelangt ist, läßt sich nicht mehr feststellen; aber 1579 war er durchgeführt und ist lange Jahre danach in Geltung geblieben; ja gewisse Einrichtungen desselben haben sich bis in unsere Tage erhalten. – von Micyllus’ litterarischen Arbeiten dieser Periode sind besonders hervorzuheben: „De re metrica libri tres“ 1539, die verbesserte Bearbeitung von Melanchthon’s lateinischer Grammatik 1540, über die sich der Autor selbst voll Anerkennung äußerte: „Etiam si mihi plus otii esset, tamen anteferrem Micylli censuram meae“ und „Opus utrumque Homeri Iliadis et Odysseae diligenti opera Jacobi Micylli et Joachimi Camerarii recognitum“ 1541, eine Arbeit, deren Verdienst trotz der Mitarbeiterschaft des großen Tübinger Gelehrten hauptsächlich und wesentlich M. zuzurechnen ist; endlich die für den Schulgebrauch angefertigten griechischen und lateinischen Lese- und Uebersetzungsbücher. – So werthvoll und erfolgreich auch sein Aufenthalt in Frankfurt war, wo ihm im Umgange mit trefflichen Männern, wie Justinian v. Holtzhausen, Glauburg, Joh. Fichard, seinem früheren Schüler, mannichfache Ehren und Freuden zu Theil wurden, so trug er doch kein Bedenken, eine Heidelberger Professur, die ihm unter wesentlich günstigeren Bedingungen als früher 1547 angeboten wurde, wieder zu übernehmen, um so mehr, da ihm die auszeichnende Aufgabe bevorstand, die Universität im Geiste der neuen Lehre und des Humanismus reorganisiren zu helfen. Ihm fiel vor Allem die Revision der Statuten der philosophischen Facultät zu (1550). Die Zufriedenheit mit seinem Wirken gab der Kurfürst von der Pfalz, Friedrich II., dadurch zu erkennen, daß er M. mit seinen Collegen Dozler und Geißelbach in die Commission berief, der die Gründung und Einrichtung des für Heidelberg so segensvoll gewordenen Stiftes, des domus sapientiae (Sapienzcolleg) übertragen wurde; 1555 wurde das Stift feierlich eröffnet; 1556 ehrte ihn der Senat der Universität durch Uebertragung des Rectorats. – Seine Vorlesungen behandelten hauptsächlich Stoffe aus der griechischen Litteratur: Sophokles, Euripides, Aratus, Demosthenes, Theokrit, Homer u. A. Er scheint den einzelnen Gegenständen eine biographische und litterarhistorische Einleitung vorausgeschickt, dann eine lateinische Uebersetzung, bei Dichtern in poetischer Form, gegeben und kurze erklärende Anmerkungen hinzugefügt zu haben. Von größeren Arbeiten entstammen dieser Zeit seine Ovidausgaben, seine Einleitung zum Euripides und seine „Arithmetica logistica lib. II“ 1553, durch welche er das Studium der Arithmetik in den Kreis der akademischen Lehrgegenstände einzuführen bestrebt war. Auch zu poetischen Arbeiten fand er Muße; das „Toxeuticon sive certamen sagittariorum“ in 200 Distichen zur Feier des großen Heidelberger Schützenfestes 1554 entbehrt nicht des historischen, die Elegie auf den Tod seiner Gattin (15. August 1548) nicht des persönlichen Interesses. M. starb am 28. Januar 1558. Von seinen Kindern haben ihn nur 2 Söhne überlebt, der eine ehrsamer Bürger und Schneidermeister in Heidelberg, der andere, Julius, nachmaliger Kanzler des Kurfürsten von der Pfalz. Er gab 1564 die Gedichte seines Vaters unter dem Titel „Sylvae“ in 5 Büchern heraus. Von den Schülern Micyllus’ sind der oben genannte Fichard und der Professor der Medicin in Heidelberg und Dichter Petrus Lotichius Secundus zu erwähnen.
Micyllus: Jakob Molshem (so nennt er sich selbst in einem Briefe von 1526 (cf. Z. f. h. Theol. 1872, S. 395), Molseym (Erfurter Matrikel 1518), Molsheym (Erfurter Baccalaureatsliste 1520), latinisirt Micyllus, nach der Person dieses Namens in Lucian’s Dialog- Cf. J. F. Hautz, Jacobus Micyllus etc., Heidelbergae 1842. – J. Classen, Jac. Micyllus, Rector zu Frankfurt und Prof. zu Heidelberg. Frankf. a. M. 1859 und Nachträge zu der Biographie des Jac. Micyllus, im Progr. des Gymn. zu Frankfurt a. M. 1861. – A. Brecher, Neue Beiträge zum Briefwechsel der Reformatoren i. d. Zeitschrift für die hist. Theologie 1872, S. 390–395. – G. E. Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts Reformationsgeschichte. Frankfurt a. M. 1872, S. 216–279. – C. Krause, [708] Helius Eobanus Hessus etc., 1. Bd., Gotha 1879, S. 230 ff. – C. Bursian, Gesch. der class. Philologie in Deutschland. Münch. und Leipz. 1883, S. 192–196.