ADB:Schultz, Georg Friedrich Wilhelm

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Artikel „Schultz, Georg Friedrich Wilhelm“ von Joh. Schneider. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 707–715, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schultz,_Georg_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 07:05 Uhr UTC)
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Schultz: Georg Friedrich Wilhelm S., Theologe. Er wurde am 3. August 1774 geboren zu Speier, wo sein Vater 1802 als Senior der städtischen Geistlichkeit starb. Seine Vorbildung erhielt er auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt und studirte hierauf Theologie in Tübingen bis 1794. Weil ihm die französische Invasion die Rückkehr in seine Heimath unmöglich machte, nahm er in Mallay bei Lausanne eine Hauslehrerstelle an, sodann im Sommer 1798 eine solche bei dem Bankier Johann Matthias Bansa in Frankfurt a. M. Schon im October erhielt er die Erlaubniß auf dem Lande zu predigen, wurde im März 1799 examinirt und als Candidat des lutherischen Prediger-Ministeriums aufgenommen, worauf er die dortigen Stadtkirchen mit versehen half. Der vielen rühmlichen und günstigen Zeugnisse wegen, die ihm besonders auch von dem Senior Hufnagel daselbst gegeben waren, wählte ihn die protestantische Gemeinde A. B. in Triest am 25. November 1801 zu ihrem Prediger. Er wurde von dem Consistorium in Wien geprüft und nach gehaltener Probepredigt von dem Superintendent Kaltenstein ordinirt, am 8. April 1802 von dem Gubernialrath Pittoni dem Gemeindevorstand vorgestellt und am Palmsonntage durch den reformirten Pfarrer Jannett in sein Amt eingeführt. Die Gemeinde hatte sich gesammelt [708] aus Protestanten verschiedener Länder, welche der Handel nach Triest geführt hatte; auch hatte S. die Protestanten in Fiume, Udine, Görz, sowie die protestantischen Soldaten, deren damals viele aus dem „Reich“ im österreichischen Heere dienten, in diesen Orten und die protestantischen Seeleute seelsorgerlich zu bedienen. Nach dem Tode des reformirten Pfarrers wurde ihm vom Februar bis September 1806 auch die Versehung der reformirten Pfarrstelle übertragen, und er führte auf Befehl des Consistoriums in Gegenwart der beiden Schwestergemeinden den neuen reformirten Pfarrer ein. S. besaß das ganze Vertrauen seiner Gemeinde und seine Predigten fanden allgemeinen Beifall. Als Triest dem französischen Reich einverleibt und ganz besonders als die Continentalsperre eingeführt wurde, fing der Handel an zu stocken; viele Bewohner wanderten aus, so daß sich die Gemeinde bedeutend verminderte, auch der Wohlstand verminderte sich, ja es trat eine Verarmung ein, so daß die Gemeinde nicht mehr im Stande war, den Gehalt des Pfarrers aufzubringen. Dazu kam die immer größere Entwerthung des alten Geldes, der Bankzettel. Durch diese traurigen Verhältnisse sah er sich genöthigt, nach 9½jährigem Wirken zum Leidwesen seiner Gemeinde seine Stelle aufzugeben. Am 11. August 1811 hielt S. seine Abschiedspredigt; das Häuflein seiner halb zerstreuten Gemeinde entließ ihn mit Thränen und mit Segenswünschen, nachdem er ihr das Versprechen gegeben hatte, ihr zu einem anderen Geistlichen behülflich zu sein. (Geschichtliche Uebersicht der Entwicklung der evangelischen Gemeinde A. B. zu Triest. Triest 1849.)

Bald nach seiner Rückkehr nach Speier wurde S. zum Pfarrer in Bergzabern gewählt, das damals zum Departement des Niederrheins gehörte. Professor Dr. Blessig in Straßburg wünschte ihn in diesen Bezirk zu bekommen, und S. hielt auch, ehe er im October 1811 seine neue Stelle antrat, eine Gastpredigt in der Neuen Kirche in Straßburg. Es gelang ihm in Bergzabern, wie er sagt, wieder zu sammeln und aufzubauen, was zerstreut und zu Boden gestürzt war. Aber er mußte die wegen des weitläufigen Filialdienstes sehr mühselige Stelle schon nach anderthalb Jahren wieder aufgeben. Einen im J. 1812 erhaltenen Ruf an die Pfarrstelle zu Thenning bei Linz mit der Anwartschaft auf die oberösterreichische Superintendentur schlug er aus, nahm aber im Februar 1813 die Wahl zum Pfarrer in Landau an. Schon in Triest war S. auch litterarisch thätig gewesen; außer einer Anzahl von Gelegenheitsreden erschienen 1807–1809 von ihm Beiträge in den österreichischen neuen Annalen der Litteratur, 1811 und 1812 in Löffler’s Prediger-Magazin; auch arbeitete er mit an dem Wiener Gesangbuch. Ueber seine Thätigkeit als Ehrenmitglied des Museums zu Frankfurt, einer 1808 gegründeten wissenschaftlichen Vereinigung, und als Mitglied der Academia degli Arcadi Romano-Sonziaci in Triest – beides seit 1809 – ist uns nichts bekannt. Dagegen erschienen 1815: „Christliche Reden, größtentheils bey besondern Veranlassungen gehalten“. (Der erste und zweite Theil 1815, der dritte 1821 mit dem Specialtitel: „Das Gebet des Herrn in einer fortlaufenden Reihe von Predigten, nebst einem Anhang mehrerer Fest- und Gelegenheitsreden nach dem Bedürfnisse unserer Zeit.“) S. war Rationalist; sein Subjectivismus tritt überall hervor; so stellt er z. B. im Anschluß an das Apostolicum sein eigenes Glaubensbekenntniß auf (Christl. Reden 2. Th. S. 105 ff.). Aber doch enthält er sich der Polemik gegen den kirchlichen Glauben, sucht vielmehr die Gemeinde in seiner Weise zu fördern. In seiner Antrittspredigt zu Landau sagt er, er wolle durch Sprache, Vortrag und Haltung nicht etwas Sonderliches suchen, sondern mit der Sitte des Tages, mit dem Geist der Zeit übereinstimmen. Die Predigt soll dem Beschränkten faßlich sein und auch den Gebildeten nichts für sich missen lassen; er will den Reiz des Neuen und die empfehlende Kraft der äußeren Form verbinden. Seine Predigten [709] sollen keine Spott- und Strafpredigten sein, aber ernste Rüge der Sünde enthalten; er will den Mantel nicht nach dem Winde hängen. Blessig hieß ihn bei seinem Amtsantritte in Bergzabern im Lande willkommen und erklärte die Predigt, die er dort bei Einführung des neuen Straßburger Gesangbuches hielt, für eine sehr gelungene Probe wahrer Pastoralklugheit. Trotz der „Uebereinstimmung mit dem Geist der Zeit“ sah sich S. – es sei ihm zur Ehre gesagt – genöthigt, demselben entgegen zu treten und die Sünde der Zeit ernstlich zu rügen. Die französische Revolution hatte den schon vorher vorhandenen Abfall von Religion und Christenthum noch gefördert; S. spricht das oft mit Entschiedenheit aus. Er spricht in Bergzabern 1812 von den Nachwehen des Unglaubens und Kaltsinns, welche die Stürme der Zeit mit sich brachten; Kirche und Gottesdienst war bei so manchen ein Gegenstand des Spotts geworden. In Bergzabern zwar hatte es sich geändert, aber in Landau waren die Spuren alter verjährter Lauigkeit noch nicht beseitigt. Wir lebten in einem Jahrhundert, wo die Alten von nichts als Aufklärung sprechen und die Jugend nur Werke der Dunkelheit sehe; wo es sogar mit zum guten Tone oder zur feinen Weltsitte gehöre, daß man über alles, was Religion heiße, gänzlich hinaus sei. In der Weihnachtspredigt 1813 fragt er, ob denn das Licht nicht vorhanden sei in einem Jahrhundert, das sich für das aufgeklärteste halte. Es sei ein Licht, in welchem kein Gott wohnt, eine Klarheit, welche die Augen verblendet, daß man ihn nicht zu finden vermöge. Es sei alles so hell und durchsichtig, daß nichts Heiliges und Göttliches mehr darauf hafte. „Unsere Kinder und Enkel“, sagt S. in der Reformationsfestpredigt 1817, „werden das Zeitalter, in welchem der größere Theil unter uns mündig wurde, ein ungläubiges, gottloses, in jeder Hinsicht eisernes nennen, weil das religiöse Leben, das allein menschliche, bei Tausenden erstarrte und christliche Wahrheit fast gänzlich zu Grabe ging.“ Die Zeiten der Empörung und des Kriegs haben daran gemahnt, daß Gott und sein heiliges Wort sich nicht spotten lassen.

Es hat sich in der Familie Schultz’ die Sage gebildet, er habe seine Stelle in Triest wegen einer Predigt gegen Napoleon’s Eroberungssucht aufgeben müssen. Das ist zwar nicht richtig, aber seine politische Stellung ist damit doch richtig gezeichnet. Er sagt selbst in der Vorrede zum ersten Theil seiner „Christlichen Reden“, er habe in einem Jahrzehnt, wo Menschenfurcht und Menschengefälligkeit so manche Untreue an Recht und Pflicht begingen, als Lehrer des Evangeliums auch unter Gefahren niemals den Sinn des Siegmanns Luther verleugnet. Die Abneigung gegen die Franzosen überhaupt erklärt sich aus der Familiengeschichte. Der Urgroßvater floh bei der Zerstörung Speiers 1689 mit seinem sechsjährigen Sohne auf eine Rheininsel, starb daselbst und wurde bei Nacht auf den Gottesacker zurückgebracht und beerdigt. Die Mutter wurde ein Opfer der Unglückstage von 1794, in denen Speier total ausgeleert wurde von den Franzosen: „Die mündliche Erzählung der von den Franzosen auch an den Seinigen verübten Abscheulichkeiten, die ihm in frühester Jugend im Kreise seiner Geschwister von seinem Vater alljährlich am Jahrestage des Brandes – dem städtischen Buß-, Bet- und Fasttage – unter tausend Thränen erzählt wurden, stifteten bei ihm eine (πατϱιϰὴν et velut haereditate relictam) Abneigung gegen das fremdzüngige Nachbarvolk, die er auch später nicht in Achtung für den französischen Nationalcharakter, geschweige in Anhänglichkeit an denselben verwandeln konnte“ (Predigt am 19. Weinmonat 1815). Das napoleonische System ist ihm unmoralisch, widerreligiös; der Geist der napoleonischen Unterrichtsinstitute, sagt er, sei ein jesuitischer gewesen. In den Dienern der Kirche sah man nur Handlanger der Justiz und Polizei, um dem Staate den Sold der Häscher zu ersparen. Auflaurer, Hin- und Herträger waren die Seele [710] der Ordnung; die Unschuld wurde angeklagt und verfolgt, ohne zu erfahren, durch wen und warum: nichts durfte laut werden als die schmeichelnde Lüge, nichts wurde so belohnt als der Verrath. Mit wahrem Abscheu spricht S. von Napoleon. „Er kam als ein Fremdling, sein Herz war von Stein, eisern sein Wille, Erz stockte in seinen Adern, ein tödtender Pfeil war sein Blick, zermalmend sein Fußtritt. Die Bienen auf seinem schimmernden Fürstenmantel saugen nur für ihn Honig aus den Blumenkelchen des Landes. Jede Perle in seiner Krone ist eine Thräne im Auge von Hunderttausenden“. An Weihnachten 1813 – also während der napoleonischen Herrschaft – schildert er die Unterdrückung der Welt durch den römischen Kaiser in einer greifbar auf Napoleon anspielenden Weise, er spricht von den Scheinkönigen, von den Triumphen, dem Hochmuth, der unersättlichen Habgier. Aber die sehnlich erwartete Stunde der Erlösung werde schlagen. Schon in Triest ruft er einmal aus, so schwierig es sei, den Gang der Ereignisse mit der Weisheit und Güte eines heiligen Weltregenten in Einklang zu bringen, so zweifele er doch nicht an einer heiligen Weltordnung. „Es muß anders, es muß wieder besser werden.“ Und 1813 sagt er, alle Hände streckten sich aus nach einem Heiland. „Ein Heiland muß kommen, oder unser Geschlecht wird die Erde verwünschen und den Himmel verlieren; denn es geht Wahrheit und Tugend, Glaube, Liebe und Hoffnung, alles Menschliche, alles Göttliche zu Grunde.“ Er schiebt freilich die Schuld nicht auf den Einen. „Die Ereignisse der Welt sind eine Art Zuchtruthe.“ Man war selbst Schuld; man zündete Napoleon Weihrauch an, man schliff selbst die Sense, war feige und feil. Besonders die Selbstsucht war Schuld; hätte man mehr nach dem Reich Gottes getrachtet, so hätte man vor allem in ihm Friede und Freude gehabt und das Uebrige wäre uns von selbst zugefallen. Aber man sei in jede Fessel gekrochen, wenn sie nur Gold zu sein schien. In den verschiedenen Predigten u. s. w. nach dem Siege über Napoleon klingt ein patriotischer Geist wieder, der nur durch Eines getrübt wird. Bekanntlich blieb Landau im ersten Pariser Frieden noch bei Frankreich, und in den Predigten aus dieser Zeit spricht S. sich als französischer Patriot aus. Frankreich ist „unser Vaterland“, Paris „unsere Hauptstadt“, ihre Umzingelung von „fremden Völkern“ wird bedauert. Dagegen hielt er am 16. Juli 1815 in Speier eine, auch im Druck erschienene Predigt: „Am kirchlichen Dankfeste für die Siege der verbündeten Heere und ihren glorreichen Einzug in Frankreichs Hauptstadt“. Bei der Friedensfeier 1814 spricht er seinen Dank und seine Freude aus, daß sie als Bürger Frankreichs diesen Tag feiern dürften, rühmt die beharrliche Anhänglichkeit der Landauer an Frankreich und den tapferen Widerstand, den sie schon 1793 für Frankreich leisteten. „Unser heißester Wunsch war erfüllt (sc. bei dem ersten Pariser Frieden): Frankreich für unsere Veste und unsere Veste für Frankreich erhalten.“ Das Scepter der Bourbonen (Ludwig XIV. und XV.!) sei ein wohlthätiges gewesen; es war der einstimmige Wunsch der Landauer, als ein Kleinod in Frankreichs Krone bei diesem zu bleiben. Das Elsaß bringe dem König (Ludwig XVIII.) seine von deutschen Vätern ererbte Treue entgegen. Mitten in der Predigt ruft S. aus: Es lebe der König! Das bourbonische Lilienbanner, die Farbe der Unschuld und Reinheit, wehe den Nachbarn als Wink zur Versöhnung und Freiheit vom Thurme herab. Mag man auch hinweisen auf Stellen wie Römer 13, 1 oder Jeremias 29, 7, so bleibt eine solche Stellung doch sittlich unberechtigt. Vom Januar bis Ende April 1814 war Landau von den Russen blokirt worden; um sich und seine Familie einer solchen Blokade nicht noch einmal auszusetzen, verließ S. im Frühjahr 1815 Landau und zog nach Speier, wo er eine Pfarrstelle erhielt. Am 8. Mai 1816 wurde er von der königlich bairischen Regierung zum geistlichen Rath bei dem Generalconsistorium [711] daselbst ernannt. Er stand nun an der Spitze der Kirche seiner Heimath. Er hatte von der Wiederherstellung auf politischem Gebiet auch einen kirchlichen und religiösen Aufschwung gehofft. In seiner Pfingstpredigt 1814 (in Landau) sagt er, dieser Tag sei nicht bloß der Geburtstag der Kirche, sondern ein Tag der Auferstehung der Kirche, nachdem es seit Jahren um Jesu Namen und Ehre ganz wie geschehen schien und die Götzen der Zeit schon Anstalt gemacht hatten, um seine Verehrung gänzlich zu verdrängen. Müde des blutigen Kampfes sei man zurückgekommen von dem verderblichsten Schwindel, die zwanzig Jahre eines gräßlichen Wechsels und Durcheinanders seien nun zu Ende. Man hatte Gott in Unglauben und Selbstsucht vergessen; aber das Schreckliche habe wie eine Posaune des jüngsten Tages aus der Betäubung geweckt. Indessen S. hatte sich in diesem Stück getäuscht. Die Pfalz hatte in der napoleonischen Zeit am wenigsten gelitten, sie empfand dieselbe vielmehr gegenüber der vorhergehenden traurigen deutschen Herrschaft in mehrfacher Beziehung als eine Wohlthat. Und es blieb auch nachher wie vorher derselbe nüchterne, dürre Rationalismus. Nur eine Frucht erwuchs aus dieser Zeit: Die Union zwischen der lutherischen und reformirten Kirche, die aber zugleich der Anfang eines langen Streites und Kampfes wurde. S. war an dem Zustandekommen der Union in hervorragender Weise betheiligt, ja man kann gewissermaßen sagen, er habe ihr sein Gepräge aufgedrückt, obwol er mehr der Mund, als der Leiter seiner Zeit- und Landesgenossenschaft war. Ein Zeichen des Vertrauens der Geistlichkeit ist es, daß er in den Jahren 1819, 1822, 1827, 1831 und 1834 als Vertreter derselben in die Ständeversammlung gewählt wurde, in welcher er das Amt eines Ausschußsecretärs und auch eines zweiten Secretärs der Versammlung bekleidete. Wir haben oben gesehen, daß S. in Triest auch die reformirte Gemeinde mit versah; bei der Einführung des neuen Geistlichen derselben reicht er ihm die Bruderhand zu gemeinschaftlichem Streben. Die Trennung zwischen beiden Confessionen ist nach ihm nur aus unbedeutenden Ursachen erfolgt; es war nur engherziger Streit um Meinungen. „Kein Wortkrieg, Jesu, soll mehr trennen, die sich nach Deinem Namen nennen. Der Grübler seichter Streit, der uns mit Dir entzweit, muß schwinden.“ Ja er sagt sogar: „Des Amtes Brüdern wies der Wahn noch immer eigne Tempel an.“ Der Name Lutheraner, Reformirte ist für S. ein „Sectenname“, nur abgelebte Formeln und Formen trennen, aber einzelne Finsterlinge und Selbstsüchtige vermöchten nichts gegen die Stimme der Zeit. In der Pfalz waren die beiden Confessionen numerisch einander ziemlich gleich, die Trennung wurde bei den zahlreichen Mischehen zwischen beiden sehr übel empfunden, das confessionelle Bewußtsein war entschwunden und so fand der bei der dritten Säcularfeier der Reformation von neuem auftretende Unionsgedanke einen fruchtbaren Boden hier. In Speier predigte am Jubelfeste S. in der reformirten Kirche, der reformirte Pfarrer in der lutherischen Kirche, und die Reformirten gaben ihrer Kirche anstatt des an die Trennung erinnernden Namens den neuen: zum hl. Geist. Uebrigens denkt S. bei einer Vereinigung nicht bloß an eine Beseitigung des Trennenden. „Aufklärung, Tugend, Religion“ sind ihm das einzig dauernde Fundament aller menschlichen Einrichtungen; die Kirche in ihrem ursprünglichen Sinn ist eine Gesellschaft der Weiseren und Besseren aus allen Zeiten und Völkern, welche für Wahrheit und Liebe leben. S. spricht von einem frostigen Einerlei kirchlicher Formeln, deren Buchstabe tödtet; er will in der vereinigten Kirche nur solche Lehrsätze beibehalten wissen, welche dem Geist des Evangeliums und den Forderungen unserer Zeit gleichermaßen entsprechen. In diesem Sinne sprachen sich denn auch manche der 1817 aufgestellten Vereinigungsschriften aus; z. B. von Bergzabern: Wir erkennen allein das Evangelium Jesu Christi in [712] seinen klaren und deutlichen Aussprüchen, so wie deren Sinn der gesunden, unparteiischen Vernunft erscheint, für die einzige Norm unseres Glaubens und Lebens. Manche dieser Schriften bemerken ausdrücklich, daß die Geistlichen ferner nicht mehr auf eine menschliche Lehrformel verpflichtet werden sollen.

Das Consistorium beantragte bei der Regierung, dieselbe möge die dadurch eingeleitete Vereinigung weiter führen. Der König Max I. nahm die Erklärungen der Gemeinden über ihre Vereinigung mit Wohlgefallen an, wollte jedoch, daß weder die Regierung noch das Consistorium befehlend oder überredend einschreite, sondern nur die Meinung der einzelnen Gemeinde erforsche. Denn eine bloß äußerliche Vereinigung sei von keinem Werth, eine innere aber müsse auf der Ueberzeugung der Einzelnen beruhen. Demgemäß erließ die königliche Regierung des Rheinkreises als protestantisches Consistorium am 2. Februar 1818 ein Umschreiben, welches wörtlich mit der vorhin citirten Unionsschrift von Bergzabern übereinstimmt. Aber während der König eine Vereinigung in Lehre, Ritus, Verfassung und Kirchenvermögen in Aussicht nahm, sprach das Ausschreiben von dem ersten Punkte nicht; außerdem wurde alles aufgeboten, um die Pfarrer und die Gemeinden zu einer Vereinigung zu bereden. (Vgl. Allgem. Kirchenzeitung von E. Zimmermann, 1838, Nr. 54; 55.) Am 22. Februar fand die Abstimmung in den Gemeinden statt. S. hielt in Speier die Predigt: die gebührende Achtung für das Alte führe uns zu dem angeblich Neuen. 40 167 Stimmen erklärten sich für, 539 gegen die Vereinigung. Am 2. August 1818 wurde die constituirende Generalsynode in Kaiserslautern eröffnet mit einer Predigt von S. über Phil. 2, 21. (Er widmete sie der Königin von Baiern, welche sie huldvoll aufnahm. In den Jahren 1819 und 1822 predigte er mehrmals in München; 1820 machte ihn der polytechnische Verein daselbst zu seinem Mitgliede.) Die Vernunft ist Richterin in Glaubenssachen, die h. Schrift ist alleinige Autorität. Die Vereinigung soll keine formelle sein, nicht gegründet auf Indifferentismus, auf bucerische Schlauheit, auf geheime Mentalreservationen, sondern auf Einheit der Grundsätze. Am wichtigsten ist § 3 der Vereinigungsurkunde, die protestantisch-evangelische Kirche erkenne außer dem Neuen Testament nichts Anderes für eine Norm des Glaubens; die symbolischen Bücher seien abgeschafft und auch die einzuführenden Religionsbücher sollen der Nachwelt nicht als unabänderliche Norm dienen, noch die Glaubensfreiheit beschränken. Der allerhöchste Beschluß vom 10. October sprach einer Provinzialkirche die Befugniß ab, die symbolischen Bücher für abgeschafft zu erklären. Sie müßten, wenn auch nicht als Glaubensgrund, so doch als Lehrnorm geachtet werden. Ueberdies gehörten zu den symbolischen Schriften auch die drei allgemeinen Symbola, welche allen christlichen Confessionen gemein seien. Die besonderen Bekenntnißschriften hingegen würden durch die Vereinigung nur insofern abgeschafft, als sie das bisher unter den beiden Confessionen Streitige enthielten. In diesem Sinne wurde § 3 von dem Oberconsistorium in München geändert und dann die Vereinigungsurkunde veröffentlicht. Damit wurde aber ein Jahrzehnte dauernder Streit eröffnet, in welchem anfangs das Oberconsistorium (und der König) auf der einen, das pfälzische Consistorium mit den Synoden auf der anderen Seite stand.

Die Predigten von S. nahmen von nun an einen scharfen polemischen Zug an. Bei dem Vereinigungsfeste am ersten Advent 1818 nennt er die Union eine Umschaffung oder vielmehr Verschmelzung der durch zufällige äußere Förmlichkeiten in Theile geschiedenen evangelischen Kirche. Das Reformationsfest ist ihm ein Gedächtnißfest der Kirchenumbildung. Die Aufklärung, welche ihm einige Jahre vorher noch so verdächtig war, wird wieder erhoben, von den Bedürfnissen der fortschreitenden Zeit geredet, gegen die kirchliche Versöhnungslehre [713] polemisirt, gegen Finsterlinge, Frömmler, Heuchler, Mystiker u. s. w. losgezogen. Als ihm 1821 die theologische Facultät in Erlangen den Doctortitel ertheilte für seine Kenntnisse und kirchlichen Verdienste, fügte er dem Eide auf die symbolischen Bücher die Clausel bei: quatenus symbolicis normis obtemperat synodus caesareo-lutreana; – – quod – – nec unquam a sententiis protestantium ecclesiae evangelico-christianae secedere velit.

Die Mißstimmung, welche sich auf etlichen Diöcesansynoden über die Aenderung des § 3 kundgab, hatte die Wirkung, daß der König erklärte, er werde den billigen Wünschen der Generalsynode gern entgegenkommen. Diese fand im September 1821 statt, wie auch die erste und die folgenden mit der Eröffnungspredigt von S. Der Dirigent, O.-C.-R. D. Heintz, ein geborener Pfälzer, warnte vor einer unbedachten Verdrängung des Alten; wir könnten uns nicht nach dem Zeitgeist richten, sondern nur nach dem Wort Gottes, und wenn dasselbe in unseren Lehr- und Erbauungsbüchern herrsche, so behielten sie einen bleibenden Werth. Diese Hinweisung bezog sich auf den neuen Katechismus und das neue Gesangbuch, fand indessen in denselben keine Würdigung. Jener, von Schultz’ Collegen, dem weltlichen Rath Butenschön, herrührend, war abgesehen von seinem mehr rationalistischen Standpunkt durchaus unkindlich; dieses, von S. verabfaßt, ist eines der schlimmsten Beispiele aus jener Zeit der Gesangbuchs „verbesserung“. Die alten, durch Generationen eingebürgerten Kernlieder fehlen entweder, so z. B. selbst „Ein’ feste Burg“, oder sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt; selbst Gellert wurde hin und wieder geändert. An ihre Stelle traten moralisirende, des poetischen Schwungs und Geschmacks entbehrende Reimereien. S. selbst ist darin mit einer Reihe eigener Lieder vertreten, von denen jedoch keines eine weitere Verbreitung und längere Dauer gefunden hat, als etwa der zweite und dritte Vers zu Pfeffel’s „Jehova, Jehova“. S. hielt sich für einen Dichter; er besaß Gewandtheit und verfaßte viele gereimte Gebete, Ansprachen etc., die er in den Gottesdiensten verwendete. Schon in Bergzabern hatte er ein neues Gesangbuch eingeführt, nicht bloß weil in der Gemeinde eine ganze Reihe von einander verschiedener Gesangbücher vorhanden war, sondern auch, weil die Lieder, wie er selbst sagt, mit dem Zeitgeist unverträglich waren. Er gesteht zwar zu, daß sie uns ehrwürdig seien um ihrer großen Verfasser, um der denkwürdigen Zeit ihrer Entstehung und um ihrer mächtigen Wirkung willen, aber manche Stellen seien eines erleuchteten Jesusbekenners unwürdig und mit dem Geschmack eines gebildeten Christen schlechterdings unverträglich. Dr. Blessig lehnte das allzugroße Lob jenes Gesangbuchs ab und schrieb vorausahnend: „Einst sollen unsere Enkel nach ihren Geistes- und Herzensbedürfnissen und nach dem stets fortschreitenden Entwicklungsgange der Menschheit aus einem viel besseren Gesangbuch singen.“ S. sagt in der Vorrede zu dem 1823 erschienenen „Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauche für protestant.-evangel. Christen“, er habe allenthalben mit der gebührenden Achtung für beliebte ältere Lieder eine große Rücksicht auf das verbunden, was wir den neueren Dichtern Gutes und Schönes verdanken, Härten des Ausdrucks beseitigt, ohne dem Geiste der Lieder Gewalt anzuthun. Leider ist er viel weiter gegangen. Auf eine Mittheilung aus seinen Poesieen verzichten wir hier, sie würden das Urtheil über ihn nicht verbessern. Dies Gesangbuch ist bis heute in der Pfalz im Gebrauch geblieben, nachdem ein Versuch, es durch ein anderes zu ersetzen (unter D. Ebrard), mißlungen ist. Erwähnt sei noch, daß S. in Landau den Herder’schen Katechismus eingeführt hatte. Er klagt einmal, wie schwierig es sei, an Stelle eines alten hundertjährigen Katechismus einen neuen einzuführen, und meint, das Zweckmäßige müsse von dem herrschenden und dem geistlichen Stande eingeführt werden; [714] wenn jeder im Kirchenrath (Presbyterium) die Sachen nach seinem Gutdünken haben wolle, werde nie etwas Gutes zu Wege kommen.

Eben so wichtig wie Katechismus und Gesangbuch für das kirchliche Gemeindeleben, war für die principielle Stellung der pfälzischen Kirche die neue Fassung des § 3 der Unionsurkunde, ein Compromißwerk: die protest.-evangel. Kirche hält die allgemeinen Symbole und die bei den getrennten protest. Confessionen gebräuchlichen symbolischen Bücher in gebührender Achtung, erkennt jedoch keinen anderen Glaubensgrund noch Lehrnorm als allein die heilige Schrift.

Der König genehmigte 1822 zwar die Beschlüsse, machte aber auf die Gefahr aufmerksam, wenn keine bestimmte Lehrnorm gegeben sei und es jedem Geistlichen freistehe, die Glaubenswahrheiten nach eigener Ansicht von der heil. Schrift vorzutragen. Man behielt eine weitere Erwägung auf der nächsten Synode vor; und ebenso wurde auch der Katechismus nur vorläufig genehmigt. – Auf der dritten Generalsynode, bei deren Eröffnung S. über Matth. 5, 17 predigte, stand der § 3 abermals auf der Tagesordnung. (Vgl. Sophronizon von Dr. H. E. G. Paulus, 7. Jahrg. (1825), 5. Heft, S. 70–86; 96–100. – S. arbeitete an dieser Zeitschrift mit, aber da die Artikel meist anonym erschienen, so sind die seinigen mit Sicherheit nicht festzustellen.) Die Generalsynode lehnte einstimmig eine weitere Aenderung ab; wenn eine Lehrnorm nothwendig sei, könne sie nur eine solche sein, die der steten Fort- und Ausbildung fähig sei; eine unveränderliche Lehrnorm würde dem Princip des Protestantismus, das reine Forschung in der h. Schrift voraussetze, Zwang anthun und eine Scheidewand gegen die übrigen christlichen Kirchen aufstellen. Eine Aenderung, welche den Grundstein der Vereinigung umstürze und den religiösen Ansichten der gesammten Kirche des Rheinkreises wie des Auslandes zuwider sei, sei bedenklich. Eine Revision des Katechismus wurde für unnöthig erklärt, da derselbe die reine evangelische Lehre enthalte. Außerdem protestirte die Synode gegen die Behauptung, die Synode könne nur berathen und Anträge stellen; in inneren Angelegenheiten könne niemand ändern, was die Generalsynode beschlossen habe, der König könne ihren Beschlüssen sogar das Placet nicht verweigern, wenn sich nicht staatswidrige Zwecke in denselben nachweisen ließen. Dieser Anschauung entsprechend richtete die Generalsynode auch an den König die Bitte, die Verwaltung des Kirchenvermögens wieder der Kirche zuzuweisen. Eine Vereinigung protestantischer und katholischer Schulen wurde, Ausnahmen abgerechnet, nicht für wünschenswerth erklärt. S. hatte ein Referat über eine neue Kirchenordnung erstattet, und erhielt den Auftrag, mit seinem Collegen Müller eine solche zu entwerfen. Es wurde aber nichts aus der Sache. Die allerhöchste Entschließung vom 16. Mai 1828 – König Ludwig I. – wies den Anspruch der Generalsynode bezüglich ihrer Rechte zurück und sprach die Erwartung aus, daß die kirchliche Behörde die Einheit der Lehre gegen weitere Abweichungen um so mehr wahren werde, als die Verfassung nur drei gleiche Rechte genießende christliche Confessionen anerkenne. Diese Frage kam auch in den folgenden Jahren noch mehrfach vor. Allgemeine Kirchenzeitung von E. Zimmermann 1837 Nr. 173; 174: „Können den unirten Protestanten Rheinbaierns die durch die Verfassung des Königreiches Baiern den drei christlichen Confessionen zugesicherten staatsbürgerlichen Rechte wegen Nichtannahme einzelner in den symbol. Büchern der luther. und reform. Kirche übereinstimmend enthaltenen Dogmen streitig gemacht werden?“

Die Predigt, welche S. am 6. September 1829 bei der Eröffnung der vierten Generalsynode hielt – er widmete sie dem königl. Regierungscommissär und dem Dirigenten der Synode – über Römer 8, 14–16 ist sehr heftig. Im Vorwort sagt er, die pfälzischen Protestanten hätten jetzt nichts Anderes zu [715] thun, als jede die Glaubens- und Lehrfreiheit beeinträchtigen wollende Anfechtung mit Standhaftigkeit abzuwehren. Man werde die Waffen von sich werfen, wenn die Feinde des Lichts und der Wahrheit nicht mehr zum Streite herausforderten. Er spricht in der Predigt von Umtrieben, die Finsterniß zurückzuführen, von einem drückenden Joch menschlicher Satzungen, von herrschsüchtiger Bosheit und Sklaverei, malt mit grellen Farben eine mittelalterliche Zwingherrschaft, die drohe, ruft Wehe über die Schriftgelehrten und Pharisäer. Man hatte an höchster Stelle trotz des Widerstreites des pfälzischen Consistoriums dasselbe bisher unangefochten gelassen. Die politischen Ereignisse des Jahres 1832 – Hambacher Fest – brachten strengere Maaßregeln und wirkten auch auf die Kirchenpolitik ein. Der Director des Consistoriums wurde versetzt, der weltliche Rath Butenschön quiescirt, der geistliche, D. Müller, erhielt eine Landpfarrei, nur D. Schultz blieb. Director wurde ein lutherischer Regierungsrath aus Ansbach und an Müller’s Stelle kam D. Rust. Noch im J. 1829 hatte D. Rust seine „Predigten über ausgewählte Texte“ dem Oberconsistorialrath D. Heintz und – dem Consistorialrath D. Schultz „mit Gefühlen der innigsten Verehrung“ gewidmet; hatte ebenso sich gegen todten Buchstabenglauben und krankhafte Gefühlsüberspannung, wie gegen die Aufklärungssucht ausgesprochen. Jetzt traten die beiden, damals schon verschiedenen, Männer in Gegensatz zu einander. Die Leitung des Consistoriums ging in die Hände Rust’s, als des geistig bedeutendsten Mitgliedes desselben über (vgl. A. D. B. XXX, 29) – S., der im J. 1832 noch Kreisscholarch geworden war, blieb noch bis Ende des Jahres 1837 – nach der Generalsynode. Die Ereignisse von 1833 an siehe unter „Rust“. Nach seiner Quiescirung lebte S. in der Stille noch etliche Jahre in seiner Vaterstadt und starb daselbst am 13. Februar 1842.

Die wichtigsten Schriften von S. sind bereits erwähnt. Außer den bei Rust genannten Schriften sind noch zu nennen: Joh. Mich. König, Reformationsgeschichte der Stadt Speyer. Speyer 1834. – Benützt wurde ferner die Pfarrbeschreibung von Speier; schriftliche Mittheilungen aus Triest und Frankfurt a. M.
Joh. Schneider.