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ADB:Schweizer, Gottfried

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Artikel „Schweizer, Gottfried“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 373–375, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schweizer,_Gottfried&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 12:17 Uhr UTC)
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Schweizer: Gottfried S., Astronom, geboren am 10. Februar 1816 zu Wyla (Kanton Zürich), † am 6. Juli 1873 zu Moskau. S. erhielt seine Bildung zuerst in dem bekannten Fellenberg’schen Institute zu Hofwyl und ging sodann mit 15 Jahren auf das Züricher Gymnasium über, um sich nach den Wünschen seines Vaters, der selbst Pfarrer war, für den geistlichen Stand vorzubereiten. Allein die exacten Wissenschaften, in denen er durch den Gymnasialprofessor Raabe, einen ausgezeichneten Mathematiker (s. A. D. B. XXVII, 66), unterrichtet ward, hatten eine größere Anziehungskraft für ihn, und ihnen widmete er sich, als er 1836 die Universität Zürich bezog. Littrow’s „Wunder des Himmels“ gewannen ihn für die Astronomie, und nachdem er den Autor dieses Werkes in Wien 1839 persönlich aufgesucht hatte, reiste er über Dresden und Berlin nach Königsberg, um Bessel’s Unterricht zu genießen. Freilich ging es damit nicht ganz nach Wunsch, denn Bessel, überhaupt etwas unnahbar, ließ die jungen Leute nicht gern zu den eigentlichen Beobachtungen zu, so daß S. nur auf Umwegen, namentlich durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem Observator Busch, überhaupt einen Einblick in die praktische Thätigkeit des Astronomen empfing. So gefiel es ihm in Königesberg, wo ihn übrigens Jacobi’s Vorträge am meisten fesselten, auf die Dauer nicht, und als sein Freund Alexander Draschussow, ein Russe, ihn aufforderte, zu ihm nach Moskau zu kommen, entschloß er sich dazu, in Rußland eine neue Heimstätte zu suchen. Vorerst begab er sich nach Pulkowa, wo sich W. v. Struve und Peters freundlich seiner annahmen; seit 1842 erhielt er die Beobachtungen am Meridianfernrohre übertragen, und diesen widmete er sich mit hingebendem Eifer. In den 21/2 Jahren, während welcher er an der russischen Hauptsternwarte verweilte, hat er über 9000 Durchgangsbestimmungen gemacht.

Leider konnte S. in Pulkowa nicht länger verweilen, denn die von ihm bekleidete Stelle eines außeretatsmäßigen Astronomen war zu schlecht besoldet, als daß er sich dort den längst erstrebten eigenen Hausstand hätte gründen können. Draschussow drängte ihn dazu fortwährend, nach Moskau überzusiedeln; er that es und führte bald darauf die Gattin heim, mit welcher er sich schon in Königsberg verlobt hatte, aber seine pecuniäre Lage blieb nach wie vor eine gedrückte, [374] so daß er sich sogar zur Ertheilung zahlreicher Privatstunden genöthigt sah. Erst als er 1849 Adjunct der Universität wurde, gestalteten sich die Dinge günstiger für ihn, und 1852 wurde er Astronom des Konstantin’schen Meßinstituts, als welcher er eine Anzahl junger tüchtiger Geodäten heranbildete. Große Arbeiten zu machen, blieb ihm aber versagt, denn Draschussow, der inzwischen Vorstand der Sternwarte geworden war, benahm sich nicht so gegen S., wie es nach seinem früheren Verhalten zu erwarten gewesen wäre, und das Meßinstitut hatte blos kleinere, transportable Instrumente zu Verfügung. Erst 1856 kam er in das richtige Fahrwasser, denn nun erhielt er, auf Struve’s Verwendung, selbst die Direction der Sternwarte und die Professur der Sternkunde an der Universität, letztere allerdings erst seit 1865 etatsmäßig. Freilich war damals seine Kraft schon ziemlich gebrochen. Bereits 1857 mußte er rheumatischer Leiden wegen, den heimathlichen Kurort Baden besuchen, 1864 wurde dieser Aufenthalt wiederholt und 1872 eine Erholungsreise nach Italien unternommen; von dieser heimgekehrt, begann sich S. ernstlich mit dem Gedanken baldiger Quiescirung zu tragen, da er nunmehr dem Staatsdienst Rußlands – zuletzt als Hofrath – fast 30 Jahre lang angehörte. Ehe dieser Plan jedoch zur Reife gediehen war, erlag S. einem schweren Magenleiden. Ein Legat von 20 000 Franken an die Züricher Hochschule legt Zeugniß ab von den freundlichen Gesinnungen, welche der äußerlich zum Russen gewordene Gelehrte stets gegen sein Vaterland im Herzen trug.

Die Meridianbeobachtungen Schweizer’s (s. o.) wurden nicht unter seinem Namen publicirt, sondern bilden den 1869 herausgekommenen ersten Band der „Observations de Poulkova“. Dagegen lieferte eine andere Arbeit, zu der ihn Struve veranlaßt hatte, das Material zu seiner späteren Schrift „Arealbestimmung von Rußland“ (St. Petersburg 1859). In Moskau war er anfänglich bemüht, die Polhöhe seines neuen Wohnortes mit großer Schärfe zu bestimmen, und auf seine hierüber veröffentlichte Arbeit hin (Moskau 1850; Astr. Nachr. Nr. 895) ertheilte ihm die Universität Königsberg die philosophische Doctorwürde. Nebstdem verfolgte er eifrig Sternschnuppen und Kometen; von diesen letzteren hat er nicht weniger als elf selbst aufgefunden, und vier sogar als erster Entdecker (es sind die Kometen IV 1847, III 1849, II 1853 und I 1855). Für alle diese vorübergehenden Gäste unseres Sonnensystems wurden auch von ihm die Elemente berechnet und in den Astron. Nachrichten bekannt gemacht. Im J. 1851 sandte ihn die Regierung nach Machnowka (Gouvernement Kiew), um die totale Sonnenfinsterniß zu beobachten, doch wurde dieser Zweck nicht mit der von S. gewünschten Vollkommenheit erreicht. Als Schriftsteller ist S. hervorgetreten mit zwei Abhandlungen „Ueber das Sternschwanken“, worin er sich mit einer durch A. v. Humboldt zuerst beobachteten optisch-meteorologischen Erscheinung beschäftigte, mit einer Anleitung zur Kenntniß der Methode der kleinsten Quadrate, welche Lais 1863 seiner deutschen Ausgabe der Wahrscheinlichkeitsrechnung von Sawitsch beigab, und mit einer Beschreibung der neu eingerichteten Moskauer Sternwarte (1866; in russischer Sprache). Diejenige Entdeckung jedoch, welche Schweizer’s Namen zu einem in der Geschichte dauernden gemacht hat, findet sich in seiner deutsch und russisch (Moskau 1863–64) geschriebenen Monographie „Untersuchungen über die in der Nähe von Moskau stattfindende Localattraktion“. Man hatte vor ihm schon bemerkt, daß in der Umgebung der alten russischen Hauptstadt zwischen den auf geodätischem und astronomischem Wege vorgenommenen Ortsbestimmungen eine unerklärliche Discrepanz obwalte, allein erst S. kam, indem er von mehreren Fixpunkten die geographische Breite von neuem ermittelte, zu dem wichtigen, seitdem in den gesicherten Besitzstand der Erdphysik übergegangenen Resultate: Unterhalb des Bodens, auf welchem Moskau steht, befindet [375] sich ein gewaltiger Massendefect, der bewirkt, daß das Bleilot scheinbar abgestoßen, gegen die Grenzen des betreffenden Bezirkes hin abgelenkt wird. – Abgesehen hiervon, hat sich S. auch durch einen neuen Sternkatalog verdient gemacht, dessen Anlage ganz denjenigen Normen entsprach, welche man nachmals für die bekannte Zonendurchforschung aufstellte. Bei dieser großen Arbeit unterstützten S. seine beiden Schüler Chandrikow und Bredichin, Männer, die sich einen ehrenvollen Platz unter den russischen Astronomen erworben haben: ersterer als Verfasser eines geachteten Handbuches der praktischen Astronomie, der letztere durch seine geistvollen theoretischen Studien über die Zusammensetzung der Kometenschweife.

R. Wolf, Astronomische Mittheilungen XL. – Vierteljahrsschrift d. Naturf. Gesellsch. zu Zürich, 21. Jahrgang. – Vierteljahrschr. d. deutschen Astronom. Gesellsch., VIII S. 163 ff.