ADB:Seydlitz-Kurtzbach, Friedrich Wilhelm Freiherr von
Großen Kurfürsten und Sohnes des um die brandenburgisch-preußische Artillerie hochverdienten Markgrafen Philipp Wilhelm, diente dazu des Pagen Unternehmungsgeist zu wecken, Geistesgegenwart und eine jegliche Gefahr verachtende Kühnheit zu den Grundzügen seines Verhaltens in allen Lebenslagen zu machen. Auch erwarb er hier jene vollendete Meisterschaft in der Beherrschung des Pferdes, welche alle Cavalleristen entzückte und einen Händler, der ihn, als S. Rittmeister war, in bürgerlicher Tracht auf einem Roßmarkte traf, zum Anerbieten hohen Lohnes veranlaßte, wenn Jener einwillige sein Bereiter zu werden. Seine Anstelligkeit bei allen körperlichen Uebungen und seine Lust an keckem Wagen gewannen ihm bald die Zuneigung des Fürsten, welcher selbst in diesen Dingen Außerordentliches leistete, und bewirkten, daß derselbe ihn zu seinem täglichen Genossen bei den tollkühnen Ritten und Fahrten machte, die sein eigenes Ergötzen bildeten. Mag auch Manches, was in dieser Beziehung erzählt wird, auf Uebertreibung oder auf Erfindung beruhen, so ist doch Vieles thatsächlich wahr, wie das Durchreiten sausender Windmühlenflügel, welches S. noch in späteren Jahren vor zahlreichen Augenzeugen ausgeführt hat. In seiner Stellung als Page blieb S. bis König Friedrich Wilhelm I. ihn am 13. Februar 1740 zum Cornet in des Markgrafen Cürassierregimente ernannte. Er kam nach Belgard in Garnison, wo ihn der Regimentscommandeur Oberst von Rochow, [95] welcher von den in Schwedt getriebenen „Allotrias“ nichts wissen wollte, in eine strenge Schule nahm. Aber nicht für lange Zeit. Denn schon zu Anfang des Winters 1740/41 rückte das Regiment, und mit ihm S., in den Krieg nach Schlesien. Von seinen dortigen Erlebnissen ist nur das letzte bekannt. Es bestand in einem Fußgefechte und in seiner Gefangennahme. Fürwahr ein seltsamer Beginn für die Ruhmeslaufbahn eines Seydlitz. Es war am 20. Mai 1742. Oberst v. Rochow hatte ihn von dem Städtchen Kranowitz aus mit 30 Cürassieren entsandt, um ein vor den Quartieren des Regiments an der von Ratibor nach Troppau führenden Straße liegendes Dorf, vermuthlich Strandorf, welches den Zugang sperrte, zu besetzen. Als er anlangte, ward er gewahr, daß der Feind von mehreren Seiten gegen ihn im Anmarsche war und daß ihm nichts übrig blieb, als sich in dem Dorfe auf das äußerste zu vertheidigen. Er durfte hoffen, daß herbeieilender Ersatz ihn befreien würde, und konnte, da steile Wände Dorf und Straße einengten, bei der großen Ueberlegenheit seiner Gegner nicht darauf rechnen, daß er zu Pferde entkommen würde. Er ließ die Pferde koppeln und sah mit dem Carabiner in der Hand dem Angriffe entgegen. Derselbe ließ nicht auf sich warten. Länger als eine Stunde erwehrte S. sich seiner Bedränger. Mehrere der Seinen waren todt oder verwundet, der Entsatz blieb aus, der Schießbedarf ging zu Ende. Nur der Versuch sich durchzuschlagen bot Aussicht auf Rettung. Die Cürassiere sitzen auf, S. ist im Begriff einen von ihm hergestellten Verhau zu überspringen. Da bricht sein Pferd, zu Tode getroffen, unter ihm zusammen. Der Feind wiederholt die von S. schon einmal abgelehnte Aufforderung sich zu ergeben. Jetzt willigt dieser ein, aber nur unter der Bedingung, daß ihm seine Waffen, den Cürassieren ihre Bekleidung und Ausrüstung verbleiben. Der feindliche Befehlshaber, der ihm seine Bewunderung nicht versagt, willigt ein und S. wird nach Raab abgeführt. Aber nicht lange bleibt er der Freiheit beraubt. Noch bevor am 11. Juni der Friede zu Breslau geschlossen ist befiehlt der König ihn auszuwechseln. Statt seiner, des Cornet, gibt er den Oesterreichern einen gefangenen Rittmeister zurück. Beim Heere angelangt, erhält S. den Befehl sich beim Könige zu melden, welchem er über den ganzen Vorfall genauen Bericht erstatten muß. Friedrich entläßt ihn darauf mit allen Merkmalen seiner königlichen Gnade und verliert ihn fortan nicht aus den Augen. Nach einer im Frühjahr 1743 bei Stettin abgehaltenen Specialrevue ernennt er ihn am 23. Juli zum Rittmeister bei dem in Schlesien stehenden Husarenregiment v. Natzmer Nr. 4. Daß er seine Beförderung dem Sprunge von einer Brücke in einen Fluß zu danken gehabt habe, wodurch er dem Könige den Beweis geliefert hätte, daß ein Reitersmann, der noch sein Pferd unter sich habe, sich nie ergeben dürfe, ist eine Fabel; es ist durchaus unerwiesen, daß S. jemals ein solches Stück ausgeführt hat. Seine Garnison wurde das Städtchen Trebnitz. Die Husaren waren damals im preußischen Heere eine neue Truppe, sie waren Anfänger und hatten sich bisher den gleichnamigen leichten Reitern der Oesterreicher keineswegs gewachsen erwiesen. Der König hatte sich aber vorgenommen aus ihnen etwas zu machen. Dazu bedurfte er tüchtiger Männer. Sein Adlerblick hatte in S. einen solchen erkannt. Als er im nächsten Jahre die Trebnitzer Schwadron besichtigte, überzeugte er sich, daß er den rechten Griff gethan habe. Auf der anderen Seite war der husarische Dienst eine treffliche Schule für S., der zweite schlesische Krieg gab ihm bald Gelegenheit Zeugniß davon abzulegen. Im August 1744 rückte der König in Böhmen ein, nahm Prag und verlegte dann den Kriegsschauplatz nach dem Süden des Landes. Generallieutenant Graf Nassau führte die Vorhut, bei der sich die vom Major v. Schütz (A. D. B. XXXIII, 125) befehligten Natzmer-Husaren befanden. Des Rittmeister v. S. [96] Wohlwollen gegen Jedermann und seiner Sitte Freundlichkeit werden oft genug im Gegensatz gestanden haben zu seines Commandeurs roher Sinnesart und dessen gewaltthätiger Härte. Aber Fortuna hatte den preußischen Waffen den Rücken gekehrt und die winterliche Heimkehr nach Schlesien vollzog sich unter schweren Verlusten. Desto besser ging es 1745. Jetzt wird auch der Name S. wieder genannt. Zum ersten Male äußerte letzterer einen Einfluß auf die Gefechtsweise der Cavallerie und auf die für die Waffe maßgebenden taktischen Formen. Wahrnehmungen, welche er gelegentlich eines am 21. Mai bei Reichhennersdorf gelieferten Gefechtes gemacht hatte, überzeugten ihn von der Gefährlichkeit des Rückwärtssammelns ausgeschwärmter Plänkler bei den geschlossenen Unterstützungstrupps, und daß es vortheilhafter sei, letztere den Plänklern entgegenzuführen und diese sich ihnen anschließen zu lassen. Sein Vorschlag ward dem Könige unterbreitet und dieser erhob das Verfahren zur Vorschrift. Nach einem bei Landeshut am 22. Mai rühmlichst bestandenen Gefechte berichtete Winterfeld, ein Menschenkenner, dem Könige: „Haben auch gewiß Ew. Majestät an dem Rittmeister v. S. einen Officier der nicht zu verbessern ist“, und bei Hohenfriedberg, am 4. Juni, nahm er den sächsischen General v. Schlichting, nachdem er ihm die Zügel zerhauen hatte, persönlich gefangen. Am 28. Juli ward er zum Major befördert, behielt aber seine Escadron und leistete mit dieser am 30. September bei Soor vortreffliche Dienste, indem er vor der Schlacht die Aufstellung des Feindes erkundete und dann mit Auszeichnung am Kampfe theilnahm, wobei er durch einen Carabinerschuß am Arme verwundet wurde. Auch in dem siegreichen Treffen bei Katholisch-Hennersdorf am 23. November, welches ihm den Nutzen des Vorhandenseins einer geschlossenen Rückhaltstruppe bei den Wechselfällen des Reitergefechtes überzeugend vor Augen führte, war er zur Stelle. Den Schluß seiner Thätigkeit in diesem Feldzuge machte ein glückliches Gefecht bei Zittau am 27. November, ein Ueberfall der feindlichen Nachhut, wobei er 15 Schwadronen befehligte. Die gegenüberstehenden Oesterreicher unter Graf Burghaus wurden zersprengt und fast ganz aufgerieben.
Seydlitz: Friedrich Wilhelm Freiherr v. S., königlich preußischer General der Cavallerie, einer der größten, vielleicht der größte Reiterführer aller Zeiten, wurde am 3. Februar 1721 zu Calcar im Herzogthum Cleve, wo sein Vater, damals Rittmeister im Cürassierregiment Markgraf Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt Nr. 5, auf Werbung stand, geboren. Derselbe kam später nach Schwedt zurück, verließ 1726 mit dem Charakter als Major den Heeresdienst, ward Forstmeister in Ostpreußen, starb 1728 und hinterließ seine Wittwe, eine geborene v. Ilow, in sehr beschränkten Verhältnissen. Sie zog mit ihren drei Kindern nach Freienwalde an der Oder, wo der älteste Sohn Friedrich Wilhelm die Schule besuchte bis ihn, als er dreizehn Jahr alt war, der genannte Markgraf als Pagen zu sich nach Schwedt nahm. Der Knabe muß seine Schulzeit gut benutzt haben, wenigstens hat er während derselben den Grund zu einer wissenschaftlichen Bildung gelegt, welche die der Mehrzahl seiner gleichalterigen Standesgenossen überragte. Er verstand französisch zu sprechen und zu schreiben und kannte die französische Litteratur, liebte aber die Sprache nicht und bediente sich ihrer ungern, schrieb das Deutsche mit schöner fester Hand ungewöhnlich richtig, in gut gebildeten Sätzen und mit treffendem Ausdrucke, und wußte genug Lateinisch, um alle vorkommenden Redensarten und Bezeichnungen erklären zu können. Daneben hatte seine Mutter die in der Kinderseele liegenden Keime wohlwollender Menschenliebe, der Achtung für die Religion und des Sinnes für Wahrheit und Ehre, Treue und Freundschaft sorgsam gepflegt und schön entwickelt. Der Aufenthalt am Hofe des „wilden Markgrafen“, eines Enkels desNachdem am 25. December zu Dresden Friede geschlossen war, kehrte S. mit seiner Schwadron nach Trebnitz zurück. Hier lebte er vor allem dem Dienste und förderte die Ausbildung seiner Husaren auf eine hohe Stufe, hier führte er die meisten der Schwänke und lustigen Streiche aus, von denen namentlich Varnhagen erzählt. Es stammt aus dieser Zeit aber auch die Auffassung, welche S. als einen Trinker und rohen Wüstling hat erscheinen lassen. Sie ist grundfalsch. Es ist dies am schlagendsten durch die Schilderungen erwiesen, welche Warnery von seiner Persönlichkeit und seinem Leben in Trebnitz gibt, denn Warnery, sein Regimentskamerad, kannte ihn genau und war sonst wenig geneigt, das Verdienst Anderer anzuerkennen und sie zu rühmen. Am 21. September 1752 ernannte ihn der König nach einer glänzend ausgefallenen Revue zum Oberstlieutenant und am 13. October des nämlichen Jahres zum Commandeur des Dragonerregiments Prinz Friedrich von Württemberg Nr. 12, dessen Stab zu Treptow an der Rega in Pommern stand. König Friedrich war mit dem Regimente nicht zufrieden, S. sollte es „wieder in ordre setzen“. Dieser hatte dadurch den Vortheil, daß er auch die dritte der im Heere bestehenden Reitergattungen kennen lernte. Er muß die ihm übertragene Aufgabe rasch gelöst oder es müssen andere Gründe vorgelegen haben, denn schon am 28. Februar 1753 versetzte ihn der König in gleicher Eigenschaft zum Cürassierregiment v. Rochow Nr. 8 mit der Stabsgarnison Ohlau in Schlesien, welches bald ein Musterregiment wurde.
Da kam der siebenjährige Krieg. S. war am 9. Juli 1755 zum Oberst ernannt worden. Die nächsten Jahre sollten ihn die höchste Stufe des Ruhmes [97] erreichen lassen, ihm einen Namen verschaffen, dessen Klang unvergänglich ist. Die erste Schlacht, an welcher er Theil nahm, war die am 1. October 1756 bei Lobositz geschlagene. So wenig glücklich sie für die unter Geßler gestellten Reiterregimenter, zu denen die Rochow-Cürassiere gehörten, ausfiel, so lehrreich wird sie für S. gewesen sein. Der zweiten, der Schlacht bei Prag am 6. Mai 1757, mußte er als müßiger Zuschauer beiwohnen. Auf seine Bitte war er während des Einmarsches in Böhmen der von Zieten befehligten Vorhut zugewiesen. Es war nicht üblich Cürassiere bei derselben zu verwenden; S. wollte zeigen, daß die seinen dort sehr wohl zu gebrauchen seien. Der König freute sich des Thatendranges und genehmigte die Bitte und S. bewies, daß er der übernommenen Aufgabe vollkommen gewachsen sei. Bei Prag gehörte er zu der Truppenabtheilung, welche auf dem linken Moldauufer stand und bestimmt war, nach Ueberschreitung des Flusses dem Feinde in Flanke und Rücken zu fallen. Als die Wagen, welche das zum Brückenschlagen erforderliche Geräth bringen sollten, ausblieben, versuchte er den Fluß zu durchreiten. Es hieß, der Treibsand mache es unmöglich, daher wollte S. sich selbst überzeugen. Aber das Pferd versank sofort, fast wäre der Reiter im Flusse umgekommen. Mit genauer Noth ward er gerettet und unthätig mußte er zusehen, wie drüben die preußischen Husaren die feindlichen Reiter verfolgten. Sechs Wochen später war am 18. Juni die Schlacht bei Kollin fast schon verloren, als S., welcher zum ersten Male an der Spitze einer Brigade, aus seinen eigenen und Prinz von Preußen-Cürassieren Nr. 2 zusammengesetzt, stand, vom Könige Befehl erhielt, die siegreich vorgehende österreichische Infanterie anzugreifen; Normann-Dragoner Nr. 1 schlossen sich ihm an. Glänzend entledigte er sich des Auftrages. Zwei feindliche Reiterregimenter waren überritten, 1500 Schritt im langen Galopp zurückgelegt, beide Treffen des feindlichen Fußvolkes durchbrochen, sieben Fahnen erbeutet, da geriethen die preußischen Reiter in ein mörderisches Geschützfeuer und gleichzeitig drang österreichische Cavallerie auf sie ein. Sie flutheten zurück. S. wollte das Regiment Preußen-Cürassiere, das er als zweites Treffen hatte folgen lassen, zur Aufnahme und zur Herstellung des Gleichgewichtes vorführen, aber vergeblich suchte er das Regiment; ein Unbefugter hatte es inzwischen anderweit verwandt und, als S. es gefunden hatte, riß geworfene preußische Cavallerie es mit sich fort. S. hatte das Geschick des Tages nicht abwenden können, aber, indem er Zieten den Rückzug decken half, trug er dazu bei, daß derselbe mit Würde und Anstand geschah. Zwei Tage später dankte ihm der König dadurch, daß er ihn außer der Reihe zum Generalmajor beförderte und ihm den Orden pour le Mérite verlieh. „Es war hohe Zeit, wenn noch etwas aus mir werden soll“, äußerte der sechsunddreißigjährige General gegen Zieten, welcher ihn beglückwünschte. – Ein hübsches Reiterstück, zu dessen Gelingen List und Entschlossenheit zusammenwirkten, vollführte S., als er am hellen Mittage des 20. Juli 10 Schwadronen, welchen deren 40 feindliche den Weg verlegt zu haben meinten, kühn und glücklich aus der Stadt Zittau durch ihre Reihen hindurch führte; ein anderes, als er am 7. September dem Könige auf dem Marsche nach Thüringen den Weg durch die Stadt Pegau bahnte. Abgesessene Husaren bemächtigen sich des Ortes, im Galopp brausen Seydlitz’ Reiter durch die Straßen, werfen jenseits die hinter einem Hohlwege vortheilhaft aufgestellte österreichische Cavallerie und verfolgen diese bis Zeitz. – Durch kecken Handstreich setzte er sich am 19. September in den Besitz der Stadt Gotha, aus welcher er Franzosen und Reichstruppen verjagte, und nahm dann mit seinen Officieren an der für die feindlichen Heerführer, die Prinzen Soubise und Hildburghausen, gedeckten herzoglichen Tafel Platz. Der König schrieb über dieses „Avantgarden-Meisterstück“: „Jeder andere Officier [98] hätte sich Glück gewünscht, wenn er ohne Verlust aus einer so übelen Lage herausgekommen wäre; der Herr v. S. würde sich selbst nicht genug gethem haben, wenn er nicht noch Vortheile gezogen hätte“. Dann machte dieser in dreizehn Tagen einen Ritt von 65 Meilen nach dem von Hadick heimgesuchten Berlin und zurück nach Leipzig. Als er in der Hauptstadt ankam, waren die Oesterreicher auf die Nachricht vom Nahen preußischer Truppen abgezogen, nur einen Theil ihrer Beute konnte S. ihnen bei Königs-Wusterhausen abnehmen.
Es waren dies alles Vorspiele zu dem großen Schlage von Roßbach. S., der jüngste Generalmajor, war an die Spitze der gesammten preußischen Reiterei, 38 Schwadronen, gestellt. „Meine Herren, ich gehorche dem Könige, Sie gehorchen mir!“ sagte er den ihm unterstellten Generalen. Die Executivarmee, wie das feindliche Heer amtlich genannt wurde, hatte sich am Mittage des 5. November in Marsch gesetzt um die ihr gegenüber lagernde preußische zu umfassen und sie mit einem Schlage unschädlich zu machen. Mit aufmerksamem Auge beobachtete S. alle Maßregeln des Gegners. Als er den Augenblick für gekommen hielt, ließ er auf eigene Verantwortung satteln. Dann befahl der König den Aufbruch. Durch einen Höhenzug den Blicken des Feindes entzogen, folgte das preußische Heer der Bewegung desselben, seinen Marsch seitlich begleitend. Als die Spitzen seiner Heeressäulen, 52 Schwadronen unter dem Herzog von Broglie, in der Höhe des die Gegend beherrschenden Janushügels angekommen waren, schwenkten sie zum Angriffe ein. Aber vom Hügel aus überschütten die dort aufgefahrenen preußischen Geschütze sie mit mörderischem Feuer und in ihre Reihen brechen in vollem Rosseslaufe die plötzlich auftauchenden Reiter. Beim ersten Kanonenschusse hatte S. die letzteren einschwenken lassen, 15 Schwadronen im ersten, 18 im zweiten Treffen, 5 Escadrons Husaren zur Deckung der linken Flanke. Im Marsch! Marsch! stürzen sie sich auf den Feind, wie ein entfesselter Waldstrom alles niederwerfend was sich ihnen in den Weg stellt. In wilder Flucht suchen Broglie’s Schwadronen Freiburg zu erreichen. Der Verfolgung macht S. bald ein Ende, denn noch ist die Arbeit nicht abgethan. Es bleibt der Rest der feindlichen Heeresmacht zu bewältigen. Gegen diese hatte der König inzwischen 21 Bataillone in schiefer Schlachtordnung vorgehen lassen. S., kaltblütig und überlegt, sammelte zunächst seine Schwadronen und gedachte wohl die Erfolge der eigenen Infanterie abzuwarten bevor er zu neuem Angriffe vorginge. Da jagten zwei feindliche Reiterregimenter, ihm die Flanke bietend, zwischen der preußischen Cavallerie und der Infanterie der Verbündeten hindurch. Sofort stürzte sich S., die Gelegenheit geschickt erfassend, auf sie, warf sie auf ihr eigenes Fußvolk und richtete unter diesem große Verwirrung an. In diesem Augenblicke ward er verwundet, eine Kugel hatte seinen Arm getroffen, der Angriff gerieth in Stocken und französische Cavallerieregimenter versuchten das Gefecht herzustellen, aber rasch war S. verbunden und wieder im Sattel, von neuem führte er fünf Reiterregimenter vom linken Flügel zum Angriffe vor und bald war der Widerstand des Feindes vollständig gebrochen. Im Vereine mit der Artillerie hatte die Reiterei binnen zwei Stunden einen glänzenden Sieg erfochten. Von der Infanterie waren nur sieben Bataillone zum Feuern gekommen. Noch in der Nacht übersandte der König S. den Schwarzen Adlerorden, am 20. ernannte er ihn zum Generallieutenant und zum Chef des Cürassierregiments, dessen Commandeur er bis dahin gewesen war. Seine Wunde war an und für sich nicht bedeutend. Die Heilung derselben ward aber durch Krankheitsstoffe verzögert, deren Vorhandensein in seinem Körper eine Folge seiner stark sinnlichen Neigungen für das andere Geschlecht war. Bis zum Frühjahr 1758 mußte er den Schauplätzen des Krieges fern bleiben, erst am Zuge nach Mähren durfte er wieder Theil nehmen und im August marschirte [99] er unter dem Könige gegen die Russen. In der Schlacht bei Zorndorf am 25. jenes Monats hatte die seinen Befehlen unterstellte Cavallerie, 31 Schwadronen, die Heeressäule zu begleiten, welche den Hauptstoß gegen den rechten Flügel des Feindes führen sollte. Bevor er den Augenblick zum Eingreifen für gekommen erachtete, wollte der König ihn zum Anreiten auf den Feind veranlassen. Mit seinem Kopfe machte er S. dafür verantwortlich, wenn durch seine Schuld etwas verabsäumt würde. Dieser aber, eingedenk der vom Könige selbst gegebenen Vorschrift, daß die Cavallerie nicht übereilt attackiren solle, ließ antworten, daß sein Kopf nach der Schlacht dem Könige zu Gebote stände, bis dahin aber möge er ihm erlauben von demselben für seinen Dienst Gebrauch zu machen. Die Gelegenheit bot sich bald. Der Angriff war gescheitert, die preußische Infanterie wich, ihre Geschütze fielen in die Gewalt des Feindes, die russische Reiterei hieb in die zurückfluthenden Massen ein. Da überschritt S. den Zabergrund, der ihn vom Feinde trennte; vorsorglich hatte er Uebergänge über das sumpfige Gelände herstellen lassen. Jenseits gliederte er seine Reiter in drei Treffen, ritt zuerst die aufgelöste russische Cavallerie, dann die Infanterie nieder und machte der Widerstandskraft des feindlichen rechten Flügels ein Ende. Vor den geschlossenen Massen der Mitte aber machte er Kehrt, führte seine Scharen zurück und ordnete sie außerhalb des feindlichen Feuers von neuem. Kampfbereit stand er da, als der König seiner zum zweiten Male bedurfte. Dieser hatte inzwischen den rechten Flügel seiner Infanterie gegen den noch stehenden Theil der russischen Schlachtordnung vorgeführt. Aber auch dieser Angriff mißglückte. Wiederum brachte die russische Cavallerie die preußische Infanterie zum Stocken und zum Weichen – da warf abermals S. sein Schwert in die Wagschale des Sieges und brachte diese zu Gunsten der preußischen Waffen zum Sinken. Er hatte jetzt 61 Schwadronen unter seinen Befehlen. In drei Treffen geordnet führte er dieselben vor. Die russische Cavallerie nahm den Angriff nicht an, sondern jagte zurück; die Infanterie und die Artillerie aber standen fest und empfingen die Anstürmenden mit mörderischem Feuer. Doch unaufhaltsam blieben diese in raschester Gangart im Vorgehen, drangen in die Reihen und begannen ein furchtbares Blutbad anzurichten. Die Russen setzten verzweifelten Widerstand entgegen; erst die sinkende Sonne sah das Ende des Gemetzels. Der Sieg war ein vollständiger. Er war S. zu danken. Der König erkannte es an, indem er noch am Abend der Schlacht, auf ihn zeigend, gegen den englischen Gesandten Sir Andrew Mitchell, wie er später mehrfach in Beziehung auf S. gethan hat, äußerte: „Ohne diesen würde es schlecht aussehen“ und in gleichem Sinne schrieb Napoleon I.: „Tout était perdu, si l’intrépide Seydlitz avec son incomparable cavalerie et le coup d’oeil qui le distinguait, n’y eût porté remède“. Dieser Scharfblick, die Kaltblütigkeit seiner Ueberlegung, sein richtiges Urtheil, seine Kühnheit und Entschlossenheit, verbunden mit glänzender persönlicher Tapferkeit, großer körperlicher Gewandtheit und dem Geiste, welchen er seinen Untergebenen einflößte, waren die Quellen seiner Leistungen, die Ursachen seiner Größe. S. hat die Vorschriften, nach denen er handelte, nicht gegeben und die Formen, deren er sich bediente, nicht geschaffen; das hat der König gethan; aber S. hat den Sinn jener Vorschriften erfaßt und letztere diesem Sinne entsprechend angewandt, er hat die Formen gebraucht, wo und wie sie angebracht waren, und darin steht er unübertroffen da. Es schließt dies nicht aus, daß der König sich seines Rathes bedient und aus seinen Erfahrungen Lehren gezogen hat.
Die nächste Gelegenheit, bei welcher S. hervorragende Dienste leistete, war der Tag von Hochkirch. Er hatte zu denjenigen gehört, welche den König auf das Gefährliche seiner Lage hinwiesen. Als dieser befahl, daß die Cavallerie in der Nacht zum 14. October absatteln solle, gehorchte er, ließ aber zwei Stunden [100] später wieder aufsatteln. So fand der Ueberfall der Oesterreicher ihn zum Kampfe bereit. Im Dunkel der Nacht konnte er nicht viel ausrichten, als aber der Morgen gekommen war, erhielt er Befehl mit der gesammten zur Stelle befindlichen Reiterei, 108 Schwadronen, den Rückzug zu decken und Daun hemmte vor seiner drohenden Haltung die Verfolgung. Den Winter 1758/59 verlebte S. im königlichen Hauptquartiere zu Breslau, während des Frühjahrs beschäftigte ihn der kleine Krieg in Schlesien, den Sommer hindurch stand er beobachtend in der Lausitz, um Berlin gegen einen russischen Besuch zu decken, dann unterbrach eine neue Verwundung, welche er am 12. August bei Kunersdorf empfing, für längere Zeit seine Ruhmeslaufbahn. Als in jener Schlacht die Angriffskraft der Preußen an dem Widerstande erlahmte, welchen ihnen ihre Gegner in der vortheilhaften Stellung am großen Spitzberge entgegensetzten, befahl der König S. einzugreifen. Dieser zögerte Folge zu leisten, weil er es nicht für die Aufgabe der Reiterei hielt gegen Schanzen anzureiten, und weil er glaubte, die letztere für alle Wechselfälle des Kampfes aufsparen zu sollen, gehorchte dann aber dem ihm bestimmt gegebenen Befehle. Der Versuch fiel unglücklich aus; das Mißlingen war eine der Ursachen des Verlustes der Schlacht; S. selbst ward dabei schwer verwundet. Eine Kartätschkugel zerschmetterte ihm die rechte Hand und das Degengefäß, zu seiner Heilung ward er nach Berlin gebracht. Hier verheirathete er sich am 16. April 1760 mit Gräfin Albertine Hacke, deren Vater 1754 als Generallieutenant und Commandant von Berlin gestorben war; Balcke, der Feldprediger seines Regiments, traute ihn, die Braut war 17 Jahre alt. Einige Tage später reiste er zum Heere nach Sachsen ab. Da er aber keineswegs hergestellt war, seine Hand vielmehr, sowie seine Kinnlade, die letztere in Folge eines überstandenen Starrkrampfes, in solchem Grade gelähmt waren, daß er jene kaum gebrauchen konnte und daß er im Sprechen behindert war, so hieß ihn der König nach Berlin zurückzukehren und zunächst seiner Gesundheit zu leben, welche fortgesetzt unter den obenerwähnten schädlichen Einwirkungen litt. Doch auch hier leistete er gute Dienste, als Russen und Oesterreicher unter Todleben und Lascy Berlin mit einem zweiten Einrücken heimsuchten.
Am 20. Mai 1761 erschien er wieder im Felde. Es geschah auf dem Kriegsschauplatze in Sachsen, unter den Befehlen des Prinzen Heinrich. S. trat damit in einen neuen Abschnitt seiner soldatischen Wirksamkeit. Fortan war er nicht mehr, wie bisher, ausschließlich Reiterführer, sondern er stand an der Spitze größerer, aus allen Waffen zusammengesetzter Truppenabtheilungen. Es ist vielfach die Frage aufgeworfen, ob er sich in diesen Verhältnissen ebenso bewährt habe wie früher im kleinen Kriege und bei der Leitung großer Reitermassen. Namentlich im Hinblick auf ein von ihm geführtes und fehlgeschlagenes Unternehmen gegen Teplitz im August 1762, hat man die Frage verneinen zu sollen geglaubt. Ohne sie entscheiden zu wollen, weisen wir auf sein Verhalten in der Schlacht bei Freiberg, am 29. October jenes Jahres, der letzten des Krieges, hin. Er führte den Befehl der Vorhut und des rechten Flügels; es war die stärkste unter den Heeressäulen, mit denen Prinz Heinrich den Angriff unternahm. An der Spitze seiner Infanterie erstürmte er die Höhen, auf denen der ihm gegenüberstehende Feind sich verschanzt hatte, führte dann seine Reiterei vor, mit welcher er zunächst die errungenen Vortheile ausbeutete, und wandte sich schließlich gegen die Mitte und den linken Flügel, damit die Schlacht entscheidend. „Auch diesen Sieg verdanke ich Ihm“, sagte der einige Tage darauf in Freiberg ankommende König zu Seydlitz, nachdem Prinz Heinrich über die Vorgänge berichtet hatte.
Als der Friede geschlossen war kehrte S. nach Ohlau zurück. Aber nicht als einfacher Regimentschef, sondern als „Commissair und General-Inspecteur“ [101] der schlesischen Cavallerie, 5 Cürassier-, 2 Dragoner-, 4 Husaren-Regimenter begreifend, des größten unter den Truppenkörpern, in welche der König seine Reiterei nunmehr gegliedert hatte. Daß er nicht an die Spitze der ganzen Waffe gestellt wurde und daß dieselbe nicht in seiner berufenen Person einen obersten Befehlshaber erhielt, erklärt sich durch die Rücksicht auf den älteren Zieten und durch die Abneigung des Königs, die Oberleitung aus der eigenen Hand zu geben, Ohlau aber wurde die Hochschule der Reiterei; oft sandte der König Officiere aus anderen Inspectionen dorthin um zu lernen, nie umgekehrt, und gern versetzte er Seydlitz’ Schüler nach auswärts. Die schlesischen Regimenter wurden die Vorbilder für die gesammte preußische Cavallerie. Aus ganz Europa strömten Wißbegierige herbei um sie zu sehen, besonders war es Seydlitz’ eigenes Regiment, welches die allgemeine Aufmerksamkeit rege machte. Als Kaiser Joseph II. 1769 in Neisse war, wünschte er ausdrücklich dieses Regiment zu sehen und zollte ihm seine Anerkennung. Auch der geistigen Ausbildung seiner Untergebenen widmete S. reges Interesse; sein Vorhaben, in Ohlau eine Junkerschule zu errichten, in welcher auch Sprachen und Mathematik gelehrt werden sollten, wurde durch Hindernisse vereitelt, die er nicht beseitigen konnte. Am 29. Juli 1767 ernannte der König ihn zum General der Cavallerie; an sonstigen Gnadenbeweisen erhielt er die Drostei Vlotho, die Amtshauptmannschaft Limburg und ein „ansehnlich Jahrgehalt“ zu der 2000 Thaler betragenden Inspecteurszulage. Allen, die unter seinen Befehlen oder ihm sonst nahe standen, war er ein treuer Freund, ein wohlwollender Berather und stets bereiter Helfer. Nicht so gut wie im öffentlichen ging es ihm im häuslichen Leben. Seine Ehe war nicht glücklich; die Untreue seiner Gattin veranlaßte, daß der Bund früh getrennt wurde. Es waren aus demselben zwei Töchter hervorgegangen, welche dem Vater verblieben. Die ältere war dreimal verheirathet und wurde einmal geschieden, sie starb im Irrenhause, die jüngere vermählte sich viermal und zweimal wurde ihre Ehe durch richterlichen Spruch getrennt. Keine von Beiden hat Kinder hinterlassen.
Seydlitz’ äußere Erscheinung war eine echt soldatische. Er war mittelgroß, schlank und wohlgewachsen, sein Auftreten war voll Würde, seine Bewegungen zeugten von Kraft und Gewandtheit. Sein Gesicht war wohl gebildet, nicht schön, aber durch ein paar Feueraugen belebt, die ebenso freundlich wie zornig blicken konnten, unwillkürlich einnahmen und ohne Widerrede gehorchen machten. Seine Lebenskraft war früh erschöpft; wir haben mehrfach von seinen Krankheiten und Gebrechen zu berichten gehabt. Im April 1772 traf ihn ein Schlaganfall, von welchem Curen in Karlsbad und in Aachen ihn leidlich herstellten, die Besserung war aber nicht von Dauer. Am 27. August 1773 besuchte ihn der König in Ohlau zum letzten Male. Am 8. November des nämlichen Jahres starb er dort in dem von ihm bewohnten Hause, an dessen Stelle sich jetzt das Landrathsamt befindet. Auf dem von ihm erkauften Gute Minkowsky, drei Meilen von Ohlau, am rechten Oderufer gelegen, ist er bestattet worden. „Er lebte unübertroffen; er stirbt ohne ersetzt werden zu können“, hatte der König gesagt, als er von Seydlitz’ Krankenbette ging. „Ich kann, ich kann ihn nicht missen“, rief er aus, als ihm der Tod gemeldet wurde.
- Charakter und Lebensgeschichte des Herrn v. S. von v. Blankenburg, Leipzig 1797. – Varnhagen v. Ense, Das Leben des Generals v. S., Berlin 1834. – Graf Bismarck, Die königlich preußische Reiterei unter Friedrich dem Großen oder der General der Cavallerie Freiherr v. S., Karlsruhe 1837. – S. in seiner Bedeutung für die Reiterei von Major Kähler, Berlin 1874. – Friedrich Wilhelm Freiherr v. S. von Premierlieutenant Buxbaum, Rathenow 1890 (Neue Auflage). – Des Herrn Generalmajor v. Warnery sämmtliche Schriften, Hannover 1785–91.