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ADB:Sommer, Johannes

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Artikel „Sommer, Johannes“ von Johannes Bolte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 603–605, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sommer,_Johannes&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Sommer: Johannes S. aus Zwickau, ein protestantischer Satiriker und fruchtbarer Uebersetzer des 16. Jahrhunderts, der auch unter den Pseudonymen Huldrichus Therander und Johannes Olorinus (= Cycnaeus, mit Anspielung auf den Schwan im Wappen seiner Vaterstadt) Variscus schrieb. Er wurde 1559 (nicht 1545, wie Goedeke angibt) zu Zwickau geboren, erhielt nach Beendigung seiner akademischen Studien zu Kloster Berge bei Magdeburg unter dem Abte Clemens Strathusen eine Stelle als Conventual und Lehrer und verwaltete seit dem Tode des Pastors Georg Hasenstab 1598 die unter dem Patronate des Klosters stehende Pfarre zu Osterweddingen bis zu seinem am 16. October 1622 erfolgten Tode. – Die schriftstellerische Thätigkeit Sommer’s reicht von seinem 42. bis zu seinem 57. Lebensjahre, von 1601 bis 1616, und umfaßt mindestens 23 (bei Goedeke nicht vollständig aufgezählte) Werke. Er begann mit der Uebersetzung dreier neulateinischer Dramen, der Areteugenia und des Plagium des Wittenberger Theologen Daniel Cramer, sowie des Cornelius relegatus von Wichgrev. Der Beifall, den diese an drastischen Wendungen und gelungenen Verdeutschungen reichen Bearbeitungen, namentlich Wichgrev’s farbensattes Sittenbild aus dem akademischen Leben, fanden, bewog den unermüdlichen Autor, auch die in Prosa abgefaßte Ehebruchstragödie des braunschweigischen Herzogs Heinrich Julius „dem reimbegierigen Leser“ zu Gefallen „der teudschen Art nach in [604] teudsche Reime“ zu bringen, obwohl sie ihm, wie er bekannte, „in forma solutae orationis besser gefiel“. Freilich bittet S. in der Vorrede den christlichen Leser, nicht allein die fröhlichen, höflichen, kurtzweiligen Bossen der Venuskinder, sondern den traurigen Ausgang zu beherzigen; aber es ist wohl kaum zufällig, daß dieser dramatische Versuch Sommer’s, der über den derben Realismus seines Magdeburger Amtsgenossen Ambrosius Pape fortschritt und manchem Aergerniß geben mochte, auch der letzte blieb. Im selben Jahre 1605 veröffentlichte er eine Art Briefsteller für Liebende „Bul- oder Bindbrieff“, ferner eine durch das Vorbild der 1601 gedruckten Rhythmi mensales des Johannes Junior veranlaßte Sammlung von 500 Leberreimen, Hepatologia hieroglyphica rhytmica, und ein ziemlich unsauberes Schwankbuch mit gereimten Nutzanwendungen, dessen Titel Emplastrum Cornelianum an die gleichzeitige Verdeutschung der Wichgrev’schen Studentenkomödie gemahnt, 1606 folgte eine Sprichwörtersammlung „Paroemiologia Germanica“, ferner ein Räthselbuch „Aenigmatographia rhythmica“, 1609 eine burleske Predigt von der Martinsgans, die im ganzen und oft auch im einzelnen ihre Abhängigkeit von dem zwei Jahre zuvor erschienenen Gans-König W. Spangenberg’s verräth, 1611 eine freie Bearbeitung von C. Hegendorf’s Encomium ebrietatis. Tritt er hier überall nur als Uebersetzer, Bearbeiter und Nachempfinder hervor, so zeigt sein 1607 begonnenes und oft nachgedrucktes Hauptwerk, die „Ethographia mundi“, ihn von einer etwas originaleren Seite. Von der Betrachtung ausgehend, daß in den letzten zwanzig Jahren ein ungeheurer Umschwung in Sitten, Geberden, Kleidung und Wandel in Deutschland stattgefunden habe, steckt er sich das Ziel, in einem Sittenspiegel die gegenwärtigen Zustände für die Nachwelt zu fixiren. In der seit Brant’s Narrenschiff und Scheidt’s Grobianus verbreiteten Form der directen Ironie stellt er 17 Regeln der lasterhaften Weltkinder für Völlerei, Buhlerei, Müßiggang, Verschwendung und andere Untugenden auf, zu denen dann reichliche Beispiele aus litterarischen Quellen, aus Scheidt-Dedekind, Lucas Martini’s Lasterspiegel, dem Theatrum diabolorum, dem Lalenbuch, den Münchhausiaden des Vincentius Ladislaus u. a. folgen. Die scheinbare Vertheidigung der Laster, bei der die ärgsten Zoten nicht zurückgehalten werden, gefährdet freilich den ethischen Zweck, Abscheu vor dem Laster zu wecken, öfter. Für den Stil hat Fischart’s Gargantua als Muster gedient. S. häuft in derselben erdrückenden Fülle Anekdoten, Citate, Namen von Bieren und Weinen, mischt Volkslieder, Sprüchwörter, lateinische Brocken (Curia bringt Curas), Wortverdrehungen (Schadvocaten, Cardinales Carnales) ein, wirkt durch Allitteration und Reim und erhebt sich bisweilen zu kraftvoller Bildlichkeit; so schildert er die Winterszeit, „wenn der Durchleuchtige Herr von Ofen regieret und seine hitzige Strahlen auß seinem Eingeweide von sich scheust“. Der Beifall des Publicums trieb den Autor an, schon 1608 und 1609 drei weitere Bände als Fortsetzung dem ersten folgen zu lassen. Der zweite Theil „Von bösen Weibern“ ist eine rohe Satire, die aber oft, zuletzt noch 1751 als „Schauplatz der bösen Weiber“, aufgelegt wurde, in Form eines Dialoges zwischen dem unglücklichen Ehemann Simon und dem erfahrenen Andreas. Auch der dritte Theil „Imperiosus mulier“, der den alten Streit zwischen Hose und Schürze behandelt, ist ein Gespräch zwischen Regina, ihrem Nachbar Hermann und dem Italiener Petro. Im 4. Theile lieferte S. ein bloßes Plagiat aus den Politicae quaestiones des Melchior Junius, das er „Rathgeber zum Freyen“ betitelte. Er suchte ihn später (1613) durch einen neuen, der die Motive des ersten Bandes aufnimmt und sich an einen älteren Tractat Eberlin’s von Günzburg anlehnt, zu ersetzen: „Geldtklage“. Ein Pilgrim und ein Bürger kommen zu dem Schlusse, daß alle Stände an dem Geldmangel Schuld haben. Die übrigen Werke Sommer’s, seine erbaulichen [605] und seine Gelegenheitsreimereien, seine kritiklose Sammlung von 200 wunderbaren Bäumen und Kräutern, die er 1616 als Prodomus eines Hortus physico-theologicus herausgab, haben, wenn sie auch für seine Vielseitigkeit und ausgedehnte Lectüre zeugen, neben der Ethographia wenig Bedeutung. Und auch hier vermögen wir nur einen am Aeußerlichen haftenden Nachtreter Fischart’s, aber keinen schöpferischen Geist zu erkennen. „Was den mitten im Volksleben stehenden Landgeistlichen“, sagt Kawerau, „zu seinen satirischen Sittenbildern und Strafpredigten treibt, ist doch in erster Linie ein rein litterarisches Interesse, nicht aber eine sittliche Nöthigung; während er auf der einen Seite wider die sittliche Verwilderung seiner Zeit poltert und eifert, ist er gleichzeitig im Stande, selbst in plumpen, auf die rohe Lachlust der Menge berechneten Satiren sich als Grobianer aufzuspielen und sein Publicum mit ordinären Kneipwitzen zu belustigen“.

Goedeke, Grundriß2 II, 372. 583. – W. v. Maltzahn, Deutscher Bücherschatz (1875) S. 355 f. – H. Holstein, Beiblatt zur Magdeburger Zeitung 1880 Nr. 52, 1881 Nr. 1. - Erich Schmidt, Komödien vom Studentenleben 1880 S. 11. 27. – Wendeler, Zeitschrift für deutsches Alterthum XXI, 458 f. – Hofmeister, Niederdeutsches Jahrbuch X, 63. – W. Kawerau, Vierteljahrsschrift für Litteraturgesch. V, 161–201.